Aufrüstung
Wird Europa jetzt zu einem Atomwaffen-Kontinent?
Frankreich ist als einziges EU-Land eine Atommacht. Staatspräsident Macron überlegt nun, seinen Schutzschirm Verbündeten anzubieten. Was das bedeutet, wie viele Atomwaffen es in der Welt und in Europa gibt. Und wie zerstörerisch sie sind.

"Die strategische Debatte ist eröffnet", sagte Emmanuel Macron am Mittwoch in einer Fernsehansprache zur besten Sendezeit. Der französische Staatspräsident wendet sich gern via TV an die Nation, diesmal weil er einen "historischen Aufruf des zukünftigen deutschen Kanzlers" vernommen hatte.
Macron sprach von einer "russischen Bedrohung“ für Europa. Die "Aggressivität" Moskaus scheine "keine Grenzen zu kennen".
Tatsächlich gab es eine Willensbekundung von Friedrich Merz zu Gesprächen im Wahlkampf. Weil die USA sich als immer unsicherere Kantonisten entpuppen, wünschte sich der CDU-Chef Gespräche mit den europäischen Atommächten. "Wir müssen uns darauf einstellen, dass Donald Trump das Beistandsversprechen des Nato-Vertrages nicht mehr uneingeschränkt gelten lässt", sagte Merz.
Es gibt nur eine Atommacht in der EU, Frankreich nämlich, und eine weitere in Europa, die früher einmal in der EU war – Großbritannien. Nach dem Wahlsieg von Merz kommt nun Bewegung in die Sache mit einer etwaigen Kooperation. Was man über Europa und Atomwaffen wissen muss:
Wie viele Atommächte gibt es weltweit?
Neun Länder der Erde verfügen über Atomwaffen - die Vereinigten Staaten, Russland, Großbritannien, Frankreich, China, Indien, Pakistan, Nordkorea und Israel. Nicht alle bestätigen das offiziell.

Wie viele Atomwaffen gibt es?
Das Stockholmer Friedensforschungsinstitut (SIPRI) gibt jährliche Berichte über Rüstung und Abrüstung heraus. SIPRI schätzt den weltweiten Bestand mit Stand Jänner 2024 auf 12.121 atomare Sprengköpfe. "Davon befanden sich etwa 9.585 in militärischen Vorräten für einen möglichen Einsatz."
Wer hat die meisten Atomwaffen?
Eindeutig die USA und Russland. Von den 12.121 Sprengköpfen befinden sich 10.624 in diesen beiden Ländern, also fast 90 Prozent. Russland hat 5.580, die US haben 5.044 Atomwaffen.
Und der Rest?
China ist am Aufholen. Es "baut sein Atomwaffenarsenal schneller aus als jedes andere Land“, sagte Hans M. Kristensen von SIPRI. China verfügt momentan über rund 500 Atomsprengköpfe.

Wie ist die Lage in Europa?
Hier gibt es zwei Atommächte. Großbritannien verfügt über geschätzt 225 Atomsprengköpfe, Frankreich sogar über 290.
Was ist nun die Idee von Macron?
Zunächst einmal ist sie nicht neu, aber erstmals wird das mögliche Angebot von Ländern wie Deutschland in Erwägung gezogen. Der französische Staatschef überlegt, verbündete Länder in Europa unter den Schutzschirm seines Landes zu nehmen. Mit der Auflage natürlich, dass die Entscheidungs-Hoheit über den Einsatz in Frankreich bleibt.
Wie soll das vor sich gehen?
Das ist noch relativ unklar. Die Überlegungen reichen von gemeinsamen Militärübungen bis zu Stationierungen von französischen Atomwaffen in Deutschland. Macron will bis Juli entscheiden, ob er den Plan weiter verfolgt.

