alles neu bei jaguar
"Wir wollten nicht mit unseren Kunden ins Grab fahren"
Weg mit dem Altherren-Image: Jaguar, Schöpfer von Kultautos wie dem E-Type, erfindet sich neu. Will jetzt jung, hip und woke sein und keinen Wagen mehr unter 120.000 Euro verkaufen. Geht das gut oder geht das unter?
Donald Trumps neuer Lieblings-Mini-Me brachte es sarkastisch auf den Punkt: "Do you sell cars"?" – "Verkauft ihr Autos?" textete Elon Musk auf X zum aktuellsten Video des britisch-indischen Automobilherstellers Jaguar. Und thematisierte damit, worüber sich seit vergangener Woche das halbe Netz je nach Gemütslage entweder schlapp lacht, grün und blau ärgert oder als genialen Schachzug interpretiert. Denn Jaguars Image-Spot könnte vieles sein – eine Werbung für eine Automarke ist er vordergründig definitiv nicht.
Raumschiff Enterprise auf LSD Tatsächlich wirken die acht Menschen in dem Video wie das Personal einer eher schrägen "Raumschiff Enterprise"-Folge, die von den Teletubbies-Machern im LSD-Rausch inszeniert worden ist. Alles sehr bunt, ein bisschen Wokeness, ein bisschen Science Fiction, dazu nette Sinnsprüche wie "Delete Ordinary" ("lösche das Gewöhnliche"), that's it.
Und wo bleibt Jaguar? Was das alles mit Autos zu tun haben soll, bleibt allerdings zunächst unklar. Und so wundert es nicht, dass sich im Netz (wo sonst) rasch zahlreiche Auto-Enthusiasten gefunden haben, die ihrer Sorge um die DNA, also das immaterielle Erbe der Traditionsmarke, in tausenden Posts und Memes Ausdruck verleihen. Schließlich geht es hier nicht um irgendeinen Brot-und-Butter-Hersteller, sondern den Schöpfer einiger der schönsten Autos aller Zeiten.
Schöpfer von Auto-Legenden So war Jaguar etwa verantwortlich für die Sportwagen-Ikone XK-E vulgo E-Type, bis heute eines der aufregendsten Autos aller Zeiten. Oder die Power-Limousine Mk 2, seinerzeit der schnellste Viertürer der Welt. Jaguar, das ist in den Köpfen von Petrol-Heads, also Autofans mit Benzin im Blut, noch immer ein Synonym für Power und Potenz, britischen Lifestyle und herausragendes Design. Attribute, die die Fans in der neuen Werbe-Linie der Marke bislang schmerzhaft vermissen.
Fragen über Fragen … Dazu kommt, dass im Internet seit Lancierung des verwirrenden Jaguar-Videos zahlreiche Gerüchte und Geschichten die Runde machen, wie die Zukunft der Marke aussehen könnte. Dass der Hersteller das Herstellen kurzfristig einstellen soll etwa. Dass es jetzt ein Jahr lang überhaupt keine Jaguars zu kaufen gibt. Oder dass Jaguar künftig seine Verkaufspreise verdoppelt.
… und bisher kaum Antworten Tatsache ist: Bei der Traditionsmarke bleibt in den nächsten 12 Monaten kein Stein auf dem anderen. Und die Briten zertrümmern ihr eigenes Erbe mit einer Vehemenz und Lust, die man ihnen gar nicht zugetraut hätte. Was sich konkret ändern soll, was es mit dem schrägen Video auf sich hat und wie bunt sich Jaguar seine Zukunft vorstellt – hier alle Infos:
Worum geht's?
Grundsätzlich um nicht weniger als den radikalen Bruch eines Unternehmens mit seiner eigenen Geschichte. Der britisch-indische Automobilhersteller Jaguar erfindet sich derzeit gerade selbst vollkommen neu – und lässt seit vergangener Woche die ganze Welt daran teilhaben. Der erste Schritt dieses Transformationsprozesses war die Veröffentlichung eines etwa 30-sekündigen Image-Videos auf diversen Social-Media-Plattformen am 19. November, das aufgrund seiner Machart für einige Verwirrung gesorgt hat.
Was sorgt für Verwirrung?
Im Grunde so gut wie alles. Jahrzehntelang galt Jaguar als Inbegriff britischen Understatements, die Autos aus Coventry (der Heimat Jaguars) als rollende Herrenclubs in British Racing Green mit Chesterfield-Fauteuils statt Sitzen und einem knisternden Kaminfeuer in der Mittelkonsole. Das Unternehmen kokettierte auch selbst immer wieder in der Werbung mit diesem gediegenen Image.
Und jetzt?
