Wahl-Kopfnüsse, Folge 22
Es ist alles sooo furchtbar, bitte mehr davon!
Rätsel Politik. Jeder jammert über die vielen TV-Duelle, aber dann schauen alle zu. Politiker beklagen sich über die Tretmühle Politik, aber kaum sind sie raus, wollen sie den Job zurück. Es ist wie bei den Autokennzeichen.
"Jetzt bist du auch schon froh, wenn es vorbei ist, gell?" Diese Frage bekomme ich derzeit oft gestellt. Es ist mehr eine Feststellung als eine Frage. Die Menschen meinen es sicher gut. Sie reden mit mir wie mit ihrem Dackel, der vom Regen überrascht wurde. Sie tätscheln ihn und wünschen ihm bessere Zeiten. Mir auch. Ohne Getätschel.
Mit KI-Stimme: Es ist alles sooo furchtbar, bitte mehr davon!
Die "besseren Zeiten", das sind die ohne Wahlkampf. Dabei ist gerade der Wahlkampf momentan mein Leckerli. Eine Art Sucht, der man sich schwer entziehen kann, auch wenn man weiß, dass man sich überfressen wird. Zum Glück überfresse ich mich nicht allein.
Vor ein paar Wochen habe ich über die Droge Politik geschrieben. Viele versuchen sich am Entzug, Männer wie Frauen. Sie steigen übermüdet, abgekämpft und mit schwarzen Schatten unter den Augen aus, weil sie um alles in der Welt nicht mehr weiterkönnen im Job. Kurze Zeit später sind sie wieder da und wollen den Job um alles in der Welt zurück. Den mit den schwarzen Schatten unter den Augen.
Michael Krüger war der bisher am kürzesten dienende Minister. Er schaffte nur 25 Tage, vom 4. Februar 2000 bis zum 29. Februar 2000 leitete er das Justizressort. Jetzt hat ihm Matthias Strolz den Rekord abgeknöpft. Der gewesene NEOS-Vorsitzende trat von einem Amt zurück, das er noch gar nicht angetreten hatte.
Strolz war rund 100 Tage nicht Bildungsminister – wenn man davon ausgeht, dass wir erst zu Jahresbeginn 2025 eine neue Regierung haben werden. Ich fände es eine schöne Geste, wenn ihn Alexander Van der Bellen angelobt und gleich des Amtes enthebt, das würde dem Vorgehen die angemessene Würde verleihen.
Strolz hatte sich selbst am 23. Juni 2018 als Chef der NEOS abgelöst. "Wenn die Zeit reif ist, ist es wichtig, Verantwortung abzugeben," sagte er damals und berichtete vom Knochenjob Politik. Jetzt sah er seine Knochen erneut reif dafür, wieder Verantwortung zu übernehmen. Seine Partei allerdings wollte nicht die Verantwortung dafür übernehmen, ihm die Verantwortung des Bildungsministeriums zu übertragen. Vor allem nicht in einer Regierung, die noch gar keine Verantwortung trägt. Jetzt überantwortet Strolz den NEOS seinen Austritt.
Auch Rudolf Anschober ging ab, am 23. April 2021 mit schweren Schritten und schweren Herzens, mitten in der Pandemie. Jetzt saß der nunmehrige Buchautor im Studio des Wiener Radiosenders Orange 94.0 und nahm einen Podcast auf. Anschober trug einen rostbraunen Hoodie ohne Aufdruck, er sah aus wie ein Rapper, dem der Namen für seine Band noch nicht eingefallen war.
Es war jetzt nicht so, dass er – von sich selbst entflammt wie Strolz – den Gremien seine politische Wiedergeburt anempfahl. Von der nach außen getragenen Energie ist Anschober der Gegenentwurf zu Strolz. Ehe er einen Baum umarmt, umarmt der Baum ihn.
"Wenn der große Posten des Bundespräsidenten frei wird bei uns in Österreich, wäre das etwas, was Sie sich prinzipiell vorstellen könnten?", fragte Moderator Christoph Schütz den Rapper im rostbraunen Hoodie. Anschober lächelte, lobte den Bundespräsidenten über den grünen Van der Bellen ("Bester der Welt") und sagte dann: "Ich habe mich entschieden, dass ich aus der Parteipolitik rausgehe und bin jetzt sehr zufrieden mit meinem Leben."
Das Gespräch nahm ein paar zufriedene Wendungen. Der Rapper bekundete mehrfach, sein jetziges Leben fortsetzen zu wollen, Schütz wollte zu einem Ende kommen. "Das heißt, sie bleiben", begann er, aber Anschober fiel ihm ins Wort. "Es gibt eine große Ausnahme und ich finde, das sollten wir alle so sehen", sagte er. "Würde es wirklich so sein, dass in Österreich wieder einmal der Faschismus droht, dann muss jeder seine Pläne wegschieben und auf eine andere Art und Weise bereit sein, aktiv zu werden."
Das fiel jetzt nicht exakt ins Schema Bewerbung für das Amt des Bundespräsidenten, aber er rief dem Moderator auch nicht zu: "Was erlauben sie sich?", und er trat ihm auch nicht für die Zumutung der Frage gegen das Schienbein.
