paarhufer abzugeben
Wieso es auf einer kleinen Italo-Insel nun Ziege-to-go gibt
Auf Alicudi nördlich von Sizilien vermehren sich die Ziegen wie Karnickel. Jetzt möchte man die Tiere verschenken, um sie nicht töten zu müssen. Na, Bedarf?
Am Ende brachte eine Volkszählung das Fass zum Überlaufen. Die Erhebung ergab, dass auf der winzigen Insel Alicudi nördlich von Sizilien aktuell 100 Menschen leben – aber etwa sechs- bis achthundert Ziegen.
"Viel zu viel", sind sich die Bewohner von Alicudi einig. Denn die Tiere stören nicht nur den Alltag der Inselbewohner. Viel größer noch ist die Angst, der Tourismus, die wichtigste Einnahmequelle der Insel, könnte darunter leiden. Und weil es ein ebenso schlechtes Bild machen würde, die Tiere einfach abzuschießen, appelliert man jetzt an Ziegenfreunde, sich doch eine oder mehrere Tiere von Alicudi abzuholen und so die Population auf der Insel sanft zu reduzieren.
Island in the sun Alicudi ist die zweitkleinste der Liparischen Inseln, einer kleinen Inselgruppe vulkanischen Ursprungs, die etwa 30 bis 80 Kilometer vor der Nordküste von Sizilien im Tyrrhenischen Meer liegt. Die Inseln sind seit dem fünften Jahrtausend vor Christus besiedelt, es wird Landwirtschaft und Fischfang betrieben. Alicudi ist die westlichste Insel der Gruppe und gerade einmal 5,2 Quadratkilometer groß. Das ist in etwa die Fläche der drei Wiener Bezirke 5, 6 und 7 zusammengenommen.
Beliebte Künstlerkolonie Im Grunde besteht Alicudi aus dem 675 Meter hohen Kegel des ruhenden Vulkans Filo dell'Arpa, zwei Drittel des Eilands sind unbewohnt. Die 100 Einwohner leben in der einzigen Stadt, Alicudi Porto, sowie in kleinen Ansiedlungen rundherum, die durch Steintreppen miteinander verbunden sind. Ein Straßennetz gibt es nicht, muss etwas transportiert werden, erledigen das Esel oder Mulis. Nicht ungewöhnlich, dass sich Alicudi vor allem als Künstlerkolonie sowie als alternative Urlaubsdestination einen gewissen Namen gemacht hat in Italien.
Der Tage als die Ziege kam Wann genau die Ziegen nach Alicudi kamen, ist heute nicht mehr exakt nachvollziehbar. Die Landwirtschaft auf der Insel beschränkt sich eigentlich auf den Anbau von Feigen, Kapern, Mandeln und Wein. Aber irgendwann dachte scheinbar ein Bewohner von Alicudi: "Ziegen? Tolle Idee!" Etwa vor 20 Jahren soll das gewesen sein, wird geschätzt. Doch die Idee erwies sich als weniger tragfähig als erhofft, und so wurden die Ziegen bald sich selbst überlassen.
Clevere Überlebenskünstler Weil aber Ziegen nicht nur überaus charmante Tiere sind, sondern auch sehr geschickt und genügsam, fühlten sie sich an den schroffen, einsamen Vulkanhängen der Insel wie im Paradies. Keine natürlichen Feinde, kein Straßenverkehr, eine üppige Vegetation, genügend Futter, was will man mehr. Die Ziegen wurden bald zum touristischen Aushängeschild der Insel und lebten mit den Inselbewohnern in friedlicher Koexistenz. Doch irgendwann kippte das Verhältnis.
Zu viele Ziegen Die Ziegen wurden immer mehr und stiegen immer öfter herab von "ihrem" Vulkan, um in den Gärten der Menschen nach Futter zu suchen. Dabei beschädigten sie die Infrastruktur, rissen Mauern nieder, zertrampelten Beete, plünderten die Früchte, die eigentlich den Bauern gehören. Und sie kamen schließlich bis an den Hafen: "Sie ziehen in Gruppen herum und nichts ist vor ihnen sicher", schildert etwa Gloria, der das "Golden Café Noir" am Hafen von Alicudi gehört. "Eine Ziege ist immer wieder in mein Café gekommen und hat sich unter einen Tisch gelegt. Ich hatte Angst, dass sie irgendwann einen der Gäste beißt."
"Adoptiere eine Ziege" Weil man sich auf der Insel inzwischen einig ist, dass der Ziegenplage Einhalt geboten werden muss, letale Mittel aber strikt ausgeschlossen werden – wie gesagt, Künstlerkolonie und Individualtourismus –, hat Insel-Bürgermeister Riccardo Gullo nun den "Adoptiere eine Ziege"-Plan ins Leben gerufen. "Wir möchten die Tiere auf keinen Fall töten, deshalb wollen wir die Menschen ermutigen, sich eine oder mehrere Ziegen von Alicudi zu holen." Jeder Bürger, Bauer oder nicht, könne einen Antrag stellen auf eine oder mehrere Ziegen, "es gibt keine Mengenbeschränkungen", so der Insel-Vorsteher.
Frist bis 10. April Bis Mitte kommender Woche sei jetzt Zeit, einen Antrag zu stellen für eine Ziegen-Adoption. "Wir haben bereits mehrere Anrufe erhalten, unter anderem von einem Bauern auf der Nachbarinsel Vulcano, der Ricotta produziert und mehrere Ziegen aufnehmen würde", so Bürgermeister Riccardo Gullo. Und weiter: "Wenn jemand die Fähigkeit hat, eine Ziege zu domestizieren, könnte dies eine schöne und humane Möglichkeit sein, das Problem in den Griff zu bekommen."
"Logistische Probleme" Kaffeehausbesitzerin Gloria ist da allerdings weniger optimistisch: "Ich begrüße die Idee, aber ich fürchte, es wird nicht klappen", sagt sie. "Alleine die logistischen Probleme - wie holt man die Ziegen vom Berg, lassen sie sich überhaupt so einfach einfangen – sind vollkommen ungeklärt." Scheint so, als blieben die Ziegen von Alicudi bis auf Weiteres die wichtigste Touristenattraktion der Insel.