Kaiser als Autor
"Wir vermehren uns auch wie die Ratzen"
Robert Palfrader hat ein Buch über seine Familie geschrieben. Nun wurde es in Wien vorgestellt und der Abend wurde ein bisschen "Gruschel Wuschel".
Man muss sagen, es wird viel gestorben im Buch. Gebetet auch, aber vor allem gestorben, und das auf sehr unterschiedliche Arten. Nicht immer ist dieses Sterben altersgerecht, nicht wenige holt der Herrgott recht früh heim. Weil sie in Jauchegruben fallen, der Sensenmann in der Fremde zuschlägt, auch wenn diese Fremde gar nicht fremd weit weg ist. Scharlach, Diphtherie, allzu viel Schnaps in der Werkstatt, ein paar Kriege waren auch. Ich habe nicht genau mitgezählt, aber ich bin mir nicht sicher, ob in "Der Pate" oder in "Ein paar Leben später" mehr Menschen ums Leben kommen. Vielleicht geht dieses Match auch unentschieden aus.
"Gruschel Wuschel" Robert Palfrader hat einen Roman geschrieben, es war in den letzten Tagen recht viel die Rede davon. Das liegt wohl auch daran, dass der gebürtige Südtiroler – auch das wussten viele vor dem Erstling nicht – bekannt ist wie ein bunter Hund im Land. Nicht allein weil er seit 2007 in "Wir sind Kaiser" den Robert Heinrich I. gibt. 16 Jahre im Amt, mehr hat auch Angela Merkel nicht geschafft. Nein, Palfrader macht Kabarett ("Staatskünstler"), synchronisierte Homer Simpson, spielte im Theater, im Kino ("Bad Fucking"). Im Fernsehen gab er zuletzt in "Walking on Sunshine" den kultigen Wettermoderator Otto Czerny-Hohenburg, den Sinnspruch "Gruschel Wuschel" kriegt man nicht leicht aus dem Ohr. Nun eben ein Buch.
"Nichts verblödeln" Er stellte es diese Woche im Thalia Wien-Mitte vor und es war mehr ein Kabarett-Abend als eine Buchpräsentation. Dabei hatte Palfrader ausdrücklich keine Bühnenfreunde eingeladen, um den Fokus auf sein Werk zu lenken. Er habe auch beim Schreiben versucht, "nichts zu verblödeln", sagt er. Das ist über weite Strecken gelungen, nicht ganz. Wer den Schalk im Nacken hat, hat eben den Schalk im Nacken.
Leidenschaft Tultres Es sind an die 200 Personen da, volle Hütte, so sei das noch nie gewesen, sagen die Veranstalter. Sie haben ein bisschen Mühe damit, den Leuten auf den Stehplätzen zu verdeutlichen, dass die Leute auf den Sitzplätzen nichts sehen, wenn sie sich vor sie stellen. Palfrader federt pünktlich auf die Bühne, was seine Beinfedern halt so hergeben, er hat an den Tultres, den Südtiroler Teigtaschen, wohl nicht nur genippt, und macht gleich Kabarett. Vielleicht redet hier aber auch der Schalk im Nacken zum Publikum.
Was stimmt? Wurscht! Aus den Familiengeschichten der Palfraders sind keine Buddenbrooks geworden. Der Klassiker von Thomas Mann hat 768 Seiten, sein Südtiroler Gegenstück begnügt sich bei der Aufarbeitung des Gewesenen mit 159 Seiten, aber auch auf denen spielt es sich ziemlich ab. Was davon wahr ist und was erfunden, will Palfrader nicht sagen, also nicht genau, 95 Prozent oder doch 98 Prozent sollen fiktiv sein, aber vielleicht ist das auch eine Fiktion.
Zwischen Sacher und Mariandl Aber dass sein Onkel 17 Jahre lang Direktor vom "Hotel Sacher" in Wien war, das sei ungelogen richtig, sagt er. Und dass seine Großeltern Franz und Maria das Hotel "Mieslingtal" in Spitz an der Donau besaßen, sei auch wahr. Heute heißt die Herberge "Mariandl", weil der gleichnamige Blockbuster mit Hans Moser und Waltraut Haas dort gedreht worden war. Das Haus hält inzwischen seit einem Jahr geschlossen, es soll eventuell eine Seniorenresidenz daraus werden.
Fünf Robert Palfrader Der Kaiser hat im echten Leben eine recht große Verwandtschaft, "wenn man nur acht Generationen nach hinten blickt, sind das 256 direkte Vorfahren", schreibt er. Sie stammen aus dem ladinischen Teil Südtirols. Die Ladiner sind eine Minderheit in Südtirol mit eigener Sprache, es hat keinen Sinn, ihre Wortgebilde verstehen zu wollen, es ergibt sich kein Muster. Wenn man "256 direkte Vorfahren hat, dann sind gelegentliche Besuche daheim eine Herausforderung. Vor allem wenn dann fünf Leute Robert Palfrader heißen", erzählt Robert Palfrader. "Aber wir vermehren uns auch wie die Ratzen."
15 Kilometer Babyhang St. Vigil hat eine ziemliche Wandlung durchgemacht, vom Ende der Welt zu einem Nabel der Skiwelt "mit einem 15 Kilometer langen Babyhang", wie Palfrader sagt und etwa fünf Minuten Fremdenverkehrswerbung anhängt. Skiheld Manfred Mölgg (Slalomsilber bei der Ski-WM in Åre 2019) sei sein Cousin, lässt er nebenbei fallen, Palfrader auch nicht sein richtiger Name. Kaiser Joseph II. habe die Familie gezwungen, den Namen einzudeutschen. Nun ist Palfrader nicht wirklich schirch, aber Peraforada macht einfach mehr her.
30 Jahre geschrieben, irgendwie Sein Buch habe er eigentlich schon vor 30 Jahren begonnen. Da war er in Köln engagiert, erzählte einer deutschen Kollegin die Geschichten seiner Familie, wahr oder falsch, und sie antwortete: "Robat, dat musste aufschreiben." Das dauerte noch ein bisschen, 15 Jahre später traten ein paar Verlage an ihn heran, er probierte einige Seiten, fand Selbstvertrauen und begann. "Aber meine Lektorin hat sehr gelitten."
"Ich wollte es in mir hören" Am Ende wurde es der Ueberreuter-Verlag, der das große Los zog. "Ihr wart einfach die Lästigsten", sagt Palfrader auf der Bühne zur Verlagsleiterin, es war, wie gesagt, eher Kabarett. Der Stoff sei von Anfang an klar gewesen, die Familie, Palfrader dekliniert ihre Geschichte von der Urgroßmutter bis zu den Großeltern herunter. "Ich habe beim Schreiben lange gebraucht, um hineinzufinden", sagt er, "ich wollte das in mir hören und mir vorstellen, wie das in anderen Leuten klingt."
"Wahnsinnig viel gelöscht" Weil er beim Verfassen "einen Zug zum Tor entwickeln wollte", uferte nichts aus. "Ich habe wahnsinnig viel gelöscht", sagt Palfrader. Das hat sich ausgezahlt. Das Buch liest sich flüssig, erinnert manchmal ein bisschen an Vea Kaiser. Es wird am Ende des Jahres in Österreich wohl unter den zehn meistverkauften Romanen 2024 sein, das wäre nicht einmal unverdient.
Robert Palfrader "Ein paar Leben später", 159 Seiten, Ueberreuter Verlag, 22 Euro