Kopfnüsse
"Ich bin fassungslos": Stellen die NEOS der Ömpel einen Baum auf?
Am Montag wollten ÖVP und SPÖ erstmals mit den NEOS über eine Dreierkoalition reden. Geheim! Warum das ungeheim schief ging. Was sich hinter den Kulissen zutrug. Und wieso wir Wahlen neu denken sollten. Auch abseits der Ömpel-Koalition.
Ich kann mich täuschen, aber vielleicht haben Sie noch nie von Mike J. Chitwood gehört. Und eventuell ist ihnen auch Volusia County nicht auf Anhieb ein Begriff.
Mit KI-Stimme: Stellen die NEOS jetzt der Ömpel einen Baum auf?
Nun, in Volusia County holte Donald Trump bei der US-Präsidentschaftswahl in der Nacht auf Mittwoch 60,2 Prozent der Stimmen, Kamala Harris kam auf 38,5 Prozent. Es wurden auch Abgeordnete für den Senat und für das Repräsentantenhaus gewählt. Das hierorts Relevante aber war, dass Mike J. Chitwood 245.051 Stimmen schaffte, 80,7 Prozent. Gratulation, wenn auch unbekannterweise!
Man könnte jetzt mit einiger Berechtigung fragen: Na und? Chitwood wer? Aber es wurden auch Donna Brosemer mit 58,6 Prozent gewählt und Krista Goodrich mit 58,4 Prozent. Das macht die Angelegenheit – nun ja – breiter.
Es wird oft übersehen, dass in den USA alle vier Jahre im November nicht nur der Präsident gewählt wird (das Gendern vertagen wir auf den Tag nach dem Sankt-Nimmerleinstag), sondern auch allerlei öffentliche Ämter zur Abstimmung gelangen. Worum es in der Gesamtheit geht, ist selbst für Amerikaner nicht immer leicht fasslich, denn die Namen der Kandidatinnen und Kandidaten für die lokalen Aufgabengebiete finden sich oft auf der Rückseite des Stimmzettels.
Deswegen ist auch die Wahlbeteiligung in der Regel überschaubar. Vielleicht entdecken wir in ein paar Jahren, dass auch die österreichischen Stimmzettel beidseitig bedruckt sind und auf der Rückseite bei jeder Wahl tolle Leute gestanden wären. Aber keiner hat davon gewusst.
Volusia County liegt in Florida, hat etwas mehr als eine halbe Million Einwohner, bis 2012 wurde demokratisch gewählt. Die größte Stadt heißt Deltona. Wenn Ihnen die Mickey Mouse in Orlando genug Mäuse abgeknöpft hat, dann nehmen Sie am besten den Highway Richtung Norden. Am halben Weg nach Daytona Beach liegt Deltona. Warum auch nicht?
Deltona ist vor allem deshalb bekannt, weil Amazon hier ein riesiges Lager stehen hat. Eigentlich sind es zwei, denn eines ist ein Lager, aus dem Waren verschickt werden, das andere ist ein Lager, aus dem Waren in das andere Lager verschickt werden, wenn dort etwas knapp wird.
Das eine Lager liegt neben dem anderen Lager, es ist nur eine Straße dazwischen, der North Normandy Boulevard. Man darf sich diesen Boulevard jetzt nicht vorstellen wie die Avenue des Champs-Élysées, der North Normandy Boulevard ist eher ein Zweckbau. Der Zweck ist, die Amazon-Lager voneinander zu trennen wie raufende Lausbuben.
Die Lager heißen natürlich nicht Lager, sondern eleganter "Fulfillment-Center", sie sind also so eine Art Wunscherfüller. Die beiden Wunscherfüller sind jeweils etwa so groß wie 13 Fußballfelder, der Verkauf über die Gasse ist etwas mächtiger geraten als ein klassischer Heuriger.
In Deltona wurde Mike J. Chitwood am 5. November zum Sheriff gewählt und das zum dritten Mal in Folge. Donna Brosemer schaffte es in den School Board von District 4 und Krista Goodrich in den School Board von District 2.
Das könnte Österreich nun komplett wurscht sein, sollte es aber nicht. Das hat mit Nationalratspräsident Walter Rosenkranz zu tun.
