Kopfnüsse

Ein Präsident am Rodeo Drive, ein Kanzler als Küsserkönig

Die neue Regierung wurde angelobt, die alte ging aus dem Amt. Wer nun ein Leiberl hat, wer sich Hilfe von Gott erbat und wer uns empfahl, mehr an das zu glauben, was wir sind (ohne ins Detail zu gehen). Der Fotoroman zu einem historischen Tag.

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Präsidentschaftskanzlei, Peter Lechner
Newsflix Kopfnüsse
Akt. Uhr
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Um ein Haar wäre ich Teil der neuen Bundesregierung geworden. Es gibt Kelche im Leben, bei denen es gut ist, wenn sie an einem vorüberziehen, und das war auch diesmal so.

Mit KI-Stimme: So erlebte ich die Angelobung

Ich stand im Maria-Theresien-Zimmer in der Hofburg. Die Angelobung war eben zu Ende gegangen und die Festtags-Gesellschaft machte sich nach der Salbung auf zu einem Raum weiter, um dort die Labung zu erhalten – der neue Kanzler, sein Vize, die Ministerinnen und Minister und die nicht so kleine Gruppe aus Staatssekretärinnen und Staatssekretären, mitsamt allen Angehörigen.

In diesem Moment kamen zwei Damen vom Protokoll zu mir und drängten mich zur Eile. Ich möge doch bitte so freundlich sein und endlich weitergehen ins Jagdzimmer, in dem Speis und Trank geboten werde. Sie sahen in ein verdutztes Gesicht, es gehörte mir.

"Ah, sind sie gar kein Angehöriger?", fragte mich eine der beiden Damen vom Protokoll nach ein paar kurzen Momenten. "Nein", antwortete ich und biss mir gleichzeitig auf die Zunge. Ein Wort und die Welle hätte mich mitten hineingespült in die neue Regierung. Als achter Staatssekretär wäre ich vielleicht für dies und das zuständig gewesen. Auf einen mehr wäre es auch nicht mehr angekommen.

Ihr drei bleibt's jetzt einmal dort stehen, bis euch der Chef abholt, klar?
Ihr drei bleibt's jetzt einmal dort stehen, bis euch der Chef abholt, klar?
Helmut Graf

Die Hofburg wurde über einen Zeitraum von mehreren hundert Jahren errichtet. Es kamen immer wieder Anbauten dazu, Carports etwa, die später als Bibliothek genutzt wurden.

Das Förderwesen ist keine Erfindung der Neuzeit, Geld gab es auch früher schon durchaus üppig. Der Großteil floss allerdings dem Kaiserhaus zu, das fanden alle in Ordnung, und wenn nicht, spielte es auch keine Rolle. So entstand mit der Zeit am Heldenplatz ein Mehrfamilienhaus, das heute richtig was hermacht.

Im Leopoldinischen Trakt gehen Alexander Van der Bellen und sein Hund den Amtsgeschäften nach. Der Bundespräsident lässt momentan die Fassade des Mehrfamilienhauses herrichten. Im Regierungsprogramm steht, dass jetzt bald auch für Photovoltaik-Anlagen Umsatzsteuer zu bezahlen ist, vielleicht wollte Van der Bellen schnell noch etwas Geld abstauben.

So, jetzt bin ich da, und jetzt ist eine Ruh' in der Hütt'n
So, jetzt bin ich da, und jetzt ist eine Ruh' in der Hütt'n
Helmut Graf

Es ist schade, dass die Photovoltaik noch nicht montiert ist, denn am Montag hätte sich viel Energie erzeugen lassen. Als das Dreierlei aus der Politik angelobt wurde, grinste die Sonne fast unverschämt vom Himmel. Sie hatte allen Wolken einen Tag frei gegeben, oder den Cirren war die ganze Warterei auf die neue Regierung mit der Zeit zu blöd geworden. Uns ja fast auch.

Das Mehrfamilienhaus von Alexander Van der Bellen ist recht groß geraten und deshalb muss man ungefähr 100 Schritte einen Gang entlang gehen, um dorthin zu kommen, wo es interessant wird, ins Maria-Theresien-Zimmer nämlich. Im ehemaligen Schlafgemach der Kaiserin, der Schnarchothek also, ging in den vergangenen Jahren die Post ab. Als der Montag vorbei war, hatte Van der Bellen nach offiziellen Angaben die 197. Angelobung hinter sich gebracht.

