Christian Nusser

Der Buchsbaumzünsler und ein paar andere Pflanzereien

Jetzt mit Podcast. Die Kopfnüsse heute mit viel Natur, einem Gartenzwerg, aber fast ohne Lena S. Irgendwann ist dann auch genug.

Verwirrende Politikwelt: Umweltministerin Leonore Gewessler (Grüne) darf in der EU nicht für "ihr" Gesetz stimmen
Verwirrende Politikwelt: Umweltministerin Leonore Gewessler (Grüne) darf in der EU nicht für "ihr" Gesetz stimmen
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Newsflix Kopfnüsse
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Noch ein paar Tage bis zur Volksabstimmung über Lena Schilling, die in anderen Ländern irrtümlicherweise EU-Wahl heißt. Der Zustrom an Chats ist versiegt, die Wasserfälle an Betroffenheits-Erzählungen in Fernsehsendern ebben ab. Das Land scheint seinen Durst gestillt zu haben. Selbst wenn nun enthüllt werden sollte, dass die Tanzlehrerin vor Jahren einmal grußlos an einem Stachelbeerstrauch vorbeigegangen ist, wird das keinen Erdrutsch mehr auslösen.

Abseits des politischen Kleingelds, das mit Schilling gewechselt wurde, erwuchs Österreich eine neue Debatte, die den Wahltag überdauern wird. Die Schieders und die Lopatkas und die Vilimskys entfleuchen am 10. Juni nach Brüssel, die Natur bleibt uns erhalten. Vermutlich immer noch besser als umgekehrt.

Das Mistgabel-Duell über den Rückbau der Natur, oft mit dem kalten Technologen-Begriff Renaturierung betitelt, beschäftigt mehr Menschen im Land, als man vor allem in Wien glauben mag. Es geht um die Frage, ob wir ein paar Landschaften wieder in das rückverwandeln, was sie früher einmal waren. Da ist jeder schnell dafür, der eigene Bauernhof auf der Kärntner Straße steht für die Verwirklichung vieler Lebensträume. Das Beste aus beiden Welten hat aber auch hier seine Haken und Ösen und die Debatte darüber für Österreich mehr Relevanz als der Streit, ob eine Frau mit zweifelhaftem Chat-Hintergrund einen Job in Brüssel verdient hat oder nicht.

Die tun nur so unschuldig: Die Raupe des Buchsbaumzünslers ist der Endgegner in Österreichs Gärten
Die tun nur so unschuldig: Die Raupe des Buchsbaumzünslers ist der Endgegner in Österreichs Gärten
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Irgendwann werden sich die Flüsse sagen: "Wisst's was, Mädels, das ist uns jetzt zu blöd!" Und dann werden die Donau und der Inn und die Drau und die Salzach und ihre Nebenarme und Zuflüsse zuwachsen. Einfach so. Von selbst, ohne EU und Österreich. Das Strauchwerk wird sich wie ein Spinnennetz über die Flussläufe legen, die schiarchen Betonbetten, in denen das Wasser bisher teilnahmslos dahinglitt, sprengen sich weg. Das wird den Mooren so gut gefallen, dass sie sich mit Torf einsauen. Den Wald wird man bald vor lauter Bäumen nicht mehr sehen.

Die Politik ist immer auch eine Pflanzerei. Ich ahne das schon seit geraumer Zeit, aber jetzt wird es immer augenfälliger. In den Kopfnüssen der Vorwoche hatte ich unvorsichtigerweise in einem Nebensatz das Wort Buchsbaumzünsler in die Hand genommen, ein grober Schnitzer. Ein Fehlwurf auf den Kolumnen-Komposthaufen. Ich habe in den vergangenen viereinhalb Jahren allerlei über das Biotop Politik geschrieben, aber nun betrat ich den tatsächlichen Schrebergarten des Lebens, und das als vierter Gartenzwerg von links. Die haben es traditionell immer am schwersten, neben dem Jäger mit dem Hund.

Ich hätte mir das denken können. Unter all den Aufsätzen, die ich während der Pandemie verfasst hatte, war jener über Baumärkte und Gartencenter der mit Abstand leserträchtigste, obwohl er mehr Plattitüden enthielt als eine konventionelle Thujenhecke. Geimpfe, Testerei, Daheimhockpflicht, alles nett, aber Buchsbaumzünsler, das elektrisiert. Österreich liebt seine Baumärkte, die Eingangstore von Obi oder Hornbach sind unsere Pforten ins Wochenende, zwischen dem Jetzt und dem Schrebergarten steht dann nur mehr Kasse 3.