Am Freitag kam es am Wiener Judenplatz zu einem bemerkenswerten Vorgang. Am Höhepunkt drehte sich die dienstführende Polizistin zum Nationalratspräsidenten um und sagte: "Die Durchsetzung ist nicht möglich." Walter Rosenkranz musste unverrichteter Dinge abziehen. Ohne ihn näher zu kennen, entnehme ich seinem Gesichtsausdruck auf den Filmaufnahmen: er tat es nicht gerne.
Das offizielle Gedenken anlässlich der Novemberpogrome hatte kurz zuvor stattgefunden. Politiker aus Stadt und Regierung, Vertreter der Parlamentsparteien sowie der Israelitischen Kultusgemeinde (IKG) legten an der Shoah-Namensmauer Kränze nieder. Auf den 160 Granittafeln am Platz vor der Nationalbank sind die Namen von 64.440 Jüdinnen und Juden eingemeißelt, die von Nazis ermordet wurden.
Vertreter der FPÖ waren zu der Veranstaltung nicht geladen. Also verfiel der neue freiheitliche Nationalratspräsident Walter Rosenkranz auf die Idee, in zeitlicher Nähe einen Kranz am Judenplatz niederzulegen. Das bekam ihm nicht gut.
Vor allem wegen seiner Mitgliedschaft bei der deutschnationalen Burschenschaft Libertas ist der Blaue für die Kultusgemeinde ein rotes Tuch. In einem Interview mit der "Kleinen Zeitung" hatte IKG-Präsident Oskar Deutsch die Einrichtung eines "Cordon Sanitaire" angekündigt. Der Begriff stammt aus dem Seuchenschutz, er beschreibt eine Art Pufferzone, in der Politik bedeutet er: kein Kontakt zur anderen Seite.
Die Kultusgemeinde wird also in den kommenden fünf Jahren alle Veranstaltungen meiden, an denen Rosenkranz beteiligt ist. Als Nationalratspräsident führt er auch den Vorsitz des Nationalfonds für die Opfer des Nationalsozialismus, den Friedhofsfonds, der sich um die Instandhaltung der jüdischen Friedhöfe bemüht, und er verleiht den Simon-Wiesenthal-Preis.
Die Kultusgemeinde will, dass Rosenkranz alle diese Funktionen zurücklegt. "Mit uns gibt es keine Weißwaschung", sagt Deutsch. Es finden auch keine gemeinsamen Auftritte beim Gedenken an die Novemberpogrome statt und das spielte 14 Tage nach der Angelobung nun eine Rolle.
Es ist unklar, was Rosenkranz bezweckte, aber am Freitag tauchte er in Begleitung von Polizei und eines Kranzes am Wiener Judenplatz auf. Dort befindet sich seit 25. Oktober 2000 das Schoa-Mahnmal der britischen Künstlerin Rachel Whiteread. Ein Stahlbetonquader, auf Bodenfriesen sind alle 45 Konzentrationslager angeführt, in denen österreichische Juden ermordet wurden.
An diesem Tag standen Vertreterinnen und Vertreter der "Jüdischen Hochschüler:innenschaft" vor dem Denkmal. Sie bildeten eine Menschenkette, in die sich auch Gottfried Helnwein einreihte, und schirmten so das Gebäude ab. Vor sich hielten sie ein Plakat: "Wer Nazis ehrt, dessen Wort ist nichts wert!"
Dann kam Rosenkranz, aber er kam nicht weit.
Wollte er ein Zeichen setzen? Den Konflikt genau so haben? Auch die Bilder davon? Als Opfer wahrgenommen werden, als Mensch guten Willens, der am Totengedenken gehindert wird? War er einfach nur stur? Er hätte sich etwa von Doris Bures vertreten lassen können. Oder wollte er tatsächlich, dass die Polizei die Jüdinnen und Juden gewaltsam von ihrem Mahnmal entfernt?
"Ich darf sie höflich ersuchen, die angemeldete Veranstaltung des Parlaments, vertreten durch mich, nicht mehr länger zu behindern", sagte Rosenkranz. Das "höfliche Ersuchen" zeigte wenig Wirkung. "Wir wollen nicht mit Ihnen gedenken, wir wollen nicht, dass Sie unseren Vorfahren ins Gesicht spucken", sagte einer der jungen Leute. "Sie beleidigen mich", konterte Rosenkranz.
