Zeitloser Krimi

Omega zahlt 3,3 Millionen für eigene "Frankenstein-Uhr"

Der Schweizer Uhrenhersteller Omega wurde in einer filmreifen Aktion gelinkt und bezahlte mehr als 3 Millionen für eine eigene – gefälschte – Uhr. Auch Mitarbeiter sollen daran beteiligt gewesen sein. Jetzt ermittelt die Justiz.

"Die erste Uhr auf dem Mond": Ein Sondermodell der Omega Speedmaster "Moonwatch" aus dem Jahr 2004. Ein wesentlich älteres Modell der Omega Speedmaster sorgt derzeit für einen handfesten Skandal in der Schweizer Uhrenlandschaft
"Die erste Uhr auf dem Mond": Ein Sondermodell der Omega Speedmaster "Moonwatch" aus dem Jahr 2004. Ein wesentlich älteres Modell der Omega Speedmaster sorgt derzeit für einen handfesten Skandal in der Schweizer Uhrenlandschaft
Getty Images
Martin Kubesch
Akt. Uhr
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Das Sammeln alter Uhren hat sich längst vom liebenswerten Hobby zu einem Multi-Millionen-Geschäft entwickelt, bei dem nicht immer alles mit rechten Dingen zugeht – Stichwort Fälschungen. Doch die Chuzpe, mit der in der Schweiz nun eine alte Omega Speedmaster (die spätere "Moon Watch" der US-Astronauten) von eher geringem Wert zum "Sammler-Must-have" hochgetunt und schließlich unter dubiosen Umständen um einen Millionen-Betrag ausgerechnet an die Firma Omega selbst versteigert wurde, macht selbst langjährige Branchen-Insider sprachlos. Was passiert ist, wie es funktioniert hat – hier die Fakten zu diesem wohl einzigartigen Fall:

Was ist geschehen?
Man muss die Geschichte ganz von vorne erzählen, um sie wirklich zu verstehen. Also: Bei einer Uhren-Auktion des renommierten Auktionshauses Phillips am 5. November 2021 in Genf gelangte eine Omega Speedmaster Referenz 2915-1 aus dem Jahr 1957 zur Versteigerung, die aufgrund einiger Besonderheiten von den Experten des Auktionshauses als ganz spezielles und damit sehr wertvolles Exemplar eingeschätzt wurde. Die Uhr wurde von Phillips auf einen Wert von etwa 80.000 bis maximal 120.000 Schweizer Franken (umgerechnet 74.800 bis 112.000 Euro) geschätzt.

Die Omega Speedmaster aus 1957 auf der Homepage des Auktionshauses Phillips
Die Omega Speedmaster aus 1957 auf der Homepage des Auktionshauses Phillips
Screenshot phillips.com

Welche Besonderheiten waren das?
Einerseits das Herstellungsdatum – das Modell Speedmaster wurde 1957 auf den Markt gebracht, somit wäre das ausgerufene Exemplar eines der ältesten noch existierenden dieses Uhren-Klassikers. Und dann ist das ursprünglich schwarze Zifferblatt der Uhr von der Sonne ausgebleicht und schimmert bräunlich – in Sammlerkreisen werden solche ausgebleichten Zifferblätter als "tropical" bezeichnet. Phillips präsentierte die Uhr damals auch in einem Instagram-Post (es ist das 3. und 4. Bild im Post, das Modell mit braunem Lederband).

Und das rechtfertigt diesen Preis?
Wie bei allen Gegenständen mit Sammlerwert bestimmen hier Angebot und Nachfrage den Wert. Der reine Materialwert solch eines Modells ist gering, da die Uhr primär aus Stahl besteht und nur im Inneren einige Bauteile aus Gold sind und winzig kleine Edelsteine als Lager für bewegliche Elemente verbaut wurden. Zum Vergleich: Auf chrono24, der weltgrößten Seite für den Handel mit gebrauchten Uhren, ist ein einziges vergleichbares Modell gelistet. Es wurde 1958 produziert, hat kein verfärbtes Zifferblatt und kostet 74.704 Euro.

