Kopfnüsse
50 Tage Regierung: Nach Ostern ist die Zeit der Eiertänze vorbei
Am 3. März bekamen wir eine neue Regierung. Und die neue Regierung bekam uns. Am Ostermontag ist die Dreifaltigkeit 50 Tage im Amt und ab jetzt stehen die ersten echten Bewährungsproben an: Es geht um viel Geld. Und um Gerechtigkeit.

In einer Woche wählt Wien, der Wahlkampf bemüht sich weiter redlich, einer zu werden. Die FPÖ bespielt ihr Leibthema in der gewohnten Zurückhaltung, die übrigen Parteien wissen nicht so recht, was sie uns sagen wollen.
Weil die Parteien nicht so recht wissen, was sie uns sagen wollen, wissen auch die Medienvertreter nicht so recht, was sie fragen sollen. Das sorgt für ein gegenseitiges Dilemma. Also wird es persönlich.
Mit KI-Stimme: Geschmuse, Gebete und Gespritzte
In den Zeitungen und den elektronischen Darreichungen menschelt es jetzt häufig. Wiens Politikerinnen und Politiker werden uns nicht über den Umweg von Inhalten, sondern als Charakterstudien nähergebracht. Wir erfahren, was sie gern essen, wovor sie sich fürchten, wie sie ihre Haustiere füttern, ungeachtet, ob wir das jetzt wissen wollen oder nicht.
Vielleicht wird es am Wahltag Menschen geben, die keine Vorzugsstimme vergeben, sondern am Stimmzettel dazuschreiben: "Es gehört viel mehr gschmust." Der Wahlkampf, den es nicht gibt, ist inzwischen nämlich ziemlich intim. Den aktuellen Blick durchs Schlüsselloch verdanken wir dem ORF.

Radio Wien schenkte den Spitzen der Parteien jeweils eine Stunde Sendezeit, damit sie sich von der Schokoladenseite her zeigen können, selbst wenn es eine solche gar nicht geben sollte. Der Zweck bestand darin, "den Menschen hinter dem Politiker" zu beschreiben. Nach dem Konsum aller fünf Exponate kann ich sagen: das Ziel wurde übererfüllt.
Die Gespräche begannen jeweils um 12 Uhr. Zu High Noon erfuhr die Stadt beim Gurkenhacheln oder Knoblauch schreddern für den Mittagssalat, wie sich der Alltag der Stadtpolitiker so gestaltet.

In das erste Gespräch stolperte ich regelrecht hinein. Ich war zufällig im Auto unterwegs, als Karl "Habibi" Mahrer eine Frage gestellt wurde, die mir immer schon unter den Nägeln brannte. Oder auf der Zunge lag. Oder, die ich im Herzen bei mir trug. Die Moderatorin wollte – warum auch immer – von Mahrer wissen: "Sprechen Sie eigentlich vorm Mittagessen ein Tischgebet?"
Er hätte jetzt antworten können: "Nein, meine Partei genügt mir als Buße." Oder: "Was geht Sie das eigentlich an?" Aber Mahrer ist ein höflicher Mann. An seinem Benehmen wird es nicht liegen, dass er am 27. April mutmaßlich keine absolute Mehrheit erreichen wird.
"Nein", sagte er stattdessen, seine Frau und er würden vorm Mittagessen kein Tischgebet sprechen. Ehe jetzt alle Volkspartei-Anhänger ihren Spitzenkandidaten auf die Liste für eine ehebaldige Exkommunikation setzen: der Grund für den Frevel ist recht banal.
Mahrer und seine Frau sind beide berufstätig. "Wir sehen einander zu Mittag selten", sagte er und meinte eigentlich: ein gemeinsames Tischgebet ohne gemeinsamen Tisch ist so nutzlos wie ein amtsführender Stadtrat ohne Amt zum Führen. Wenn auch schlechter bezahlt.

