"100 Jahre Einsamkeit"

100 Jahre Langsamkeit: So verfilmt Netflix Nobelpreisträger

Es ist die bisher teuerste lateinamerikanische Produktion von Netflix - und eine der ambitioniertesten: Gabriel Garcia Márquez' Jahrhundert-Roman "100 Jahre Einsamkeit" wurde als 16-teiliges Serien-Epos adaptiert. Das Ergebnis überzeugt nur zum Teil.

Der Stammvater der Familie Buendía aus Gabriel Garcia Márquez' Jahrhundertroman "100 Jahre Einsamkeit": José Arcadio Buendía (Marco Antonio González), der mit Ehefrau  Úrsula das Dorf Macondo gründet
Der Stammvater der Familie Buendía aus Gabriel Garcia Márquez' Jahrhundertroman "100 Jahre Einsamkeit": José Arcadio Buendía (Marco Antonio González), der mit Ehefrau  Úrsula das Dorf Macondo gründet
Juan Cristóbal Cobo / Netflix
Christian Klosz
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Der Serien-Boom der letzten Jahre brachte nicht nur eine Menge originärer Stoffe hervor, sondern bot auch neue Möglichkeiten, bekannte Geschichten zu adaptieren: Gerade komplexere Werke der Literatur galten oft als im Spielfilmformat unverfilmbar, nicht jede Romanhandlung lässt sich in 2 Stunden akkurat erzählen.

Flexibles Serien-Format Das (Mini-)Serien-Format ist da offener und flexibler, Autoren und Regisseure haben mehr Zeit und Raum, die zu erzählende Geschichte dem Publikum näher zu bringen. So machte sich Netflix unter anderem an die Serien-Verfilmung des chinesischen Mammut-Werkes "3 Body Problem", die Anfang 2024 erschien und weitgehend überzeugte.

Klassiker der Weltliteratur Nun nahm man sich "Hundert Jahre Einsamkeit" vor, einen Klassiker der Weltliteratur und eines der bekanntesten und bedeutendsten spanischsprachigen Bücher überhaupt. Das Werk verhalf seinem Autor Gabriel García Márquez (1927-2014), längst eine Ikone in seiner kolumbianischen Heimat, zum Durchbruch und wurde weltweit über 50 Millionen mal verkauft.

Úrsula Iguarán (Marleyda Soto) in der kolumbianischen Einsamkeit
Úrsula Iguarán (Marleyda Soto) in der kolumbianischen Einsamkeit
Courtesy Of Netflix

Bedenken gegen Verfilmung Dass dieses Projekt überhaupt möglich war, liegt daran, dass "Gabo", wie der Autor genannt wurde, vor 10 Jahren verstarb. Er hatte sich nämlich Zeit seines Lebens gegen eine Verfilmung seines wohl wichtigsten Werkes gewehrt – aus oben erwähnten Bedenken: Er hielt die ausufernde Geschichte, die einen Zeitraum von 100 Jahren abdeckt, schlicht für nicht adaptierbar.

Kolumbianische Serienproduktion Seine Söhne sahen das offenbar anders, sie verkauften die Rechte 2019, 5 Jahre nach dem Tod ihres Vaters, an Netflix, im Serienformat sollte es klappen. Sie verlangten aber, dass die geplante Serie in Kolumbien mit kolumbianischen Darstellern und auf Spanisch gedreht wird. Teil 1 der Resultats, also die ersten 8 von insgesamt 16 Folgen, jede ca. 1 Stunde lang, ist jetzt auf Netflix zu sehen. Wann die restlichen 8 Folgen veröffentlicht werden, ist bisher noch nicht bekannt.

Worum geht's? "Hundert Jahre Einsamkeit" erzählt die Geschichte der (fiktiven) Familie Buendía über mehrere Generationen hinweg. Alles beginnt damit, dass José Arcadio Buendía und seine Cousine Úrsula Iguarán von ihrer Familie dazu gezwungen werden, zu heiraten. Sie weigert sich erst, Kinder zu bekommen - aus abergläubischer Angst, diese würden wegen der Blutsverandtschaft der Eltern mit Schweineschwänzen geboren.

