Lindt & Sprüngli
Wieso Schoko-Konzern eigene Werbung "Angeberei" nennt
"Sicher, köstlich, aus den besten Zutaten": So erklärt Lindt & Sprüngli USA, warum seine "Excellence"-Schokolade brennteuer ist. Dann entdeckten Konsumenten, dass in den Tafeln viel Cadmium und Blei steckte, klagten – und es wurde kurios.
Dubai-Schokolade ist momentan der letzte Schrei. Das hat mit Instagram, vor allem aber mit TikTok zu tun. Wer den Trend verpasst, kann nämlich akut an FOMO erkranken, also an "Fear of Missing Out". Allerlei Influencerinnen schüren die Angst, dass man etwas versäumt, wenn man Dubai-Schokolade versäumt.
Die süße Versuchung stammt eigentlich aus den Arabischen Emiraten. In Dubai soll dann aber ein Teil aufgeplatzt sein und weil eine Handykamera in der Gegend war, sahen plötzlich viele Menschen, was in der Schoko steckt: Pistaziencreme, durchsetzt mit "Engelshaar", feinen Teigfäden also, quoll heraus.
Das sorgte trotz eines ambitionierten Preisgefüges rasch für viel Begeisterung. Jede und jeder wollte plötzlich Dubai-Schokolade, obwohl der Einwand kam, es handle sich mehr als weniger allein um Creme, die Schokolade stelle nur den dünnen Mantel zur Verfügung, der die Weichteile in Form hält. Eben bis sie herausplatzt. Sonst könnte man den Mantel auch weglassen.
Trotzdem eroberte Dubai-Schokolade im Blitztempo die Welt. Auch in Österreich gibt es die Influencer-Nascherei inzwischen sogar in Supermärkten zu kaufen. Social Media wirkt. Es stellt sich die Frage, warum noch niemand auf die Idee kam, ein TikTok-Schnitzel zu erfinden. Es muss ja nicht zwingend Pistaziencreme herausfließen.
Auch der Schweizer Schokolade-Hersteller Lindt & Sprüngli ist nun auf den Trend aufgesprungen. In Deutschland wird seit Samstag jeden Tag in einer anderen Stadt Dubai-Schokolade verkauft, in streng limitierter Auflage. Es wurden angeblich nur 1.000 Stück hergestellt, jeder Fan bekommt höchstens eine Tafel. In Berlin stellten sich Menschen über die Nacht dafür an. Showtime!
In den USA läuft es für Lindt & Sprüngli derzeit weniger cremig, den das Unternehmen, das auch in Österreich aktiv ist, hat eine Sammelklage am Hals. Die fiel der Schweizer "NZZ am Sonntag" in die Hände. Was es darüber zu wissen gibt:
Worum geht es eigentlich?
Um zwei Schokoladensorten von Lindt & Sprüngli, "Excellence 85% Kakao" und "Excellence 70% Kakao".
Was ist das Problem?
Produkt-Tester von "Consumer Reports" hatten 2022 insgesamt 28 Tafeln mit dunkler Schokolade unter die Lupe genommen. In allen konnte Cadmium und Blei nachgewiesen werden. Darunter waren auch zwei Erzeugnisse des US-Herstellers Ghirardelli, seit 1998 Teil von Lindt & Sprüngli. Beide schnitten gut ab. Die beiden "Excellence"-Eigenmarken aber fielen durch.
Was war auffällig?
"Lindt Excellence Zartbitterschokolade 85% Kakao" wies einen höheren Bleigehalt auf, "Lindt Excellence Zartbitterschokolade 70% Kakao" einen höheren Gehalt an Cadmium.
Welche Werte wurden überschritten?
Der Test wurde in Kalifornien durchgeführt, hier beträgt die maximal zulässige Dosis (MADL) für Blei 0,5 Mikrogramm und für Cadmium 4,1 Mikrogramm pro Unze. Eine Unze entspricht ungefähr 28 Gramm. Laut Gerichtsprotokoll lag die Sorte "Excellence 85% Kakao" 166 Prozent über der Höchstdosis, die Sorte "Excellence 70% Kakao" 116 Prozent über der erlaubten Höchstmenge.
Warum ist das alles ein bisschen komplizierter?
Weil es zwar einen erlaubte Höchstdosis in Kalifornien gibt, aber keinen bundesstaatlichen Grenzwert. Es können auch "belastete" Schokoladen in den Handel gebracht werden, sie müssen aber einen Warnhinweis tragen. Und das ist der springende Punkt.
Was passierte nach der Studie?
Kunden aus sechs Bundesstaaten (Alabama, Kalifornien, Florida, Illinois, Nevada und New York) brachten eine Klage nach den jeweiligen Verbraucherschutzgesetzen ein. Sie fühlten sich getäuscht, weil sie auf hohe Produktqualität vertraut hätten.
Wie reagierte der Konzern?