Die Größe des Gebäudes erwies sich diesmal als Vorteil, denn es landeten an diesem Tag nicht nur die Hauptregierung und die Staatssekretärs-Nebenregierung an, sondern auch Reporter und Kamerateams und Fotografen, dazu die Verwandtschaft der nun nicht mehr künftigen Regierung.

Bei dieser Regierung sind ziemlich viele Hände im Spiel
Bei dieser Regierung sind ziemlich viele Hände im Spiel
Helmut Graf

Der Besucherstrom musste auf mehrere Räume aufgeteilt werden, die Journalisten wurden im Maria-Theresien-Zimmer hinter einer Kordel versammelt, eng an eng. So standen wir da wie Ölsardinen, ohne zu wissen, wie Ölsardinen eigentlich sonst so dastehen. Zum Glück war gut eingeheizt.

Um 10.45 Uhr marschierte der Regierungs-Tross ein und man muss sagen, 21 Personen sind schon mehr als man üblicherweise zum Viererschnapsen braucht. Der künftige Kanzler, sein Vize und die Dritte im Bunde ließen den Rest stehen und verschwanden mit dem Bundespräsidenten hinter der Tapetentür mit dem Ananas-Damast. Hinter der Ananas-Tür wäre sich jetzt ein Viererschnapser ausgegangen.

Das Protokoll sieht ein Gespräch der Regierungsspitze mit dem Bundespräsidenten vor, aber das Protokoll meint es nicht immer gut mit den Menschen. In diesem Fall bedeutete es, dass rund 100 Personen für geraume Zeit weitgehend bewegungslos und im Abstand von vier Metern zueinander in einem Raum zu stehen kamen und aussahen wie bestellt und nicht abgeholt.

Dich haben sie auch wieder genommen, das hätte ich gar nicht mehr erwartet
Dich haben sie auch wieder genommen, das hätte ich gar nicht mehr erwartet
Helmut Graf
Sind das alles Muskeln, was ich da unter dem Sakko spüre?
Sind das alles Muskeln, was ich da unter dem Sakko spüre?
Helmut Graf

Auf der einen Seite standen also 21 Menschen, die angelobt werden wollten, da wie die Zinnsoldaten. Auf der anderen Seite standen die Journalisten, die von der Angelobung dieser 21 Menschen berichten wollten, da wie die Ölsardinen. Es war ein bemerkenswerter Moment, denn im übrigen Leben begegnen sich Zinnsoldaten und Ölsardinen selten.

Man beäugte einander, aber die Ölsardinen wussten nicht so recht, was sie mit den Zinnsoldaten anfangen sollten und die Zinnsoldaten nicht, was mit den Ölsardinen. Also begann eine Beschäftigung mit Nebensächlichkeiten, es war ähnlich wie bei den Roben am Opernball. Einer der Ölsardinen wollte etwa geklärt wissen, welche Farbe das Einstecktuch von Peter Hanke hat. Vermutlich zum Tickern.

Der bisherige Wiener Finanzstadtrat wurde am Montag zu Leonore Gewessler, also zum Bundesminister für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie angelobt, auf das bisherige Ressort von Gewessler. Erst muss nämlich das Bundesministeriengesetz geändert werden, damit jeder den Job bekommt, den er verdient hat.

In ein paar Tagen wird Hanke Bundesminister für Verkehr, Infrastruktur und Innovation. Auch ein paar weitere Regierungsmitglieder wurden in vorläufigen Ressorts geparkt. Van der Bellen darf sich schon auf seine nächsten Angelobungen freuen.

Eva-Maria Holzleiter im Frisuren-Check: Ich glaub, die Locken von der Plakolm Claudia sind neu
Eva-Maria Holzleiter im Frisuren-Check: Ich glaub, die Locken von der Plakolm Claudia sind neu
Helmut Graf

Die Zinnsoldaten standen an diesem Montag nicht willkürlich so da, also jeder wie er wollte, sondern alles hatte seine Ordnung. Die Reihenfolge ergab sich ebenfalls aus dem geltenden Bundesministeriengesetz, ganz vorne wurden Kanzler, Vize und die Vizevize platziert, aber die waren ja zu diesem Zeitpunkt nicht da, sondern viererschnapsen.

