Niki Glattauer

Ramadan, Zuckerfest, Kopftuch: Jetzt reden Lehrerinnen

Kindergärtner, Lehrerinnen, Freizeitpädagogen*. Sie sind die wahren "Bildungsexperten". Diesmal bringt Niki Glattauer vier E-Mails von Betroffenen, die mit dem Thema Religion jeden Tag zu tun haben – und gibt seinen "Senf" dazu.

Gerade jetzt wieder ein beherrschendes Thema: Die (Nicht-)Integration von muslimischen Kindern in Österreichs Kindergärten und Schulen
Gerade jetzt wieder ein beherrschendes Thema: Die (Nicht-)Integration von muslimischen Kindern in Österreichs Kindergärten und Schulen
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Niki Glattauer
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Erstmals dürften heuer in Wiens Volksschulen mehr Schüler das Zuckerfest (= Fastenbrechen) feiern als das Osterfest. Gab es in Wiens Volksschulklassen im Schuljahr 2023/24 noch eine hauchdünne Mehrheit christlicher Schüler (Katholiken, Orthodoxe und Protestanten zusammengezählt 36 Prozent gegenüber 35 Prozent Moslems), werden heuer erstmals die Muslime die Nase vorn haben – Familiennachzug- und Asyl-bedingt, wobei aktuelles statistisches Datenmaterial noch nicht vorliegt. Mit dem Zuckerfest endet am 30. März für rund 750.000 Muslime in Österreich der Fastenmonat Ramadan.

Bitte nicht einfach umkippen!  Mehr denn je waren die (vermeintlichen) Auswirkungen des Fastens auf das Schulleben heuer Thema in den Medien: Begonnen hatte es mit einem Interview im Ö1-Morgenjournal, in dem der Christgewerkschafter Thomas Krebs beklagte, dass inzwischen "bereits 6-Jährige darauf verzichten zu essen und zu trinken".

Niki Glattauer ist als ehemaliger Schuldirektor in Wien Experte in Bildungsfragen
Niki Glattauer ist als ehemaliger Schuldirektor in Wien Experte in Bildungsfragen
Sabine Hertel

Übermüdet und unterzuckert Zudem würden sich "immer mehr Eltern uneinsichtig" zeigen, wenn man sie auf die Gefahren strengen Fastens hinweise, und es unsere Lehrerinnen ergo dessen immer öfter mit "übermüdeten, unterzuckerten Kindern" zu tun haben, die "einschlafen und richtig umkippen". Nicht selten würden Kinder von ihren Eltern dazu "gezwungen zu fasten", andere, die nicht mitzögen, von muslimischen Mitschülern "massiv unter Druck" gesetzt werden.

Bitte ausgeschlafen kommen! Wenig überraschend, schlug das Thema auch in der Politik auf: In einem Interview für die Zeitung Heute sagte Integrationsministerin Claudia Plakolm (ÖVP): "Wer bei uns lebt, hat sich an unsere Werte zu halten. Dazu gehört auch, dass man ausgeschlafen in die Schule kommt und dem Unterricht konzentriert folgen kann." In der Pflicht sehe sie "ganz klar die Eltern und die muslimische Glaubensgemeinschaft".

Meistens gut drauf, aber hart in der Sache: Integrationsministerin Claudia Plakolm, hier mit Bildungsminister Christoph Wiederkehr, will österreichische Werte in der Schule hochhalten
Meistens gut drauf, aber hart in der Sache: Integrationsministerin Claudia Plakolm, hier mit Bildungsminister Christoph Wiederkehr, will österreichische Werte in der Schule hochhalten
Helmut Graf

Thema Fastenbrechen statt Eierpecken Noch weniger überraschend löste die Berichterstattung eine Flut an Reaktionen in der Bevölkerung aus (auch meine drei Mail-Postkästen gingen über). Um es einmal so zu sagen: Obwohl auch wir (Christen) seit 5. März Fastenzeit haben und in wenigen Wochen mit Ostern die höchsten christlichen Feiertage ins Land ziehen, scheinen sich die meisten im Land lieber mit dem Islam und seinen Gebräuchen zu beschäftigen. Ein Schelm, der dächte, dass dies nicht auch geschürt werde - aus parteipolitischem und wahltaktischem Kalkül.

