Regierungs-Kopfnüsse
238 Unterhändler, etwas Ärger und das Hoffen auf einen Lucky Punsch
Der Start ins Abenteuer Drialition: ÖVP, SPÖ und NEOS versuchen sich in 33 Untergruppen an einem politischen Weihnachtswunder. Wie es läuft, wo der Motor vom Christkindl-Schlitten stottert und warum es den ersten Kolbenreiber gab.
In Wien frühstücken jetzt manche eher herzhaft. Als ich am Samstag am Weihnachtsmarkt Am Hof vorbeischrammte, sah ich Weintrauben von Menschen um die Buden stehen. Alle hatten Punschhäferl in der Hand, aus denen es dampfte. Ein Mann aß ein Lángos dazu, es war knapp nach 10 Uhr vormittags.
Mit KI-Stimme: 238 Unterhändler, etwas Ärger und das Hoffen auf einen Lucky Punsch
Der Aufzug in die Garage bot zu früher Stunde die Gelegenheit für einen kostenlosen Rausch. Wie ein mobiles Punschhäferl fuhr er auf und ab. In der Kabine roch es nach Apfel-Zimt und Schoko-Orange, man musste nur drei Züge nehmen und fertig.
Seit einigen Jahren wird auf Weihnachten nicht mehr eingestimmt, sondern man trinkt sich dem Fest entgegen und das immer zeitiger. Der Kalender kann mit der Fiebrigkeit längst nicht mehr mithalten. Schon seit Mitte November ist die Weihnachtsbeleuchtung eingeschaltet, früher wurde bis zum ersten Einkaufssamstag damit gewartet. Da haben wir uns heuer sicher schon sattgesehen und freuen uns auf den Osterhasen.
Die ersten Märkte machten in diesem Jahr bereits am 7. November auf, recht bald nach Allerseelen also. Die Trinkerseele ist ein weites Land.
In Wien gibt es heuer 14 große Weihnachtsmärkte, kaum eine Stadt in Europa bietet mehr. Auf diesen 14 Märkten bieten 796 Buden ihre Waren an, darunter befinden sich 190 Gastro-Stände. Rund ein Viertel wärmt also eher den Magen als das Herz. Die Gefahr, zu verhungern oder zu verdursten, darf als geringfügig eingeschätzt werden.
Die Punschhütten könnten der Regierung Hoffnung machen, die Menschen sind vielleicht gar nicht so preissensibel wie man immer glaubt. Für Heißgetränke kann auf den Märkten offenbar verlangt werden was auch immer. Im Vorfeld gibt es stets etwas Grummelei, wenn es die Inflation gar arg mit Vogelbeer-Mandel oder Mandarinen-Ingwer gemeint hat. Aber wenn es dann hart auf hart kommt, tut der Preis dem Konsum keinen Abbruch.
Der Mensch ist mitunter ein Fluchttier. Er läuft vor den schlechten Nachrichten davon, es gibt momentan viele davon. Russland schießt neue Raketen ab, die auch Europa erreichen könnten. Die Energiepreise steigen mit Beginn des Jahres unverschämt an, im Jänner soll deshalb auch die Inflation wieder in die Höhe fahren. Die Zeit im Bild gleich jetzt oft einer Geisterbahnfahrt. Früher konnte uns der Sport retten, aber auch da wird jetzt mehr gestritten als gewonnen.
Die allgemeine Stimmung wird auch zum Prüfstein für die mögliche Drialition, das Dreigestirn aus ÖVP, SPÖ und NEOS also. Sie muss Aufbruchstimmung erzeugen, einmal für sich selbst und dann für das gesamte Land.
Am Donnerstag hatte ich wieder einmal das Vergnügen, in die Runde der Chefredakeurinnen auf ORF III eingeladen zu sein. Ich saß in einem dieser edlen Rollstühle aus Leder, die sich als Sessel ausgeben, und bei denen man nie weiß, wo man die Arme hintun soll. So erlebte ich 50 Minuten freundlich vorgetragene akademische Niedergeschlagenheit über Gegenwart und Zukunft. Zum Glück kam nach uns Andreas Gabalier und heiterte das Land etwas auf.