Ich bekam also recht viel fachkundige Post zum Buchsbaumzünsler, offenbar der Endgegner in Österreichs Vorgartenstraßen, zwischen Laub und Laube herrscht Mord und Totschlag. Menschen schilderten mir ergreifend die Leidensgeschichten ihrer Kämpfe mit den Raupen, die alles kahlfressen. Es wurden Ratschläge ausgetauscht, was am besten Abhilfe schafft, ich kam mir plötzlich vor wie Karl Ploberger auf Glyphosat.

Augen zu und durch: Am 9. Juni erhält Lena Schilling ihr Wahlzeugnis
Augen zu und durch: Am 9. Juni erhält Lena Schilling ihr Wahlzeugnis
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Vielleicht sollte sich die nächste Koalition das Interesse zu Herzen nehmen und ins Regierungsprogramm zwischen Asyl und Arbeitsmarktpolitik ein Kapitel über Gartenarbeit einfügen, es gibt schließlich immer viel zu tun, jippie jippie yeeah. Ein Preisdeckel für Rasenmäher zum Beispiel wäre sehr volksnah, ein Reparaturbonus für Gartenkrallen ebenso. Gratisdünger für alle würde ich in die Verfassung schreiben. Die Leute würden dem Kanzler und seinen ministeriellen Topfpflanzen aus lauter Dankbarkeit den ersten Zupfsalat der Saison schicken oder Kirschen vorbeibringen, es wäre wieder netter im Land.

Ein Schrebergarten-Ministerium wäre vernünftig, die Bauern haben schließlich auch ihr eigenes Habitat. Nicht jeder verfügt über ein paar Hektar Land und hat einen Mähdrescher in der Garage stehen. Auf der handtuchgroßen Nutzfläche vorm Häuschen lohnt sich oft nicht einmal der Anbau von Erdäpfeln. Man könnte dem Besten aus zwei Welten eine dritte Welt hinzufügen, die private Oase. Die SPÖ und die ÖVP würden die Grünen nicht von links oder rechts überholen, sondern von unten.

In der Republik der Gartenzwerge wird momentan darüber gestritten, ob wir der Natur wieder mehr Raum geben sollten. Grundsätzlich sind alle dafür, das Problem ist, dass diesen Raum, den die Natur jetzt zurückerhalten soll, irgendjemand hergeben muss (außer wir nehmen uns Liechtenstein dazu). Da beginnt es sich mehr zu spießen als zu sprießen, denn wer hat schon etwas zu verschenken?

Auch die EU nicht, da wird schon seit über drei Jahren über die Renaturierung debattiert. Das endete vorerst einmal so: Das Parlament der 27 EU-Länder stimmte  für das entsprechende Gesetz, knapp danach musste es beim Rat der EU-Umweltminister von der Tagesordnung genommen werden, weil die 27 EU-Länder das Gesetz plötzlich nicht mehr haben wollten.

Auch Österreich spielt in dieser Inszenierung eine gewisse Rolle. Ein Teil der Regierung ist für die Renaturierung, ein Teil dagegen. Die Umweltministerin ist dafür, darf aber nicht dafür sein, weil die Landeshauptleute dagegen sind. Von den Landeshauptleuten sind aber nun nicht mehr alle dagegen, es müssen aber offiziell alle dagegen sein, weil es drei Beschlüsse gibt, in denen alle dagegen waren. Im EU-Parlament haben SPÖ, Grüne und NEOS für die Renaturierung gestimmt, die FPÖ dagegen. Die ÖVP auch, aber ausgerechnet ihr Spitzenkandidat bei der letzten Wahl nicht. Der war dafür.

Gartenzwerge haben auch ein Recht auf Leben
Gartenzwerge haben auch ein Recht auf Leben
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Die Fahrt in die ökologische Sackgasse begann am 11. Dezember 2019. Das stellte die EU-Kommission ihren "Green Deal" vor. Bis 2050 soll Europa  die Netto-Emissionen auf null reduzieren und als erster Kontinent klimaneutral werden. "Das ist Europas Mann auf dem Mond-Moment", jubelte Kommissions-Chefin Ursula von der Leyen. Viel Mann und Mond ist davon heute nicht mehr übrig.