Was hat es mit dem Modell Speedmaster eigentlich auf sich?
Die Omega Speedmaster ist ein Chronograph, also eine Stoppuhr, aus Stahl und wurde 1957 erstmals verkauft. Sie war seinerzeit ein Modell unter vielen, denn Chronographen gehörten in den 1950er- und 1960er-Jahren zu den beliebtesten Uhrenmodellen überhaupt, die jeder Hersteller im Angebot hatte. Die große Stunde der Speedmaster schlug allerdings 1969.

Was war da?
Da fand die erste Mondlandung statt – und die US-Astronauten trugen alle Speedmaster-Uhren über ihren Weltraumanzügen. Um als Ausstatter der NASA zertifiziert zu werden, durchlief Omega ein strenges Auswahlverfahren. Seither gilt die Speedmaster als "die erste Uhr auf dem Mond". Und auch heute noch wird jedes Modell, das der seinerzeitigen "Mond-Uhr" entspricht, mit einer eigenen Gravur auf der Rückseite verkauft, die genau darüber informiert.

Die "Mond"-Gravur auf der Rückseite der Speedmaster – hier bei einem Sondermodell aus purem Gold aus den 1970er-Jahren
Die "Mond"-Gravur auf der Rückseite der Speedmaster – hier bei einem Sondermodell aus purem Gold aus den 1970er-Jahren
SALVATORE DI NOLFI / EPA / picturedesk.com
Der Apollo-11-Astronaut Edwin "Buzz" Aldrin auf der Mondoberfläche, fotografiert von Neil Armstrong am 21. Juli 1969. Die Astronauten trugen bei ihrem Flug zum Mond Speedmaster-Uhren
Der Apollo-11-Astronaut Edwin "Buzz" Aldrin auf der Mondoberfläche, fotografiert von Neil Armstrong am 21. Juli 1969. Die Astronauten trugen bei ihrem Flug zum Mond Speedmaster-Uhren
Austrian Archives / brandstaetter images / picturedesk.com

Okay, wie ging es mit der Versteigerung weiter?
Die Omega wurde aufgerufen und es entspann sich rasch ein Bieterwettstreit. Es kamen Gebote aus vielen Teilen der Welt, angeblich wurde u. a. in Texas, dem Oman und China um das Modell gerittert. Am Ende fiel der Zuschlag bei sagenhaften 3,115 Millionen Franken, umgerechnet 3,3 Millionen Euro. Das war etwa 30 mal so viel wie der Schätzwert und immerhin 8 mal so viel, wie für die teuerste jemals versteigerte Speedmaster geboten wurde, berichtete die in Uhren-Angelegenheiten stets gut informierte Neue Zürcher Zeitung später.

Sind derartige Summen für alte Uhren normal?
Tatsächlich ist das so, ja. Spezielle Vintage-Uhren, also alte Exemplare spezieller Modelle, können teils noch höhere Preise erzielen. Allerdings sind diese Preis-Sphären für die Marke Omega grundsätzlich ungewöhnlich. In dieser Preisklasse werden für gewöhnlich nur Uhren der Hersteller Patek Philippe und Rolex gehandelt.

Die Rolex Daytona von Hollywoodstar und Hobby-Rennfahrer Paul Newman wurde 2017 um 17,8 Millionen Dollar versteigert
Die Rolex Daytona von Hollywoodstar und Hobby-Rennfahrer Paul Newman wurde 2017 um 17,8 Millionen Dollar versteigert
HANDOUT / AFP / picturedesk.com

Welches war die teuerste Uhr, die jemals versteigert wurde?
Die teuerste jemals versteigerte Sportuhr war eine Rolex Daytona aus dem Besitz von Hollywoodstar und Hobby-Rennfahrer Paul Newman. Sie hatte eine Gravur auf der Rückseite, die seine Ehefrau, Schauspielerin Joanne Woodward, hatte anbringen lassen: "Drive Carefully. Me". Die Uhr wurde 2017 versteigert und brachte damals 17,8 Millionen Dollar. Die teuerste "komplizierte" Uhr, also ein Modell mit einem ganz besonders komplizierten Werk mit vielen Funktionen, die je versteigert wurde, war die Patek Philippe Grandmaster Chime Ref. 6300A-010, die 2019 bei einer Auktion in Genf für 31 Millionen US-Dollar zugeschlagen wurde.