Aber auch das gelingt derzeit nicht allumfassend, mit der Unbedarftheit ist es vorbei. Wenn ich jetzt "Sweet Little Rehlein" höre, dann muss ich unvermittelt an Georg "Flinten-Schorsch" Dornauer denken, dem ein Hirsch Hörner aufsetzte. Polit-Karriere futsch, zumindest für den Augenblick. Das soll auch schon anderen passiert sein, aber da hatten die Verursacher nur in Ausnahmefällen vier Beine.
Auch Karl Nehammer und Andreas Babler sind Jäger, erfuhren wir dieser Tage, vielleicht schließt die Regierungserklärung diesmal mit einem "Waidsmannsheil" und die drei Chefverhandler stecken sich Passagen aus dem Programm als "Beutebruch" an den Hut.
Nur Beate Meinl-Reisinger jagt nicht, aber sie schoss in dieser Woche mit einem Wortbild den Bock ab. Wie sie die Verhandlungen über eine neue Regierung bisher erlebt habe, wurde sie im "Standard" gefragt. Man könne, sagte sie, "innerlich den Kopf schütteln und äußerlich lächeln". Ich probiere das heute aus, vielleicht aber besser andersrum.
Zum Kopfschütteln hat die Neigungsgruppe Politik derzeit wenig Zeit und Muße, weder innerlich noch äußerlich. Am Montag machten Karl Nehammer, Andreas Babler und Beate Meinl-Reisinger den Weg für Regierungsverhandlungen frei. Es fielen viele Sätze, die uns schon in den letzten Wochen erfolglos die Freundschaft angetragen hatten.
Zu "kein Weiter wie bisher" oder "konstruktiv" setzte sich nun "wir haben die Weichen gestellt, weil wir wollen und nicht weil wir müssen" zu uns auf die Ofenbank. Etwas lieblicher formuliert findet sich der Spruch auf vielen Hochzeitskarten.
Die Parteien waren natürlich auf diesen Moment vorbereitet, aber wiederum auch nicht. Die ÖVP lud alle ihre Unterhändler noch am Montag zu einem Treffen nach Wien ein, es war eine Mischung aus Einstimmung und Befehlsausgabe. Aber sie erreichte den Zuhörerkreis nicht vollumfänglich und das sorgte im Nachgang für Irritationen.
Die Parteien hatten sich nämlich darauf geeinigt, höchstens fünf Personen pro Untergruppe zu nominieren. Der Volkspartei war beim Zählen ein bisschen was durcheinandergekommen und deshalb endete die Untergruppen-Karriere für ein paar Unterhändler schon am Montag. Sie wurden ausgeladen. Oder, genauer gesagt, nicht mehr eingeladen.
Die SPÖ stand vor einem ähnlichen Dilemma, aber sie löste es, wie soll man sagen, anders. Für die Untergruppe "Bildung und Wissenschaft" wurden acht Personen zu den Verhandlungen gebeten. Ob aus Irrtum oder Tollkühnheit lässt sich nicht mehr feststellen. Damit die Höchstzahl nicht überschritten wird, kommt es nun jedenfalls zu einer "Rotation". Eine immer andere Fünferformation schwirrt bei den Verhandlungen an.
Das "Unternehmen Bienenschwarm" nahm am Donnerstag Gestalt an. Da wurden die Regierungsverhandlungen offiziell eröffnet und das ohne viel Trallala. Dabei wäre es stimmungsvoll gewesen, wenn sich die Hobbyjäger Karl Nehammer und Andreas Babler auf die Rampe des Parlaments gestellt und in Jagdhörner geblasen hätten. Für Beate Meinl-Reisinger wäre es eine erneute Möglichkeit gewesen, innerlich den Kopf zu schütteln.
In 33 Untergruppen wird nun verhandelt, aber man darf sich das nicht vorstellen wie bei einem Le-Mans-Start. Es sprangen nicht alle gleichzeitig in die Autos. Einige Gruppen haben schon begonnen, aber die letzten fangen erst am kommenden Mittwoch an, der überwiegende Teil tagt im Parlament.
Es wurden einmal Termine bis in die zweite Dezemberwoche hinein verplant. Für den 12. Dezember hat sich die "Steuerungsgruppe" einen Zwischenbericht erbeten. Der Termin wird ungern kommuniziert. Es soll der "Druck vom Kessel genommen werden", wie eine Verhandlerin sagte. Man will sich auch von Journalisten nicht ständig auf diesen Tag festnageln lassen. In den Gruppen kennt den Termin jeder.
