nach dem Hochwasser
Bodenversiegelung: Schon 76 Prozent für fixe Grenzwerte
Plötzlich ist Bodenversiegelung in TV-Duellen ein großes Thema. Eine neue Umfrage zeigt, dass die Bevölkerung da schon viel weiter ist als die Politik. 87 Prozent sind für mehr Bodenschutz. Klimaexpertin Katharina Rogenhofer über Studie und Folgen.
Das Hochwasser der vergangenen Woche zeigt die Folgen der Klimakrise deutlich. Die Bevölkerung hat das längst erkannt und ist sich einig: Es braucht Bodenschutz, Renaturierung und starken Klimaschutz. Jetzt ist die Politik am Zug – und damit die nächste Regierung.
Wir erleben mittlerweile alle elf Jahre ein Hochwasser, das statistisch gesehen nur einmal in 100 Jahren stattfinden sollte. Die Klimakrise sorgt dafür, dass Wetterextreme zunehmen. Hinter uns liegt der wärmste Sommer der Messgeschichte. Der Landwirtschaft mangelt es chronisch an Regen, dem Tourismus an Schnee. Wenn der Niederschlag dann doch kommt, kommt er immer häufiger im katastrophalen Ausmaß. Es ist etwas aus den Fugen geraten.
Die Bevölkerung hat das längst erkannt – und zwar quer durch das politische Spektrum. Das zeigt eine neue KONTEXT-Umfrage, in deren Rahmen über 1.000 wahlberechtigte Menschen in Österreich zu Klimaschutz befragt wurden. Die Ergebnisse: Über die Parteigrenzen hinweg geben knapp drei Viertel der Befragten an, dass ihnen Klimaschutz ein wichtiges Anliegen ist. Zwei Drittel machen sich Sorgen um die Folgen der Klimakrise und erwarten von ihren jeweils gewählten Partei, dass sie sich stärker für Klimaschutz einsetzt.
Tatsächlich ist die Politik nicht ohnmächtig gegen Naturgewalten – ganz im Gegenteil. Sie hat die Macht und Verantwortung, hier gegenzusteuern – und zwar mit systemischen Maßnahmen in zwei Bereichen: Einerseits kann effektiver Klimaschutz verhindern, dass Extremwetterereignisse in Zukunft noch häufiger und heftiger werden. Andererseits lindern Bodenschutz und Renaturierung deren Auswirkungen.
Konsens für Klimaschutz und Renaturierung
Gesunde Böden sind unsere Lebensversicherung. Sie binden nicht nur CO2, sondern lassen Wasser besser versickern. Flüsse, die jetzt in Betonbetten fließen, brauchen wieder mehr Raum. Durch Renaturierung kann Platz für Ausbreitung gerade vor Siedlungsgebieten geschaffen werden, mit Versickerungsflächen, Seitenarmen und Auenlandschaften, die Überflutungen vorbeugen. Wälder müssen Schritt für Schritt zukunftsfit gemacht werden – weg von Borkenkäfer gefährdeten Fichtenmonokulturen, hin zu Mischwäldern, die Wasser speichern und den Boden stabilisieren. So führt Starkregen nicht so schnell zu Hochwasser. Die Politik schützt die Bevölkerung, indem sie die Natur schützt.
Gerade wenn es darum geht, den Auswirkungen der Extremwetterereignisse vorzubeugen, ist der Auftrag der Bevölkerung an die Politik eindeutig. Während das Thema Renaturierung im Sommer beinahe zu einem Koalitionsbruch geführt hat, sind sich die Wähler:innen der Noch-Regierungsparteien über deren Notwendigkeit einig: Mit 98,1 Prozent nicht nur fast die gesamte Grün-Wähler:innenschaft, sondern auch 87,2 Prozent der ÖVP-Wähler:innen stimmen zu, dass es mehr Anpassung wie Begrünungen, Schutzwälder und Flussrenaturierungen braucht.
Große Einigkeit herrscht auch beim Thema Bodenschutz: Die Versiegelung der Böden soll laut 86,6 Prozent aller Befragten nicht nur reduziert werden. Mehr als drei Viertel – exakt 75,7 Prozent – wollen sogar einen verbindlichen Grenzwert, um den Bodenverbrauch zu beschränken. Unter ÖVP-Wähler:innen ist letzterer Wert mit 77 Prozent überdurchschnittlich, unter FPÖ-Wähler:innen mit 62,7 Prozent nicht allzu weit darunter.
