Skandal erschüttert land

Dänemarks Ibiza: TV-Sender verwanzte Anwaltskanzlei

Korruption? Nicht bei uns. Nun aber erschüttert ein Skandal das Sauberland Dänemark. Abgehörte Anwaltsgespräche offenbaren einen Sumpf aus Steuerbetrug und Geldwäsche.

 Anwältin Amira Smajic stellte sich als Lockvogel zur Verfügung, betrieb aber ein Doppelspiel
Anwältin Amira Smajic stellte sich als Lockvogel zur Verfügung, betrieb aber ein Doppelspiel
TV 2
Newsflix Redaktion
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Ein pakistanischer Motorradgangster mit einer geheimen Folterkammer. Eine Baufirmen-Managerin, die kontaminierte Abfälle und verseuchtes Erdreich illegal entsorgen möchte. Ein Immobilieninvestor und ehemaliger sozialdemokratischer Stadtrat, der Kriminellen anbietet, ihnen beim steuerschonenden Parken ihrer Millionengewinne behilflich zu sein. Ein Top-Anwalt, der erklärt, wie man bei einer Insolvenz seine Schäfchen ins Trockene bringt. Und vertrauliche Zeugenaussagen auf einem USB-Stick, die noch vor einem Prozess den Weg von der Polizei zu dem finden, um den es eigentlich geht.

Etwas ist faul … Das sind nur einige besonders schmackhafte Zutaten zu jenem Krimi, der seit knapp drei Wochen Dänemark in seinen Bann zieht. Eine Wirtschaftsanwältin hatte zwei Jahre lang ihr Büro von Journalisten verwanzen lassen, um so die unethischen und teils kriminellen Machenschaften ihrer Klienten aufzudecken. Ein in Dänemark bekannter Investigativjournalist zimmerte aus dem Material eine sechsteilige Fernsehserie, die unter dem suggestiven Titel "Der Schwarze Schwan" nun das kleine Königreich mit seinen etwa sechs Millionen Einwohnern nachhaltig beschäftigt und für politische und gesellschaftliche Turbulenzen sorgt.

Sie löste den Skandal aus: Die Juristin Amira Smajic ließ ihr Büro in Kopenhagen zwei Jahre lang abhören, um die Verflechtungen zwischen der dänischen Halb- und Unterwelt und der gesellschaftlichen Oberschicht aufzuzeigen
Sie löste den Skandal aus: Die Juristin Amira Smajic ließ ihr Büro in Kopenhagen zwei Jahre lang abhören, um die Verflechtungen zwischen der dänischen Halb- und Unterwelt und der gesellschaftlichen Oberschicht aufzuzeigen
TV2

… im Staate Dänemark Denn das Land gilt als eines der "saubersten" weltweit. Sowohl was den Umgang mit Korruption betrifft, als auch bezüglich eines gewissen gegenseitigen Vertrauens, das die dänische Gesellschaft durchzieht und zusammenhält. Man weiß als gelernter Däne, "was sich gehört", was geht und was nicht. Und so gut wie alles, was jetzt in "Der Schwarze Schwan" auf das Land einstürzt, "geht gar nicht". Dänemarks Eliten sind erschüttert. Oft hört man derzeit in Kopenhagen und sonst wo: "So sind wir nicht!" Und man muss nicht Hamlet sein, um von der aktuellen dänischen Gefühlsverwirrung an "unseren" Ibiza-Skandal erinnert zu werden.

"Ibiza" an der Ostsee In der Tat gibt es erstaunliche Parallelen zwischen jener Affäre, die in Österreich im Jahr 2019 die türkis-blaue Regierungskoalition beendete, und dem aktuellen Skandal in Dänemark. In beiden Fällen ist die Motivation, die zu den entlarvenden Aufzeichnungen geführt hat, nicht restlos geklärt. Auch die Umstände der Abhöraktionen sind zumindest fragwürdig – ganz gleich, was dadurch ans Licht gekommen ist. Und last but not least steht zu befürchten, dass der Skandal auch in Dänemark keine nachhaltigen Konsequenzen auf das Establishment haben wird.

Trat zurück, nachdem er auf Ibiza abgehört wurde: Ex-FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache bei der Rücktritts-Pressekonferenz am 18. Mai 2019 mit Sozialministerin Beate Hartinger-Klein (l.) und Außenministerin Karin Kneissl
Trat zurück, nachdem er auf Ibiza abgehört wurde: Ex-FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache bei der Rücktritts-Pressekonferenz am 18. Mai 2019 mit Sozialministerin Beate Hartinger-Klein (l.) und Außenministerin Karin Kneissl
HELMUT FOHRINGER / APA / picturedesk.com

Die Abhör-Affäre Aber was ist eigentlich passiert? Wer wurde abgehört - und was wurde dabei bekannt? Newsflix hat sich auf Spurensuche begeben und beantwortet die wichtigsten Fragen zur Affäre Nummer 1 im Land von Lego, Hygge und Smørrebrød.