Einige der Verhandler stehen vor Mammutaufgaben. Wenn man sich alle Gruppen inklusive "Steuerung" und "Koordination" anschaut, dann waren 452 Jobs zu vergeben. Diese 452 Jobs werden nun aber von 238 Verhandlerinnen und Verhandlern übernommen, es sitzen also viele Personen in vielen Gruppen, viele sitzen sogar in sehr vielen Gruppen.
Es muss dazugesagt werden, dass mehrere Listen über die Teams kursieren. NEOS und SPÖ haben ihre Verhandler transparent gemacht, die ÖVP hält sie geheim. Bei den NEOS besetzen 57 Personen 165 Jobs, jeder schupft also im Schnitt drei Ausschüsse.
Karin Doppelbauer und Niki Scherak reißt es am meisten herum. Beide sitzen in jeweils acht Clustergruppen oder Untergruppen. "Schaffbar", sagt Doppelbauer. Sie kümmert sich auch um das Ressort "Konsument:innenschutz und Energiepreise". Die NEOS gendern Thementitel, die anderen beiden Parteien nicht.
Die Stimmung sei gut, ist häufig zu hören, von Aufbruch ist die Rede, von Optimismus, viele zeigen sich momentan sehr umtriebig, willig, auch bereit, die eigene Ideologie nicht vor sich herzutragen. Die Hauptgruppe "Regionen, Mobilität, Klima und Landwirtschaft" hat sich bis 6. Dezember 20 Termine gegeben, geredet wird in den jeweiligen Untergruppen abwechselnd von 8 Uhr bis 19 Uhr.
Die meisten Untergruppen versuchen, mit drei bis fünf Terminen das Auslangen zu finden. Es kommt zu hochkarätigen Paarungen. Bei Claudia Plakolm gegen Sepp Schellhorn zum Thema "Inflationsbekämpfung und Wohnen" möchte man Mäuslein sein, beim "Gesundheits"-Duell zwischen Andrea Kdolsky und Wolfgang Sobotka, miteinander in langjähriger Feindschaft verbunden, müsste sich das Mäuslein die Ohren zuhalten.
Viel Disruption darf man sich bei "Bildung und Wissenschaft" nicht erwarten, da trifft Bildungsminister Martin Polaschek auf seinen Vorgänger Heinz Faßmann. Als einziger Landeshauptmann ist Anton Mattle aus Tirol dabei, er habe sich in die Untergruppe "Verkehr und Mobilität" selbst hineinreklamiert, sagte er dem ORF. Am Ende funktioniert Österreich dann doch wie immer.
Die Parteichefs gaben diese Woche Interviews in Serie. Sie betonten dabei unisono, keine roten Linien auslegen zu wollen und legten sie dann doch irgendwie aus. Zweites Kindergartenjahr? "Ja, das ist eine Forderung, mit der wir in die Verhandlungen gehen", sagte Meinl-Reisinger. Nicht leistbar ohne Gegenfinanzierung, antwortete die SPÖ. Trikotwerbung für Kinder ginge, Ronaldo und Messi machen recht viel Geld damit.
Diese kleinen Scharmützel wird es in den nächsten Wochen mehrfach geben, das bietet für die Verhandler keinen Anlass zur Sorge. Eine andere Beobachtung sehr wohl. Die SPÖ hat den Eindruck, dass der Wirtschaftsflügel der ÖVP in den Untergruppen gegen die Drialition arbeitet. Sogar von "Sabotage" ist die Rede und von "Sekkiererei". Da würden Funktionäre an einer Absprungbasis Richtung FPÖ arbeiten, sagt ein Verhandler.
Sichtbares Zeichen: Als die SPÖ in dieser Woche für eine Untergruppe Termine vereinbaren wollte, ließ sie die ÖVP abblitzen. "Die Termine brauchen wir nicht zu koordinieren, die legen wir allein fest", wurde den verdutzten Roten beschieden.
Ich wünsche einen punschlos glücklichen Sonntag. Heute wählt die Steiermark. Das kann große Auswirkungen auf die Regierungsverhandlungen in Wien haben oder gar keine. Wir werden sehen, ob wir innerlich den Kopf schütteln müssen. Bis in einer kleinen Weile!