Deutschland
"Beruhigend, aber fad": Abrechnung mit neuer Regierung
Koalitionsvertrag? Das "übliche Geschwätz". Der neue Kanzler Friedrich Merz? Ein "politischer Naivling". Sein ehrgeizigstes Versprechen? Ein Astronaut am Mond. Der "Economist" zerpflückt den deutschen Koalitionspakt zwischen CDU/CSU und SPD.

Für alle, die nach einer Atempause von den politischen und finanziellen Wirren Donald Trumps verlangten, kam Deutschland am 9. April dieser Bitte gerne nach. Nach für deutsche Verhältnisse relativ zügigen Verhandlungen schloss der Mitte-Rechts-Block der Christdemokraten unter der Führung von Friedrich Merz seine Koalitionsgespräche mit den Sozialdemokraten (SPD) ab und veröffentlichte sein Regierungsprogramm.
Nach seinem Wahlsieg in Deutschland am 23. Februar hatte Merz Beobachter schockiert, indem er die Zukunft der NATO unter Donald Trump in Frage stellte und erklärte, Europa müsse "Unabhängigkeit von Amerika erlangen".
Doch diese Woche gab es kein solches Feuerwerk. Auf die Frage, ob er eine Botschaft an den amerikanischen Präsidenten habe, antwortete Merz schlicht: "Deutschland ist wieder auf Kurs." Passenderweise verließen viele Investoren, die von Trumps Launen verschreckt waren, und wandten sich den ruhigeren Gewässern des deutschen Anleihenmarktes zu.
Der Koalitionsvertrag, ein 146-seitiger Wälzer, ist ein alltägliches, zentristisches Dokument mit wenigen Überraschungen. Seine politischen Vorschläge sind stark verdichtet. so stark, dass Markus Söder, Vorsitzender der Christlich-Sozialen Union (CSU), der bayerischen Schwesterpartei der Christdemokraten (CDU) von Friedrich Merz, scherzen konnte: "Er wird und kann ein neuer Bestseller werden".
Dennoch ist darin nur wenig von dem transformativen Geist zu spüren, der Merz auf dem Wahlkampfpfad zu umgeben schien. Da stellte er sich als Unruhestifter dar, der die Selbstgefälligkeit hinwegfegen würde, die Deutschland seiner Meinung nach in den letzten Jahren in den wirtschaftlichen Sumpf getrieben hatte.
Das vielleicht ehrgeizigste Versprechen ist nun ein buchstäblicher Mondflug: Die Regierung möchte, dass ein deutscher Astronaut an einer Mondlande-Mission teilnimmt.
Ein Kapitel ist dem Bürokratieabbau gewidmet, ein allgemeiner Kritikpunkt, den Lars Klingbeil, der Co-Vorsitzende der SPD und wahrscheinliche nächste Finanzminister, offenbar als motivierende Mission übernommen hat. Er versprach auch, die deutsche öffentliche Verwaltung von den Faxgeräten zu befreien, mit denen ein Großteil davon noch immer arbeitet.
Bescheidene Versprechen zu Steuern, Investitionen, Sozialleistungen und Energiepreisen weisen im Großen und Ganzen in die richtige Richtung; die schlimmsten Instinkte der Parteien könnten sich gegenseitig aufgehoben haben.

Ein wichtiger Satz besagt, dass alle Versprechen einer finanzpolitischen Prüfung unterzogen werden müssen, bemerkt Jens Südekum, Wirtschaftswissenschaftler an der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf. Das könnte einige der vorgeschlagenen Geschenke einschränken.
Es ist jedoch schwer, eine ernsthafte Auseinandersetzung mit tiefergehenden Themen zu erkennen, einschließlich der drohenden demografischen Krise in Deutschland. Viele Probleme wurden in Kommissionen verschoben.
Ähnlich verhält es sich mit der Einwanderung. Im Januar schockierte Friedrich Merz den Wahlkampf mit dem unüberlegten Versprechen, Asylbewerber an den deutschen Grenzen einseitig abweisen zu wollen. Er machte sogar mit der rechtsextremen Alternative für Deutschland (AfD) gemeinsame Sache, um eine symbolische Anti-Einwanderungsmaßnahme durch das Parlament zu bringen.
Das wurde nun zu einem Versprechen verwässert, irreguläre Migranten "in Abstimmung mit unseren europäischen Nachbarn" abzuweisen.
Vielen Schutzbedürftigen in Deutschland wird es untersagt sein, Familienmitglieder nach Deutschland zu holen. Abschiebungen werden beschleunigt, was den Hardlinern in den Reihen der CDU/CSU gefällt. In Wahrheit werden jedoch Entwicklungen außerhalb Deutschlands einen größeren Einfluss auf die Einwanderungszahlen haben. Unter anderem dank des Sturzes von Baschar al-Assad in Syrien ist die Zahl der Asylanträge in Deutschland stark zurückgegangen.