Daham mit Islam Hier heute Auszüge aus Leserbriefen dreier Lehrerinnen und eines Lehrers zum Thema – also Personen, die es umständehalber berufsbedingt mit den Geboten und Bräuchen des Islam zu tun haben. Ich habe versucht, Schreiben auszuwählen, die inhaltlich stellvertretend für 90 Prozent der Post stehen, die ich aus der Lehrerinnenschaft zu diesen Themen bekomme.

(Nicht nur) aus aktuellem Anlass: Das Thema Ramadan beherrscht gerade viele Diskussionen – so wie diese Ramadan-Festbeleuchtung in Köln
(Nicht nur) aus aktuellem Anlass: Das Thema Ramadan beherrscht gerade viele Diskussionen – so wie diese Ramadan-Festbeleuchtung in Köln
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1. Wenn man "den Umständen entsprechend" müder ist … !

Ein AHS-Lehrer hat mir den Post einer befreundeten Volksschullehrerin weitergeleitet – und seine Antwort darauf gleich mit:

Wir sehen das pragmatisch "Bei uns in der Klasse (4. VS) fasten zwei Mädchen. Es ist eine Gratwanderung zwischen Toleranz und Sorge, besonders was das Nicht-Trinken betrifft. Da diese Mädchen immer extrem überangepasst und still sind, fällt eine Veränderung kaum auf. Sie sind in dieser Zeit – den Umständen entsprechend – müder als sonst. Unser islamisches Religionslehrerehepaar erklärt den Kindern, dass Alte, Kranke und Kinder vom Fasten ausgenommen sind. Das hören die Mädchen aber nicht, da sie vom Religionsunterricht abgemeldet sind. Die Eltern sehen kein Problem. Obwohl meine Kollegin und ich uns Sorgen machen, sehen wir das pragmatisch: Im Falle des Falles Eltern und Rettung verständigen."

Und die Antwort des AHS-Professors Rainer W.: "Liebe K., du meinst, du siehst das pragmatisch. Aber den "Umständen" ist das keineswegs "entsprechend". Die Umstände hätten ab Schulmonat März zu sein: Vermitteln des letzten Drittels des Jahresstoffs, (vor)entscheidende Prüfungen und Klausuren, nach dem Winterschlaf Sport und Lehrausgänge, denn das Wetter lässt solche ins Freie wieder zu. Das gilt, nehme ich an, ähnlich auch in Volksschulen. (…) Wir haben in unserer Unterstufe Klassen, in denen die Hälfte der Kinder fasten. Sie werden weniger durch ihre Eltern als durch TikTok dazu animiert. Das Fasten hat den Charakter eines Wettbewerbs. Bezeichnend ist in einer Klasse eine Waage aufgetaucht. Wer mehr Kilo verliert, hat gewonnen. Mit Religion hat das zero zu tun (…)."

Auch immer mehr muslimische Volksschüler fasten – sehr zum Missfallen vieler Lehrer
Auch immer mehr muslimische Volksschüler fasten – sehr zum Missfallen vieler Lehrer
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Und hier dazu gleich Leserbrief Nummer zwei:

2. "Die kriegen frei, auch wenn sie gar nicht fasten …"

Aus einem Mail der Mittelschullehrerin Anne-Sophie R., Wien:

"Das Fasten ist bei uns kein großes Thema. Umso mehr die drei freien Tage, die Schüler mit Glaubensbekenntnis Islam dafür beantragen, auch wenn sie gar nicht fasten noch andere ihrer religiösen Regeln einhalten, z. B. benachteiligten Mitschülern helfen oder etwas spenden. Die meisten haben sich 'ihre' freien Tage heuer auf Mo. ,1. April (nach Zuckerfest), bis Mi. gelegt. Das heißt, sie fehlen die halbe Woche. Das heißt auch, dass die Nicht-Moslems, die in diesen Tagen ganz normal in die Schule kommen müssen, keinen normalen Unterricht bekommen können, weil wir nicht alles zweimal erklären werden. (…) Wir verstehen ehrlich gesagt nicht, warum Moslems zusätzlich frei bekommen und drei Wochen später noch einmal eine ganze Woche, wenn für alle Osterferien sind."