Wodurch wurde die Abhör-Affäre ausgelöst?
Vor etwas mehr als zwei Jahren soll sich die Wirtschaftsanwältin Amira Smajic, Tochter bosnischer Flüchtlinge, beim Investigativjournalisten Mads Brügger gemeldet und ihm erklärt haben, dass sie nach zehn Jahren als juristische Beraterin für die organisierte Unter- und Halbwelt einen Schlussstrich ziehen und zeigen wolle, wie eng und intensiv die kriminelle Unterwelt und die dänische Oberschicht miteinander verstrickt seien. Das war der Beginn der Aktion.

Wie ging es weiter?
Mads Brügger, dem einerseits ein sehr guter Ruf als Journalist vorauseilt, der andererseits aber auch als Filmemacher von Dokumentarstreifen mehrfach ausgezeichnet wurde, tat sich mit dem öffentlich-rechtlichen dänischen Sender TV2 zusammen, der die gesamte Aktion finanzierte. Im Büro von Amira Smajic wurden Abhörgeräte und Kameras installiert, um damit die Gespräche zwischen der Anwältin und ihren Klienten oder auch zwischen mehreren Klienten aufzuzeichnen.

Der dänische Investigativjournalist Mads Brügger erstellte aus dem abgehörten Material eine sechsteilige Serie für das dänische Fernsehen
Der dänische Investigativjournalist Mads Brügger erstellte aus dem abgehörten Material eine sechsteilige Serie für das dänische Fernsehen
TV2

Wie lange ging das so?
Etwa zwei Jahre. Während des gesamten Zeitraums soll Anwältin Amira Smajic auch ein Honorar vom TV-Sender bezogen haben, was jetzt für einige Kritik sorgt. Es wird argumentiert, dass der Sender dadurch die Bühne für potenzielle Straftaten finanziert oder gar aktiv Verbrechen unterstützt habe.

Und dann wurde eine TV-Sendung daraus?
Mehr noch, Investigativjournalist Mads Brügger fabrizierte aus dem gesammelten Material eine sechsteilige Serie, die "Den Sorte Svane" heißt, dänisch für "Der Schwarze Schwan".

Wie in einem Märchen von Hans Christian Andersen?
Nein, das hässliche Entlein wurde zwar auch ein stolzer Schwan, aber hier ist etwas anderes gemeint. Im modernen Wirtschaftsleben steht das Bild des "Schwarzen Schwans" für seltene, unvorhersehbare Ereignisse von großer Tragweite, also quasi für einen Game Changer, mit dem keiner rechnen konnte. So sieht man beim Sender TV2 die Erkenntnisse aus der Abhöraktion.

Welche Skandale wurden dadurch aufgedeckt?
Es geht primär um Steuerbetrug, Geldwäsche, Korruption und Steuerhinterziehung. Der Geschädigte ist in den allermeisten Fällen der Staat Dänemark. Einmal sagt Anwältin Amira Smajic zu einem ihrer Klienten: "Und am Ende zahlt immer der Staat." Nach ihren eigenen Angaben habe sie "mehrere Jahre lang Kriminellen dabei geholfen, Finanzverbrechen in Höhe von mehreren hundert Millionen Kronen zu begehen" (100 Millionen Kronen entspricht etwa 13,5 Millionen Euro).

Rühmt sich auf Video damit, dass sein schalldichtes Büro auch als Folterkammer taugt: Der aus Pakistan stammende Motorrad-Gangster Fasar Abrar Raja
Rühmt sich auf Video damit, dass sein schalldichtes Büro auch als Folterkammer taugt: Der aus Pakistan stammende Motorrad-Gangster Fasar Abrar Raja
TV2

Wer sind die Täter?
In der TV-Sendung werden nur einige Personen namentlich genannt. Zu den schillerndsten Verdächtigen gehört etwa der aus Pakistan stammende Fasar Abrar Raja. Er ist Mitglied der Motorradgang Bandidos und rühmt sich im Gespräch seiner Taten. Etwa, dass er ein schalldichtes Büro habe, das sich für Folterungen eigne. Oder dass er bislang noch nie von einem Gericht belangt werden konnte, weil er ein Gutachten über mentale Handicaps vorweisen könne und deshalb sogar eine Invalidenrente vom Staat kassiert – und das, obwohl ihm Straftaten vorgeworfen werden (u.a. Gewalt, gefährliche Drohung, Waffenbesitz und Drogenschmuggel), die für insgesamt 55 Jahre Gefängnis genügen wurden. In einer Passage, die auch auf Video festgehalten wurde, verhandelt Raja mit der Managerin einer Immobilienfirma, die kontaminierte Baustoffe und verseuchtes Erdreich möglichst billig loswerden wollte – ein Geschäft, dass der Verdächtige gemeinsam mit anderen Familienmitgliedern seit Jahren betreibt.

