Tagebuch einer Pandemie

Corona-Kopfnüsse, Kapitel 5: Trügerische Stille

Lesen Sie im fünften Teil der Corona-Tagebücher, wie die Schulen öffneten, oder auch nicht.

Die "Corona-Kopfnüsse – Tagebuch einer Pandemie" gibt es in mehreren Staffeln
Die "Corona-Kopfnüsse – Tagebuch einer Pandemie" gibt es in mehreren Staffeln
Wolfgang Kofler
Christian Nusser
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Kapitel 5 Trügerische Stille

23. April 2020 Die Schulen öffnen geschlossen

Endlich haben unsere Kinder wieder Klasse. Die Öffnung der Schulen erfolgt aber nur in homöopathischen Dosen. Bestenfalls!

Endlich erfahren wir, wie unsere Kinder ab Mitte Mai wieder in die Schule einsickern werden. Vorab sickerte ein bisschen was von den Plänen durch. Vielleicht ist in Wirklichkeit alles anders, aber wenn stimmt, was man so hört, dann hat die Bürokratie wieder einen kleinen Triumph über uns gefeiert, denn wo es vielleicht einfache Wege gibt, findet die Bürokratie stets das Dickicht. Der 15. Mai jedenfalls soll der erste Schultag sein, es ist ein Freitag. Das passt schlecht, also ist der erste Schultag nicht der erste Schultag, sondern es findet eine Lehrerkonferenz statt. Die könnte man natürlich auch schon am Donnerstag machen, aber da ist ja noch Home-Schooling.

Am Montag, den 18. Mai, soll es dann richtig los gehen, aber wiederum auch nicht so richtig. Der Unterrichtsbeginn soll gestaffelt werden, also sagen wir einmal die A- und B-Klassen starten um 7.45 Uhr, die C- und D-Klassen um 8.15 Uhr, die Schulen können das individuell entscheiden. Erstmals werden die Buben und Mädchen am Schultor also nicht mehr nur angehalten, weil sie zu spät kommen, sondern weil sie zu früh dran sind. Vielleicht müssen sie auch in der Nähe der Schule warten, bis sie den richtigen Slot erwischen. Abschlagzeiten wie beim Golf, das durfte man auch die längste Zeit nicht spielen, geht aber ebenfalls bald wieder.

Der gestaffelte Unterrichtsbeginn soll aber nicht das Einzige sein, was gestaffelt wird. Stand jetzt überlegt das Ministerium, auch die Klassen zu teilen. Teil A soll von Montag bis Mittwoch in die Schule gehen, Teil B von Donnerstag bis Freitag. Wenn sie jetzt einwenden, dass es Teil B besser erwischt, weil Donnerstag und Freitag zwei Tage sind und nicht drei, was sich selbst nach sechs Wochen Home-Schooling noch einigermaßen gut errechnen lässt, dann muss ich entgegnen, dass das Ministerium natürlich daran gedacht hat. Die Woche darauf wird alles umgedreht, dann geht Teil B von Montag bis Mittwoch in die Schule, Teil A Donnerstag und Freitag.

Ich höre von vielen Eltern, dass sie nichts mehr vermissen werden als die gemeinsame Unterrichtszeit mit ihren Kindern
Traum Home-Schooling

Aber: Ich würde mich, wäre ich Schüler und die Aufteilung frei wählbar, für Team B entscheiden. Der erste Schultag am 15. Mai, wie gesagt ein Freitag, findet nicht statt – Lehrerkonferenz. Von Montag bis Mittwoch haben die Schulkollegen Unterricht. Am Donnerstag, dem 21. Mai, ist Christi Himmelfahrt, also ein Feiertag, der Freitag danach in vielen Schulen ein schulautonomer Tag. Die ersten zehn Tage Wiederauferstehung bringt es die Gruppe B also auf genau 0 Unterrichtstage vor Ort. Man kann es schlimmer erwischen.

Viel in der Schule werden unsere Gschroppen vorm Sommer aber ohnehin nicht mehr sein. Schon am 1. Juni ist Pfingsten, den 2. Juni bekommt man als Bonus dazu, am 11. Juni folgt Fronleichnam, ebenfalls ein Donnerstag und eine gute Gelegenheit, sich über einen schulautonomen Tag ein verlängertes Wochenende zu sichern. Man könnte dann einfach freimachen oder doch Home-Schooling. Ich höre von vielen Eltern, dass sie nichts mehr vermissen werden als die gemeinsame Unterrichtszeit mit ihren Kindern, diese Quality Time, diese neue Nähe als neue Normalität, einfach schön. Ich nehme sie auf den Arm.

