Wahl-Kopfnüsse, Folge 24
Auf den letzten Metern wurde der Wahlkampf "Oasch"
Verzeihung die Wortwahl, aber die Unflätigkeit war live im Fernsehen zu hören. Als die FPÖ vor dem Stephansdom ihren Wahlkampf beendete, ging es wenig christlich zu. Ein TV-Reporter wurde von einem Mann angepöbelt – der verletzte sich dabei.
Jetzt ist alles gesagt. Also fast. Bis auf die SPÖ hielten alle Parteien gestern ihre Schluss-Kundgebungen ab, die einen im kleinen Rahmen, die anderen wählten die große Bühne. Der Kanzler trat schon am Vormittag vor die Tür der Parteizentrale in der Wiener Lichtenfelsgasse, er hatte seinen Superfan mitgebracht. Generalsekretär Christian Stocker lächelte wie immer bis über beide Ohren, dann lobte er die "enorme Aufholjagd" der ÖVP, von der man noch nicht weiß, ob sie überhaupt stattgefunden hat.
Mit KI-Stimme: Auf den letzten Metern wurde der Wahlkampf "Oasch"
Vor der Tür hatte sich spontan eine Gruppe von Leuten eingefunden, die sich spontan alle dasselbe angezogen hatten, um dem Kanzler spontan zu applaudieren. Karl Nehammer trug vor einem Wahlplakat von sich ein paar Slogans von anderen Wahlplakaten vor, ausschließlich allerdings von eigenen. Wir erfuhren aufs Neue von der "Stabilität" und der "Mitte", nur der Kuchen fehlte, der größer werden soll, um den Budgethunger zu stillen. Vielleicht wurde er schon an Rehe verfüttert.
Am Sonntag ist Wahl, sie wurde gestern vorverlegt. Servus TV kündigte an, schon um 16 Uhr eine "exklusive Trendprognose" veröffentlichen zu wollen, also eine Art Hochrechnung ohne Hochrechnung. Das war bisher nicht üblich, denn die letzten Wahllokale schließen erst um 17 Uhr. Taktisches Wählen wird also möglich. Es ist mit Busladungen von Menschen zu rechnen, die in der verbleibenden Stunde Wahllokale stürmen, um Koalitions-Varianten zu torpedieren.
Ich bin neugierig, ob sich die anderen Sender das gefallen lassen. Vielleicht legt einer – ich hätte da einen begründeten Verdacht – die erste Hochrechnung auf Samstagabend vor. Dann würden wir endlich einmal frühzeitig erfahren, wie wir am Sonntag wählen. Das würde auch die Wartezeit auf die Ergebnisse verkürzen. Selbst für die Experten wäre das eine Arbeitserleichterung. Vorhersagen lassen sich eindeutig präziser erstellen, wenn schon das Ergebnis vorliegt.
Die "exklusive Trendprognose" wird vom Meinungsforschungs-Institut OGM durchgeführt. Rund 1.500 Menschen wurden vom 24. September an befragt, die Interviews gehen bis in den Wahltag hinein. Eine Stunde nach der "exklusiven Trendprognose" veröffentlicht Servus TV dann, parallel zum ORF, eine eigene Hochrechnung. Ich bin neugierig, ob sich die "enorme Aufholjagd" der ÖVP in der "exklusiven Trendprognose", in der "Hochrechnung", oder in beidem abbildet.
Auch die Grünen machten gestern Schluss, mit dem Wahlkampf und mit der ÖVP. Am Wiener Maria-Theresien-Platz, von uns Berufsjugendlichen Zwidemu genannt, wurde der Wunsch geäußert, auch an der nächsten Regierung beteiligt zu werden. Dafür muss man sich vermutlich einen ausländischen Partner holen, denn mit der ÖVP ("Verbrennerhysterie"), der SPÖ ("Verbündeter beim Zubetonieren") und der Volkskanzler-FPÖ ("doofes Gerede") hat Werner Kogler schon gebrochen.
Die NEOS gingen es zeitgleich auf der Freyung verbindlicher an. Parteichefin Beate Meinl-Reisinger peilte eine "mutige, entschlossene Reformkoalition" an, das gehe nur mit den NEOS, sagte sie. Das kann stimmen, aber auch nicht. Ich stehe den aktuellen Umfragen mit einer gewissen Skepsis gegenüber, aber es kann gut sein, dass sich sogar zwei "mutige, entschlossene Reformkoalitionen" ausgehen und das ganz ohne NEOS. Und die müssen dann gar nicht "mutig" sein oder "entschlossen". Und Reformen? Ansichtssache!
Während sich die Grünen und die NEOS noch regierungstauglich redeten, sang sich die John Otti Band am Stephansplatz schon die Seele aus dem Leib. Nach zwei Stunden Vorprogramm, einigen Reden, viel Fahnengeschwenke, Gassenhauern wie "Wir sind eine große Familie" und einem kurzen Angsttreiber-Video folgte der Auftritt von "Herbert, Herbert" Kickl. Vor 25 Jahren habe er hier am Stephansplatz "als kleiner Sekretär mit Gänsehaut" Jörg Haider zugehört, sagte er. Nun gelte es zu verwirklichen, was Haider damals nicht geschafft hat: Platz 1 bei der Wahl.