Am Tag darauf erfuhr ich, dass auch Bürgermeister Michael "von da her" Ludwig zu Mittag kein Tischgebet spricht, aber er hat eine andere Ausrede. Er isst nicht. Also er isst schon, jeder Bär braucht für den Winter Reserven, aber selten zu Mittag, und wenn, dann Schokolade. Von dem "heimlichen Laster, könne er "nur schwer die Finger lassen", sagte Ludwig von da her.
Der Wiener Bürgermeister schaut aber nicht nur auf sich, sondern auch auf andere. Deshalb hat er daheim ein "Hummelhaus" und ein "Igelhaus", erzählt er. Ludwig wohnt bekanntermaßen in einer Kleingartensiedlung, deren Opulenz er aber live auf Sendung ziemlich zurechtstutzte. Er besitze in einem kleinen Kleingartenverein nur einen kleinen Kleingarten, sagte er. Aber für ein "Hummelhaus" und ein "Igelhaus" muss abseits vom Rathaus trotzdem Platz sein.
Der kleine Kleingartenverein, in dessen Wirkungsstätte Michael Ludwig einen kleinen Kleingarten besitzt, ist so klein, dass er nicht einmal ein Verein ist, sondern an einen Zentralverband angedockt wurde. Dieser Zentralverband schaut auch auf seine Leute. Er bietet etwa eigene "Baumschnittkurse" an, die Ludwig "sehr interessieren" würden, wie er sagte.
Da passte ins Bild, dass die Moderatorin den Bürgermeister immer wieder unterstellte, er habe "eine romantische Ader", was nicht allen in der Partei bisher bewusst war, vor allem jenen nicht, die schon zur Ader gelassen wurden.
Auch sein Heiratsantrag im Wiener Gemeinderat fiel eher holzschnittartig aus. Die Zukünftige saß auf der Tribüne, als Ludwig seine Antrittsrede als Bürgermeister hielt. "Ich habe meine Frau eingeladen, mich zu heiraten", schilderte er das Geschehene nun im Radio. Es soll schon Männer gegeben haben, die hatten in diesen Momenten sprachlich eine romantischere Ader.

Da ist "Habibi" Mahrer aus ganz anderem Resopalholz geschnitzt. Er wohnt eingerichtet "zwischen Ikea und XXL Lutz", wie er sagte, kann seiner Bulldogge Xaver nicht widerstehen, wenn er von ihr angebettelt werde, und busselt vorm Schlafengehen immer seine Frau ab und sie ihn. Es wurde eine Woche lang wirklich intim beim Gurkenhacheln, ich denke, ich habe nicht zu viel versprochen.
Wir erfuhren auch noch, dass Mahrer sehr viel früher DJ war. Als "Discjockey Charly" sei er unter der Woche in Wien zugange gewesen, am Wochenende dann in Niederösterreich am Land, erzählte er. Ich erwähne das mit Bedacht. Morgen ist Ostermontag, da können Sie die Bilder wieder aus dem Kopf bekommen.
Die übrigen drei Interviews konnten, was Enthüllungen betrifft, da nicht mehr ganz mithalten. Von NEOS-Spitzenkandidatin Bettina Emmerling erfuhren wir, dass es sie tatsächlich gibt. Von Judith Pühringer auch.
Die Wiener Parteichefin der GRÜNEN verriet obendrein, dass sie fünf Töchter hat, drei brachte ihr Mann als "Bonuskinder" in die Beziehung mit. Nachdem sie sich selbst als "Bobo" geoutet hatte, wurde Pühringer von der Moderatorin hörbar überrumpelt. "Wann sie das letzte Mal geschmust" habe, wollte sie wissen. Kurzes Zögern, dann die Antwort: "gestern". Wissen wir das auch.

Mit wem Dominik Nepp schmust, wurde nicht im Detail verraten. Der FPÖ-Chef halte sein Leben lieber privat, sagte die Moderatorin, ehe Nepp sagen konnte, dass er sein Privatleben lieber privat halte. Er hat eine Frau, zwei Teenager-Töchter und zwei acht Monate alte Zwergdackel namens Otto und Hanni, zum Schmusen gäbe es also genug Personal.
Vielleicht scheitert das an den äußeren Umständen des Lebens eines FPÖ-Chefs. Das zwinge ihn mittags öfters zu "einer Schnitzelsemmel im Auto", verriet Nepp. Ob die mit oder ohne Tischgebet eingenommen werde, wurde er nicht gefragt.
Dazu komme im Wahlkampf mitunter auch schon vor 11 Uhr ein Spritzer, bekannte der Blaue ein, wenn er etwa im Simmering unterwegs sei. Allerdings wisse jeder selbst, wo seine Grenzen liegen würden. Sein eigenes Pensum umriss er so: "Ein paar Gespritzte gehen da schon."
Sie sehen also, die Auswahl am 27. April ist ziemlich groß. Sie können zwischen einem Hummelhaus-Besitzer, einer Schmuserin, der großen Unbekannten, Discjockey Charly oder dem G'spritzten wählen. Wer da nichts findet, dem ist wirklich nicht mehr zu helfen.