Um dem "Green Deal" Leben einzuhauchen, wurden in der Folge dutzende Gesetze, Verordnungen, Aktionspläne, Strategiepapiere, Pfade paktiert. Am 20. Mai 2020 veröffentlichte die EU-Kommission die "Biodiversitäts-Strategie für 2030", als Teil davon folgte am 22. Juni 2022 der "Vorschlag für ein Gesetz zur Wiederherstellung der Natur", weil das Kohlendioxid ja irgendwer wegatmen muss. Das Gatter war aufgestoßen, die Gatterjagd konnte beginnen.

Österreich reagierte säuerlich. Man verstehe nicht, warum die Kommission einen Vorschlag öffentlich mache und erst danach um Feedback ersuche, das habe es noch nie gegeben, schrieb die Landwirtschaftskammer. Den Entwurf lehnte sie rundwegs ab.

Ein Jahr wurde herumgebastelt, dann zitterte sich das EU-Parlament am 12. Juli 2023 zu einem Vorschlag für ein Renaturierungsgesetz. Sechs Stimmen entschieden, 336 Abgeordnete waren dafür, 330 dagegen. Damit trat man in so genannten Trilog-Verhandlungen mit Kommission und Rat ein, am 9. November 2023 war ein Kompromiss gefunden. Auf dem Weg hatte das Renaturierungsgesetz seine Giftzähne verloren oder gleich das gesamte Gebiss, das hängt von der jeweiligen Sichtweise ab.

Neun auf einen Streich: Die letzte Landeshauptleutekonferenz fand am 3. April 2024 in St. Pölten statt
Neun auf einen Streich: Die letzte Landeshauptleutekonferenz fand am 3. April 2024 in St. Pölten statt
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Am 27. Februar 2024 flog von Europa aus wieder ein Mensch zum Mond, aber er kam nie an. Das EU-Parlament beschloss in Straßburg endgültig das "Renaturierungsgesetz" und das mit dünner Mehrheit: 329 Ja-Stimmen, 275 Nein-Stimmen, 24 Enthaltungen.

Österreich ist mit 19 Delegierten im Parlament vertreten, die fünf Vertreter der SPÖ, die drei Vertreter der Grünen und die Vertreterin der NEOS stimmten für das Gesetz, die drei Mandatare der FPÖ dagegen. Bei der ÖVP fiel das Gesamtbild diverser aus. Sie stellt sieben Vertreter, zwei waren nicht anwesend, vier stimmten gegen die Renaturierung, Othmar Karas, immerhin ÖVP-Spitzenkandidat und eine Zeit lang Delegationsleiter, war dafür.

Am 25. März, also nicht einmal ein Monat später, sollten die EU-Umweltminister das Gesetz durchwinken, häufig ein Formalakt, diesmal nicht. Ungarn fiel um. Das Projekt musste von der Tagesordnung genommen werden, es drohte eine Abstimmungs-Blamage, und daran war Österreich zumindest mit beteiligt. Das liegt, wie so oft, an Artikel 15a der Bundesverfassung, der den Ländern Zauberkräfte verleiht, vor allem aber an Artikel 23d, denn dort steht: "Haben die Länder eine einheitliche Stellungnahme zu einem Vorhaben erstattet, das Angelegenheiten betrifft, in denen die Gesetzgebung Landessache ist, so darf der Bund bei Verhandlungen und Abstimmungen in der Europäischen Union nur aus zwingenden integrations- und außenpolitischen Gründen von dieser Stellungnahme abweichen. Der Bund hat den Ländern diese Gründe unverzüglich mitzuteilen." Die Fesseln für Leonore Gewessler lagen bereit.

Die SPÖ-Landeshauptleute Peter Kaiser (Kärnten) und Michael Ludwig (Wien) wollen das Renaturierungsgesetz nun doch – angeblich
Die SPÖ-Landeshauptleute Peter Kaiser (Kärnten) und Michael Ludwig (Wien) wollen das Renaturierungsgesetz nun doch – angeblich
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Naturschutz ist in Österreich Landessache, deshalb gibt es neun Naturschutzgesetze. Und deshalb darf Naturschutzministerin Leonore Gewessler zwar zu den Gipfelreffen der EU-Umweltminister anreisen, dort aber nur als Astralkörper teilnehmen und nicht nach ihrem Wohlbefinden abstimmen, sondern so, wie es die Bundesländer gern möchten. Die neun Landescapos sprechen durch sie.