Herbst-Schulbeginn im Goethe-Gymnasium im Wien im Zeichen von Corona
Herbst-Schulbeginn im Goethe-Gymnasium im Wien im Zeichen von Corona
Helmut Graf

27. April 2020 Das stinkt zum Himmel

Kaum sind die Schulen offen, gibt es schon wieder Stunk. Schulmief sozusagen. Nicht der einzige Ärger momentan.

Vielleicht werden uns das unsere Enkel einmal fragen: "Opa, wo warst du, als die vier Maskarmoniker im Bundeskanzleramt den dritten Satz von Beethovens Streichquartett Nr. 16, op. 135, spielten und das wirklich ziemlich tranquillo?" Die meisten von uns werden vermutlich antworten, "im Home-Office war ich natürlich". Home-Office, das merken wir mit jedem Tag mehr, ist die liebevolle Umschreibung von bezahltem Hausarrest.

In dieser Spezialform des verschärften Kerkers erlebten wir nun bei der Festveranstaltung zum 75. Jahrestag der Wiedererrichtung der Zweiten Republik live mit, wie vier Philharmoniker im Kongresssaal des Kanzleramtes den Bogen ansetzten. Alle trugen Masken, obwohl sie gut zwei Babyelefanten voneinander entfernt saßen, es war ein bizarres Bild, wieder so eines, bei dem man sich dachte, die Koalition will uns damit etwas ausrichten: Nur nicht übermütig werden!

Daheim, so erfuhren wir, hätten wir ruhig übermütiger sein dürfen. Das sind schon ziemliche Gummibären da in der Regierung, um es einmal vorsichtig ausdrücken. Wochenlang tut man so, als würde umgehend der Sheriff an der Tür klopfen, wenn wir Besuch haben. Jetzt, vier Tage vor Ablauf der entsprechenden Vorschriften, sagt man: Ujegerle, da habe es eine "missverständliche Formulierung" gegeben, ihr dürft euch eh treffen, wann und wo ihr wollt. Man kommt sich manchmal schon ein bisschen wie ein Depperl vor in diesem Land in diesen Tagen.

Bildungsminister Heinz Faßmann erklärt die Sicherheitsmaßnahmen während der Corona-Matura
Bildungsminister Heinz Faßmann erklärt die Sicherheitsmaßnahmen während der Corona-Matura
Helmut Graf

Corona-Partys im Privatbereich waren nie verboten. Die steirischen Manager, die sich um 3 Uhr früh am Pool vergnügten, haben offenbar nichts Illegales getan. Die Oma zu Ostern in die Wohnung einladen wäre rechtlich kein Problem gewesen. Nicht klug, aber vom Gesetz her sauber. Privat ist eben privat. Die ganzen Blockwarte erlebten einen rabentürkisen Tag. Wochenlang hatten sie jeder Grillerei auf den Nachbarterrassen hinterher spioniert und dann erfahren sie so nebenbei, dass für die Behörden wurscht sein muss, wen und wie viele Leute wer zu sich heimholt. Nicht alles, was nicht klug ist, muss verboten sein.

Treuherzig stellte das Gesundheitsministerium auf Anfrage klar, dass "private Treffen trotz der seit Mitte März geltenden Ausgangsbeschränkungen zulässig sind". Aha! Man sprach von einer "missverständlichen Formulierung auf der Homepage des Ministeriums", jetzt wurde sie korrigiert. Die Verordnung habe Treffen im privaten Bereich nie untersagt. "Natürlich ist das kein Verbot", sagte die Sprecherin von Rudolf Anschober über die Anweisungen, die natürlich jeder als Verbot verstanden hatte. Und damit das alles klar ist, schickte der Gesundheitsminister klarerweise ein paar Stunden nach der Klarstellung noch eine klare Aussendung hinterher und endlich kam darin das Wort vor, auf das wir schon den ganzen Tag gewartet hatten: "Eigenverantwortung".