Die Bundesregierung schaut aus einem anderen Blickwinkel auf die Wien-Wahl. Sie markiert einen Wendepunkt. Planmäßig finden erst 2027 die nächsten größeren Wahlen statt, in Tirol und Oberösterreich werden mutmaßlich im September die Landtage gewählt. Heißt: Fast zweieinhalb Jahre, 29 Monate lang, muss die Politik nicht nach bevorstehenden Urnengängen ausgerichtet werden.
Ich halte diese Selbstfesselung ja für eine Ausrede. Wer etwas nicht entscheiden kann oder will, schiebt die Verantwortung gern der Wählerschaft zu, die launig sei und bei der Stange gehalten werden müsste. Ein Beweis für die These wurde noch nicht erbracht, aber wenn sich jeder daran hält, ist das auch nicht nötig.
Am Ostermontag ist die aktuelle Regierung 50 Tage im Amt. Ich weiß von keinen großen Festen, es gibt auch wenig zu feiern. Ich will jetzt nicht schon wieder anschobern, aber es stimmt wohl: die nächsten Wochen werden entscheidend sein.
Die Koalition war bisher mitnichten untätig. Im Gegenteil, sie hat fast hyperventiliert, zwei, wenn auch mäßig gehaltvolle, Klausuren abgehalten, Vorhaben präsentiert, Gesetze auf den Weg gebracht, gute Laune verbreitet.
Aber Fröhlichkeit allein hat noch kein Budget saniert. Und um der Wahrheit die Ehre zu geben: Bisher wurde nur in die kleinen Osternester gegriffen. Jetzt ist der Eiertanz vorbei.

Am 13. Mai, 16 Tage nach der Wienwahl, hält Finanzminister Markus Marterbauer seine Budgetrede im Parlament. Am Osterwochenende erfuhren wir, dass Österreich heuer ein Defizit von 4,5 Prozent ausfasst.
Bis Ende 2026 sind 8,7 Milliarden Euro aufzutreiben, durch weniger Ausgaben und mehr Einnahmen. Jedenfalls nicht, indem wir irgendeinen Kuchen größer machen, wie uns Kanzler Karl Nehammer noch im September-Wahlkampf 2024 vorgegaukelt hat.
Die Budgetkrise wird ab jetzt alle anderen Themen in den Hintergrund drängen. Sie wird auch zu einer sehr toxischen Debatte führen. Wenn einmal tatsächlich die ersten Euros im Geldbörsel fehlen, dann mischen sich zwei elementare Fragen zu einem explosiven Gebräu: Wer hat uns in diese Lage gebracht? Und wer zahlt jetzt die Zeche?
Verantwortung und Gerechtigkeit, zwischen diesen beiden Leitplanken des politischen Lebens entlang wird die Diskussion in den nächsten Wochen geführt werden. Auch in der fröhlichsten Koalition aller Zeiten. ÖVP, SPÖ und NEOS eint Wunsch und Wille zu regieren. Aber die grob unterschiedlichen ideologischen Standpunkte sorgen zwangsweise dafür, dass Verantwortung und Gerechtigkeit anders gesehen werden.

Die Schuldfrage auf die Bevölkerung abzuwälzen, wird nicht funktionieren. Sie war nicht gierig, sie hat der Regierung kein Geld abgepresst. Die gegenwärtige Situation ist die Folge einer Kette von politischen Fehlentscheidungen, für die bisher niemand die Verantwortung übernommen hat. Auch das wird noch für böses Blut sorgen.
Die Sanierung wird grobe Einschnitte bringen. "Alle Bevölkerungsgruppen werden davon betroffen sein", kündigte Finanzminister Markus Marterbauer in dieser Woche in den sozialen Medien an. Aber sein Ziel sei es, "dass die breiten Schultern einen größeren Anteil an der Budgetsanierung tragen als die schmalen Schultern. Budgetsanierung wird nur dann erfolgreich sein, wenn sie auch gerecht ist."
Gerechtigkeit? Da hat niemand etwas dagegen. Aber die breiten Schultern werden sagen, sie sind gar nicht so breit. Die schmalen Schultern werden sagen, sie können nichts beitragen, weil sie ohnehin schon so schmal sind. Die breiten Schultern werden sagen, wenn die breiten Schultern noch mehr schultern müssen, dann geht es allen schlechter, den breiten Schultern und den schmalen.
Die schmalen Schultern werden sagen, sie sind nicht schuld an dem Desaster. Die breiten Schultern werden das auch sagen. Beide werden sagen, dass andere Schultern die neuen Lasten tragen müssten, denn die hätten das Debakel schließlich angerichtet. Verantwortung und Gerechtigkeit, diese Fragen werden sich stellen. Sie dürfen nicht auf die leichte Schulter genommen werden.