Die Leiterin des Schulamts der Islamischen Glaubensgemeinschaft Österreichs, Carla Amina Baghajati, bei einem ökumenischen Fastenbrechen im Wiener Servitenkloster
Die Leiterin des Schulamts der Islamischen Glaubensgemeinschaft Österreichs, Carla Amina Baghajati, bei einem ökumenischen Fastenbrechen im Wiener Servitenkloster
GEORG HOCHMUTH / APA / picturedesk.com

Mein "Senf" dazu:

Drei freie Tage ein Mythos Gleich zu Mail Nummer 2: Die drei freien Tage, die sich muslimische Schüler ad Ramadan angeblich nehmen können, sind, Frau Kollegin, ein Mythos. In einem Erlass des Bildungsministers an die Bildungsdirektionen (ja, auch Wiens) vom 15. Jänner unter dem Titel "Religiöse Festtage im Jahr 2025" heißt es ausdrücklich, dass Schüler ihre religiösen Feste, wenn, dann "grundsätzlich in der unterrichtsfreien Zeit" zu feiern hätten. Betreffend Ramadan wurden zwei Fest-Tage schulbehördlich genehmigt. Der eine – 1. März – war der Beginn des Ramadan und fiel auf einen Samstag. Der zweite, Ende des Ramadan (= Fastenbrechen), ist der 31. März, ein Montag, und gilt streng genommen nur für Schiiten. Aus die Maus.

Keine Extra-Würstel für Schwache Unabhängig davon, können Klassenvorstände bzw. Schulleitungen ein stunden- aber auch tageweises Fernbleiben vom Unterricht (§ 9 Abs. 6 des Schulpflichtgesetzes 1985 bzw. § 45 Abs. 4 des Schulunterrichtsgesetzes) erlauben, diese aber expressis verbis nur dann, wenn das "pädagogisch vertretbar" ist. Wörtlich weiter in besagtem Erlass: "Nicht vertretbar ist das Fernbleiben jedenfalls dann, wenn an diesen Tagen bereits Schularbeitstermine oder andere Leistungsfeststellungen anberaumt wurden.  Vor allem leistungsschwache Schülerinnen und Schüler sind anzuhalten, am Unterricht teilzunehmen."

Dass Volksschüler fasten, erstaunt Das nenne ich eine klare Ansage. Schon weniger klar – und damit zu Mail 1 – ist der Umgang mit dem Fastenmonat selbst, vor allem bei Volksschulkindern. Carla Amina Baghajati, Leiterin des Schulamts der Islamischen Glaubensgemeinschaft Österreichs (IGGÖ) im ORF: "Wir waren selbst erstaunt, als uns im vergangenen Jahr aufgefallen ist, dass schon Volksschüler mitmachen."

Türkische Mädchen in einer Koranschule: Der Ramadan ist für viele muslimische Schüler zu einer Art Fasten-Challenge geworden
Türkische Mädchen in einer Koranschule: Der Ramadan ist für viele muslimische Schüler zu einer Art Fasten-Challenge geworden
Silke Reents / Visum / picturedesk.com

Vielleicht, weil Winter war Ein Grund dafür sei, dass der Ramadan in den vergangenen Jahren auf Wintermonate fiel. Wegen der kürzeren Tage sei die tägliche Fastenzeit leichter durchzuhalten, was auch Jüngere dazu ermuntere, "es zu versuchen" (Anm.: Muslime verzichten von der Morgendämmerung bis zum Sonnenuntergang auf Essen, Trinken, Rauchen und sexuelle Aktivitäten – wobei die letzten zwei Punkte für Volksschüler ja ohnedies von theoretischer Natur sein sollten).

Bitte Jause und Getränk einpacken Tatsächlich, so die islamische Schulamtsleiterin, entbinde der Koran Kinder vor der Fasten-Pflicht. In einem Leitfaden der IGGÖ werde Eltern empfohlen, "den Ramadan mit ihren Kindern zu besprechen und ihnen zur Sicherheit Jause und Getränk einzupacken".  Sie glaube, dass man das Problem "mit gemeinsamer Aufklärung" (gemeint: durch Eltern, Schulen und Islam-Lehrerinnen) aus der Welt schaffen könne.

Naja Zahlen, Fakten, aber auch die subjektive Wahrnehmung von Muslimen und Nicht-Muslimen weisen in eine andere Richtung. So erhob der Politikwissenschafter Thomas Schmidinger schon vor 10 Jahren, dass 40 Prozent der in Österreich lebenden Muslime "einen Konflikt zwischen den Vorschriften ihrer Religion und den Gesetzen des österreichischen Staates" sehen. Die Fasten-Gebote vs. Unterrichtspflicht stehen da als potentielle Konfliktpunkte regelmäßig ganz vorn.