Natürlich hätte sich die Regierung zu Beginn hinstellen müssen und sagen: "Zusammenkünfte im privaten Bereich sind erlaubt, wir würden sie gern verbieten, aber wir können das nicht. Leider sind uns ein paar Gesetze im Weg, ein paar stehen sogar im Verfassungsrang, aber es würde uns sehr freuen, wenn Sie auch daheim eine Zeitlang auf Treffen in größerer Personenanzahl verzichten könnten. Das wäre ein Dienst an der Allgemeinheit und ein Zeichen von Eigenverantwortung." Hat sie aber nicht. Die Regierung hat billigend in Kauf genommen, dass wir das alle falsch verstehen (was selbstverständlich an uns liegt), vielleicht haben sogar ein paar geschmunzelt über uns, weil wir reingetappt sind in die Falle, wir Tschopperln. Ich hoffe inständig, dass keine zweite Corona-Welle kommt, aber wenn, müsst ihr euch einen anderen Schmäh einfallen lassen mit uns. Nur der erste Leger ist frei.

Schulstart für Maturanten unter strengen Sicherheitsvorkehrungen
Schulstart für Maturanten unter strengen Sicherheitsvorkehrungen
Denise Auer

Auch in der Schule gibt es wenig zu lachen. Die Debatte über die Streichung der beiden letzten schulautonomen Tage des Jahres geht munter weiter. Paul Kimberger, Chef der Lehrergewerkschafter, pochte am Montag nicht nur auf die Einhaltung, er erklärte gleich den gesamten Besiedelungsplan des Ministers für undurchführbar. Grund: Schulmief.

"Schulmief" senke die Leistungsfähigkeit der Schüler, sie würden in schlecht gelüfteten Räumen "förmlich ersticken", hatte die Ärztekammer schon vor neun Jahren festgestellt, da war von Corona noch keine Rede. Er trete "spätestens ab der dritten Unterrichtsstunde" auf. "Schulmief", steht in dem Protokoll, "ist eine Mischung unterschiedlicher flüchtiger Stoffe und Geruchssubstanzen, die von den Schülern selbst abgegeben werden". Das ist soweit richtig und auch seit Generationen nicht anders, ich habe etwa den "Schulmief" von Hauspatschen, die verpflichtend in der Schule getragen werden mussten, noch heute in der Nase.

Das Problem mit dem "Schulmief" wird nun aber virulent, denn in dem "Schulmief" kann jetzt Corona drin sein und deshalb hat das Ministerium im "Hygienehandbuch zu Covid-19" auf Seite 10 festgelegt: "Nach jeder Unterrichtseinheit soll in den Pausen für eine Dauer von mindestens fünf Minuten gelüftet werden." Das geht, geht aber auch wieder nicht. Einige Schulen haben Lüftungsanlagen, da dürfen gar keine Fenster geöffnet werden. Ein paar Bundesländer, aber auch einige Schulen, verbieten das Öffnen der Fenster generell aus Angst, Schüler oder Schülerinnen würden hinausfallen oder hinausspringen. Das Ministerium schreibt aber explizit vor: "Was im Handbuch steht, gilt und ist auch umzusetzen." Das müffelt.

In anderen Bundesländern wiederum ist genau geregelt, welche Fenstergruppen geöffnet werden dürfen. Im Burgenland etwa legt Paragraph 23 der "Schulbau- und Entlüftungsverordnung" fest: "Zur Lufterneuerung in den Unterrichtsräumen haben in erster Linie die Fenster zu dienen. Eine einfach zu bedienende und schnell wirksam werdende Querentlüftung ist in sämtlichen Räumen vorzusehen. Das erste und das letzte Fenster jedes Unterrichtsraumes ist mit feststellbaren Kippflügeln auszustatten." Nur der guten Ordnung halber sei erwähnt: Die Lüftungsvorrichtungen dürfen nicht "in die Nähe einer Senkgrube (Düngerstätte) münden".

Vielleicht kann sich Elisabeth Köstinger des Corona-geschwängerten "Schulmiefs" annehmen. In ihrem Bundesministerium für Landwirtschaft, Regionen und Tourismus gibt es nämlich einen "Arbeitskreis für Innenraumluft". Vielleicht hat der noch etwas Luft nach oben.

Gesundheitsminister Rudolf Anschober zeigt (wieder einmal) eine Schautafel her
Gesundheitsminister Rudolf Anschober zeigt (wieder einmal) eine Schautafel her
Helmut Graf

28. April 2020 Alles Isidisi! Anschober rockt Corona

Die Regierung erklärt, was wir ab 1. Mai alles dürfen, was nicht. Leider weiß sie das selbst nicht so genau.

