Kopfnüsse
Bei "Fit mit Philipp" live in der Hofburg, aber ohne Philipp
Wie aus Österreichs alter Regierung Österreichs neue Regierung wurde. 16 Mal aufstehen und niedersetzen, 33 Mal unterschreiben und ein Zauberwort: "So". Meine Beobachtungen von der Angelobung in der Hofburg.
"So", sagte der Bundespräsident irgendwann mittendrin und damit war der Tag eigentlich auserzählt. Er hatte gerade der versammelten Bundesregierung die Hände geschüttelt und alle wieder in jene Ämter eingesetzt, aus denen er sie kurz zuvor gefeuert hatte. Österreichs Verfassung mag schön sein, aber manchmal dreht sie auch nur ein paar schöne Ehrenrunden.
Mit KI-Stimme: Bei "Fit mit Philipp" live in der Hofburg, aber ohne Philipp
Der Kanzler, der Vizekanzler, die zwölf Ministerinnen und Minister und die zwei Staatssekretärinnen sagten artig und mit fester Stimme "ich gelobe". Nur Tourismus-Staatssekretärin Susanne Kraus-Winkler, die ganz am Ende der Reihe stand, weil sie als Letzte ins Amt gekommen war, hauchte den Schwur. Sie war der Gegenentwurf zu Verfassungsministerin Karoline Edtstadler, die den Bundespräsidenten mit "Herr Bundespräsident" anredete, vermutlich damit er es am Weg nicht vergisst.
Verteidigungsministerin Klaudia Tanner, die eine Art Marineuniform trug, schob als Einzige dem "ich gelobe" ein "so war mir Gott helfe" nach. Ich weiß nicht, ob Gott übermäßig erfreut darüber war, eine weitere Aufgabe übertragen zu bekommen, er hat momentan auch sonst gut zu tun. Mit Österreich kannst du im Himmel zudem nicht überbordend protzen.
"So", das sagt man hierzulande nicht einfach so. "So" schließt Vorgänge ab, es ist kein Wort, sondern ein Erledigungsvermerk. Ein Amtsstempel. Von da an konnte sich Alexander Van der Bellen an diesem Mittwoch anderen Aufgaben widmen. Diese anderen Aufgaben bestanden vor allem darin, dass er serienweise Papiere unterschreiben musste. Dazwischen stand er auf, schüttelte Hände und setzte sich wieder nieder, der Vorgang erinnerte an "Fit mit Philipp", nur ohne Philipp. So, und genau so war das. Anstrengend!
Das "So" hatte um 12.55 Uhr begonnen. Da kam die Bundesregierung die Adlerstiege hinauf und bewältigte den ewig langen Gang durch die sechs offenen Räume bis nach hinten ins Maria-Theresien-Zimmer mit der astronomischen Standuhr, deren Zeiger gegen den Uhrzeigersinn laufen, damit die Monarchin vom Bett aus die Zeit ablesen konnte. Mir gelingt das auch so, aber ich habe auch keine Ölschinken von mir an der Schlafzimmerwand hängen.
Um der Wahrheit die Ehre zu geben: Die Regierung kam nicht einfach so daher, sie stürmte heran wie eine Kavallerie, angeführt von Oberbereiter Karl Nehammer. Nicht alle konnten mit seinem Galopp Schritt halten, Kogler schon, der musste als Sportminister auch, "tägliche Turnstunde", Sie erinnern sich. Die stand bisher noch in fast jedem Regierungsprogramm und wurde von dort unerledigt ins nachfolgende übertragen. Aber jetzt lese ich in der "Krone", dass "Fit mit Philipp" Jelinek zum Trainieren in die Schulen kommt. Der nächste Sportminister ist schon gesetzt.
Die Regierung zerfiel im Galopp in drei Gruppen, aber es schafften alle rechtzeitig zu ihrer eigenen Entlassung. Bis auf Kulturstaatssekretärin Andrea Mayer, die ihr Amt am Mittwoch abgab, ohne sich selbst nachzufolgen. Sie arbeitet nun wieder als Kabinettsdirektorin der Präsidentschaftskanzlei. Mayer hätte sich gestern auch gleich selbst feuern können.
Der Kanzler und der Vizekanzler marschierten direkt weiter durch die Tapetentür, vielleicht konnten sie aber auch nur nicht mehr rechtzeitig abbremsen. Sie waren in den "grünen Salon", dem Arbeitszimmer von Alexander Van der Bellen, zu einem Arbeitsgespräch geladen, so ist das üblich. Es dauerte neun Minuten, und neun Minuten können recht lang sein. Vor der Tür warteten nämlich die 12 Ministerinnen und Minister, aufgefädelt nach Amtszeit und Alter wie zur Zeugnisverteilung, und wussten nicht so recht, was tun. Ihnen gegenüber standen etwa 30 Journalisten, Kameraleute und Fotografen und die wussten erst recht nicht, was tun.
