Wiedersehen macht Freude
Wie Gerhard Berger nach 29 Jahren seinen Ferrari wiederfand
1995 wurde dem Formel-1-Piloten in Imola sein Ferrari Testarossa F512M gestohlen. Jetzt tauchte das 400.000 Euro-Sammlerstück auf ungewöhnliche Weise wieder auf.
Die Formel-1-Rennstrecke von Imola nahe Bologna in der Emilia-Romagna, für den ehemaligen österreichischen Grand-Prix-Piloten Gerhard Berger war sie immer schon schicksalhaft. Hier wäre er bei einem Rennen beinahe ums Leben gekommen, hier starb sein Freund und Vorbild Ayrton Senna, und hier wurde ihm sein damals brandneuer Ferrari Testarossa F512M gestohlen, während er sich auf das Rennen vorbereitete. Nun ist der rote Flitzer mit dem springenden Pferd auf der Kühlerhaube vollkommen überraschend und auf kuriose Art wieder aufgetaucht.
Schicksalsstrecke Imola Mit der malerisch gelegenen Rennstecke, auf der von 1981 bis 2006 der Große Preis von San Marino ausgetragen wurde (und seit 2020 der große Preis der Emilia-Romagna stattfindet) verbindet den Tiroler Ex-Rennfahrer eine ganz besondere Beziehung. 1989 verunglückte der junge Pilot mit seinem Ferrari hier bei 280 km/h schwer, das Auto fing Feuer und Berger entging dem Tod nur knapp. 1994 kamen am Grand-Prix-Wochenende beim Samstags-Training zunächst sein Landsmann Roland Ratzenberger und am Sonntag im Rennen dann sein Ex-Teamkollege (bei McLaren), Freund und Vorbild Ayrton Senna ums Leben. Und ein Jahr später, am Rennwochenende 1995, wurde dem Tiroler sein brandneuer Dienstwagen, ein Ferrari Testarossa F512M, buchstäblich unter den Händen weggestohlen.
Verfolgungsjagd mit VW Golf Berger kam gerade noch dazu, als der Dieb sich an dem 440-PS-Geschoß aus Maranello zu schaffen machte, und wollte ihn an der Flucht hindern. Doch der Übeltäter gab Vollgas und hielt direkt auf Berger zu, der sich nur mit einem Sprung zur Seiten schützen konnte. Zwar nahm der Österreicher noch die Verfolgung des Wagens auf, doch der VW Golf, den er dafür kaperte, hatte bei weitem nicht die Kraft, dem Ferrari auf den Fersen zu bleiben. Das Auto war weg - und wie sich kurz darauf herausstellen sollte, auch der silbergraue Ferrari F355 seines Teamkollegen Jean Alesi. Offensichtlich wusste eine bestens organisierte Bande ganz genau, worauf sie es abgesehen hatte.
Der Motivation der beiden Ferrari-Piloten konnte der dreiste Raub übrigens nichts anhaben, Alesi und Berger belegten beim Grand Prix die Plätze 2 und 3 hinter Sieger Damon Hill auf Williams. Es war das einzige Mal, dass die beiden Ferrari-Piloten gemeinsam auf dem Siegestreppchen standen.
Drei Jahrezehnte Stillstand Dann geschah 29 Jahre lang – nichts. Der Wagen war und blieb verschwunden, Berger legte nach seinem Formel-1-Rückzug Ende 1997 auch im "Zivilleben" eine mustergültige Karriere hin: Motorsportdirektor bei BMW, Miteigentümer und Teamchef beim Formel-1-Team Toro Rosso, Chef der Rennserie DTM, auch das von seinem Vater Johann gegründete Transportunternehmen in Wörgl besteht bis heute. Gerhard Berger hatte den gestohlenen Ferrari wohl längst vergessen, als sich nun die Londoner Metropolitan Police meldete mit der Nachricht, dass der Testarossa wieder aufgetaucht ist und in einer Garage der Polizei auf seinen Besitzer wartet. Was war geschehen?