Morgenstund' hat Regierung im Mund. Die obligate Pressekonferenz fand diesmal bereits um acht Uhr früh statt, oder um es gemäß der neuen Normalität zu sagen, die Koalition wurde um acht Uhr hochgefahren. Dieses Hochfahren sah diesmal etwas anders aus, Kanzler und Vizekanzler fehlten. Also sprach Rudolf Anschober über den "Reproduktionsfaktor" und er war sehr stolz auf ihn.

Der "Reproduktionsfaktor" liegt in Österreich momentan bei 0,59, ein Erkrankter steckt also 0,59 andere Menschen an, was ich mir gar nicht so leicht vorstelle, denn wie infiziert man eine halbe Person? Oder Portion? Aber weil der Gesundheitsminister schon so im Schwärmen war, überreichte er den Österreicherinnen und Österreichern und allen, die im Land leben, virtuell einen "großen Blumenstrauß", weil wir uns, ohne zu murren, so lange einsperren haben lassen. Eine schöne Geste 13 Tage vorm Muttertag. Kurz wird sich in den Hintern gebissen haben, dass er die Idee nicht hatte.

Tatsächlich nahm Anschober dann aber keinen Blumenstrauß in die Hand, sondern eine Broschüre, ich weiß nicht, ob Mamas am Muttertag mit so etwas eine Freude haben. Das sei der Prognosebericht der "Isidisi" bis 20. Mai, sagte er. Die Reporter im Raum signalisierten Wiedererkennung und Wertschätzung, obwohl ich die Vermutung hege, dass keiner wusste, was "Isidisi" sein soll, ich auch nicht, nebenbei bemerkt. Aber ich dachte mir, endlich kommt Bewegung in die Sache, wenn sich der Minister Berichte von AC/DC schreiben lässt. Ich konnte nicht entziffern, was auf der Broschüre stand, die Anschober in die Kamera hielt, vielleicht ja "Highway To Hell" oder "Back In Black", das Cover schien mir aber etwas bieder gestaltet.

"Isidisi", in Wahrheit "ECDC," das "European Centre for Disease Prevention und Control", habe ermittelt, wie sich Corona in den Mitgliedstaaten der EU in den nächsten Wochen entwickeln werde, sagte Anschober und ich dachte mir, es ist doch erstaunlich, was Musiker zustande bringen, wenn man sie einmal in Hausarrest steckt. Für Österreich schaue die Prognose von "Isidisi" sehr gut aus, fügte der Gesundheitsminister an, wieder war er stolz. "Wir haben die richtigen Maßnahmen zum richtigen Zeitpunkt gesetzt", sagte Anschober und mit "wir" meinte er sich und seine Kumpels vom "virologischen Quartett". Immerhin gestand er ein, dass auch wir brav waren, denn die von der Regierung verordneten "richtigen Maßnahmen zum richtigen Zeitpunkt" habe "die Bevölkerung umgesetzt". Na bitte!

Nach wochenlangem Homeschooling dürfen die Schulen wieder unter strengen Sicherheitsmaßnahmen öffnen
Nach wochenlangem Homeschooling dürfen die Schulen wieder unter strengen Sicherheitsmaßnahmen öffnen
Helmut Graf

Die Zahlen würden es jetzt erlauben, dass man "grünes Licht für die nächsten Öffnungsschritte" gebe. Die Ausgangsbeschränkungen, die er selbst erlassen hatte, nannte Anschober "rigoros", er machte sich deswegen aber keine schweren Vorwürfe, sondern meinte, dass man sie nun auslaufen lassen könne, die Ausgangsbeschränkungen, nicht die Vorwürfe. "Es kommt jetzt auf jeden Einzelnen an, dass wir nicht übermütig werden." Manchmal vermitteln die Mitglieder der Regierung auf diesen Pressekonferenzen wirklich den Eindruck, sie würden eine Hortgruppe führen.

Dieser Hortgruppe richtete Anschober aus: "Wir werden Versammlungen bis zehn Personen akzeptieren." Das wird gar nicht so einfach, denn die neuen Bestimmungen verwirren fast noch mehr als die alten, was nicht leicht ist. Gestern verriet die Regierung, wie die Gastronomie (mit Plexiglashelm, Sitzplatzierungen und Zugangskontrollen) und die Hotellerie aufsperren sollen und wie wir uns ab sofort im Freien bewegen dürfen.