Welche Nuklearwaffen hat Frankreich?
Von den 290 Sprengköpfen können 50 Marschflugkörper vom Typ ASMPA von Rafale-Kampfflugzeugen abgeschossen werden. Sie verfügen über eine Reichweite von rund 500 Kilometern. Der Rest kann von den vier Atom-U-Booten abgefeuert werden, ihre Reichweite beträgt bis zu 9.000 Kilometer. Ein U-Boot kann bis zu 80 Sprengköpfe transportieren.
Warum sind die Franzosen bessere Partner als die Briten?
Zunächst einmal gab es so etwas wie den Brexit, die Briten traten am 31. Jänner 2020 aus der EU aus. Wichtiger aber: das britische Militär und damit auch das Atomwaffen-Programm sind stark mit den USA vernetzt, die Franzosen blieben autark.
Hat Deutschland keine eigenen Atomwaffen?
Nein, aber es befinden sich Atomwaffen auf seinem Gebiet, sie gehören offiziell den USA. Die sogenannte "nukleare Teilhabe" gehört zum Abschreckungspotential der NATO. Ein etwaiger Einsatz muss sowohl von der US-Regierung als auch von der deutschen Regierung freigegeben werden.
Wo befinden sich die deutschen Nuklearwaffen?
Auf dem Stützpunkt "Fliegerhorst Büchel" in der Eifel sollen zwischen 10 und 20 Atombomben vom Typ B61 lagern. Hier sind 46 Tornado-Kampfjets stationiert, die mit den Atomwaffen bestückt werden können. Es handelt sich um "taktische Nuklearwaffen".

Wie viele Nuklearwaffen der USA gibt es in Europa?
Rund 100. Sie befinden sich auf NATO-Stützpunkte in Italien, Belgien, der Türkei und in den Niederlanden.
Es gibt mehrere Arten von Nuklearwaffen?
Ja, Strategische Atomwaffen haben die Wucht, um große Gebiete zu zerstören. Sie können mit Langstreckenraketen oder Interkontinentalraketen in alle Teile der Welt gebracht werden, es ist also auch ein Beschuss von Moskau aus nach Washington und umgekehrt möglich.
Was sind dann Taktische Atomwaffen?
Ihre Wucht ist immer noch stärker als die jeder anderen Waffengattung, aber deutlicher geringer als die von Strategischen Nuklearwaffen. Sie können nicht so weit fliegen und werden für gezielte regionale Angriffe eingesetzt.
Welche Art haben die Franzosen und Briten?
Sie verfügen ausschließlich über strategische Nuklearwaffen. Zur Abschreckung dient das nicht. Zum Vergleich: Die Hiroshima-Bombe hatte eine Sprengkraft von 15 Kilotonnen, Strategische Atomwaffen erreichen mindestens 100 Kilotonnen, ein Vielfaches also.

Wann wurden Atomwaffen bisher eingesetzt?
In der Endphase des Zweiten Weltkrieges wurden zum ersten und einzigen Mal Atomwaffen in einem militärischen Konflikt eingesetzt. Die erste amerikanische Atombombe wurde am 6. August 1945 über der japanischen Stadt Hiroshima abgeworfen. Der zweite Bombenangriff auf die Stadt Nagasaki erfolgte drei Tage später.
Was waren die Folgen?
In Hiroshima waren rund 140.000, in Nagasaki rund 75.000 Menschen sofort tot. Bei zehntausenden Überlebenden traten nach Jahren oder sogar nach Jahrzehnten Spätschäden auf, sogenannte stochastische Strahlenwirkungen (etwa Krebs, Leukämien und genetische Wirkungen).
Hatte die Ukraine nicht auch einmal Atomwaffen?
Ja, sie waren noch aus Zeiten der Sowjetunion im Land stationiert. Im Budapester Memorandum wurde 1994 die Übergabe an Russland fixiert, im Gegenzug gab es Sicherheitsgarantien. Papier ist geduldig.
Wie reagierte Moskau auf den Macron-Vorschlag?
Mit Aggression und Häme. "Natürlich ist das eine Bedrohung für Russland", sagte Außenminister Sergej Lawrow. Der französische Präsident sei ein "Geschichtenerzähler", so die russische Außenamtssprecherin Maria Sacharowa. Die staatliche russische Nachrichtenagentur Tass verglich Macron mit Hitler.