Ist von Autos keine Spur zu sehen, statt dessen stehen androgyne Models in seltsamen Kostümen in einer zuckerlbunten Phantasiewelt. Und alle Jaguar-Enthusiasten fragen sich, ob das das Ende der Edel-Marke ist, wie man sie seit mehr als 90 Jahren kennt.
Ist es das?
Kurz und bündig gesagt: ja. Tatsächlich hat man bei Jaguar hinter den Kulissen bereits vor 4 Jahren damit begonnen, an einer grundlegenden Neuausrichtung der Marke zu arbeiten. Ziel des Herstellers war es, sich komplett neu zu erfinden, quasi alles wieder auf Anfang zu stellen. Das Video war der offizielle Startschuss, der der ganzen Welt zeigen sollte: Jetzt geht's los, alles wird anders.
Was bedeutet "komplett neu erfinden"?
Das bedeutet den radikalsten Bruch mit der eigenen Geschichte, den bislang ein Unternehmen dieser Größenordnung gewagt hat. Alles, was Jaguar einmal war und wofür die Marke stand, wird entsorgt. Image, Erbe, Traditionen – weg damit. Corporate Design und Marken-Symbole – ab auf die Müllkippe der Unternehmensgeschichte. Statt dessen möchte man ein neues Unternehmen auf den Fundamenten des alten errichten. Einzig der Markenname bleibt gleich – und der springende Jaguar darf bleiben, zumindest in kleinen Details.
Aber man möchte schon noch Autos bauen, oder?
Ja sicher. Der erste "neue" Jaguar wird schon in wenigen Tagen vorgestellt, am Montag, dem 2. Dezember, im Rahmen der Kunstmesse Art Basel Miami Beach. Es wird allerdings nur eine sogenannte "Design-Vision" präsentiert, die zeigen soll, wohin die Reise gehen wird.
Was weiß man bereits über diese "Design-Vision?
Der Wagen heißt intern "Type Zero Zero" und wird ein Zweitürer sein. Er soll laut Jaguar "zu 95 Prozent" dem neuen Serienmodell entsprechen, das im Herbst 2025 auf den Markt kommen soll. Dann allerdings als viertüriger GT. Damit ist keine klassische Limousine gemeint, sondern ein Mittelding aus Coupé und Viertürer, mit einer besonders niedrigen Dachlinie.
Und was hat es mit dem "Type Zero Zero" auf sich?
Der Wagen wird wohl ein Unikat bleiben, denn es ist nicht daran gedacht, in absehbarer Zeit wieder ein zweitüriges Coupé zu produzieren. Der Name "Zero Zero" – also "Null Null" – steht übrigens für "erste Fahrzeug-Generation der neuen Jaguar-Ära" und "Null Emissionen". Denn Jaguar wird künftig ausschließlich auf Elektroantrieb setzen.
Weshalb wagt Jaguar diesen Schritt überhaupt?
Weil die Marke in ihrer bisherigen Ausrichtung keine Zukunft mehr sieht. Zum einen sind die Verkäufe zuletzt massiv zurückgegangen – 2017 und 2018 wurden noch jeweils an die 180.000 Autos weltweit verkauft, mittlerweile sind es nur mehr knapp über 60.000 Stück.
Und zum anderen?
Hat man festgestellt, dass die Jaguar-Kunden immer älter werden, aber kaum noch neue, jüngere Kunden nachkommen. Die kaufen in jenem Preissegment, das Jaguar bis zuletzt bedient hat, vor allem Audi, BMW und Mercedes. "Wir hatten nur die Wahl, entweder mit unseren Kunden gemeinsam ins Grab zu fahren, oder uns komplett neu am Markt zu positionieren", bringt es ein Insider auf den Punkt.
Wurden also die falschen Autos gebaut?
Schwer zu sagen. Gute zwei Jahrzehnte lang hat Jaguar probiert, die deutschen Premium-Hersteller (also eben Audi, BMW und Mercedes) mit ihren eigenen Mitteln und in ihren Fahrzeug-Klassen zu schlagen – Luxuslimousinen, obere Mittelklasse, Sportwagen, SUV –, aber offenkundig vergeblich. Also hat man sich letzten Endes zur Notbremsung entschlossen.
Was heißt das?
Zunächst einmal, dass die Produktion sämtlicher Autos, die man bisher angeboten hat, eingestellt wird. Die große Limousine XJ wird bereits seit 2019 nicht mehr produziert, die kleineren Viertürer XE und XF wurden heuer ausgelistet. Auch die Produktion des Sportwagens F-Type, der als direkter Nachfolger des legendären E-Type gesehen wurde, hat man bereits beendet.
Und die SUVs – die werden doch in Österreich gebaut, oder?