Alle halben Jahre treffen sich die Landeshauptleute zu einer Konferenz, die Protokolle der Sitzungen sind nicht öffentlich. Zuletzt fand das wahre Machtzentrum der Republik am 4. April 2024 in St. Pölten zusammen, Niederösterreich führt bis 30. Juni den Vorsitz (dann folgt Oberösterreich). In dem nicht öffentlichen Protokoll der Konferenz findet sich eine Passage, die bei Gewessler beim nächsten EU-Rat für Schluckauf sorgen wird: "Die Landeshauptleutekonferenz erinnert die Bundesministerin für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie an die einheitlichen Länderstellungnahmen vom November 2022 und Mai 2023, mit denen der Verordnungsentwurf 'Wiederherstellung der Natur' abgelehnt wird, und ihre verfassungsrechtliche Verpflichtung, bei der anstehenden Schlussbestimmung im Rat der EU die Verordnung abzulehnen."

Die Landeshauptleute zeigten dem Renaturierungsgesetz also die rote Karte, und das schon zum dritten Mal. Was Kärnten und Wien allerdings nicht gewusst haben wollen: Das EU-Gesetz war in der Zwischenzeit in neuer Form im Parlament beschlossen worden, ihre Ablehnung bezog sich aber auf den alten Entwurf. Das Vorgehen ist entweder fahrlässig, eine Märchenerzählung, eine politisch subversive Taktik oder alles davon, die Konsequenzen stellen sich jedenfalls durchaus real dar. Der einstimmige Beschluss kann nämlich nur durch einen einstimmigen Beschluss der Landeshauptleutekonferenz aufgehoben werden und den wird es nicht geben.

“Überregulierungswahn”: Bundeskanzler Karl Nehammer stemmt sich gegen das Gesetz
“Überregulierungswahn”: Bundeskanzler Karl Nehammer stemmt sich gegen das Gesetz
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Als Peter Kaiser und Michael Ludwig ihren – nennen wir es liebevoll – Irrtum erkannt hatten, schrieben sie einen Brief an Niederösterreichs Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner und baten um eine "offene Diskussion", ob man dem Vorschlag "für die Umsetzung der Verordnung nicht doch nähertreten könnte". Die "offene Diskussion" endete damit, dass sieben Länder den beiden die Tür zuschlugen, sogar das rote Burgenland, das ist wiederum eine geringere Überraschung. Auch Kanzler Nehammer sah seinen Moment gekommen und nannte das Gesetz ein "dramatisches Beispiel für den Überregulierungswahn in Brüssel".

Das sehen nicht wenige so, das soll nicht unter den Tisch fallen, die Landwirtschaft, die Forstwirtschaft, aber damit hätte man sich auseinandersetzen müssen. Wieder einmal ist es der EU nicht gelungen, ein Vorhaben so zu kommunizieren, dass eine sinnstiftende Debatte in den Mitgliedsländern stattfinden konnte, auch nicht darüber, ob es die EU eigentlich etwas angeht, wie wir unsere Moore besachwalten. Das machte den Raum frei für allerlei Nonsens. Es darf sich niemand wundern, warum vielerorts die Empfindung herrscht, Brüssel würde über viele Bedenken "drüberfahren".

Das lieferte Brennholz für den heimischen Wahlkampf und in den Flammen ist ein an sich erstrebenswertes Ziel drauf und dran, endgültig zu verglühen. Ein "sündteures grünes Prestigegesetz", ein "154-Milliarden-Belastungs-Paket", nannte Johanna Mikl-Leitner am Samstag das Renaturierungsgesetz. Es wäre "zukunftsvergessen, wenn wir Europa zu einem reinen Klimaschutzmuseum umbauen". So endet das nun eben: Zwei Lager, die sich gegenseitig Zukunftsvergessenheit vorwerfen und dabei die Zukunft vergessen.

Am 17. Juni findet in Brüssel der nächste Gipfel der EU-Umweltminister statt. Bleibt es dabei, dass Ungarn, Schweden, Polen, Italien und die Niederlande dagegen stimmen, Belgien und Finnland sich enthalten, dann ist Österreich bei der Abstimmung das Zünglein an der Waage. Kommt das Renaturierungsgesetz auf die Tagesordnung, dann hat Gewessler die Wahl zwischen Pest und Cholera: Sie kann gegen ihr eigenes Gesetz stimmen (indem sie sich enthält). Oder sie stimmt dafür, bricht die Verfassung und zertrümmert die Koalition. Das liegt in der Natur der Sache.

Ich wünsche einen wunderbaren Sonntag. Falls Sie heute wählen gehen wollen: die Volksabstimmung über Lena Schilling ist erst am nächsten Wochenende. Gern geschehen!

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