Also: Man kann sich mit Freunden jetzt auf der Straße treffen. Sie zu umarmen oder ihnen gar ein Bussi zu geben, ist allerdings unter Strafe verboten (in den Kerker können wir nicht mehr kommen, denn da sind wir ja schon). Es gilt der Mindestabstand von einem Babyelefanten. Wenn ich die Freunde aber jetzt zusammenpacke und in ein Lokal gehe (in dem ich vorher reserviert haben muss), dann kann ich sie dort umarmen und abbusseln so viel und sooft ich will (und es die Sittlichkeit nicht gefährdet), denn in Innenräumen gilt die Abstandsregel nicht. Vielleicht haben wir im öffentlichen Raum bald eine Schmusepolizei, die mit dem Gummiknüppel einschreitet, wenn geschnäbelt wird.

Auch in Privaträumen kann ich jetzt tun und lassen, was ich will, ich konnte allerdings schon bisher tun und lassen, was ich wollte, die Regierung hatte das nur anders dargestellt. Die diesbezügliche Diskussion darüber nannte Anschober gestern "bizarr". Was er tatsächlich meinte: Corona-Partys waren nie verboten, aber das Hingelangen, Hingehen, Hinlaufen, Hinspazieren, Hinfahren zu diesen Corona-Partys schon.

Jetzt ist es Verliebten ausdrücklich erlaubt, dass Sie in seine Wohnung mitkommt und Er in ihre. Die Regierung empfiehlt allerdings Menschen, die sich in fremden Wohnungen aufhalten, weiterhin den Abstand von einem Babyelefanten einzuhalten, was bei Paaren, die sich zwar keinen Babyelefanten, aber zumindest ein Baby wünschen, gar nicht so simpel zu bewerkstelligen sein dürfte.

Während der Pandemie war ein Zutritt zu Öffis durch die Vordertür verboten
Während der Pandemie war ein Zutritt zu Öffis durch die Vordertür verboten
Helmut Graf

7. Mai 2020 Geil, endlich eine Pressekonferenz!

Nach über 60 Corona-Medienterminen schaltet die Regierung noch einmal einen Gang höher. Mit vier Pressekonferenzen. An einem Tag.

Letzte Woche standen der Kanzler, der Vizekanzler, der Gesundheitsminister und der Innenminister noch da im Kanzleramt wie die Ritter der Kokosnuss, verborgen hinter Plexiglasscheiben. Das Virus hätte einen Rammbock gebraucht, um zu ihnen durchzudringen. Nun gab Rudolf Anschober eine Pressekonferenz, davor und danach setzte er artig eine Schutzmaske auf, aber dazwischen trennte ihn kein Glasparavent mehr von den Journalisten. Er stellte Bundesliga-Fußball in naher Zukunft in Aussicht, aber "es wird keine Privilegien geben", sagte er. "Der wird behandelt wie jeder andere." In einer Sitzung am Abend debattierte die Bundesliga dann darüber, wie die anderen behandelt werden, damit man wisse, wie man selbst behandelt wird. Es gab kein Ergebnis, das heißt, es gab schon ein Ergebnis, die Beratungen wurden an eine Arbeitsgruppe delegiert.

Kurze Zeit später meldete sich Heinz Faßmann ebenfalls aus seinem Ministerium, auch er ließ das Plexiglas-Papamobil in der Garage. Der Bildungsminister kündigte an, die Unis und Hochschulen nicht "hochfahren" zu wollen, weil sie ja nie runtergefahren worden waren (was man den Studenten vielleicht hätte sagen sollen), sondern Unis und Hochschulen (nicht die Studenten) werden vielmehr jetzt "durchstarten". Dieses Durchstarten erleidet im ersten Gang einen Kolbenreiber, Präsenzunterricht gibt es in diesem Studienjahr nämlich keinen mehr. Prüfungen finden schon statt, aber aus der Ferne, der Medizin-Aufnahmetest wird auf den 14. August oder auf Ende September verschoben. Ich hoffe, die angehenden Ärzte können immatrikulieren, ehe sie ihre erste OP am offenen Herzen durchführen dürfen.

