Angst in Deutschland

Wird Nazi-Grölsong jetzt die heimliche Hymne der Fußball-EM?

Am 14. Juni beginnt die Europameisterschaft in Deutschland. Nach dem Sylt-Eklat ist der Club-Hit "L’Amour toujours" nun auf der Fanmeile verboten. Ob's hilft?

Auch bei der Fußball-EM in Deutschland 2024 gibt es eine Fanmeile vor dem Brandenburger Tor in Berlin
Auch bei der Fußball-EM in Deutschland 2024 gibt es eine Fanmeile vor dem Brandenburger Tor in Berlin
Annegret Hilse / dpa Picture Alliance / picturedesk.com
Christian Nusser
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Das Video erregt seit Tagen Deutschland. Zu sehen: Eine Gruppe junger Schnösel, die den Partyhit "L’Amour toujours" des italienischen DJs Gigi D’Agostino grölt. In die Musikpassagen hinein ist "Ausländer raus" zu hören und "Deutschland den Deutschen", einer aus der Gruppe imitiert mit den Fingern einen Hitlerbart, auch ein Hitlergruß ist zu sehen. Tatort: Der Luxusklub "Pony" in Kampen auf Sylt.

"Whiskeymeile" Die Insel ist grundsätzlich nichts für Menschen mit schmaler Kreditkarte, auch das "Pony" ist kein Schnäppchenparadies. Man trinkt Aperol Spritz auf der Terrasse und Schampus im Club, sechs Sylter Royal Austern mit Chesterbrot und Zitrone kosten 27 Euro. Das "Pony" liegt in der legendären "Whiskeymeile" auf Sylt, es gibt wenige Ort auf der Welt, in denen die Ferrari-Dichte größer ist. Das Publikum trägt Hemd, Sneakers und den Pulli um die Schulter gelegt, seit ein paar Tagen läuft der Bekleidungsstil unter dem Stichwort "BWL Justus".

Das "Pony" gibt es seit 55 Jahren, die Lokalität nennt sich selbst "der älteste Club Deutschlands". So bekannt wie jetzt war "der älteste Club Deutschlands" noch nie, nicht immer ist Prominenz selbstgewählt. Bekannte Gesichter gehen und gingen hier ein und aus. Der legendäre Playboy und Lebemann Gunther Sachs nannte das "Pony" einst "die Perle in der Auster". Jetzt liegt ein fauler Apfel drin.

Der Luxusclub "Pony" in Kampen auf Sylt, Deutschland
Der Luxusclub "Pony" in Kampen auf Sylt, Deutschland
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"L’Amour toujours" ist eigentlich ein Liebeslied, es wird gern auf Partys gespielt und in Clubs, weil es einen eingängigen Sound hat, zu dem es sich gut hüpfen lässt. In der rechten Szene, aber beileibe nicht nur dort, wird der Sommerhit 2021 seit geraumer Zeit zweckentfremdet. In den Klangteppich hinein ist "Deutschland den Deutschen" und "Ausländer raus" zu hören. Das hat sich inzwischen schon verselbstständigt, dass es reicht, wenn der Song ohne Text erklingt. Jeder weiß, was gemeint ist.

Aber nun auf Sylt, mitten hinein ins Millionärsherz? Das erschüttert das Land. Das Video wir seit Tagen tausendfach geteilt, schnell empörten sich viele, über die Landesgrenzen hinaus. Die Fotos der Teilnehmer an der Party wurden vergrößert herumgeschickt, schnell waren ihre Namen enttarnt. Viele haben inzwischen ihre Jobs verloren, sind untergetaucht. Es gab Strafanzeigen, das "Pony" selbst schloss sich an.

Gigi D'Agostino erschüttert Der Kanzler und die Minister und die Parteichefs und die Ministerpräsidenten empörten sich. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier zeigte sich besorgt über "die Verrohung der politischen Umgangsformen". Es seien offensichtlich nicht nur "die Randständigen, Abgehängten", die sich radikalisieren. Ach was? Selbst Gigi D'Agostino meldete sich zu Wort. Er "weine aus tiefstem Herzen", schrieb er auf Instagram. Sein Lied drehe sich um die "Freude des Zusammenseins". Diese Freude gab es, sie wurde nur mit rechten Parolen aufgeladen.

Wer glaubte, es handle sich um ein Einzelereignis, hatte sich getäuscht. Es folgten immer mehr Nachahmer und es ufert aus. Vielleicht gab es das alles schon bisher, aber nun zeigt das Ansätze eines Jugendkults, und den kann Deutschland so gar nicht gebrauchen, denn Mitte Juni will das Land ein strahlender Gastgeber der Fußball-Europameisterschaft sein.