Ökologisierung der Wirtschaft als Chance
Aber es geht den Wähler:innen nicht nur darum, die Schäden von Hitzewellen, Dürren, Starkregen, Überflutungen zu begrenzen. Es geht auch darum, dafür zu sorgen, dass sie in Zukunft nicht noch schlimmer werden. Um die Klimakrise und ihre Auswirkungen einzudämmen, muss der Ausstoß von Treibhausgasen drastisch reduziert werden.
Das bedeutet allen voran, von Öl, Kohle und Gas auf erneuerbare Energien umzusteigen. Auch hier ist sich die Bevölkerung quer über Parteipräferenzen einig: Mehr als vier von fünf Befragten wollen, dass der Umstieg auf erneuerbare Energien beschleunigt und die Sanierungen von Gebäuden und nachhaltige Heizformen umfassend gefördert wird.
Eine zentrale Rolle im Klimaschutz spielt auch die Ökologisierung der Wirtschaft und der Industrie. Laut der KONTEXT-Umfrage erkennen die Österreicher:innen darin nicht nur die ökologischen, sondern auch die ökonomischen Vorteile, deutlich: Österreich soll laut knapp 70 Prozent der Befragten eine führende Rolle bei der Entwicklung von Zukunftstechnologien wie Erneuerbaren Energien, Batterien und Elektromobilität einnehmen. Damit würden nicht nur sichere Arbeitsplätze geschaffen, sondern auch die Wettbewerbsfähigkeit gestärkt werden. Ebenso notwendig ist die Förderung von Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten in Zukunftsberufen, die diesen Umbau ermöglichen. Mit über 90 finden fast alle Befragten, dass es hier mehr Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten braucht.
Auftrag an die nächste Regierung
Ob Hochwasser ähnlich katastrophale Folgen, wie vergangene Woche, nach sich ziehen, hängt von den richtigen politischen Maßnahmen ab. Was heißt das für die nächste Bundesregierung, die kommenden Sonntag gewählt wird? Sie muss Katastrophenschutz ernst nehmen und deshalb die Bodenversiegelung eindämmen und Flüsse renaturieren. In nur fünf Jahren, nämlich 2030, ist außerdem das klimapolitische Jahr der Abrechnung. Um die Klimaziele bis dahin zu erreichen, muss die nächste Regierung in ihrer Klimapolitik ambitioniert und mutig sein.
Die KONTEXT-Umfrage zeigt, dass die Bevölkerung bereit dafür ist. 13 der 22 abgefragten Maßnahmen und Aussagen finden unter den Wähler:innen aller Parteien eine mehrheitliche Zustimmung – auch unter jenen der FPÖ. Der Vergleich zu den vorliegenden Wahlprogrammen zeigt allerdings, dass fast alle Parteien dem klimapolitischen Willen ihrer Wähler:innen hinterherhinken. Das Thema Renaturierung hat im Sommer beinahe zu einem Koalitionsbruch geführt, zu verbindlichen Grenzwerte für die Versiegelung von Böden kann sich kaum eine Partei durchringen.
Zwar beinhalten Wahlprogramme, wie jene von Grünen und Neos, wichtige Ansätze für einen ökologischen Umbau und auch die SPÖ erkennt die Transformation der Industrie als Schlüssel. Insbesondere die FPÖ will jedoch jegliche Ökologisierung stoppen und sieht in der Klimakrise nur Hysterie, während bei der ÖVP wirtschaftliches Vorankommen immer noch zumeist als Gegensatz zu Klimaschutz darstellt wird. Doch der klimapolitische Auftrag der österreichischen Bevölkerung an diese nächste Regierung ist klar: Zwei Drittel aller Befragten erwarten von jener Partei, die sie zu wählen gedenken, dass sie sich stärker für Klimaschutz einsetzt.
Katharina Rogenhofer studierte Zoologie in Wien und "Biodiversity, Conservation and Management" an der Universität Oxford. Sie ist Initiatorin von FridaysForFuture Österreich, Autorin, war Sprecherin des Klimavolksbegehrens. Aktuell ist sie Vorständin des KONTEXT Institut für Klimafragen