Volksschule in Wien Favoriten: Heuer sind erstmals mehr muslimische als christliche Schüler in den Wiener Volksschulen eingeschrieben
Volksschule in Wien Favoriten: Heuer sind erstmals mehr muslimische als christliche Schüler in den Wiener Volksschulen eingeschrieben
HANS PUNZ / APA / picturedesk.com

I am from Austria Umgekehrt ist es auch nicht besser. So fielen in einer Befragung von 140 Leiterinnen und Leitern von Kindergärten mit hohem Migrations-Klientel Sätze wie: "Unsere Kultur wird überrollt und eingenommen vom Islam". Fast 70 Prozent der Befragten bejahten die Frage: "Betrübt es Sie, wenn Sie merken, dass regionales, traditionelles Brauchtum an Bedeutung in Ihrem Kindergarten verliert?" Noch mehr (75 Prozent) bezeichneten es als "sehr wichtig" oder "eher wichtig", den Kindern in "ihren" Kindergärten "österreichische Werte und Brauchtum aus Österreich zu vermitteln".

Mein Vorschlag zur Güte Wie wäre es, in den Schulen endlich wieder (auch) die christliche Fastenzeit und deren Sinn zu thematisieren und die Tage vor der Karwoche auch dafür zu nutzen, gemeinsam mit den muslimischen Kindern Eier zu bemalen und Osternester zu befüllen – gern auch mit den übriggebliebenen Süßigkeiten des Zuckerfests …

Vorschlag zur Güte: Wie wäre es, wenn muslimische und christliche Kinder gemeinsam Ostereier bemalen und dabei die Süßigkeiten vom Zuckerfest verspeisen?
Vorschlag zur Güte: Wie wäre es, wenn muslimische und christliche Kinder gemeinsam Ostereier bemalen und dabei die Süßigkeiten vom Zuckerfest verspeisen?
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Und jetzt zum Kopftuch Damit zu Leser-Mail Nr. 3 und 4 – und dem Dauer-Aufreger Kopftuchverbot. Davor schon kurz auf meine Senftube gedrückt: Ich halte, wie hier schon mehrmals betont, wenig von einem Kopftuchverbot. In Wiener Mittelschulen tragen es meiner Einschätzung nach 9 von 10 z. B. türkischen Mädchen freiwillig, warum auch immer – als Statement, als Identifikationsmarke, als modisches Accessoire. Das Argument, "Unmündige" durch ein Kopftuchverbot bis 14 (wie im Regierungsprogramm festgeschrieben) "vor elterlichem Zwang" zu schützen, greift also nicht nur zu kurz, es greift meiner Meinung nach gar nicht.

3. Druck, Erwartung, Großeltern, Geschwister – Kopftuch!

Eine langgediente Wiener Mittelschullehrerin, die anonym bleiben möchte, hält die von mir unterstellte Freiwilligkeit jedoch für eine Mär:

"Wenn es heißt, freiwillig sollen sie es schon tragen dürfen, dann frage ich: Wie stelle ich die Freiwilligkeit fest/sicher? Mit einer Kommission an der Schule? Der MA 11? Zivildienstkommission 2.0? Ich habe ganz viele Mädchen erlebt, die versucht haben, das Kopftuchtragen Jahr für Jahr hinauszuschieben. Die wie auswendig gelernt sagen, natürlich ist das freiwillig."

Und dann reden sie plötzlich vom Druck "Wenn ich aber dann einzeln in einer Mittagspause mit ihnen geredet habe, dann haben sie mir schon mehr erzählt. Von dem Druck, den sie haben, von der Erwartung, die ganz stark da ist, und wenn die eigenen Eltern es lockerer sehen würden, dann gibt es Großeltern, ältere Geschwister der Eltern, die sagen, du kannst dein Kind nicht ordentlich erziehen. Ich habe in meinen 40 Jahren als Lehrerin vieles erlebt, aber selten ein Mädchen unter 14, das das Kopftuch freiwillig trug – ein paar gab es! Abgezählt zwei. Vielleicht hab ich eines vergessen."