Lindt & Sprüngli versuchte die Klage zu stoppen und zog in New York vor Gericht. Am 6. September 2024 entschied aber Bezirksrichterin Ann M. Donnelly gegen das Unternehmen. Das machte die "NZZ am Sonntag" nun öffentlich.
Was sind die Folgen?
Ein Gericht muss entscheiden, ob die Sammelklage zugelassen wird. Kommt es dazu, streben Unternehmen in den USA üblicherweise einen außergerichtlichen Vergleich an, müssen dafür aber tief in die Tasche greifen. Die Konsequenzen für andere Konzerne wären gravierend.
Warum schauen andere Unternehmen genau hin?
Weil das Verfahren Auswirkungen darauf haben kann, wie Produkte in Zukunft vermarktet werden dürfen. Das Unternehmen pries seine Dunkelschokoladen unter anderem so an: "Top-Qualität". "Sicher und köstlich". "Fachmännisch aus den besten Zutaten hergestellt". Lindt überwache die Qualität seiner Zutaten nicht nur in seinen Fabriken, sondern auch auf verschiedenen Stufen in seiner Lieferkette, beginnend in den Herkunftsländern.
Was störte die Kläger daran?
In ihrer Sammelklage, die sie im Februar 2023 eingebracht hatte, ärgerten sie sich über die Versprechungen. Sie hätten sich durch den höheren Preis getäuscht gefühlt, jedenfalls nicht so viel gezahlt, wenn sie über die Schadstoffbelastung informiert gewesen wären.
Welchen Trick wandten die Anwälte nun an?
Sie versuchten, den Spieß umzudrehen. Ob das sehr schlau war, wird sich erst zeigen. Die Verteidiger von Lindt nahmen nämlich die Reklame von Lindt aufs Korn. Die Ausdrücke "mit den besten Zutaten hergstellt" und "Exzellenz" seien "nicht anfechtbare Angebereien", brachten sie vor Gericht vor.
Warum wurde so argumentiert?
Um den Eindruck zu erwecken, dass keine Käuferin und kein Käufer Werbung Glauben schenke. Es handle sich nur um "allgemeine, vage und nicht spezifizierte Behauptungen", und um "übertriebene Werbung, Gepolter und Prahlerei, auf die sich kein vernünftiger Käufer verlassen würde", heißt es im Urteilsspruch.
Wieso ist das ungewöhnlich?
Weil Lindt vor allem im Fernsehen viel Werbung schaltet. Zu sehen sind zwinkernde Goldhasen, Konditoren, die in kleinen Schüsseln Schokolade besachwalten, Lindorkugeln, die in Schokosauce fließt wie daheim bei Oma. "Angeberei, Polterei, Prahlerei", sagt nun das Unternehmen selbst über seine Reklame.
Sind Blei und Cadmium gefährlich?
Wer eine Tafel Schokolade ist, fällt deswegen jetzt nicht tot um. Aber eine "langfristige Belastung mit selbst geringen Mengen Schwermetallen kann zu einer Reihe von Gesundheitsproblemen führen" schreibt "Consumer Reports". Am gefährlichsten ist es für Schwangere und kleine Kinder, es kann zu Entwicklungsstörungen kommen.
Was ist das Risiko?
Häufige Bleibelastung bei Erwachsenen kann beispielsweise zu Problemen des Nervensystems, Bluthochdruck, Unterdrückung des Immunsystems, Nierenschäden und Fortpflanzungsproblemen führen. Cadmium kann die Nieren schädigen und zu Störungen des Knochenstoffwechsels führen. Es gilt als krebserregend.
Wie kommen die Schadstoffe rein?
Das liegt am Grundprodukt, dem Edelkakao. Er wächst in Südamerika auf vulkanischen Böden. Je höher der Kakaogehalt, desto höher die Belastung mit Schwermetallen. Kakaobohnenschalen können eine Quelle für Blei sein, die meisten Verunreinigungen entstehen jedoch beim Transport oder der Verarbeitung der Bohnen.
Wie wehrt sich Lindt?
Der Konzern verwehrt sich laut "NZZ" gegen Anschuldigungen, dass seine dunkle Schokolade gegen gesetzliche Vorschriften verstoße oder bedenklich sei. Man halte sämtliche Sicherheitsstandards und Kennzeichnungsanforderungen ein. Lindt & Sprüngli machte um Vorjahr einen Umsatz von 5,5 Milliarden Euro und einen Gewinn von 870 Millionen Euro.
Wie ist das eigentlich mit den Grenzwerten in Österreich?
In Österreich ist die Zusammensetzung und Kennzeichnung von Kakao- und Schokoladeerzeugnissen durch die Schokoladeverordnung (BGBl Nr. 628/2003) und das Codex-Kapitel B 15 des Österreichischen Lebensmittelbuches geregelt. Für Cadmium gilt bei Schokolade laut EU-Verordnung je nach Verarbeitung ein Grenzwert zwischen 0,1 und 0,8 Milligramm pro Kilo. Für Blei gibt es in Schokolade keine Höchstgrenze.