Dann ging er vier Schritte zurück, hin zu einem Polizisten. "Ich darf jetzt ersuchen, dass mir die Möglichkeit gegeben wird, bis zu dem Kranz vorzukommen", sagte er zum Beamten. Daraufhin traten drei Polizistinnen zur Menschenkette vor. Und scheiterten. Aber sie scheiterten in Besonnenheit und deshalb nahm dieser Vormittag kein Ende, das uns in alle Nachrichtensendungen der Welt gebracht hätte.
"Sie wollen es darauf ankommen lassen", sagte Rosenkranz, debattierte noch kurz, aber ergebnislos mit den jungen Leuten, dann trat er tatsächlich "als Zeichen meines guten Willens" zur Seite. Er beuge sich der Gewalt, sagte er.
Es gab im Nachgang auch die Debatte darüber, ob man Rosenkranz die Geste, den versöhnlichen Schritt zugestehen hätte sollen. Es ist eine akademische Diskussion, denn die Entscheidung darüber steht allein den Opfern der Schoa und ihren Nachfahren zu. Es macht einen himmelhohen Unterschied, ob man von etwas betroffen ist, oder nur Betroffenheit zeigen will. Egal, ob die nun echt ist, oder nicht.
Aber was wir von Mike J. Chitwood und Donna Brosemer und Krista Goodrich und Walter Rosenkranz lernen könnten: Warum wählen wir den Nationalratspräsidenten eigentlich nicht selbst? Also die Menschen im Land?
Wir wählen den Bundespräsidenten und den Nationalrat und über ein paar Ecken auch die Bundesregierung, also genau genommen die Spitze Österreichs, aber die Nummer 2 lassen wir aus? Das erscheint mir angesichts der Umstände fast ein bisschen fahrlässig.
Auch das ist fahrlässig: Die mögliche künftige Regierung heißt nichts. In Österreich bekommt alles einen Spitznamen. In Schönbrunn gab es bis 2021 eine Seychellen-Riesenschildkröte namens "Burli". Der Entertainer Peter Alexander rief seine Frau Hilde "Schnurrdiburr". 86 Prozent der Menschen haben für ihren Partner einen Kosenamen, die meisten "Schatz". Mich wundert immer, dass dieses Land auch ein paar Genies hervorgebracht hat.
Die "Krone" hat für den möglichen Pakt aus ÖVP, SPÖ und NEOS unseligerweise den Namen "Zuckerlkoalition" erfunden. Er breitet sich leider pandemisch aus, obwohl niemand versteht, was damit eigentlich gemeint ist. In welchem Supermarkt gibt es Zuckerln, die türkis, rot und pink sind? In Hanfshops?
Wenn wir in Zukunft schon den Nationalratspräsidenten wählen sollen, dann bin ich für eine zusätzlich Rubrik am Stimmzettel: "Und, wie soll die nächste Regierung denn heißen?" Man darf diese staatsrelevante Aufgabe nicht den Medien überlassen. Vielleicht macht man auch ein paar Vorschläge auf dem Stimmzettel. "Schnurrdiburr" sollte unbedingt dabei sein.
In Deutschland heißt "Schnurrdiburr" seit drei Jahren Ampel. In Österreich geht das schlecht, außer man macht das gesamte Land zu einem Hanfshop, was aus anderen Gründen überlegenswert wäre. Da ist dann egal, wenn es Ampeln mit türkisen, roten und pinken Lichtern gibt.
Bis uns etwas Besseres eingefallen ist, schlage ich vor, die österreichische Ampel einfach "Ömpel" zu nennen. Ich glaube, es würde Mike J. Chitwood, Donna Brosemer und Krista Goodrich auch gut gefallen.
Für die "Ömpel" wird der kommende Montag ein Entscheidungstag, aber eigentlich sollte das niemand erfahren. Am Montag treffen sich erstmals ÖVP, SPÖ und NEOS zu einem Gipfelgespräch, die Vorgeschichte dazu ist sehr österreichisch. Und natürlich streng geheim.
Am Mittwoch dieser Woche fanden sich Volkspartei und Sozialdemokratie zu ihrem zweiten Sondierungsgespräch zusammen, das eigentlich das dritte Sondierungsgespräch war, genau genommen das vierte. Aber das vierte fiel aus und das erste durfte nicht so genannt werden. Also zwei.
Es läuft "ziemlich zach" bei den Sondierungen und deshalb kam die Idee auf, den dritten möglichen Partner beizuziehen. Es ist traditionelles österreichisches Brauchtum, Angelegenheiten zu erleichtern, indem man sie erschwert.