Die Freiwilligkeit in Sachen Kopftuch ist häufig eine Frage der Sichtweise
Die Freiwilligkeit in Sachen Kopftuch ist häufig eine Frage der Sichtweise
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4. Druck, Erwartung, Großeltern, Geschwister – Kopftuch!

In ihrem Mail gibt mir eine AHS-Lehrerin beeindruckende Beispiele:

"(…) Beispiele, die mir sofort einfallen: Mädchen, 4. Klasse, türkischer Background. 'Wenn du das Kopftuch nicht trägst, gehst du nicht mehr aus dem Haus.' Das Mädchen hatte mit der Familie viele Kämpfe um ihre Selbstbestimmung. Abgesehen davon, dass es als einzige Tochter neben der Schule einen großen Teil des Haushalts erledigen musste, während ihre Brüder NICHTS machten. Das Mädchen hat mit Unterstützung der MA 11 erreicht, dass sie ohne Kopftuch die Schule besuchen darf, die es wollte.

Syrisches Mädchen, ab der 3. AHS mit Kopftuch. Sie sagt:  'Meine Schwester hat es versucht, ohne Kopftuch und ohne Familie zu leben. Meine Mutter hat zu ihr gesagt: du kannst jederzeit zurückkommen, aber dann ziehst du dich ordentlich an und benimmst dich. Sie ist nach zwei Jahren zurückgekommen, jetzt benimmt sie sich. Hat einen syrischen Mann geheiratet. Das gehört dazu, selbst ein anderer Moslem geht nicht, ein Österreicher ist ein absolutes NO-GO. Sie sagt, ich weiß, dass die syrischen Männer scheiße sind, aber das ist eben so."

Die Brüder als Aufpasser "Oder: Eine junge Afghanin wird, ohne gefragt zu werden, von einem Schuljahr zum nächsten (4. auf 5.) von den Eltern abgemeldet und in eine andere Schule mit vielen afghanischen Jugendlichen gesteckt. Ihr Bruder war zuvor auch an der Schule, machte alles, durfte alles, und spielte Aufpasser für die Schwester. Sie musste in der neuen Schule ein Kopftuch tragen. Dort wurde dann auch der jüngere Bruder hingesteckt - als Aufpasser für seine Schwester."

Zuerst Basketballgöttin, dann Kopftuch "Oder: Ein Mädchen wurde in der 5. Klasse dazu gezwungen, das Kopftuch zu tragen. Sie war davor ein lustiges lebhaftes, extrem sportliches Mädchen, eine Göttin im Basketball. Den Kleinen ist der Mund offen stehen geblieben, wenn sie sie spielen sahen. Von dem Tag an, als sie das Kopftuch trug, war sie vollkommen verändert. Sie lachte nicht mehr, war viel krank, zog sich zurück, wiederholte die Klasse. Ihr Freundeskreis veränderte sich, und sie war dann fast nur mehr mit Kopftuchmädchen zusammen.

Ohne Kopftuch fühlen sie sich nackt Wenn die Mädchen, wie oft, mit 10 oder früher zum Kopftuch gezwungen werden, wird das Tragen so internalisiert, dass sie sich nackt vorkommen, wenn sie es nicht tragen, und es dann emotional entsetzlich ist, wenn ein Mann sie ohne sieht. Ich habe Tränen gesehen, weil Mädchen glaubten, sie seien ohne Kopftuch von einem Jungen gesehen worden. Willkommen in der Realität der Parallelgesellschaft. JA, ICH FÄNDE EIN KOPFTUCHVERBOT GROSSARTIG!!!!"

Auch im Turnunterricht  nicht oben ohne – nicht selten vor allem deshalb, weil der Druck von daheim auf die Mädchen enorm ist
Auch im Turnunterricht  nicht oben ohne – nicht selten vor allem deshalb, weil der Druck von daheim auf die Mädchen enorm ist
Siegfried Kuttig / imageBROKER / picturedesk.com

Mein "Senf" dazu:

Im Programm der neuen Regierung heißt es: "Ehrkulturelle Entwicklungen, wie das Tragen eines Kopftuches von Kindern, lehnen wir ab. Zum Schutz vor Segregation und Unterdrückung von unmündigen minderjährigen Mädchen wird ein verfassungskonformes gesetzliches Kopftuchverbot erarbeitet."

