Wahl-Kopfnüsse, Folge 4

Eine Haxlbeißerei zwischen starker Mitte und Impotenz

Der Wahlkampf trat in die Phase der Konfrontationen ein. Im ORF gingen die Kandidaten auf die Suche nach dem "Sachverstand", auf Puls 4 fragte Nina Proll Ex-Kanzler Kurz, wie er eigentlich Kanzler wurde.

Kickl warf Meinl-Reisinger "Selbstüberschätzung" vor
Kickl warf Meinl-Reisinger "Selbstüberschätzung" vor
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Newsflix Kopfnüsse
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Es ist die Zeit der Wahlplakate. Die Menschen schnaufen wie Seerobben durch die Straßen, die Hitze, sie bleibt uns wohl noch bis Sonntag erhalten. An jeder Ecke, an jedem Straßenstück, das noch frei ist, werden wir nun um Stimmen angebettelt. Die Menschen, die wir jeden Tag im Fernsehen sehen, sind uns auf die Gasse nachgelaufen, um dafür zu sorgen, dass wir ihnen nachlaufen.

Hier finden Sie den Podcast mit meiner KI-Stimme

Wir sollen jetzt alles Mögliche wählen. "Stabilität", Verantwortung", "Klima", "die entscheidende Kraft" und die "verbindende Kraft". Die FPÖ will nicht mehr, dass unser Wille geschehe, sondern ihr Wille. Dass wir also Herbert Kickl unsere Stimme geben, "weil er Euch versteht". So ist es am Wahlplakat zu lesen, einen Dreieckständer weiter holpert es grammatikalisch: "Ihr seid der Chef, ich Euer Werkzeug". Eine Portion Döner-Deutsch, ich nehme an, es war keine Absicht.

Die schon zweite Welle an Plakaten schwappt übers Land. Je näher der Wahltermin rückt, desto kürzer werden die Sprüche und umso größer die abgebildeten Personen. Karl Nehammer ist inzwischen auch von der ISS aus gut erkennbar, jetzt, wo die Astronauten ein paar Monate länger auf der Raumstation verweilen müssen, haben sich auch Zeit und vielleicht Muße dafür.

In Anzug und Krawatte: Kanzler Karl Nehammer schwitzte sich durch den Vormittag
In Anzug und Krawatte: Kanzler Karl Nehammer schwitzte sich durch den Vormittag
Helmut Graf

Die ÖVP präsentierte sich und den Kanzler am Mittwoch als "starke Mitte". Ich fremdle mit dem Begriff, mir kommen Zweifel, dass der Slogan die Wählerschaft emotional abholt. Ich, zum Beispiel, stärke meine Mitte schon seit Jahren, Lob habe ich dafür noch nie bekommen. Mitleid ja. Lob nein.

In der Politischen Akademie in Wien-Meidling präsentierte Karl Nehammer am Donnerstag seinen "Österreich-Plan", er hat 270 Seiten, nur zwei weniger als "Reise nach Laredo", der neue Historien-Roman von Arno Geiger. Wie bei allen Parteien ist auch der "Österreich-Plan" mehr ein Wunschkonzert als ein Streichquartett, in Vorwahlzeiten wird stets mehr gegeben als gestrichen.

Sollte es die ÖVP in naher Zukunft einmal in eine Regierung schaffen, wird es mit ihr mehr vom guten Zeug und weniger vom schlechten geben, verspricht sie in ihrem Programm. Lohnsteuer runter, Einkommenssteuer runter, Lohnnebenkosten runter, Überstunden steuerfrei, ein Bonus von 1.000 Euro soll dafür sorgen, dass mehr Vollzeit gearbeitet wird. Der Kanzler startet seinen 4-Milliarden-Kampf zum Abbau von Förderungen mit dem Versprechen neuer Förderungen. What a difference a day makes!

Die ÖVP setzt bei den Plakaten auf eine starke Mitte, das aber mit Stabilität
Die ÖVP setzt bei den Plakaten auf eine starke Mitte, das aber mit Stabilität
Sabine Hertel

Es war drückend heiß an diesem Donnerstag in der Politischen Akademie, der Kanzler in Anzug und Krawatte schwitzte sich die Schminke aus dem Gesicht. Vielleicht war ihm auch "Das Gespräch" mit Michael Fleischhacker am Abend zuvor auf Servus TV mehr unter die Haut gegangen als viele dachten und jetzt musste alles heraus.

Der "Österreich-Plan" erschien nicht in Erstauflage. Die ÖVP hatte bereits am 3. April 2023 mit der Arbeit daran begonnen. Schon zehn Tage später war alles Wichtige beisammen. Der Kanzler hielt im "ThirtyFive" am Wienerberg eine "Rede zur Zukunft der Nation" und stellte vor, was im "Österreich-Plan" steht, den er anschließend sofort  in Auftrag gab.

