Lokale Kritik

Fettammer und Pfefferblatt-Eis: Man ist, was man isst

Und was das mit Peter Alexander, der Tuber magnatum und Sand um 11,50 Euro je Gramm zu tun hat, erkannten Die Cuisinière & Der Connaisseur im "Fuhrmann" in der Wiener Josefstadt.

<em>Der Connaisseur</em> Wolfgang Fischer und <em>Die Cuisinière,</em>&nbsp;3-Hauben-Köchin Jacqueline Pfeiffer, testen für <em>Newsflix</em> Lokalitäten
Der Connaisseur Wolfgang Fischer und Die Cuisinière, 3-Hauben-Köchin Jacqueline Pfeiffer, testen für Newsflix Lokalitäten
Helmut Graf
Jacqueline Pfeiffer  und Wolfgang Fischer
Akt. Uhr
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Diesmal begann alles anders. Die Cuisinière und Der Connaisseur waren bei einer Restaurant-Eröffnung am Kanal geladen. Da er nah am Wasser gebaut ist und es sich um den Donaukanal handelte, musste er hin. Die Cuisinière ist zudem professionell neugierig. "Natürlich nur professionell!?", lacht Der Connaisseur. Der Plan war nicht, über die Eröffnung zu schreiben, "wir sind ja keine Adabeis!", betonten die beiden unisono. Es war die Neugierde, neben der connaisseur'schen Affinität zu jeglicher Flüssigkeit. Sei sie auch nur Wasser!

Also, bei dieser Eröffnung traf Der Connaisseur einen alten Freund mit seiner jungen Freundin, ersterer gehört schon längst zur Fan-Base unserer Lokalen Kritik, letztere gilt es möglicherweise noch zu überzeugen.

Wenn man sich schon beim Essen trifft, entsteht naturgemäß die Frage, wann man das geplant gemeinsam tun werde. Dank der modernen Technik, die einem von vergessenen Kalendern oder vergesslichen Sekretariaten ("früher sagte man noch Vorzimmer-Drachen", kramte Der Connaisseur in Erinnerungen – die mittlerweile gefährlich werden könnten, wie Die Cuisinière ihn hinwies) befreit hat, hat man jetzt alles bei sich, nicht nur Führerschein, Personalausweis, Kreditkarten, ID Austria - nein, auch der Terminkalender findet sich im handlichen Körpertelefon.

Roastbeef vom Stier, mariniert, Kukuruz, Profiterolen, Jalapeño
Roastbeef vom Stier, mariniert, Kukuruz, Profiterolen, Jalapeño
Privat

Wie immer und überall führt die Frage des Ortes zu längerem Nachdenken.

Des Connaisseurs Freund, ein renommierter Rechtsanwalt und großer Epikureer, schlug das "Fuhrmann" im 8. Wiener Gemeindebezirk vor. "Der Weinkeller des Spitzen-Sommeliers Hermann Botolen ist fast so berühmt wie deiner", stimmte Der Connaisseur freudig zu.

Um gleich "Messer mit Klinge" zu machen, fungiert Die Cuisinière als Hilfssekretärin und fragt mit ihrem Kalender, der auch telefonieren kann, um einen Tisch für sechs Personen an. Die Erstinfo war klar: ab sechs Personen kein à la carte mehr. Da muss das 5-gängige Abendmenü, 95 Euro, welches auf der Homepage ersichtlich sei, reichen. Aber klar war, da November und Martini Gansl-Zeit war, wo diese Truppe gemeinsam zu Tisch schritt, wird es wohl das Federvieh in irgendeiner Form werden. So nahm "Testen mit den Besten" seinen Lauf, der Termin ward fixiert, und der Anwalt ergänzte die Runde mit würdigen Mit-Essern, die Jurisprudenz wurde um eine weitere Anwältin neben den schon vorhandenen zwei Juristen, und ein tapferes Schneiderlein aufgefettet.