Kopftuch als Vorbote des radikalen Islam? Von der Zeitung Kurier genauer dazu befragt, sagte die zuständige Integrations- und Familienministerin Claudia Plakolm (eher ungenau): "Wir denken über ein Stufenmodell nach. Zum Beispiel, dass man zuerst Gespräche mit den Eltern und dem Mädchen sucht. In weiterer Folge könnte aber auch die Kinder- und Jugendhilfe herangezogen werden. Ich sehe mich in der Verantwortung, dass Mädchen und junge Frauen bei uns selbstbestimmt sein können. In Ländern, wo sich Frauen verschleiern müssen, ist meist der radikale Islam im Vormarsch."

Kopftuch als Statement: In einer Umfrage des Magazins Profil sprechen sich auch viele muslimische Schülerinnen gegen ein Kopftuchverbot aus
Kopftuch als Statement: In einer Umfrage des Magazins Profil sprechen sich auch viele muslimische Schülerinnen gegen ein Kopftuchverbot aus
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90 Prozent meiner Leser für ein Verbot Dass die im "Schulzentrum St. Angelus der Kreuzschwestern Linz" beschulte ÖVP-Ministerin für ein Kopftuchverbot ist, verwundert wenig. Wenn ich in meinen E-Briefkasten schaue, sind es aber auch 90 Prozent meiner Leserinnen, und die besuchten en gros nicht katholische Privatschulen und wählen bestimmt nicht alle ÖVP. Das Verbot wird also schon allein deswegen kommen, weil man damit "die Leut'" (sprich Wähler) hinter sich weiß.

Rechnung ohne den Wirt Ich halte ein solches Verbot trotz aller Pro-Argumente wie gesagt für falsch. Erst recht in der Sekundarstufe. Das Profil zitierte Schüler, befragt, was sie vom Kopftuchverbot halten, so: "Ich würde das Scheiße finden. Ich trage das Kopftuch, seit ich 12 Jahre alt bin. Ja, es gibt auch Mädchen, die es tragen müssen. Mich hat aber mein Vater nicht gezwungen. Außerdem trägt es die Lehrerin auch." Oder: "Ich bin eh schon 14 Jahre. Tragen tu ich es seit der Volksschule." Oder: "Wallah (Anm.: arabischer Jugendslang für: 'Ich schwöre'), wenn das kommt, trage ich ab morgen Kopftuch!"

Ein Kopftuchverbot in den Schulen könnte auch zu einem Verbot des Kreuzes in den Klassenzimmern führen
Ein Kopftuchverbot in den Schulen könnte auch zu einem Verbot des Kreuzes in den Klassenzimmern führen
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Da steckt so mancher Zündstoff drin
A) Will man das Kopftuch also auch Lehrerinnen, sprich mündigen, erwachsenen, akademisch ausgebildeten, wohl schwerlich als unterdrückt und segregiert zu bezeichnenden Frauen ebenfalls verbieten?
B) Das Verbot provoziert Widerstand. Vermutlich auch Protestaktionen. Braucht es diesen Konflikt in unseren Schulen wirklich auch noch? Und wie der Lehrer bei dem Kopftuch-Mädchen, das trotz Verbots damit in die Klasse kommt, den Stoff vom Kopf kriegen möchte, will ich mir lieber nicht vorstellen …
C) Wenn man das Kopftuch in der Schule verbietet, werden es die Mädchen zur Kompensation außerhalb der Schule verstärkt (zur Schau) tragen.

Und last not least Letztlich kann ein solches Verbot "religiöser Symbole" nur dann verfassungskonform sein – dazu gibt es bereits höchstgerichtliche Urteile –, wenn es eben alle religiösen Symbole umfasst, also auch Kippa, Turban, das Kreuz am Halsketterl oder in der Klasse an der Wand.

Es wäre ein Elfmeter für Kickl. Dieses Foul im Strafraum sollte man sich also gut überlegen …

* Wie stets, verwende ich die weibliche und männliche Form willkürlich wechselnd, alle anderen sind jeweils freundlich mit gemeint

Nikolaus "Niki" Glattauer, geboren 1959 in der Schweiz, lebt als Journalist und Autor in Wien. Er arbeitete von 1998 an 25 Jahre lang als Lehrer, zuletzt war er Direktor eines "Inklusiven Schulzentrums" in Wien-Meidling. Sein erstes Buch zum Thema Bildung, "Der engagierte Lehrer und seine Feinde", erschien 2010

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