Das "virologische Quartett" in seiner Grundaufstellung
Das "virologische Quartett" in seiner Grundaufstellung
Helmut Graf

Es blieb Sebastian Kurz vorbehalten, die erst dritte Pressekonferenz der Regierung an diesem Tag zu geben und damit war es noch nicht überstanden. Kurz hatte vom Kreiskyzimmer aus mit den "Smart 9", die eben noch die "Smart 7" gewesen waren, telefoniert. Mit Staatschefs also, denen Corona schon recht wurscht ist. Kurz redete mit seinen neuen, smarten Kumpels über eine mögliche zweite Welle. "Dann braucht's ein regional zugeschnittenes Vorgehen und ein treffsicheres Containment", sagte er. Also konkret: Wenn das Virus noch einmal anrauscht, werden wir nur mehr lokal eingesperrt. Ob mich das beruhigt, muss ich erst smart beurteilen.

Zum Grande Finale traten dann Vizekanzler Werner Kogler und Finanzminister Gernot Blümel in den Papamobilen auf, es ging wieder einmal um Wirtschaftshilfe. In Erinnerung bleibt vor allem, dass Kogler eine Krawatte umgeschnallt hatte, warum auch immer. Die meisten Menschen tragen Krawatten, wenn es der jeweilige Anlass hergibt und keine Krawatte, wenn es der jeweilige Anlass nicht hergibt. Bei Kogler weiß man nicht so recht. Wollte er einen Spinatfleck verbergen? War ihm kalt? Hatte er danach Firmung?

Seit Corona ist es um den Klimaschutz recht still geworden. Das wird sich recht rasch wieder ändern, vermute ich. Die angespannte wirtschaftliche Lage dürfte die Debatten hitziger machen. Dass ein grüner Vizekanzler nun an der Rettung der AUA maßgeblich mitwirken will und mitwirken muss, zeigt das Dilemma von Umweltschutzpolitik auf. Da hilft kein Plexiglas.

Gastro-Wiedereröffnung: Ministerin Elisabeth Köstinger besucht das Wiener Café Hummel
Gastro-Wiedereröffnung: Ministerin Elisabeth Köstinger besucht das Wiener Café Hummel
Helmut Graf

11. Mai 2020 Wir werden langsam alle verrückt

Darf man Schweizer essen? Ist das Schnitzel Teil unserer DNA? Und andere Gastro-Fragen.

Es passierte am vergangenen Wochenende. Gegen Mittag flog ein Fenster im Innenhof meines Wohnblocks auf, es ging alles so schnell, ich konnte gar nicht sagen, um welches Stockwerk es sich handelte. Jedenfalls war plötzlich eine Männerstimme zu hören, die brüllte: "Meine Frau hat heute geduscht." Nichts weiter. Nur der eine Satz, dann wurde das Fenster krachend zugeworfen. Alles still. Ich wusste nicht, was das bedeuten könnte, also inhaltlich schon natürlich, nämlich, dass sich jemand geduscht hatte und ein anderer Jemand das für mitteilungswürdig empfand. Aber ich verstand die Hintergründe nicht. Hoffentlich ist dieses Corona vorbei, wenn es heiß wird, es holt nicht das Beste aus den Menschen heraus, nicht aus einer Welt, nicht aus beiden.

Die Regierung hatte keine Zeit für solche Alltagsängste, sie musste für unser leibliches Wohl sorgen. Pressekonferenz Nummer 76 am Montag widmete sich der Gastronomie und begann mit einer Art Einzug, wie man es von noblen Restaurants kennt, wenn der Hauptgang serviert wird. Oberkellner Gernot Blümel führte die Mannschaft an, die zu einem Quintett angewachsen war. Hinter dem Finanzminister folgten Gastroministerin Elisabeth Köstinger, Kanzler Sebastian Kurz, Vizekanzler Werner Kogler und Wirtschaftskammerpräsident Harald Mahrer. Statt Speisen auf Tellern unter einer Glosche, trugen der Oberkellner und seine Kollegenschaft Zettel in der Hand, alle hatten Masken auf, so wird es ab Freitag auch in den Restaurants sein.

In Österreich ist es ja so: Für die Wirtschaft ist neben Kanzler und Vizekanzler die Wirtschaftsministerin zuständig, natürlich auch ein bisschen die Arbeitsministerin und die Integrationsministerin und die Kanzleramtsministerin. Für die Gastwirtschaft aber ist nicht die Wirtschaftsministerin zuständig, nicht die Arbeitsministerin, die Integrationsministerin und die Kanzleramtsministerin, sondern die Bundesministerin für Landwirtschaft, Regionen und Tourismus,      und deshalb war die Wirtschaftsministerin gestern nicht bei der Wirtschafts-Pressekonferenz zugegen, es wäre auch eng geworden, Mahrer musste ja auch noch aufs Bild.