Topinambur Cremesuppe mit Parmesanravioli
Topinambur Cremesuppe mit Parmesanravioli
Privat

Und die Aufgabenteilung ganz klar, Die Cuisinière filtert und screent im Vorfeld die à la carte-Karte und allfällige Menüs. "Tja, vor einem Jahrzehnt hast du noch selbst die a la carte-Karten verfasst", kann er sich einen neuerlichen Hinweis auf die frische Jugend des Grand-Master-Chef Jacqueline, genannt Die Cuisinière, nicht verbeißen. Darauf ermahnt sie – einmal mehr  streng: "Lenk mich nicht schon wieder ab!" Denn sie hatte in der à la carte-Karte Powidltascherl gefunden. "Wann gibt's schon Powidltascherl?" Sofort machte sie sich wichtig und fuhrwerkte im Menü herum. Und siehe da, trotz des Namenstages vom heiligen Martin keine Gans im Menü! Sozusagen "die Gans im Sack gekauft"!

Aber wir waren bei den Powidltascherln (leise pfiff Der Connaisseur, das Wasser im Mund zusammenlaufend, den alten Peter-Alexander-Hit). Und sie frug, ob nicht das "Schoko-Mousse mit Pfirsich" ausgetauscht werden könnte? Er murmelte kritisch: "Schoko-Mousse: Allerwelts-Dessert. Pfirsich: voll in der Saison!" Das ignorierte sie in alter Kochlöffel- Kollegialität geflissentlich, konnte aber in Erfahrung bringen, dass es sich um ein neues Menü handle, aber freundlicherweise trotzdem Tage vorher drei Portionen Powidltascherln (für sechs Personen) vorbestellbar seien. Er, leicht sarkastisch: "Komplexe Zutaten eben ..."

Eierspeis' mit am Tisch frisch gehobelten Trüffeln
Eierspeis' mit am Tisch frisch gehobelten Trüffeln
Privat

Beim Eintreffen begrüßt die Chefin, Barbara Botolen, das Herz des Lokals, die Gäste. Eine eigene Menükarte mit der Personalisierung "Jacqueline und ihre Freunde" war aufgelegt – über diese Aufmerksamkeit freut man sich. Natürlich kannte der Hilfs-Gourmand, nennen wir ihn der Einfachheit halber Walter, nicht nur den Chef des Hauses, auch der sehr umtriebige Oberkellner Oliver war ihm aus der legendären Zeit, als Walter Bauer noch Walter Bauer war, bekannt. Weswegen wenigstens Dr. Walter vom Chef des Hauses begrüßt wurde.

Das Abklären des Menüs fand mittels Glas Cloche statt, wo der Duft der weißen Alba Trüffel herausströmte. Klar, ein Trüffelgericht musste das Menü ergänzen.

Erste Vorspeise, "Roastbeef vom Stier, mariniert, Kukuruz, Profiterolen, Jalapeño" – was die ganze Truppe als abwechslungsreich sowohl vom Geschmack als auch von der Textur bezeichnete.

Hausgemachte Tagliatelle mit am Tisch frisch gehobeltem Trüffel
Hausgemachte Tagliatelle mit am Tisch frisch gehobeltem Trüffel
Privat

Die "Topinambur Cremesuppe mit Parmesanravioli" lobte Die Cuisinière, weil sie "eine gewisse Frische und Leichtigkeit" hatte. Vielleicht auch deshalb, weil sie schon zu viel Topinambur-Suppe gegessen habe, meinte sie. Was den Rest der Gourmet-Gemeinschaft (kurz GG) ratlos hinterließ.

Man merkte dem Connaisseur an, er konnte kaum mehr die Eierspeis' (Basis 9 Euro) erwarten. Und die Portion war richtig gut, der weiße Alba Trüffel (11,50 Euro pro Gramm) wird am Tisch gehobelt. Walter, der quasi jährlich im Herbst in Alba am Trüffelmarkt wohnt, könnte auch die heurigen Vergleichspreise erwähnen. Aber über diese hüllt sich hier gnädig die Cloche.