In der Sitzung am Mittwoch machte Karl Nehammer gegen Ende hin den Vorschlag, doch mit den NEOS zu reden. Ein Teil der SPÖ-Delegation fand das gut, der andere akzeptierte zähneknirschend, dass "irgendwann in der darauffolgenden Woche" ein Gespräch geführt werde. Es wurde Geheimhaltung vereinbart.
Der Kanzler machte gleich im Anschluss daraus Nägel mit Köpfen. Er rief Beate Meinl-Reisinger an und lud sie für Montagvormittag ins Palais Epstein ein. Aus "nächste Woche" war der erste Tag der Woche geworden. Einen Teil der SPÖ ärgerte das, aber es war noch nichts passiert, denn der Termin war ja geheim. Noch!
Es herrscht wenig Einigkeit bei den Sondierungen, die Wahl des dritten Partners fügt sich in dieses Bild ein, aber es stellt sich vielschichtiger dar. Die ÖVP möchte lieber mit den NEOS, sie mag den Werner Kogler, aber der Rest der Grünen hat sich für sie ausrenaturiert.
Die Wiener SPÖ will auch lieber mit den NEOS, sie hat die Koalition mit den Grünen in der Stadt in eher schmerzvoller Erinnerung. Parteichef Andreas Babler und sein Umfeld kann sich die Grünen aber sehr wohl als Partner vorstellen. Das macht die Sachlage bei den Verhandlungen über eine Koalition nicht einfacher.
Dann gibt es noch die NEOS, die wahnsinnig gern die NEOS in der nächsten Regierung sehen würden und weniger wahnsinnig gern die Grünen. Deshalb entwickeln sie ziemlich viel Druck in diese Richtung. Sie forderten am Freitag gleich einmal das Finanzministerium ein. "In dieser herausfordernden Lage kann und muss es eigentlich von uns geführt werden", sagte Generalsekretär Douglas Hoyos dem "Profil."
Das Interview ging über die Verhandler nieder wie saurer Regen, und zwar bei ÖVP und bei SPÖ. "Ich bin fassungslos", rang jemand aus den Teams um Contenance.
Dann war auch die Geheimhaltung Geschichte. Am Freitag enthüllte "Heute" den Termin der Sondierer mit den NEOS Anfang der Woche.
In den Teams war nun Feuer am Dach, ohne dass es ein Haus gegeben hätte. Geheime Details aus Beratungen, die nach außen gehen, das ist selten ein Vorgang, der das gegenseitige Vertrauen stützt. Die ÖVP machte sich auf die Suche nach dem Maulwurf. Sie suchte bei den NEOS, sie suchte bei der SPÖ, nur bei sich selbst suchte sie nicht. Vielleicht ein Fehler.
Die Sozialdemokraten gingen lieber auf Tauchstation. Den Termin am Montag könne man "nicht bestätigen", hieß es noch am Freitag. Es werde "zum gegebenen Zeitpunkt" einen Termin mit einem dritten Partner geben, der "zum gegebenen Zeitpunkt" kommuniziert werde.
Am Freitagabend traf sich Andreas Babler mit Grünen-Chef Werner Kogler. Am Tag danach war man in der SPÖ bemüht, die Größe des Termins mit den NEOS klein zu halten. Das Gespräch am Montag sei jedenfalls kein Teil der Sondierung.
Eben dieser Montag verspricht nun aber interessant zu werden. Es gibt am Vormittag ein Sechsaugen-Gespräch von Karl Nehammer mit Andreas Babler und Beate Meinl-Reisinger, knapp nach Mittag dann den regulären Sondierungstermin in der großen Runde.
Die NEOS gehen mit einigem Selbstvertrauen in den Termin. Nicht allein, weil sie den Finanzminister fordern. Es gibt zwei weitere Bedingungen, die sie auf den Tisch legen wollen. Es muss eine "rasche Entscheidung" her. Und: Sie wollen bei den Regierungsverhandlungen von Anfang an dabei sein und nicht erst gegen Ende hin eingebunden werden.
Jetzt werden endlich die Karten auf den Tisch gelegt. Nur über das Kartenspiel muss man sich noch einigen.
Ich wünsche einen Herz-Ass-Sonntag. Bis in einer kleinen Weile!