Es dauerte die kleine Ewigkeit von einer Viertelstunde, bis wieder Bewegung in die Sache kam. Dann ging die Tapetentür auf und der Bundespräsident trat in den Raum. Wie üblich verriet sein Gesicht nicht, ob im Gespräch davor die Sonne aufgegangen war oder 7 Tage Regenwetter geherrscht hatten.

Van der Bellen sprach ein paar Minuten in den Raum hinein. "Man könnte jetzt sagen, was lange währt, wird endlich gut", begann er. "Lange hat der Prozess gewährt, das ist sicher. Ob's gut wird, ist noch nicht entschieden. Aber wir sind positiv eingestellt." Der guten Ordnung halber sei angefügt: Es bleibt uns auch nichts anderes übrig.

Der neue SPÖ-Finanzminister Markus Marterbauer: Und mit mir ...
Der neue SPÖ-Finanzminister Markus Marterbauer: Und mit mir ...
Helmut Graf
... hat von euch niemand gerechnet, oder?
... hat von euch niemand gerechnet, oder?
Helmut Graf

Der Bundespräsident skizzierte der neuen Koalition ihre Aufgaben, das Regierungsprogramm wurde auf fünf Minuten eingedampft. Dann erteilte er Christian Stocker seinen Segen Urbi et Orbi, blickte auf den Zettel mit dem Programmablauf vor sich, ging um das Rednerpult und um Stocker herum, das eine wie das andere fiel ihm nicht leicht.

Schließlich blickte Van der Bellen auf die endlose Reihe mit der Regierungsspitze, den Ministerinnen und Ministern, den Staatssekretärinnen und den Staatssekretären, bemerkte Umfang und Länge, versuchte sich mit ein paar Handbewegungen einen Korridor freizumachen und sagte dann: "So, das wird ein Rodeo jetzt."

Der Rodeo Drive brach aber entzwei, denn der Bundespräsident steuerte Bank und Tisch an, um die Angelobung von Christian Stocker zusätzlich zu verschriftlichen. Nicht immer ist ein Schriftl ein Giftl.

Ein Händedruck mit dem Bundespräsidenten ...
Ein Händedruck mit dem Bundespräsidenten ...
Picturedesk
... kann sehr unterschiedlich ausfallen ...
... kann sehr unterschiedlich ausfallen ...
Picturedesk
... das hängt von der jeweiligen Person ab
... das hängt von der jeweiligen Person ab
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Nachdem auch das vollbracht war, formierte sich der Rodeo Drive wieder in seiner Gesamtheit. Der Bundespräsident schritt ihn nun tatsächlich ab, denn jeder in der langen Reihe musste "ich gelobe" sagen. Klaudia Tanner fügte als einziges "so wahr mir Gott helfe" an, das aber wiederum so laut, dass Gott von einer Wolke gefallen wäre, hätte es eine gegeben.

Auch Sepp Schellhorn kam dran, er wird in der Regierung Deregulierungs-Staatssekretär, Mammutaufgaben heißen nicht umsonst so. Als ihm der Bundespräsident gegenübertrat, wirkte es für einen kurzen Moment so, als würde ihm der Hotelier und Gastwirt eine Frage stellen wollen, also etwa: "Soll ich Ihnen nachher schnell ein Schnitzi herauspanieren?" Aber dazu kam es dann doch nicht.

"Okay", sagte Van der Bellen nach der 21. Hand, die nach ihm gegriffen hatte und er nach ihr. Jetzt bekamen alle ihre Bestallungsurkunden, die heißen wirklich so, manchmal sind Begriffe aus der Bürokratie eben zum Wiechern.

21-mal musste der Bundespräsident aufstehen und sich niedersetzen, allein der Knie wegen hätte eine schlankere Regierung einen schlankeren Fuß gemacht. Genau genommen musste Van der Bellen 22-mal aufstehen, denn Christian Stocker lief ihm zu früh davon, da waren noch nicht alle Bestallungsurkunden bestallt.

Wo rennt denn der Stocker mitten in der Bestallung hin, Himmelherrgott?
Wo rennt denn der Stocker mitten in der Bestallung hin, Himmelherrgott?
Helmut Graf

Dann war Schluss, die Gesellschaft zog sich – ohne mich – ins Jagdzimmer zurück, um einen Happen zu essen. Eine knappe Stunde später marschierten alle bei der Hofburg hinaus und ins gegenüberliegende Bundeskanzleramt hinein und es begann die große Stunde von Küsserkönig Alexander Schallenberg.