Um 13.04 Uhr stürmte der Kanzler aus der Tapetentür heraus wie eine abgeschossene Kanonenkugel, Kogler im Schlepptau, van der Bellen trabte als Letzter heran. Er hielt eine fünf Minuten kurze Rede, dankte der scheidenden Regierung für die Arbeit in "sehr bewegten Jahren", von der nächsten Regierung erwarte er sich einen "respektvollen Umgang miteinander". Darauf bin ich schon sehr neugierig.
"In einem ersten Schritt“ werde er mit allen Parteichefs sprechen, sagte van der Bellen. "Jetzt geht es darum, miteinander zu reden und eine tragfähige Mehrheit zu finden". Wenn das Zeit brauche, sei diese gut investiert. Die Investition ins Zeitbrauchen erfolgte prompt. Das erste Gespräch mit Herbert Kickl findet nicht am Donnerstag, sondern erst am Freitag statt. Bundeskanzler Karl Nehammer und SPÖ-Chef Andreas Babler folgen nach dem Wochenende am Montag. NEOS-Chefin Beate Meinl-Reisinger und GRÜNEN-Chef Werner Kogler bekommen ihre Termine erst.
"So", schloss der Bundespräsident die Phase aus Rede und Händeschüttelei ab, sammelte sich kurz und begab sich an den kleinen Tisch unter dem Porträt von Maria Theresia. Dort standen zwei Montblanc-Kugelschreiber griffbereit, einer für den Bundespräsidenten, einer für die Mitglieder der alten neuen Regierung. Nur Klaudia Tanner ignorierte das edle Schreibwerk, sie nutzte einen eigenen Kuli. Vielleicht Zaubertinte?
Ein langes Ritual begann. Zunächst mussten Bundespräsident und Kanzler alle Demissionen einzeln unterschreiben. Das dauerte und war gut hörbar. Nicht von van der Bellen, der seine Unterschrift sanft auf das Papier setzte. Bei Nehammer aber: "Krzl, krzl, krzl, krzl". Er unterschrieb, als müsste er seinen Namen in die Tischplatte ritzen, so wie man früher mit dem Taschenfeitl "ich liebe dich" in Baumrinden geschnitzt hat. Mir begann das historische Möbelstück leid zu tun. Gezimmert nach Ludwig XIV., erdolcht mit einem Kuli von Karl I. der Neuzeit.
Dann setzte sich jeder neue alte Minister und jede neue alte Ministerin neben Van der Bellen und unterschrieb seine Ernennungsurkunde. Aufstehen, händeschütteln, niedersetzen, die erste Staffel von "Fit mit van der Bellen" erlebte ihre Premiere und sie hatte ihre Höhepunkte.
Klaudia Tanner legte beim Händeschütteln die zweite Hand auf den Handrücken von VdB, so als wollte sie ihm Beileid wünschen. Innenminister Gerhard Karner schnappte sich seinen Unterarm. Bei Edtstadler setzte sich der Bundespräsident mit einem Seufzer nieder, er wusste, es war noch nicht einmal Halbzeit. Bei Martin Kocher zuckte er kurz zurück. Der Arm des Wirtschaftsministers steckt nach seinem Bergunfall immer noch unter einem Verband. "Geht schon", sagte er.
16 Mal aufstehen und niedersetzen, 33 Mal unterschreiben, dann war es vollbracht. Van der Bellen wandte sich an die Journalisten, überlegte kurz und sagte dann: "Wir sehen uns im Zweifel bald".
Ich wünsche einen gelobten Donnerstag. Am Sonntag schreibe ich vielleicht ein paar Gedanken zur Wahl auf. Dann ist es eine Woche her und ein bisschen gesickert. Also: Wir lesen uns im Zweifel bald. So oder so.
Alle Wahl-Kopfnüsse
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- Folge 4: Zwischen starker Mitte und Impotenz
- Folge 5: So führt uns der Kanzler in Wien aufs Glatteis
- Folge 6: Die Volkspartei und ihr Tom Cruise von Kagran
- Folge 7: Brandherde, Brandreden und eine Brandmauer
- Folge 8: Hurra, Hurra, der Bildungsminister ist da!
- Folge 9: Halleluja, endlich wird der Wahlkampf göttlich
- Folge 10: Fasst Euch doch an die eigene Nase!
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