Was eine Zumutung darstellt, ist derzeit tatsächlich die Frage. Heute findet die letzte Elefantenrunde in diesem Wahlkampf statt, diesmal im ORF, und alles stöhnt und ächzt. Noch nie gab es so viel Fernsehen vor einer Wahl, ich hatte in den letzten Tagen keinen einzigen Termin mit niemandem, der nicht mit der Feststellung begann: "Verrückt, wer soll sich das alles noch anschauen?"
Offenbar viele. Wahl-Sendungen sind der neue Villacher Fasching. Sie erreichen lachhaft hohe Zuschauerzahlen und keiner weiß warum. TV-Sender messen Quoten, die um 50 Prozent und mehr über den üblichen Werten zu dieser Tageszeit liegen, und zwar egal, welche Tageszeit gerade ist. Das TV-Duell Karl Nehammer gegen Herbert Kickl hatte am Montag 922.000 Zuschauer. Das macht den Appetit am Ende noch einmal groß und größer.
Die Sender schieben zusätzliche TV-Termine ein, oft wird der Platz reserviert, ohne dass feststeht, was dort überhaupt stattfinden soll. Hauptsache Wahl. Die Kuh will bis zum letzten Tropfen gemolken werden, ausgezuzelt wie die Witze vom EU-Bauern aus Villach.
Die "Kronen Zeitung" veranstaltet am Wahltag sogar ein Public Viewing für Abonnenten im Wiener Café Landtmann. Othmar Karas, Christian Kern und Reinhold Mitterlehner werden die erste Hochrechnung kommentieren. Nur weil wir eben über Comebacks geredet haben. Also eigentlich ich.
Noch etwas kehrt zurück, nämlich "BA". Dafür kommt "LI" weg, zumindest dort, wo es "BA" wieder gibt. Am 24. November wählt die Steiermark einen neuen Landtag und zwei Monate ehe es soweit ist, machte Landeshauptmann Christopher Drexler (ÖVP) dem malerischen Bad Aussee ein Geschenk von unschätzbarem Wert – ein Autokennzeichen. Vor 13 Jahren war der Bevölkerung in einer Art moderner Raubritterei die mobile Identität geraubt worden, nun wird Burgfriede geschlossen.
Er habe sich ein Jahr darum bemüht, sagte der Landeshauptmann. Um dem Gesetz Genüge zu tun, wurde sogar eine eigene "Stelle mit Behördencharakter" auf die Beine gestellt, die für die Zulassung von Fahrzeugen zuständig ist. Aber jetzt ist alles gut. Die "Stelle mit Behördencharakter" ist eingerichtet, sie hat genau eine Mitarbeiterin.
Jetzt muss nur mehr die Kraftfahrgesetz-Durchführungsverordnung (KDV) angepasst werden. Spätestens ab April 2025 kann jedes Kennzeichen mit "LI" (für Liezen) im Ausseerland gegen das Kenneichen mit "BA" (für Bad Aussee) umgetauscht werden. Hosianna!
Ich wünsche einen gut gekennzeichneten Donnerstag. Ich bin neugierig, wie Sie meine KI im Podcast heute finden. Sie hat sich die Kritik zu Herzen genommen und in der gestrigen Folge nicht mehr beschwipst geklungen. Dafür recht bundesdeutsch, wie mir eine Leserin schrieb. Ich fand das auch, fast zackig hörte sich das an, wie am Kasernenhof.
Die Kopfnüsse, hat meine KI entschieden, gibt es ab jetzt nicht mehr in Ausgaben, sondern in Befehlsausgaben. Ich kann da nichts dafür, Sie entschuldigen. Bis morgen, wenn Sie trotzdem mögen.
Alle bisherigen Wahl-Kopfnüsse
- Folge 1: So wurde ich für den Kanzler zu einer KI
- Folge 2: Bestäubungs-Staberln und ein Wasserträger
- Folge 3: "Natürlich hat er das, ich bin kein Vollidiot"
- Folge 4: Zwischen starker Mitte und Impotenz
- Folge 5: So führt uns der Kanzler in Wien aufs Glatteis
- Folge 6: Die Volkspartei und ihr Tom Cruise von Kagran
- Folge 7: Brandherde, Brandreden und eine Brandmauer
- Folge 8: Hurra, Hurra, der Bildungsminister ist da!
- Folge 9: Halleluja, endlich wird der Wahlkampf göttlich
- Folge 10: Fasst Euch doch an die eigene Nase!
- Folge 11: Und Ihr wollt echt eine Koalition eingehen?
- 11 Folgen in einer Story gesammelt
- Folge 12: Geben Gummistiefel dem Wahlkampf Gummi?
- Folge 13: Das Hochwasser und ich, aber wo ist der Kanzler?
- Folge 14: Wieso ein Alarm in Österreich nicht einfach ein Alarm ist
- Folge 15: Bitte macht jetzt keine Instagram-Show daraus!
- Folge 16: Warum die Politiker den Gummihammer auspacken
- Folge 17: Wie sich die Volkspartei beim Geschlecht irrte
- 17 Folgen in einer Story gesammelt
- Folge 18: Verstolpert die FPÖ auf den letzten Metern den Wahlsieg?
- Folge 19: So wurde die Elefantenrunde zur "Nette Leit Show"
- Folge 20: Volkskanzler gegen Volkspartei-Kanzler: Ich war dabei
- Folge 21: Jetzt liegt das Wahlergebnis endgültig in den Sternen