TikTok als Brandbeschleuniger In Löningen im Kreis Cloppenburg grölte das Publikum auf einem Schützenfest "Deutschland den Deutschen" und "Ausländer raus". Der Bayerische Rundfunk berichtete schon im März über ähnliche Wahrnehmungen. In Landsberg am Lech, in Weiden in der Oberpfalz und in Greding im Altmühltal ... Meist wurde mitgefilmt, das Gegröle auf TikTok gestellt, niemandem fiel was auf. Bis Sylt kam.

Humanität für 48.000 Euro Um seine Kinder in die Privatschule Louisenlund in Schleswig Holstein schicken zu können, braucht man ebenfalls eine gut geölte Kreditkarte. Ab 48.204 Euro pro Jahr ist man dabei. "Persönlichkeit hat viele Puzzlestücke, Humanität ist eines davon", wirbt das Gymnasium auf seiner Webseite. Dort findet sich seit Kurzem auch die Aufarbeitung eines Vorfalls, der im Lichte von Sylt schnell deutschlandweit Wellen schlug. Auch auf einer Party der Luxusschule war nämlich "Ausländer raus" zu hören.

Stecker gezogen Am 23. Mai habe eine so genannte "Schülerhausparty" stattgefunden, schreibt der Leiter der Stiftung Louisenlund. Um 21.15 Uhr seien etwa 40 Schülerinnen und Schüler und drei Internatspädagoginnen und -pädagogen anwesend gewesen. Da wurde Gigi D'Agostino angespielt, eine der Internatspädagoginnen hörte ein "Ausländer raus" und drehte in der Sekunde den Hauptschalter der Lautsprecheranlage ab. "Sie hat die Party beendet und die Schülerinnen und Schüler zum Nachdenken ins Bett geschickt."

Nach dem Gegröle kam es in Kampen zu einer Gegendemo
Nach dem Gegröle kam es in Kampen zu einer Gegendemo
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Acht Kinder wurden als sehr kurzzeitige Mitgröler identifiziert, die Schülerschaft sonst fühlt sich zu Unrecht medial an den Pranger gestellt. Man lehne "jegliche Form von Fremdenfeindlichkeit oder Ausländerhass strikt ab", heißt es in einer Stellungnahme. "Alle haben Freunde, die in diesem Sinne als 'Ausländer' gelten." Die Schule legte fest, dass die aktiv handelnden Schülerinnen und Schüler "für den Zeitraum einer Woche eine Suspendierung vom Schul- und Internatsbetrieb" erhalten. Und: "Das Lied "L'Amour Toujours" von Gigi D'Agostino wird aus der Playlist des Schülerhauses gestrichen."

Aber warum? Was treibt Teenager und junge Erwachsene dazu, rechte Sprüche zu klopfen? Vielleicht dieselbe Naivität und Geschichtslosigkeit, die Teilnehmer an Palästinenser-Demos derzeit an den Tag legen? Natürlich ist das nur sehr bedingt vergleichbar, aber erstaunlich viele lassen sich derzeit von Gruppen mitreißen und beteiligen sich an allem Möglichen, ohne viel nachzudenken.

Ob man damit der Sache Herr wird? Für Deutschland bedeuten die Vorfälle im Kleinen nun eventuell was Großes. Denn ein Fußballfest steht an und wieder gibt es eine große Fanmeile. Das Abspielen von "L'Amour Toujours" wurde vor dem Brandenburger Tor in Berlin am Montag schon einmal vorsorglich verboten. "Unsere Awareness-Teams wurden diesbezüglich bereits geschult und unser Programm-Team hat nach dieser Aktion dezidiert über das Lied gesprochen", sagte eine Sprecherin der Kulturprojekte Berlin GmbH zu "Zeit online".

Das Hauptgebäude der Privatschule Louisenlund
Das Hauptgebäude der Privatschule Louisenlund
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Es darf bezweifelt werden, dass Verbote die Situation regeln werden. Im Gegenteil, sie machen das Abspielen des Club-Hits erst recht zur Mutprobe. Und: Schnell lässt sich auch ein anderer Titel finden, zu dem man Ausländerfeindliches grölen kann. Vor einigem Jahren wurde Helene Fischers Hit "Atemlos" dafür benutzt.

Auch das Münchner Oktoberfest setzt auf Verbote Es wird nicht das einzige Großereignis sein, dass es mit dieser Taktik probiert. "L’Amour toujours" darf auf dem Oktoberfest jedenfalls nicht gespielt werden, legte der Veranstalter am Montag fest, "weder im Zelt, noch sonst irgendwo“, sagte Clemens Baumgärtner dem Bayerischen Rundfunk. Der Wiesn-Chef verweist auf Paragraf 4 der Betriebsbedingungen.

Auch hier darf man gespannt sein.

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