Gibt es auch Verdächtige vom der "anderen Seite" des Spektrums?
Ja, etwa den renommierten Anwalt Nicolai Dyhr. Er war zum Zeitpunkt des Gesprächs, das in der Kanzlei aufgezeichnet wurde, in leitender Funktion bei der großen dänischen Kanzlei Horten beschäftigt. Er plauderte auf Video darüber, wie Unternehmen, die er als Treuhänder betreute, zur Geldwäsche benutzt wurden und wie im Konkursfall die Aktiva einer Gesellschaft unauffällig beiseite geschafft werden können. Aufgrund der Veröffentlichung der Videos verlor Dyhr seinen hoch dotierten Job und muss sich jetzt Ermittlungen der Justiz stellen.

Anwältin Amira Smajic mit ihrem Berufskollegen Nicolai Dyhr (Mitte) und dem Geschäftsmann Martin Malm
Anwältin Amira Smajic mit ihrem Berufskollegen Nicolai Dyhr (Mitte) und dem Geschäftsmann Martin Malm
TV2

Kann man bereits ein Fazit der Aktion ziehen?
Bislang wurden mehrere Personen aufgrund der Erkenntnisse aus den Sendungen angezeigt, zudem verloren einige Menschen ihre Posten oder traten freiwillig zurück. Jetzt ist es an der Justiz zu ermitteln, in welchen Fällen den Verdächtigen konkrete Straftaten nachgewiesen werden können, für die man sie noch belangen kann.

Eigentlich alles eitel Wonne?
Ganz und gar nicht. Denn Amira Smajic, die Anwältin, die alles losgetreten hat, bekam kurz vor der Veröffentlichung der Aufnahmen scheinbar kalte Füße und wollte die Ausstrahlung der Sendung verhindern. Dafür zog sie sogar vor Gericht, wurde jedoch abgewiesen – das öffentliche Interesse an den abgehörten Gesprächen sei höher zu gewichten als das Schutzbedürfnis der Frau. Deshalb ist Amira Smajic nun angeblich mit ihrem Kind untergetaucht, weil sie Racheakte jener Menschen fürchtet, die sie durch die Abhöraktion hinters Licht geführt hat. In Dänemark ist auch davon die Rede, dass die Jursitin unter Polizeischutz steht, darüber ist aber nichts Genaueres bekannt.

Ist Amira Smajic in Dänemark jetzt eine Heldin?
Nein, im Gegenteil. Denn wie der Sender TV2 berichtet, habe die Jursitin auch den Sender hinters Licht geführt. So habe Smajic nebenbei noch eine weitere, "geheime" Kanzlei betrieben, in der sie weiter all jene Aufgaben für ihre Klientel erledigt habe, die sie in ihrer "offiziellen" Kanzlei angeblich aufdecken wollte. Zudem heißt es, sie hätte auch eine Liebes- und Geschäftsbeziehung mit einem verurteilten Verbrecher gepflegt.

Das Fernsehen hörte alles mit: Das Redaktionsteam des Senders TV2 zeichnete fast zwei Jahre lang alle Gespräche im Büro von Rechtsanwältin Amira Smajic auf
Das Fernsehen hörte alles mit: Das Redaktionsteam des Senders TV2 zeichnete fast zwei Jahre lang alle Gespräche im Büro von Rechtsanwältin Amira Smajic auf
TV2

Also ist die Anwältin die Böse?
Schwer zu sagen, die ganze Geschichte klingt jedenfalls, vorsichtig formuliert, konfus. Es ist nur schwer nachvollziehbar, warum eine Anwältin auf der einen Seite ihre Klienten bespitzeln lässt und auf der anderen Seite die gleich Art von Klienten weiterhin, aber im Geheimen, mit ihrem juristischen Beistand versorgt. Dazu kommt, dass das Verhalten von Amira Smajic vermutlich als standeswidrig klassifiziert wird und ihr wohl der Ausschluss aus der dänischen Rechtsanwaltskammer droht.