Auch in der Außenpolitik ist Vorsicht geboten. Kurz nach seinen Aufsehen erregenden Äußerungen in der Wahlnacht, brachte Merz eine umfassende Verfassungsänderung durch den Bundestag. Danach werden die meisten Verteidigungsausgaben von der "Schuldenbremse" ausgenommen, sie begrenzt die Kreditaufnahme des Staates. Eingeführt wurde 500 Milliarden Euro schwerer Infrastrukturfonds.
Viele in den Reihen der Allianz waren bereits besorgt über das schlechte Wahlergebnis der CDU/CSU und zutiefst verunsichert. Merz begründete seine Kehrtwende zum Teil mit dem Trump-Schock.
Doch davon ist im Koalitionsvertrag wenig zu spüren, bemerkt Jana Puglierin, Leiterin des Berliner Büros des Thinktanks "European Council on Foreign Relations". Der Text enhalte das übliche Geschwätz über die "große Erfolgsgeschichte" der Beziehungen zu Amerika und das Bekenntnis zur Stärkung der transatlantischen Beziehungen innerhalb der NATO. Es gibt nur wenige Ideen zu Europa.
Unterdessen scheint es der CDU/CSU trotz der Rekrutierungsprobleme der Bundeswehr nicht gelungen zu sein, die SPD davon zu überzeugen, zumindest vorerst wieder eine Form der Wehrpflicht einzuführen. "Es sieht aus wie viel alter Wein in neuen Schläuchen", sagt Puglierin. "Das trägt nicht zur Glaubwürdigkeit von Merz bei."

Tatsächlich herrscht in der CDU die weit verbreitete Meinung, dass Merz, ein politischer Naivling, der noch nie ein Exekutivamt innehatte, sich schlecht auf die Koalitionsgespräche vorbereitet hat. Und sich dann von der SPD überrollen ließ. Die Sozialdemokraten sind – abgesehen von einer vierjährigen Unterbrechung, seit 1998 an der Regierung.
Unter der Annahme, dass die SPD den Deal in einer Mitgliederbefragung Ende dieses Monats ratifiziert, wird Friedrich Merz sein Amt im Mai antreten und mit einer Welle der Skepsis konfrontiert sein: Selbst 28 Prozent der Wähler seiner Partei glauben nicht, dass er das Zeug zum Kanzler hat.
Die CDU/CSU ist seit der Wahl in den Umfragen abgerutscht. Diese Woche fiel sie zum ersten Mal hinter die AfD zurück. Würde morgen eine Wahl stattfinden, hätten die Regierungsparteien keine Mehrheit.
Dies sei jedoch "nur ein vorübergehendes Bild", sagt der CDU-Abgeordnete Günter Krings. "Es ist wichtig, Ruhe zu bewahren und sich an die Arbeit zu machen."
Der Schuldenabkommen vom letzten Monat sollte zumindest dafür sorgen, dass die Regierung von Merz nicht von der Art von Finanzstreitigkeiten heimgesucht wird, die ihre Vorgängerin unter Olaf Scholz zu Fall gebracht haben.
Und es sieht so aus, als hätten die führenden Koalitionspolitiker, allen voran Merz und Klingbeil, eine effektive Arbeitsbeziehung aufgebaut. Eine exportabhängige Wirtschaft wieder auf Wachstumskurs zu bringen, wird in einer Welt, die von Handelskriegen heimgesucht wird, nicht einfach sein, aber zumindest verfolgen sie dasselbe Ziel.
Für Deutschlands Partner kommt die Einigung keinen Moment zu früh. Viele in Europa bedauerten den Rückzug der deutschen Diplomatie unter Scholz, und die Stimme des Landes war in den jüngsten geopolitischen Turbulenzen auffällig abwesend.
Die Verbündeten begrüßten den Vorstoß von Merz zur Schuldenbremse als frühes Zeichen seines Engagements für die europäische Sicherheit. Aber selten ist ein Koalitionsvertrag in einer so chaotischen Welt zustande gekommen. Es wird Aufgabe des nächsten Bundeskanzlers sein, dafür zu sorgen, dass er sich darin zurechtfindet.