Ja, jedenfalls teilweise. Der kleinere SUV namens E-Pace sowie der vollelektrische i-Pace wurden bei Magna Steyr in Graz produziert. Dort sind vergangene Woche die allerletzten Exemplare vom Band gelaufen. Der etwas größere F-Pace wird noch bis März 2025 in England gebaut, da es hier noch Aufträge von Jaguar-Händlern gibt, die sich dieses Modell auf Halde legen möchten, bevor Schluss ist.
Heißt das, ich kann mir keinen "klassischen" Jaguar mehr neu kaufen?
Es gibt noch zahlreiche Modelle bei den Händlern, das einzige, was nicht mehr geht, ist einen Wagen nach seinen Vorstellungen zu konfigurieren. Diese Funktion auf der Jaguar-Homepage wurde bereits vor 2 Wochen abgeschaltet.
Wie geht es danach weiter?
Das britische Jaguar-Werk in Solihull, wo bis März 2025 noch der F-Pace vom Band laufen wird, soll auch den ersten Wagen der neuen Jaguar-Ära herstellen. Entsprechend wird dort die Produktion umgerüstet und mit der Arbeit am neuen Modell begonnen.
Wann soll der erste neue Jaguar auf den Markt kommen?
Der Öffentlichkeit vorgestellt wird das erste Modell der neuen Ära im Herbst 2025. Der Wagen soll jener Design-Vision, die am 2. Dezember in Miami präsentiert wird, sehr ähnlich sehen, aber kein zweitüriges Coupé sein. Sondern ein sportlicher Viertürer, ein sogenannter GT (steht für "Gran Tourismo", also "Großer Reisewagen") mit schnittiger Silhouette und einer niedrigen Dachlinie.
Was weiß man über den Wagen?
Er wird mit allem brechen, wofür Jaguar jetzt fast 90 Jahre lang gestanden ist, sowohl optisch, als auch technisch. Dieter Platzer, Jaguars Pressemann für Österreich, hat den neuen Wagen bereits gesehen, er sagt: "Es wird keine Evolution, sondern eine Revolution."
Geht es etwas genauer?
Die Optik des Wagens wird von Jaguar selbst als "modernistisch" bezeichnet und soll klare, moderne, teils avantgardistische Linien haben. Es soll keinerlei Bezüge zur stilistischen Vergangenheit von Jaguar mehr geben, der Wagen statt dessen eher bullig wirken. Die Frontpartie soll dabei an den Rolls-Royce Spectre erinnern, die Seitenlinie wird Ähnlichkeiten mit dem kantigen Aston Martin Lagonda aus den späten 1970er-Jahren haben. Jaguar-Mann Platzer: "Der Wagen erinnert insgesamt ein bisschen an das Batmobil."
Gibt es bereits Fotos davon?
Es gibt bislang nur einige Detailaufnahmen der Design-Vision "Type Zero Zero", der der erste neue Serien-Jaguar zu 95 Prozent entsprechen soll. Darunter eine angeschnittene Heck-Ansicht (siehe Foto oben) sowie zwei Detailfotos der vorderen Fahrzeugflanke, die erahnen lassen, dass der Wagen zum einen eher grobschlächtig und bullig aussehen wird und zum anderen auf gerade Linien baut.
Welche Motorisierungen sind geplant?
Alle neuen Jaguar-Modelle sollen rein elektrisch angetrieben werden. Die Ära der Verbrenner ist bei den Briten definitiv bereits vorüber.
Wieviel soll der neue Wagen kosten?
Mindestens 120.000 Euro, wahrscheinlich etwas mehr. Die Briten haben die Parole ausgegeben, dass sie künftig weit weniger Autos verkaufen möchten, diese sollen dafür nicht weniger als 100.000 Pfund kosten, also nach aktuellem Kurs mindestens 120.000 Euro.
Wo möchte man diese Autos verkaufen?
Die größten Absatzzahlen verspricht man sich künftig in den USA und in China. Deshalb gibt es auch keine Bedenken, all die Traditionen und das Andenken an das automobile Erbe der Marke so einfach über Bord zu werfen. Denn die allermeisten vermögenden Chinesen, so die Kalkulation von Jaguar, haben kein Interesse daran, europäische Tradition zu kaufen, sie wollen einfach tolle, moderne Autos haben.
Und Europa?
Der Heimatmarkt hat in der neuen Jaguar-Strategie keine größere Bedeutung mehr – was in der Alten Welt durchaus die Alarmglocken schrillen lassen sollte. Denn scheinbar sieht man bei der indischen Jaguar-Konzernmutter Tata Europa derzeit eher auf dem Abstellgleis, sowohl wirtschaftlich, als auch kulturell. Die Dynamik, hört man aus Konzernkreisen, sei derzeit jedenfalls woanders daheim.
Seit wann ist Jaguar überhaupt indisch?