Auf ihrem LinkedIn-Profil, das nach wie vor aktiv ist, ist auch die Berufserfahrung der Juristin aufgeführt. Demnach ist sie für ihre eigene Kanzlei, "Advokafirmaet Smajic", tätig, für die Wirtschaftsprüfungskanzlei "Revisorerne", als Lektorin an der Universität von Süddänemark sowie als Juristin für ein Beratungsunternehmen namens "4audit". Von einer weiteren Kanzlei ist hier keine Rede. Und letztlich muss ihr klar gewesen sein, dass Klienten wie der Motorrad-Gangster nicht zur Tagesordnung übergehen, wenn sie landweit im Fernsehen als Schurken vorgeführt werden. Weshalb sich Smajic selbst in solch eine Sackgasse hätte manövrieren sollen, noch dazu als junge Mutter, bleibt unverständlich.

Wie erklärt sich der Fernsehsender?
Dort ist man vor allem happy über den journalistischen Scoop. Ulla Pors Nielsen, Nachrichtendirektorin von TV2, erklärte: "Die Sendung erschüttert unseren kindlichen Glauben an Ordnung und Ehrlichkeit in der dänischen Gesellschaft." Und Investigativjournalist Mads Brügger erklärte, die Anwältin habe ein Bekenntnis abgegeben, sich an keinerlei kriminellen Aktivitäten zu beteiligen, ehe der Deal mit dem Sender perfekt gemacht wurde.

Wie reagiert das Land?
In seinen Grundfesten erschüttert. Dänemark war die letzten sechs Jahre lang im Korruptionsindex von "Tranparency International" immer am besten platziert – also jenes Land mit der geringsten Wahrscheinlichkeit für Korruption. Zum Vergleich: Die Schweiz liegt in diesem Index aktuell auf Platz 6, Deutschland auf Platz 9 und Österreich auf Platz 20, gemeinsam mit Frankreich und Großbritannien. Es wurde und wird in Dänemark auch viel dafür getan, dass das Land "sauber" bleibt – Es gibt strenge Gesetze zur Korruptionsbekämpfung, die auch konsequent durchgesetzt werden. Die Strafen für derartige Delikte sind rigoros und gesellschaftlich akzeptiert und es gehört zum Selbstverständnis des Landes und seiner Bürger, dass derartige Vorgänge geächtet sind. Umso schlimmer trifft des die Menschen, dass es nicht nur Figuren vom Rande der Gesellschaft sind, sondern auch geachtete und etablierte Bürger, die hier entlarvt worden sind.

Als "absolut inakzeptablen moralischen Absturz" bezeichnete Dänemarks Ministerpräsidentin Mette Frederiksen die Aufzeichnungen aus dem Büro der Anwältin und als ""Respektlosigkeit gegenüber dem Land und dem Rechtsstaat"
Als "absolut inakzeptablen moralischen Absturz" bezeichnete Dänemarks Ministerpräsidentin Mette Frederiksen die Aufzeichnungen aus dem Büro der Anwältin und als ""Respektlosigkeit gegenüber dem Land und dem Rechtsstaat"
Jeremias Gonzalez / AP / picturedesk.com

Was sagt die Politik?
Das, was in derartigen Fällen immer gesagt wird: Dass das ein "absolut inakzeptabler moralischer Absturz" und eine "Respektlosigkeit gegenüber dem Land und dem Rechtsstaat" sei (die sozialistische Ministerpräsidentin Mette Frederiksen) und dass es schärferer Gesetze und noch härterer Strafen für derartige Delikte bedürfe (Justizminister Peter Hummelgaard). Und der Präsident der Anwaltskammer, Martin Lavesen, erklärte das Geschehen zum "Einzelfall" (was skurril ist, da es sich ja um fortgesetzte Handlungen über viele Monate handelt) und gleichzeitig zu "einem der schlimmsten Dinge, die ich als Anwalt erlebt habe". Und: "Es macht den Anschein, als ob die Anwälte als nützliche Handlanger für Banden und kriminelle fungierten."

Wie geht es jetzt weiter?
Das letzte Wort in der ganzen Angelegenheit ist sicher noch nicht gesprochen, es gibt noch zu viele Unklarheiten in der ganzen Causa. Aber am Ende ist es wahrscheinlich einfach so, dass Dänemark und seine Bewohner nun in einer Wirklichkeit angekommen sind, die in den meisten anderen Ländern längst als Realität akzeptiert worden ist – mit allen dazugehörigen Konsequenzen.

Uhr
#Menschenwelt
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