Tagebuch einer Reise/1

Zum Wiederlesen: Mit der größten Delegation aller Zeiten in China

Bundespräsident, Kanzler und vier Regierungsmitglieder 2018 auf Staatsbesuch. Mein Tagebuch, warum ich es schrieb, was danach passierte.

Bundespräsident Alexander Van der Bellen mit Gattin Doris Schmidauer, Wirtschaftsministerin Margarete Schramböck (l.), Außenministerin Karin Kneissl und Landwirschaftsministerin Elisabeth Köstinger (r.) während eines Besuchs in der Verboten Stadt im Rahmen eines Staatsbesuchs am 7. April 2018 in Peking
Bundespräsident Alexander Van der Bellen mit Gattin Doris Schmidauer, Wirtschaftsministerin Margarete Schramböck (l.), Außenministerin Karin Kneissl und Landwirschaftsministerin Elisabeth Köstinger (r.) während eines Besuchs in der Verboten Stadt im Rahmen eines Staatsbesuchs am 7. April 2018 in Peking
Christian Nusser
Christian Nusser
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Offiziell dauerte die Reise nur fünf Tage und genau genommen reiste ein Zwerg zu einem Riesen. Aber ich kann mich nicht erinnern, jemals etwas Derartigem beigewohnt zu haben. Nicht davor und nicht danach. Es war alles dabei, eine Delegation, aufgepumpt und aufgeblasen auf rund 250 Personen, Bundespräsident, Kanzler, Außenministerin, Digitalministerin, Landwirtschaftsministerin, Infrastrukturminister, Manager der meisten großen Unternehmen Österreichs, Kunst und Kultur. Ein üppiges Besuchsprogramm, auch viel Kitsch. Reisen längs und quer durchs Land. Ein Erlebnis.

Ich weiß es noch wie heute: Ich kam auf dem Flughafen Wien-Schwechat an, Sammelpunkt war der VIP-Terminal ein bisschen abseits. Ich ging rein ins Gebäude und war schlicht erschlagen von der Anzahl der Personen. Das sah man mir offenbar an und jemand, ich weiß gar nicht mehr wer, sagte: "Das ist ja auch die größte Delegation aller Zeiten." So stand es dann auch in den Drucksorten für Journalisten und es wurde das geflügelte Wort des Schulausflugs nach China.

Das ist ja auch die größte Delegation aller Zeiten
Flughafen Wien-Schwechat

Ich ging also hinein in den Warteraum und fand Platz. Immer mehr Menschen stießen dazu und sobald einer kam, auch so fragend schaute wie ich am Anfang, rief jemand aus dem Pulk: "Das ist ja auch die größte Delegation aller Zeiten." Es lag eine unfreiwillige Komik im Raum, wenn man Österreich zugute halten möchte, dass Komik hier manchmal auch freiwillig stattfindet. Jedenfalls fiel in diesen Minuten die Entscheidung: Ich mache einmal was anderes. Ich schreibe über diese Reise nicht wie Journalisten sonst, also Herr A oder Frau B fahren ins Land C, treffen dort die Herrschaften D und E und F, schütteln Hände, unterschreiben Verträge, essen opulent zu Abend und fahren dann wieder heim.

Der Energetiker war schuld

Nein, ich wählte das Stilmittel der Satire. Ich hatte einige Zeit davor über den Energetiker geschrieben, der das neue Krankenhaus Wien Nord verhext oder enthext hat, das ist Ansichtssache. Der Text war launig gehalten und ich war erstaunt über die Zahl der Reaktionen. Ich dachte mir, vielleicht ist da ein Markt, vielleicht gibt es Menschen, die diese Art der Berichterstattung mögen. Dann kam China und es war angerichtet.

Ich begann im Flugzeug mit den ersten Notizen. Links von mir saß ein Bankmanager, rechts ein Tierarzt, der an der Uni Peking einen Vortrag über Kleinvieh halten sollte, er hatte aus irgendeinem Grund weltweite Expertise darin. Eingequetscht also in der Mitte, weil die Sessel der Economy Class offenbar eher für Menschen gedacht sind, die in Etuikleider passen, verfasste ich den Ausblick auf das, was mit der "größten Delegation aller Zeiten" mutmaßlich zu erleben sein wird. Viel, das ahnte ich, und ich lag nicht grundfalsch.

Christian Nusser im Rahmen des Staatsbesuchs am 7. April 2018 in  in der Verboten Stadt in Peking
Christian Nusser im Rahmen des Staatsbesuchs am 7. April 2018 in in der Verboten Stadt in Peking
Privat

Die Arbeit in den nächsten Tagen war kein Honigschlecken. Satire ist nichts, was sich aus dem Ärmel beuteln lässt, jedenfalls nicht aus meinem. Wir waren viel auf Achse, in Bussen, Zügen, die mit 250 km/h nur so dahinflogen, und Flugzeugen, die sowieso immer so dahinfliegen. Was weniger Flügel hatte, war das Internet. Einen Artikel nach Wien zu übermitteln hieß – vor allem außerhalb Pekings – eine Brieftaube zu satteln. Einmal kam ich nach Mitternacht ins Hotel, schrieb die Kolumne, drückte auf "Senden" und wartete dann eine unfassbar lange Zeit, bis das Mail davonflog.

Zu Reisen werde ich jetzt nicht mehr eingeladen

Ich bekam das anfangs gar nicht richtig mit, aber manche Menschen mochten, was ich schrieb. Es war irgendwie anders. Eines Morgens erzählte mit der Reporter einer anderen Gazette, sein Chefredakteur hätte ihn gefragt, warum er nicht auch Satiren aus China schreibe "so wie der Nusser". Der gute Mann wusste nicht wie ihm geschah. Er war als Qualitätsjournalist nach China gereist mit dem klaren Auftrag, klare Geschichten zu schreiben, jetzt plötzlich sollte er ins Varietéfach wechseln?

Um es kurz zu machen: Es hat Spaß gemacht. Der Bundespräsident hat mich ein paar Mal tadelnd angeschaut, aber vielleicht habe ich mir das nur eingebildet. Die China-Reise war später der eigentliche Grund, warum ich mich 2020 dann an die Kopfnüsse wagte. Zu Reisen mit Politikern werde ich seitdem übrigens so gut wie nie mehr eingeladen, ich habe keinen blassen Schimmer, woran das liegen könnte.

Einige Episoden der China-Tagebücher sind digital nicht mehr auffindbar. Also dachte ich mir, wenn du schon ein neues Portal startest, dann könntest du ja auch die alten Schriften wieder aus dem Keller holen, ORF III macht das dauernd. Also bitte sehr, wer daran noch Interessen hat: Hier sind die wesentlichsten Episoden meines China-Tagebuchs.

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#China-Kopfnüsse
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