Da war man bei Omega wohl ziemlich happy?
Happy ist gar kein Ausdruck. Es wurde in aller Eile eine Pressemeldung ausgeschickt und der Hersteller, der übrigens zur Swatch Group gehört, dem größten Uhrenkonzern der Schweiz (dazu gehören u.a. die Marken Tissot, Rado, Longines, Certina oder Breguet) wähnte sich endlich mit seinem größten Mitbewerber Rolex auch Image-mäßig auf Augenhöhe.

Und war das Glück von langer Dauer?
Nicht wirklich. Denn in der Uhrensammler-Szene sorgte das Auktionsergebnis bald für Kopfschütteln. Und einige Auskenner meinten, sich an das Zifferblatt der versteigerten Rekord-Uhr erinnern zu können – allerdings eingebaut in einem anderen Modell, das lange in der Szene angeboten wurde, aber keinen Käufer fand. Und so begannen offenbar mehrere Fachleute, die Geschichte dieser Speedmaster zu rekonstruieren – und entdeckten Erstaunliches.

Das Ergebnis der Auktion vom 5. November 2021, wie es nach wie vor auf der Homepage des Auktionshauses Phillips zu finden ist: "Sold for CHF 3,115.500", also über 3 Millionen Franken
Das Ergebnis der Auktion vom 5. November 2021, wie es nach wie vor auf der Homepage des Auktionshauses Phillips zu finden ist: "Sold for CHF 3,115.500", also über 3 Millionen Franken
Screenshot phillips.com

Wass wurde herausgefunden?
Die NZZ recherchierte die gesamte Historie des Exemplars – soweit diese feststellbar war – nach und legte das Ergebnis in einer Reportage ausführlich dar. Kurz zusammengefasst: Die spätere Rekord-Omega wurde mit Teilen aus anderen Uhren soweit gepimpt, dass sie für den Sammlermarkt erst interessant wurde. Sie bekam einen älteren Sekundenzeiger und eine andere Lünette. Aber die wichtigste Änderung betraf die Seriennummer auf dem Uhrwerk. Diese war von einem Werk, das etwa 10 Jahre jünger war, als die Uhr sein sollte, und musste daher gegen eine ältere Seriennummer ersetzt werden.

Aber woher bekommt man eine alte Seriennummer?
Genau das ist der Punkt: Solche Dinge stehen nicht im Internet, man muss sie in Archiven recherchieren. Und das einzige Archiv, wo es Seriennummern von alten Omega-Modellen nachzulesen gibt, ist das Firmenarchiv von Omega. Dort hatten jene Menschen, die die Speedmaster bearbeiteten, offenbar Ansprechpartner. Sie erhielten eine alte, passende Seriennummer. Diese wurde in ein neu angefertigtes Bauteil für das Uhrwerk eingestanzt und dieses Bauteil schließlich getauscht, dass das Werk als "Baujahr 1957" durchging.

Omega gehört, wie etwa auch die Hersteller Tissot oder Longines, zur Swatch Group, dem größten Uhren-Konzern der Schweiz
Omega gehört, wie etwa auch die Hersteller Tissot oder Longines, zur Swatch Group, dem größten Uhren-Konzern der Schweiz
PETER KLAUNZER / Keystone / picturedesk.com

Und das wurde vor der Versteigerung nicht festgestellt?
Nein, denn es wurde überhaupt nicht überprüft. Angesichts der Massen an Uhren, die alljährlich bei Auktionshäusern zur Versteigerung eingebracht werden, wäre das wahrscheinlich auch kaum möglich. Und bei Phillips ist man ja auch nicht davon ausgegangen, dass diese Uhr so "durch die Decke geht". Das Estimate, also das erwartete Ergebnis, lag ja bei einem Dreißigstel des letztlich erzielten Preises.

Wie reagierte man darauf bei Omega?
Wenig begeistert, wie man sich vorstellen kann. Es wurden interne Ermittlungen eingeleitet und bald stellte man fest, dass "ehemalige Mitarbeiter mit klaren kriminellen Absichten an dieser Operation beteiligt waren, und dies zu massivem Schaden für Omega", zitiert die NZZ den Omega-CEO Raynald Aeschlimann.