Plötzlich war er wieder da Im Januar 2024 wurde die Londoner Polizei von Ferrari kontaktiert, dass bei ihnen ein Testarossa F512M zur Inspektion war, der nach den Aufzeichnungen des Unternehmens seit langem als gestohlen gemeldet ist. Die Londoner Ermittler folgten der Fährte und brachten binnen nur vier Tagen die ganze erstaunliche Geschichte dieses Diebstahls ans Licht.
Ein ganz besonderer Ferrari Das Fahrzeug war demnach unmittelbar nach dem Diebstahl 1995 von Italien nach Japan verschifft worden und dort mutmaßlich an einen Sammler gegangen. Ob es sich um einen Auftragsdiebstahl handelte, oder ob der Käufer möglicherweise gar nicht wusste, dass "sein" Ferrari eigentlich jemand anderem gehört, ist noch Gegenstand der Ermittlungen. Sicher scheint aber, dass es weltweit große Begehrlichkeiten nach diesem Wagen gab, denn der Markt für gebrauchte Ferraris war in den 1990er-Jahren am Siedepunkt und der Testarossa F512M war die letzte Ausbaustufe des legendären Testarossa. Auch heute wird der Wert des Autos von Experten auf etwa 400.000 Euro geschätzt.
Roter Hitzkopf Testarossa heißt übersetzt übrigens Rotkopf und bezieht sich auf die rot lackierten Ventildeckel des Zwölfzylindermotors. Der F512M war der letzte unlimitierte Mittelmotor-Zwölfzylinder und hatte als letztes Ferrari-Modell einen Flachmotor. Insgesamt wurden vom F512 M nur 501 Exemplare hergestellt und handverlesen verteilt, etwa an die Formel-1-Piloten des Rennstalls aus Maranello.
Ein hartes Ferrari-Leben Was mit dem Wagen in Japan geschah, ob er in einer Garage verschwand, für Privatrennen eingesetzt wurde oder den Besitzer wechselte, ist derzeit ebenfalls noch nicht final ermittelt. Sicher scheint aber, dass man es mit dem Wagen nicht nur gut meinte. Autoexperten in Großbritannien glauben zu erkennen, dass der nun aufgetauchte Bolide an mehreren Enden nicht mehr original ist. So dürften die Aluräder nachgerüstet worden sein, das Lenkrad wurde ersetzt, am Armaturenbrett wurden Modifikationen vorgenommen und auch sonst wirkt der Wagen, als wäre er nicht über Gebühr gepflegt worden.
Einmal um die halbe Welt Sicher ist jedenfalls, wie der Ferrari seinen Weg zurück nach Europa fand. Ein amerikanischer Käufer entdeckte den Wagen und kaufte ihn über einen britischen Auto-Broker. Dieser importierte den Wagen Ende 2023 aus Japan und ließ ihn bei Ferrari UK durchsehen, um ihn danach in die USA auszuführen. Doch dazu kam es nicht mehr. Die Autofahnder der Metropolitan Police, einmal auf den Fall aufmerksam geworden, folgten der Spur des Wagens und beschlagnahmten ihn, ehe er die Weiterreise nach Amerika antreten konnte.
Mühsame Ermittlungen "Unsere Recherchen waren mühsam und beinhalteten Anfragen bei Behörden auf der ganzen Welt", berichtete Police Constable Mike Pilbeam, Leiter der Ermittlungen bei der Metropolitan Police am Montag. "Nur dank der guten Zusammenarbeit der involvierten Behörden und weiteren Partner war es möglich, den Hintergrund des Fahrzeuges zu verstehen und seine Ausfuhr zu verhindern." Die Ermittlungen, so PC Pilbeam weiter, seien noch nicht abgeschlossen, Festnahmen habe es bislang noch keine gegeben. Es könnte also noch dauern, ehe Berger seinen Alten Dienstwagen wieder in Besitz nehmen kann. Jean Alesis silbergrauer F355 bleibt übrigens weiterhin wie vom Erdboden verschluckt. Vielleicht sollte einmal jemand in der einen oder anderen japanischen Privatgarage nachsehen.