Sebastian Kurz mit Maske beim erstes Pressefoyer nach der ersten Coronakrise am 13. Mai 2020, bei dem wieder Fotografen zugelassen waren
Sebastian Kurz mit Maske beim erstes Pressefoyer nach der ersten Coronakrise am 13. Mai 2020, bei dem wieder Fotografen zugelassen waren
Helmut Graf

Als erstes sprach der Kanzler, er hielt sich auffallend knapp. Schon im ersten Satz brachte er alle wesentlichen Botschaften unter ("Wirtschaft hochfahren", "schneller als andere", "Normalität", die diesmal ohne "neue" auskommen musste). Frei nach Erwin Ringel, nannte er die Gastronomie einen "Teil der österreichischen Seele", anatomisch gesehen ist also das Schnitzel ein DNA-Baustein und Uhudler einer unserer Körpersäfte, wir hatten das immer schon so vermutet. Für die "österreichische Seele" wurde ein Hilfspaket geschnürt, das Kurz "Wirtshauspaket" nannte. Es hat ein Volumen von 500 Millionen Euro. Ich weiß nicht, ob das viel oder wenig Brösel sind, man müsste das auf Schnitzel umrechnen.

Kurz ließ es bei einer fünfminütigen Rede bewenden. Er schloss mit der "Bitte an alle Österreicherinnen und Österreicher: Konsumieren und kaufen sie möglichst regional und konsumieren sie natürlich auch in den österreichischen Wirtshäusern." Er fügte leider keine Definition an, was er unter einem "österreichischen Wirtshaus" versteht. Darf man ab Freitag auch japanisch essen gehen oder griechisch oder italienisch, oder ist das zu fremd und ausländisch? Wie ist das mit dem Schweizerhaus? Im Schnitzelhaus werden Schnitzel verfüttert, im Schweizerhaus aber keine Schweizer, ist das dann jetzt inländische oder ausländische Gastronomie?

Ich frage nicht ohne Grund, denn in Zeiten wie diesen ist es gut, wenn man sich für alles eine Erlaubnis holt. Als es später um die Details ging, kam die Rede auch auf die Umsatzsteuer. Sie wird für nichtalkoholische Getränke von 20 Prozent auf zehn Prozent gesenkt. Gastro-Ministerin Köstinger empfahl den "Unternehmern, die Erleichterungen nicht an die Kunden weiterzugeben, erlaubt sei das aber durchaus". Nanu? Brauchen Gastwirte jetzt eine Erlaubnis der Ministerin, wenn sie Cola oder Spezi um 10 Cent billiger anbieten wollen?

Mit den Details des "Wirtshauspakets" behellige ich sie nicht weiter, ich verstehe ohnehin nicht, warum das alles so kompliziert geworden ist. "Erhöhung der Mobilitätspauschale von zwei Prozent auf sechs Prozent für Gasthäuser in Gemeinden bis 5.000 Einwohner und vier Prozent für Gasthäuser in Gemeinden bis 10.000 Einwohner", lese ich da. Ja eh. Warum verteilt man nicht einfach Gutscheine an Leute, damit sie billiger in Lokalen essen und trinken können? Da haben Wirt und Gast etwas davon. Das mit den Hilfen gerät grundsätzlich aus den Fugen. Ein Salzburger Gastwirt erzählte, wie viel Geld ihm aus den beiden "Corona-Härtefallfonds" zugesprochen wurde – 59,20 Euro nämlich. Ich hoffe, er verprasst das nicht.

Im Mai 2020 beginnen die Coronatests richtig anzulaufen
Im Mai 2020 beginnen die Coronatests richtig anzulaufen
Sabine Hertel

12. Mai 2020 Wie Ischgl zu Ibiza wurde

Österreich bekommt gleich zwei U-Ausschüsse, beide beschäftigen sich mit exotischen Inseln – Ibiza und Tirol.