Interessant war, dass zwei verschiedene, sich farblich und im Geschmack markant unterscheidende Tuber gehobelt wurden. Noch interessanter, dass beide nicht ordentlich geputzt waren. "Wo bekommt man schon ein Gramm Sand um 11,50 Euro …?", wurde Der Connaisseur fast ein bisserl zynisch.

Gebratener Frischling mit Linsen, Kohlsprossen und Rettich
Gebratener Frischling mit Linsen, Kohlsprossen und Rettich
Privat

Anstatt Eierspeis' als Beilage zur Trüffel, konnte man auch hausgemachte Tagliatelle (10 Euro) wählen. "Ein Traum", wie der Hemdenmacher, der auch schon für Die Cuisinière Kochjacken ("eigentlich Maßhemden mit Manschetten") im Dutzend produziert hat, jubelt.

Dass die GG die "hausgemachten Gnocchi mit Kürbis und Grünkohl" ausgelassen hat, erwies sich als geringer Fehler …

Der "Gebratene Frischling mit Linsen, Kohlsprossen und Rettich" (35 Euro) war ein Lungenbraten, was das massive Wohlwollen des Connaisseurs auslöste. Er hat es nicht so aktiv gezeigt, aber Die Cuisinière war sich nach der Lektüre seiner Erkenntnisse aus Istanbul sicher, das (nochmals das Wort:) "Textur" eine wesentliche Rolle in seinem Gourmet-Leben spielt, denn wie der Fisch nicht Fisch ist, ist der Frischling nicht nur Filet.

Die Gansl-Alternative wurde angedacht, aber zu viele Veränderungen am Menü wollten nicht sein und alle waren mit dem jungen Wildschwein sehr glücklich. Bis auf den Hilfs-Gourmand, der sein Glück mit der "Mostviertler Weidegans mit Rotkraut, Maroni, Äpfel und Erdäpfelknödel" (38 Euro) fand. Und gleichzeitig bedauerte, dass es keine Fettammer mehr gäbe.

Mostviertler Weidegans mit Rotkraut, Maroni, Äpfel und Erdäpfelknödel
Mostviertler Weidegans mit Rotkraut, Maroni, Äpfel und Erdäpfelknödel
Privat

Selbst die auch in Frankreich ausgebildete Cuisinière hielt kurz inne, um dann noch zumindest etwas erschreckt zu sagen: "Sind das nicht die kleinen Vögel?" Freundlich stimmte ihr der Hilfs-Gourmand, nicht ohne die korrekte Bezeichnung Ortolan fallen zu lassen, zu. Und konnte mit seiner gesamten historischen und politischen Bildung auftrumpfen, denn "seit Jahrhunderten verspeisen die Mächtigen der Welt an Festtagen Ortolane". Der Connaisseur, dem auch etwas dämmerte, sagt klarerweise: "Nicht nur Kaiser und Könige, Päpste und Zaren, sondern auch Anwälte …!?" Und der Anwalt ließ seinem Wissen freien Lauf, und schilderte, wie die kleinen Vögel gefangen und gemästet, und dann in Armagnac ertränkt, gebraten und schließlich mit einem einzigen Happen zerkaut und geschluckt wurden.

Der eine oder die andere der Tischgesellschaft wurde etwas weiß ums Näschen.

Zur Ergänzung macht sich dann auch Der Connaisseur wichtig, in dessen hinteren oberen Ganglien die dazu passende Geschichte mit Francois Mitterand aufblitzte. Der französische Präsident beherrschte das Ritual aus dem Effeff. Und "von wegen weißes Näschen", er, der französische Präsident, soll sich, bevor er begann, den Vogel zu zerkauen, eine große, weiße Stoffserviette über den Kopf gelegt haben. "Um die Aromen besser zu schmecken?", sagt Die Cuisinière. "Wohl auch aus Rücksicht auf die Tischgenossen", ergänzt der gebildete Anwalt.