Er meint den Image-Schaden, oder?
Nicht nur. Denn wie sich herausgestellt hat, wurde die Uhr von Omega selbst um mehr als 3 Millionen Franken angekauft. Konkret vom Leiter des firmeneigenen Museums, und das mit dem Sanctus der Firmenleitung. Der Museumsdirektor habe argumentiert, dass die spezielle Speedmaster von 1957 eine seltene und außergewöhnliche Uhr sei, die in die Sammlung von Omega aufgenommen werden müsse und daher unabhängig vom Preis bei der Auktion gekauft werden müsse, teilte Omega einen Tag nach der Enthüllungsreportage der NZZ in einer kurzen Aussendung mit.

Omega CEO und President Raynald Aeschlimann: "Kriminelle Absichten … zu massivem Schaden für Omega."
Omega CEO und President Raynald Aeschlimann: "Kriminelle Absichten … zu massivem Schaden für Omega."
NDZ / Action Press / picturedesk.com

Okay, aber mit wem hat sich der Museumsdirektor dann hier ein Bietergefecht geliefert?
Das ist eine der Fragen, die die Gerichte klären müssen. Denn mittlerweile hat Omega Strafanzeige erstattet. Diese richtet sich gegen drei inzwischen ehemalige Mitarbeiter sowie gegen Unbekannt, der Vorwurf lautet demnach Betrug, Fälschung, Hehlerei und Vertrauensbruch, wie die NZZ notiert.

Was ist hier geschehen?
Wie gesagt, es wurde Strafanzeige erstattet, es gilt für die Angezeigten die Unschuldsvermutung. Aber der Verdacht lautet, dass unbekannte Täter aus verschiedenen Uhren-Komponenten und mit Hilfe von Insiderwissen aus dem Omega-Museum eine Uhr zusammen gebastelt und zur Auktion eingebracht haben. Mittlerweile weiß man sogar, dass eines der Teile, die hier verbaut wurden, direkt aus dem Omega-Museum gekommen sein dürfte.

Und dann wurde Omega über den Tisch gezogen?
Der Direktor des Omega-Museums hat jedenfalls seine Vorgesetzten überzeugt, dass diese Uhr unbedingt angekauft werden müsse. Ob es tatsächlich einen weiteren ernsthaften Bieter gab, der den Preis bis auf 3 Millionen nach oben getrieben hat, oder ob das ein Strohmann war, ist bislang ungeklärt. Jedenfalls hat Omega für eine "Frankenstein-Uhr", also eine Uhr, die aus verschiedenen Einzelteilen und offenbar mit dem Wissen von Museums-Mitarbeitern hergestellt worden ist, mehr als 3 Millionen Franken bezahlt.

Das "Silver Snoopy Award"-Sondermodel der Omega Speedmaster Moonwatch aus dem Jahr 2015. Es wurde anlässlich des 45-jährigen Jubiläums der – fast gescheiterten – Apollo-13-Mission im Jahr 1970 entworfen
Das "Silver Snoopy Award"-Sondermodel der Omega Speedmaster Moonwatch aus dem Jahr 2015. Es wurde anlässlich des 45-jährigen Jubiläums der – fast gescheiterten – Apollo-13-Mission im Jahr 1970 entworfen
Omega Watches

Wo liegt der Fall jetzt?
Bei der zuständigen Staatsanwaltschaft, die bereits erste Ermittlungen durchgeführt hat. Es wurden demnach Hausdurchsuchungen bei externen Beschuldigten durchgeführt, schreibt die NZZ. Dabei seien zahlreiche Uhren und Uhrenbestandteile sichergestellt worden, weshalb "der begründete Verdacht besteht, dass die Beschuldigten weitere Uhren und Uhrenbestandteile verkauft haben", zitiert die Zeitung aus einer Verfügung der Generalstaatsanwaltschaft.

Und wie steht man bei Omega dazu?
Inzwischen ist klar, dass der ehemalige Museumsdirektor und zwei Mitarbeiter angezeigt wurden. Zudem mussten mindestens 10 weitere Mitarbeiter das Haus verlassen. Und es wurde offenbar Inventur gemacht und dabei festgestellt, dass "mehr als 300 Uhren und Uhrenbestandteile aus Lager und Archiv entwendet worden seien. Den Gesamtschaden beziffert der Hersteller mit 5,7 Millionen Franken – inklusive der 3,1 Millionen für die ersteigerte Rekorduhr.

Akt. Uhr
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