Über die Erreichbarkeit ist sich die FPÖ nicht mehr ganz so sicher. Auf Facebook wurde unter das Video vom Stephansplatz ein Aufruf gepostet: "Wenn DU das liest, kontaktiere bitte SOFORT per SMS, WhatsApp oder Anruf 5 Freunde oder Familienmitglieder und werbe für eine FPÖ-Stimme am Sonntag! Denn bei der Nationalratswahl am 29. September 2024 wird es KNAPP! Vertraut nicht auf die Umfragen, nur das Wahlergebnis zählt"
Kickl blieb bei seiner Rede dem Zielpublikum wenig schuldig. Nehammer ("Lügen pflastern seinen Weg"), Journalisten ("Snobs"), Künstler ("Schnösel und Oberlehrer") wurden einsortiert, auch "Willkommensklatscher", "Regenbogenkult" und das "Corona-Zwangsregime" fanden Erwähnung.
Von außerhalb der Absperrungen waren Demonstranten zu hören, sie riefen "Nazis raus". Innerhalb wurde es für Puls 24-Reporter Christoph Isaac Krammer und seinen Kameramann nun ungemütlich bis gefährlich. Als er – die Bühne im Rücken – für einen Live-Einstieg ins Mikro sprechen wollte, tauchte ein Mann auf und versuchte die Kamera mit seinem Hut zuzudecken, ein zweiter Besucher mischte sich ein. "Wir wollen da zuhören und nicht dir, du Oasch. Schleich di", ist auf einem Mitschnitt zu hören.
Krammer wollte die Situation beruhigen. "Ich tu' hier nur berichten", sagte er. Doch der Mann versuchte dem Reporter das Mikro aus der Hand zu schlagen, traf aber dann offenkundig die Kamera und verletzte sich dabei an der Hand. Krammer brach die Dreharbeiten ab. Heute ab 10 Uhr feiert die SPÖ ihren Wahlkampf-Abschluss. Am Viktor-Adler-Markt in Favoriten. Vielleicht geht es da christlicher zu.
Knapp nachdem der Wahlkampf handfest geworden war, teilte sich das Meer. In St. Marx fanden in Rufweite voneinander, also über die Straße, fast zeitgleich zwei Runden der ChefredakteurInnen statt. Eine hieß wirklich so, die andere hatte eigentlich keinen richtigen Namen. Sie hieß Sondersendung oder so und ich war eingeladen. Beim Reden kommen die Leute zusammen, heißt es. Außer am Stephansplatz, da kommen die Leute auch zusammen, aber nicht immer nur zum Reden.
In der Runde der ChefredakteurInnen auf ORF III und in der Sondersendung mit ChefredakteurInnen auf Puls 24 ging es um dieselben Themen, den Wahlkampf nämlich. Es wäre jetzt auch reichlich seltsam, sich über den Zuckerrübenanbau im Burgenland zu unterhalten. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer hätten hin und her wechseln können. In der einen Runde etwas zu Babler sagen und das dann über die Gasse in der anderen Runde wiederholen.
Dazu kam es aber nicht, das Meer blieb geteilt. Manche Medien wurden dadurch in der Mitte auseinander gerissen. Sie verfügten über Vertretungen in beiden Runden. In solchen Situationen finden auf Blattlinien oft Balanceakte statt.
Ich wünsche einen schwindelfreien Samstag. In der Kopfnuss am Wahltag pflüge ich die letzten Wochen noch einmal um, erkläre, warum wir eigentlich drei Wahlkämpfe hatten und welche Erdäpfel die Parteien am Feld liegen ließen. Sträflich! Bis morgen, wenn Sie mögen!
Alle bisherigen Wahl-Kopfnüsse
- Folge 1: So wurde ich für den Kanzler zu einer KI
- Folge 2: Bestäubungs-Staberln und ein Wasserträger
- Folge 3: "Natürlich hat er das, ich bin kein Vollidiot"
- Folge 4: Zwischen starker Mitte und Impotenz
- Folge 5: So führt uns der Kanzler in Wien aufs Glatteis
- Folge 6: Die Volkspartei und ihr Tom Cruise von Kagran
- Folge 7: Brandherde, Brandreden und eine Brandmauer
- Folge 8: Hurra, Hurra, der Bildungsminister ist da!
- Folge 9: Halleluja, endlich wird der Wahlkampf göttlich
- Folge 10: Fasst Euch doch an die eigene Nase!
- Folge 11: Und Ihr wollt echt eine Koalition eingehen?
- 11 Folgen in einer Story gesammelt
- Folge 12: Geben Gummistiefel dem Wahlkampf Gummi?
- Folge 13: Das Hochwasser und ich, aber wo ist der Kanzler?
- Folge 14: Wieso ein Alarm in Österreich nicht einfach ein Alarm ist
- Folge 15: Bitte macht jetzt keine Instagram-Show daraus!
- Folge 16: Warum die Politiker den Gummihammer auspacken
- Folge 17: Wie sich die Volkspartei beim Geschlecht irrte
- 17 Folgen in einer Story gesammelt
- Folge 18: Verstolpert die FPÖ auf den letzten Metern den Wahlsieg?
- Folge 19: So wurde die Elefantenrunde zur "Nette Leit Show"
- Folge 20: Volkskanzler gegen Volkspartei-Kanzler: Ich war dabei
- Folge 21: Jetzt liegt das Wahlergebnis endgültig in den Sternen
- Folge 22: Es ist alles sooo furchtbar, bitte mehr davon!
- Folge 23: Wird Babler von Medien runtergeschrieben? Unsinn, aber ...