Bereit seit dem Jahr 2008. Damals wurde das Unternehmen, nach einem eher tristen Zwischenspiel beim US-amerikanischen Ford-Konzern, an die indische Tata Motors-Gruppe verkauft. Ebenso übrigens wie Land Rover, die Heimat von Offroad-Ikonen wie dem Defender oder dem Range Rover gehört ebenfalls seit 2008 zu Tata Motors.
Und wie läuft's bei Land Rover?
Deutlich besser als bei Jaguar. Die Geländewagen von Land Rover und Range Rover (früher war das ein einziges Modell in der Produktpalette von Land Rover, inzwischen wurde es zur eigenen Hochpreis-Marke aufgewertet) sind sehr erfolgreich und tragen derzeit etwa drei Viertel zum Umsatz des Unternehmens bei, Jaguar bestreitet des restliche Viertel.
Müssen für diese Neuausrichtung viele Mitarbeiter gekündigt werden?
Jaguar bestreitet das. Vielmehr habe man sich bereits im Zuge der großen Krise Ende der 2010er-Jahre, als die Absatzzahlen massiv einbrachen, von vielen Mitarbeitern getrennt (immer im Einvernehmen, wie man betont) und auch natürliche Abgänge nicht nachbesetzt. Deshalb könne man den Produktionsrückgang von 5 Modellen auf 1 Modell ohne personellen Überhang bewältigen.
Aber Magna Steyr in Graz hat den Kunden Jaguar verloren?
Ja, dieser Auftrag ist ersatzlos weg. Dazu hat man weitere Kunden verloren (Fisker) bzw. wird 2025 noch welche verlieren (BMW/Toyota). Seit Herbst 2023 haben deshalb auch bereits 1.000 Mitarbeiter den Arbeitgeber verlassen müssen.
Was hat Jaguar neu jetzt konkret mit der bunten, diversen Welt aus dem Video zu tun?
Die neue Markenwelt rund um die neuen Autos wird genauso bunt und divers aussehen, wie es in dem Video dargestellt ist, sagt Jaguar-Pressemann Dieter Platzer. "Das Video stellt die Jaguar-Welt der Zukunft dar, und die ist vielfältig und bunt." Letzteres im wahrsten Sinne des Wortes. Denn die Strategen der Marke haben sich die Bilder und Lichtinstallationen des US-Malers James Turrell bei der Neugestaltung des Markenauftritts von Jaguar zum Vorbild genommen.
Was sagt man bei Jaguar zu der vielfachen Kritik, die aufgrund des Videos über die Marke hereingebrochen ist?
Man hat damit gerechnet und geht davon aus, dass die Enthüllung der Designvision "Type Zero Zero" den nächsten Shitstorm provozieren wird. Pressemann Platzer: "Man weiß, dass es bis zu zwei Jahre lang dauert, ehe ein neues Erscheinungsbild einer Marke auch akzeptiert wird, die Autowelt agiert da sehr träge. Deshalb beginnen wir jetzt bereits damit, den neuen Style zu präsentieren."
Was sagen Marketing-Experten zu diesem Vorgehen von Jaguar?
Die meisten halten es für hochriskant, die gesamte Historie einer Marke einfach über Bord zu kippen. "Das Unternehmen macht einen Fehler, indem es das Erbe der Marke als elegante britische Hochleistungsmarke für Sportautos in seiner Vermarktung nicht nutzt", meint etwa Charles Taylor, Marketingprofessor an der Villanova School of Business in Pennsylvania. "Es ist schwer vorstellbar, dass es genug potenzielle Kunden gibt, die diesen neuen Ansatz mögen, um erfolgreich zu sein."
Könnte die Sache auch schiefgehen?
Die Gefahr ist definitiv gegeben. Jaguar baute seit den 1930er-Jahren wunderschöne und schnelle Sportwagen einerseits und klassische, elegante Limousinen andererseits, die seit jeher als Inbegriff britischer Noblesse und Designsprache gelten. Der Sportwagen E-Type war einer der begehrtesten Sportwagen seiner Zeit und gilt heute als automobiler Klassiker schlechthin. Dieser völlige Paradigmenwechsel sowie die saftige Preiserhöhung könnte die klassische Käuferschicht verschrecken, ohne gleichzeitig eine neue anzulocken.
Und wird es bei dem einen neuen Modell bleiben, oder ist mehr geplant?
Das wird natürlich primär davon abhängen, wie gut sich das neue Modell verkauft. Aber in britischen Medien war bereits zu lesen, dass es am Ende drei neue Jaguar-Baureihen geben soll. Zu dem viertürigen GT (der im Herbst 2025 erstmals präsentiert wird), sollen ein Crossover-SUV (also ein Geländewagen mit optischen Anleihen bei anderen Fahrzeugtypen) sowie eine klassische Limousine kommen. Auch diese Modelle werden alle jenseits der 100.000 Pfund oder 120.000 Euro kosten, so der ehrgeizige Plan von Jaguar.