Wenn ich richtig mitgezählt habe, busselte er Beate Meinl-Reisinger sechsmal ab, ein Handkuss inklusive. Den letzten Schmatzer setzte er bei der Amtsübergabe im Außenministerium. Da brachte ihm die NEOS-Chefin ein rotes Fußball-Trikot mit Namensaufdruck und Spielernummer 8 mit, der Hausnummer am Amtssitz Minoritenplatz. Wenn das nicht zum Abbusseln ist, was dann?

Er nehme sich nun eine "Auszeit", sagte Schallenberg im Kanzleramt, seinem bisherigen Nebenwohnsitz. Vier Mal habe er in seinem Leben in diesem Gebäude gearbeitet, einmal als Sektionschef, einmal als Minister, zweimal als Kanzler zwischen den Zeiten.

Jetzt gib die Ernennungsurkunde halt schon her, Präserl!
Jetzt gib die Ernennungsurkunde halt schon her, Präserl!
Helmut Graf

An diesem Tag überschüttete er Christian Stocker mit Nettigkeiten. Er sei "ein Freund", werde hier "mit offenen Armen empfangen", er "freue sich wirklich" und habe "eine große Freude", denn Stocker werde das "super machen". Den Menschen im Land riet er: "Haben wir ein bisschen mehr Glauben an das, was wir sind."

Meine Prognose für Schallenberg nach der "Auszeit": Er wird auf das Amt des Bundespräsidenten spitzen. Schallenberg ist erst 55 Jahre alt, er hat noch genug Zeit für 200 Angelobungen. Und er wäre keine schlechte Wahl.

Schicker Kugelschreiber, den nehm ich mit: Denk nicht einmal daran!
Schicker Kugelschreiber, den nehm ich mit: Denk nicht einmal daran!
Helmut Graf

Als Schallenberg das Amt, das er nie wollte, an Christian Stocker übergab, dem das Amt mehr oder weniger zugelost worden war, stand ich in einer Ecke des Steinsaals, der jetzt Leopold-Figl-Saal heißt. Neben mir verfolgten zwei Journalisten das Geschehen, beide sind vom Alter her wie ich keine Nachwuchshoffnungen mehr.

Aber das Gespräch, das sie führten, war zauberhaft und hätte gut in die "Tante Jolesch" gepasst.
"Wie alt bist du eigentlich?" fragte der eine.
"Ich bin im 71. Lebensjahr", antwortete der andere.
"Was, so ein Jungspund?"
"Wie alt bist Du leicht?"
"Ich werde bald 83. Da ist der Tod schon recht nahe."
Darauf antwortete der etwas Jüngere: "Lass dir ruhig Zeit damit'!"

Der alte Kanzler heißt den neuen Kanzler und den Vizekanzler und die heimliche Kanzlerin im Kanzleramt willkommen
Der alte Kanzler heißt den neuen Kanzler und den Vizekanzler und die heimliche Kanzlerin im Kanzleramt willkommen
Helmut Graf
Küss die Hand, Frau Außenministerin!
Küss die Hand, Frau Außenministerin!
Helmut Graf
Lass dich abbusseln, Alexander ...
Lass dich abbusseln, Alexander ...
Helmut Graf
... aber alles im Leben hat zwei Seiten
... aber alles im Leben hat zwei Seiten
Helmut Graf
Es gibt immer irgendeinen Anlass zum Schmusen
Es gibt immer irgendeinen Anlass zum Schmusen
Helmut Graf
Nein, das ist kein Hochzeitsfoto, Schallenberg schenkt seiner Nachfolgerin nur einen Kuss. Und einen Trolley fürs viele Reisen
Nein, das ist kein Hochzeitsfoto, Schallenberg schenkt seiner Nachfolgerin nur einen Kuss. Und einen Trolley fürs viele Reisen
Helmut Graf

Ich wünsche einen zeitlosen Dienstag. Am Montagabend fand dann noch im ORF das erste gemeinsame Interview der neuen Regierungsspitze statt. Susanne Schnabl und Armin Wolf stellten die Fragen und wenn ich den Tenor der Reaktionen in den sozialen Medien zusammenfassen darf, dann fällt das so aus: "Ganz schön fad unsere neue Regierungsspitze. Wunderbar!"

Von dieser Anforderung habe ich im Regierungsprogramm nichts gelesen. Bis in einer kleinen Weile!

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Akt. Uhr
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