Ehe sich die Regierung dem Budget widmet, versuchte sie sich an der Sanierung der Schulpolitik. Christoph Wiederkehr wurde über den Weg einer Beförderung eine zweite Chance eingeräumt. Als Bildungsminister soll er nun reparieren, woran er als Bildungsstadtrat gescheitert war.
45 Prozent der Erstklässler in Wien, dem früheren Zuständigkeitsbereich von Wiederkehr, sprechen nicht ausreichend gut Deutsch, um dem Unterricht folgen zu können. Nun soll es radikal mehr Geld geben und mehr Personal, beides wächst nicht auf den Bäumen. Aber selbst wenn beides auf den Bäumen wachsen würde, findet sich niemand, der die Früchte erntet.
Ohne jetzt in die Schuldebatte einsteigen zu wollen – das würde den Rahmen hier sprengen – , nur ein Beispiel aus meinem privaten Bereich, ich kenne einige ähnlich gelagerte Fälle. Auch Quereinsteiger, die monatelang auf ihr Geld warten mussten und längst schon wieder über alle Berge sind. Aber nur als Illustration, warum die Lage so ist wie sie ist.

Waltraud B. war Lehrerin in Wien. Waltraud B. heißt natürlich nicht wirklich Waltraud B., aber was stimmt ist, dass sie Englisch und Französisch an einem öffentlichen Gymnasium unterrichtet hat und das mehrere Jahrzehnte lang. Sie war bei ihren Schülerinnen und Schülern durchaus beliebt, wie Pädagogen halt beliebt sein können, da ist ein Rahmen ausgesteckt.
Als Waltraud B. 60 Jahre alt wurde, dachte sie kurz daran aufzuhören, aber der Job, der nicht nur ein Job war, machte ihr immer noch Freude. Also hängte sie noch ein Jahr dran und noch eins und flugs war sie 65. Da gehen Männer in Pension. Oder echte Kerle wie Waltraud.
Die hätte sich vorstellen können, noch ein bisschen weiterzumachen. Sie ist Witwe, der Sohn aus dem Haus. Also schrieb sie ihrem Dienstgeber und bot ihre Arbeitskraft an. Einfach so.
Es soll zu wenige Lehrerinnen und Lehrer in Wien geben, das ist ständig in allen Medien zu lesen, zu hören und zu sehen. Händeringend werde nach Personal gesucht, heißt es. Der neue Minister, der immer so nett lächelt, ringt an vorderster Front mit.

Ich weiß nicht, mit wem die Hände ringen, wohl mehr mit sich selbst, denn Waltraud B. erhielt lange nicht einmal eine Antwort auf ihr Angebot. Erst kurz vor dem regulären Pensionsantritt traf dann doch ein Schreiben ein, die händeringenden Hände hatten sich dazu durchgerungen.
Man freue sich über die Bereitschaft der Kollegin, auch weit über das reguläre Pensionsantrittsalter hinaus an der Schule tätig sein zu wollen, hieß es darin. Leider könne man aber als Bezahlung nur das Einstiegsgehalt einer Junglehrerin anbieten.
Waltraud B. hätte, wenn sie weiter arbeiten gegangen wäre, deutlich weniger verdient, als ihr Ruhegenuss ausmacht. Sie packte ihre sieben Zwetschgen und trat die Pension an. Die händeringenden Hände müssen weiter händeringend Personal suchen.

Sie sollten damit bald fertig sein, denn bei all dieser Sucherei und Geldnachschmeißerei wird eines gern vergessen: es geht nicht allein um die Kinder, die zu wenig Deutsch können. Es geht auch um die Kinder, die mit den Kindern, die zu wenig Deutsch können, in den Klassen sitzen. Um das in aller Klarheit zu sagen: Wir verlieren da gerade eine ganze Bildungsgeneration mit all den Folgen.
Denn was passiert denn, wenn ein großer Teil der Klasse Lerndefizite hat? Alle verlieren. Die Guten, die nicht besser werden und die Schlechten, die nicht gut werden.
Daneben boomen Privatschulen, die sich vor Interessenten kaum mehr wehren können. Aber die muss man sich einmal leisten können. Für die erste Klasse Volksschule im Wiener Theresianum sind aktuell 971 Euro Schulgeld zu bezahlen. Im Monat.
Ein Krisengipfel, bei dem das Thema ganzheitlich gedacht wird, wäre jetzt nicht schlecht. Sonst bleibt wieder das übliche Gemurkse.
Ich wünsche einen ganzheitlich wunderbaren Ostersonntag! Bis in einer kleinen Weile!