neue Serie "Lockerbie"
270 Tote: Die verzweifelte Suche eines Vaters nach Wahrheit
Auch 36 Jahre nach dem Anschlag auf eine Pan Am-Maschine über Schottland sind die Hintergründe des Attentats unklar. "Lockerbie" mit Oscar-Gewinner Colin Firth schildert den Kampf eines Vaters gegen das Schweigen der Behörden. Ab sofort auf Sky X.
Der "Lockerbie-Absturz" gilt bis heute als der schwerwiegendste Terroranschlag in der Geschichte Großbritanniens. Den Namen bekam er durch den schottischen Ort Lockerbie, über dem am Abend des 21. Dezembers 1988 eine Boeing 747 der US-Fluggesellschaft Pan Am mit der Flugnummer 103, die Richtung Detroit unterwegs war, durch eine Explosion auseinandergerissen wurde. Dabei starben alle 243 Passagiere und 16 Crew-Mitglieder, die vom Himmel fallenden Teile töteten weitere 11 Menschen und zerstörten viele Häuser am Boden.
Unklare Hintergründe Während rasch klar war, dass es sich bei der Tragödie um einen terroristischen Anschlag handelte, konnten der exakte Hergang des Anschlags und die genauen Hintergründe bis heute nicht rekonstruiert werden. Das FBI stellte 1991 Haftbefehle für zwei Libyer aus, die 1999 vom damaligen Machthaber des Landes, Muammar al-Gaddafi, ausgeliefert wurden, 2001 wurde einer der beiden als Verantwortlicher verurteilt.
Nur ein Bauernopfer? Doch viele Puzzleteile blieben weiter unklar: Etwa wie die Bombe unentdeckt an Bord kommen konnte, oder wie sie gezündet wurde. Und auch warum britische Regierungsbehörden Warnungen vor einem möglichen Anschlag zurückhielten, die in den Tagen vor dem Absturz kursierten. Zudem gibt es auch die These, dass der verurteilte Libyer nur ein Bauernopfer gewesen sein soll, die wahren Hintermänner der Tat in einer palästinensischen Terror-Organisation zu finden sind und/oder aus sicherheitspolitischen Überlegungen geschützt wurden.
Die Suche nach der Wahrheit Diese Theorie vertritt auch der Arzt Jim Swire, der seine Tochter Flora bei dem Flugzeugabsturz verlor und sein Leben seither der Suche nach der Wahrheit hinter dem Attentat widmet. Er tat sich als Fürsprecher und Kämpfer für die Anliegen der Hinterbliebenen hervor, die Antworten von den Behörden wollten. Bei seinen Nachforschungen legte er sich mit der britischen Regierung an, die eine unabhängige Untersuchung des Vorfalls verweigerte. Die 5-teilige Mini-Serie "Lockerbie" dokumentiert nun Jim Swires Kampf für Wahrheit und Gerechtigkeit.
Buch-Adaption Die Serie basiert auf dem 2021 erschienenen Buch "The Lockerbie Bombing: A Father's Search for Justice", das Swire, der inzwischen 89 Jahre alt ist, gemeinsam mit Peter Biddulph veröffentlicht hat. Es ist dies übrigens die erste von 2 britischen Serien zum selben Thema, die dieses Jahr veröffentlicht werden sollen: Auch die BBC hat eine 6-teilige Serie in Auftrag gegeben, die nach der linearen Ausstrahlung auch auf Netflix veröffentlicht werden soll.
Familienidylle … In dieser ersten Umsetzung spielt Colin Firth (Oscar für "The King's Speech" 2010) Jim Swire – eine gute Wahl, wie sich im Laufe der 5 jeweils einstündigen Episoden zeigt. Die erste Episode führt das Publikum recht flott und mit dramatischen Bildern in die Handlung ein: Die Familie Swire verbringt die Vorweihnachtstage gemeinsam in ihrem Haus in London, bevor sich Tochter Flora für einen Trip in die USA verabschiedet. Als ihre Schwester sie am Flughafen absetzt, scheint die Welt noch in Ordnung.
… jäh zerstört Was scheint wie ein idyllischer Familienabend, wird jedoch jäh zerstört, als erste TV-Sendungen über den Absturz eines Pan Am-Flugzeuges aus London berichten, das auf dem Weg in die USA war: Mit jeder Minute wächst die Gewissheit, dass es Floras Flug sein könnte, bis es - Stunden später - durch eine Pan Am-Mitarbeiterin per Telefon bestätig wird.
Schockierende Bilder Den Absturz selbst zeigt die Serie in schockierenden Szenen: Vom Himmel stürzende Flugzeugteile zerstören das Städtchen Lockerbie. Besonders grauenvoll sind die Bilder von vom Himmel fallenden Menschen, die die Weide eines Farmers übersäen.
Im Stich gelassen Im weiteren Verlauf konzentriert sich die Serie auf Jim Swire. In Zusammenarbeit mit einem Lokaljournalisten aus Lockerbie findet er heraus, dass es eine Telefon-Warnung vor einem möglichen Anschlag gegeben hatte, die von den Behörden schlicht ignoriert wurde. Sein Kampf führt ihn zum verantwortlichen britischen Minister, der ihn erst abblitzen lässt, dann seinen Einsatz verspricht – doch am Ende verlautbart die Regierung Thatcher, keine weitere Untersuchung anzuordnen.
Kämpfen statt trauern? Swire motiviert das aber nur weiter, mit umso größerer Beharrlichkeit forscht er nach der Wahrheit. Und spaziert schließlich sogar selbst mit einer Bomben-Atrappe in einen Flughafen, um die Sicherheitslücken sichtbar zu machen. Swires Frau, die ihn erst noch unterstützt, kommen langsam Zweifel an dem unerbittlichen Vorgehen ihres Mannes: Er würde seinen Kampf nur führen, um nicht trauern zu müssen, hält sie ihm vor.
Ein Mann gegen das System Der große Verdienst von "Lockerbie" ist es, den Kampf eines Mannes, der sich allein gegen übermächtige Gegner, Behörden und die "Staatsräson" stellt, gekonnt zu illustrieren. Die Serie ist einerseits ein Familien-Drama, indem sie zeigt, was solche Tragödien mit den Hinterbliebenen machen. Es ist aber auch ein spannender Polit-Thriller, der einen der schlimmsten Anschläge in der modernen Geschichte als Puzzle präsentiert, bei dem immer noch Teile fehlen.
Fazit So gelingt "Lockerbie" der Spagat zwischen Anspruch und Unterhaltung, zwischen Information und Emotion. Gute Darsteller und eine stilistisch hochwertige Umsetzung ergänzen eine spannende Geschichte nach wahren Begebenheiten, die auch als Serie funktioniert. Und die ganz nebenbei eine interessante Geschichtslektion darstellt.
"Lockerbie: A Search For Truth", Großbritannien 2024, 5 Episoden à ca. 60 Minuten, ab sofort auf Sky X