Aber jetzt! Jetzt wird alles untersucht, jeder Stein wird umgedreht. Österreich wird transparent, durchsichtig, wie aus Plexiglas. Wenn die ISS in einem Jahr über uns fliegt und die Astronauten nach unten blicken, dann werden sie sich fragen, wie dieses Land heißt, durch das man durchschauen kann, bis zum Erdmittelpunkt. Es gibt jetzt Untersuchungsausschüsse und die Menschen werden sich darum raufen, um auf die Einladungsliste zu gelangen, wo kommt man heute schließlich sonst noch hin? Die Promis werden die Ausschussvorsitzenden anbetteln, damit sie vorgeladen werden. Wer etwas auf sich hält, der ist jetzt Ausschuss. Nicht einmal der Schlüssel zum Privatklub von Martin Ho ist so begehrt.

Ibiza und Ischgl, beide zeitgeschichtlich relevanten Schauplätze österreichischer Corona-Kleinkunst also, werden nun mittels U-Ausschüssen untersucht. Am 4. Juni geht es in Wien los. Zehn Termine gibt es bis zum 16. Juli. Der Kanzler kommt und sein einstiger Vize Heinz-Christian Strache, dessen Ibiza-Spezl Johann Gudenus, der aktuelle Finanzminister Gernot Blümel und sein Vorgänger Hartwig Löger, dessen Staatsekretär Hubert ich-bin-immer-super-drauf Fuchs, Norbert ich-war-noch-nie-auf-Ibiza Hofer, die Novomatic, die Casino-Gambler, die Wörthersee-Blase, nur Otto Retzer fehlt. Das ist schade, wann fände man einen besseren Cast für die Verfilmung des echten Österreich? Arbeitstitel: "Ein Vorhängeschloss am Wörthersee".

Aber nicht nur in Wien wird jetzt auf Corona komm raus untersucht, sondern auch in Tirol. Die Landesregierung hat eine Experten-Kommission eingesetzt, also noch nicht wirklich eingesetzt, sondern vorerst die beiden Leiter nominiert. Einen davon kennt Landeshauptmann Günther Platter recht gut, denn er saß 2018 im Unterstützungskomitee für seine Wiederwahl.

"Kitzloch"-Wirt Bernhard Zangerl in seinem Lokal im Skigebiet Ischgl, das in der Coronazeit seltsame Berühmtheit erlangte
"Kitzloch"-Wirt Bernhard Zangerl in seinem Lokal im Skigebiet Ischgl, das in der Coronazeit seltsame Berühmtheit erlangte
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Ich verstehe ja grundsätzlich nicht, was die Tiroler überhaupt noch untersuchen wollen, die sind ohnehin schon geläutert. "Ein übertriebener Partytourismus ist nicht notwendig", sagte Landeshauptmann Platter gestern in einer Videopressekonferenz. Das "Management Center Tirol" erarbeitet fürs Land bis Herbst ein neues Tourismuskonzept, man wäre schneller fertig, wenn man sich die vier Folgen der "Piefke-Saga" anschauen würde, denn dort wird der Weg von der Sünde ins gelobte Land sehr anschaulich geschildert.

"Irritierende Bilder" habe Tirol in die Welt getragen, sagte Platter. "Irritiert" hat die internationalen Gäste wohl eher, dass sie aus dem Skiurlaub einen tödlichen Virus heim mitbrachten, ein paar waren sogar so "irritiert", dass sie daran starben.

Nun aber wird Tirol total bio. Party, Saufen, Ballermann, damit will man jetzt nichts mehr zu tun haben. Ich denke, es wird ein schickes Tourismuskonzept herauskommen. Es wird weiter skigefahren und getrunken und mit dem Bus angereist werden, nun aber unter der Maßgabe von Nachhaltigkeit. Die Landespolitiker werden sich auf die Schultern klopfen, sich gegenseitig beteuern, dass sie alles richtig gemacht haben und die Krise bestmöglich gemeistert wurde, man habe ja nicht gewusst, was sie da in Orten wie Ischgl abspielte, pfui Teufel. Schuld seien aber sowieso die Wiener. Und die Chinesen. Wenn man da schon einen Unterschied machen will. "Ihr könnt in Ruhe nach Tirol kommen", rief Platter den Urlaubern gestern zu. Es klang fast wie eine Drohung.

Österreich schüttelt langsam Corona ab. Noch ahnt niemand, dass uns die Pandemie noch jahrelang beschäftigen wird. Vorerst bekommt aber einmal die Politik neue Fieberträume.

Die erste Staffel hier lesen

Staffel 1 ist nun komplett fertig. Finden Sie hier alle neun Folgen, als Text und als Podcast.

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