Leidenschaft Wissenschaft Nachdem José Arcadio in einem Duell einen anderen Dorfbewohner tötet, müssen sie ihre Heimat verlassen. Auf der Flucht finden sie ein neues Zuhause: Sie gründen das Dorf Macondo. Dort werden sie regelmäßig von einer Gruppe "Gypsies" besucht. Deren Anführer Melquíades weiht José Arcadio in Wissenschaft und Forschung ein und José widmet diesen fortan seine gesamte Zeit und Leidenschaft. Währenddessen bekommen die Buendías weitere Kinder – allesamt ohne Schwänzchen –, Macondo wird vom Dörflein zur Kleinstadt mit Markt, Handwerksbetrieben, Festen, einem pulsierenden Leben.

100 Jahre Familienleben Die Handlung von "Hundert Jahre Einsamkeit" erstreckt sich – wie der Titel schon verrät – über einen Zeitraum von 100 Jahren, verfolgt die Geschichte der Buendías, aber auch von Macondo, bildet die politischen, sozialen und wirtschaftlichen Umbrüchen der Zeit ab. Wenngleich der Schauplatz fiktiv ist, steht er für die kolumbianische Heimat des Autors, der in seinem Roman auch sein eigenes Aufwachsen verarbeitet.

Und schon heiratet die nächste Generation: Remedios Moscote (Cristal Aparicio) ehelicht Aureliano Buendía (Claudio Cataño), Alvaro García gibt den Padre Nicanor
Und schon heiratet die nächste Generation: Remedios Moscote (Cristal Aparicio) ehelicht Aureliano Buendía (Claudio Cataño), Alvaro García gibt den Padre Nicanor
Pablo Arellano / Netflix

Vom Wachsen einer Welt Wie funktioniert das nun als Serie? So la la. Zweifelsohne ist die visuelle Umsetzung beeindruckend, gerade die Naturaufnahmen sind atemberaubend, die detaillierte Rekonstruktion des Dorfes Macondo ist äußerst gelungen. Es wird hier nicht nur eine Geschichte erzählt, sondern eine Welt zum Leben erweckt, die Serie ist auch das Porträt der Entstehung einer Gemeinschaft.

Kreative Kamera, sinnlicher Sex Auch filmtechnisch wird auf hohem Niveau gearbeitet: Die für die Regie verantwortlichen Alex García López und Laura Mora überraschen mit inszenatorischen Einfällen, gerade der kreative Einsatz der Kamera (schwebende, kreisende Kamerafahrten) sticht hier ins Auge. Und zuletzt zeichnet sich "Hundert Jahre Einsamkeit" durch ein hohes Maß an Sinnlichkeit aus, die Liebes- und Sexszenen werden recht explizit dargestellt, aber nie "billig" oder aus reiner Effekthascherei eingesetzt.

Prächtig inszeniert: Die Serie "100 Jahre Einsamkeit" brilliert durch optische Opulenz und sinnliche Einstellungen
Prächtig inszeniert: Die Serie "100 Jahre Einsamkeit" brilliert durch optische Opulenz und sinnliche Einstellungen
Mauro González/Netflix

Dennoch eine zähe Angelegenheit Während aber all diese Aspekte toll funktionieren, tritt die Geschichte selbst in den Hintergrund. Und das wird zum Problem: Denn die Serie ist zwar optisch ein Augenschmaus und atmosphärisch enorm dicht, aber auch eine äußert zähe Angelegenheit. Am Ende wird die gesamte Produktion rund 16 Stunden Laufzeit umfassen. Man kann nicht davon ausgehen, dass ein Mainstream-Publikum, das Netflix in der Regel nun einmal bedient, so lange dran bleibt.

Fazit Viel Licht, aber auch Schatten: Während die äußere Form von "Hundert Jahre Einsamkeit" beeindruckt, bleibt die Dramaturgie auf der Strecke. Die Serie strahlt eine erzählerische Lethargie aus, die die Handlung vor sich hin plätschern lässt. Das wird sich in den weiteren Episoden kaum ändern. Die ganzen 16 Stunden werden sich nur eingefleischte Fans geben - sofern sie in der Serien-Adaption nicht grundsätzlich einen Affront gegen das Werk der großen Márquez sehen.

"100 Jahre Einsamkeit", Kolumbien 2024, 16 Episoden à ca. 60-70 Min., Episoden 1-8 ab sofort auf Netflix, Episoden 9-16 demnächst

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