Am 26. Jänner 2024 wurde der "Österreich-Plan" in der Welser Messehalle tatsächlich präsentiert, die Inhalte der "Rede zur Zukunft der Nation" wurden online ausradiert. Dann schwärmten der Kanzler und seine Mitstreiter aus und brachten den Österreichern den aktuellen "Österreich-Plan" näher. Am Donnerstag wurde schließlich der "Österreich-Plan" erneut präsentiert, diesmal in der "Reise nach Laredo"-Edition. Aus den 82 Seiten sind 270 Seiten geworden, wenn die ÖVP ihre Mitte stärkt, dann macht sie keine halben Sachen.

Babler an Kogler: Er sei "nicht in der Lage, ein gewisses Niveau zu halten"
Babler an Kogler: Er sei "nicht in der Lage, ein gewisses Niveau zu halten"
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Der Donnerstagabend bot dem Kanzler die Gelegenheit, in seinem "Österreich-Plan" zu schmökern, er hatte ausnahmsweise keinen Fernsehauftritt. Wahlkampf gab es im TV schon, aber er war dazu nicht eingeladen. Auf Puls 4 stellte Nina Proll sich und uns die Frage, ob sie das Zeug hat, Kanzler zu werden. Um das herauszufinden, wollte sie etwa von Sebastian Kurz wissen, wie er es geschafft hat, Kanzler zu werden. "Ich wurde gewählt", antwortete er. Politik ist manchmal gar nicht so kompliziert.

Ich könnte jetzt viel witzeln über die Sendung, aber, und das mag jetzt überraschen, ich fand sie gar nicht übel. Es ist so eine Art "Emily in Paris", ohne das ganze Liebeszeugs, wenn man von Matthias Strolz und seinen Bäumen einmal absieht. "Nina Emily Proll in Wien" vollzog ähnlich häufige Kostümwechsel wie das Netflix-Vorbild, in den unterschiedlichsten Klamotten aber stellte sie erfrischend einfache Fragen, für die sich Reporter in aller Erhabenheit oft zu schade sind. "Wo hat der Kanzler sein Büro?" "Wie schaut es dort aus?" "Wie lange arbeitet der eigentlich?" Das klärte keine Weltkrisen, aber das macht Österreich inzwischen ohnehin recht selten.

Kogler an Babler: "Unbeeinflusst von jedem Sachverstand"
Kogler an Babler: "Unbeeinflusst von jedem Sachverstand"
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Auf ORF 2 startete der Wahlkampf parallel in die Duellphase. "Die Konfrontation" begann mit zwei Konfrontationen, ich mutmaße der Sendungstitel leitet sich davon ab. Zum Start traf Andreas Babler auf Werner Kogler oder umgekehrt, das versprach Langeweile, programmatisch liegen die beiden Parteien im Kernschatten zueinander. Zu meiner Überraschung entwickelte sich daraus aber eine subtile Haxlbeißerei auf Augenhöhe. Kogler unterstellte Babler, "unbeeinflusst von jedem Sachverstand" zu sein, Babler konterte, dass Kogler nicht in der Lage sei, "ein gewisses Niveau zu halten".

Die Moderation geriet zum Dressurakt, schon im ersten Duell bat Susanne Schnabl händeringend darum, man möge "verständlich bleiben". Kogler und Babler nahmen es zur Kenntnis und warfen sich weiter gegenseitig Worte zu, die beim Publikum als Fetzen ankamen. Was auffiel: Babler war mit Kogler abwechselnd per Sie und per Du. Und Kogler schenkte Babler diesmal kein Wasser nach, er holte einen Krug unter der Budel hervor und schenkte sich selbst ein.

Meinl-Reisinger an Kickl: ""Populismus ist in der Frage, Lösungen zu finden, impotent"
Meinl-Reisinger an Kickl: ""Populismus ist in der Frage, Lösungen zu finden, impotent"
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Anschließend standen sich Beate Meinl-Reisinger und Herbert Kickl gegenüber, den Arbeitsalltag der Moderatorin erleichterte das nicht. Alexandra Maritza Wachter wollte der Sendung eine Struktur verpassen, der ORF hatte eine Umfrage über die Hauptsorgen der Menschen im Land in Auftrag gegeben, daran versuchte sie sich entlang zu hanteln. Es blieb beim Versuch. Nach zahmem Beginn entglitt der Abend beim Thema Asyl, alles andere hätte Österreich auch enttäuscht.

Kickl änderte mit einem Mal sein Gesicht, seine Körpersprache, seinen Redestil. Er warf Meinl-Reisinger "Selbstüberschätzung vor", sie ihm ein "simples Weltbild", er habe als Innenminister "nichts weitergebracht".  Und: "Populismus ist in der Frage, Lösungen zu finden, impotent". Begriffe wie "Völkerwanderung", "ungeheuerlich", "Willkommensklatscher", "anmaßende Gerichtsbarkeit" flogen nur so durch die Studioluft.

Abseits davon: Ich würde mir das mit den starren Themenkatalogen noch einmal überlegen. Lasst die Leute reden!

Ich wünsche einen redseligen Freitag. Spätestens Sonntag lesen wir uns wieder. Natürlich nur, wenn Sie mögen.

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