Ergänzend sei klargestellt, dass diese armen Vögel in der EU unter Schutz stehen und natürlich keiner der GG "Testen mit den Besten" je daran denken würde, ein derartiges Gericht zu verkosten. Abseits der Frage der Textur.

Maroni-Mousse mit Apfel und Hagebutte
Maroni-Mousse mit Apfel und Hagebutte
Privat

Die Powidltascherln unterliegen derartiger Rituale nicht, obwohl …

Neben dem Käseteller und zweimal Maroni-Mousse mit Apfel und Hagebutte, wurden die vorbestellten "Powidltascherl mit Nussbrösel, Ringlotten und Pfefferblatt-Eis" (warum Eis?) serviert. Nach Anblick dieser Köstlichkeit war ein Griss am Tisch, aber schlussendlich wurde eine Klärung und Verteilung herbeigeführt. Die Maroni-Dessert-Esser waren hellauf begeistert, die Powidltascherl-Fans verzogen das Gesicht. Die Cuisinière flüstert zum Connaisseur: "Das Eis ist ranzig, das hat was!" Dem stimmt der Rest der Truppe nach Verkostung zu. Der Connaisseur bittet den Kellner, er möge doch das Eis verkosten, es habe einen ganz besonderen, nicht konvenierenden Geschmack.

Ohne jegliche Debatte repliziert dieser kurz angebunden: "Das ist so, das gehört so!" So war einmal nicht nur Der Connaisseur, sondern auch Die Cuisinière sprachlos. "Roma locuta", wie das unter Juristen heisst!

Powidltascherl mit Nussbrösel, Ringlotten und Pfefferblatt-Eis
Powidltascherl mit Nussbrösel, Ringlotten und Pfefferblatt-Eis
Privat

Eine neuerliche Verkostung in kleinen Dosen am Tisch bestätigte den Eindruck. Die Fachfrage des Connaisseurs an Die Cuisinière, wie dieser Geschmack zustande käme, wenn ein Pfefferblatt ja eigentlich nur pfeffrig schmeckt, war nicht zu klären. Auch Mike Feierabend, früher auch bei Walter Bauer und ein durchaus Großer der Szene, tauchte nicht auf und auch sonst fand es niemand notwendig, die Frage des Pfefferblatt-Eises in irgendeiner Form aufzulösen.

Die Epikureer ließen sich aber trotzdem den Spaß an der Freude nicht verderben, waren doch die Weine von ausgesuchter Qualität, es gibt wenige, die es im "Fuhrmann" nicht gibt. "Weltklasse zu fairen Preisen!", ergänzt der Anwalt!

So nahm der Spezial Pfeiffers GIG – der nächste findet übrigens am Samstag, dem 1. März 2025 nachmittags, im Kronberger's statt – ein dennoch fröhliches Ende. Die Bacchanten verabredeten sich gleich erneut, diesfalls allerdings am Christkindlmarkt am Rathausplatz, wo der unnachahmliche Bernd Pulker den hervorragendsten Schweinsbraten, grandiose Pulker'sche Essiggurkerln und mehr als potablen Wein kredenzt. Aber das ist eine andere Sache.

Die Petit Fours: Mini Strudel und Mini Gugelhupf
Die Petit Fours: Mini Strudel und Mini Gugelhupf
Privat

Zum Abschluss konnte es sich Der Connaisseur nach der Cuisinières Ankündigung ihres Spezial Pfeiffers GIG nicht verkneifen zu loben, dass sie gar wieder einmal selbst koche und nicht nur g'scheit redet oder schreibt.

"Das ist deine Domäne!", bejahte sie. Und hatte erneut das letzte Wort.

Kommentare, Wünsche, Beschwerden, Anregungen bitte an [email protected]

Die Cuisinière & Der Connaisseur

  • Die Cuisinière und Der Connaisseur arbeiten schon länger projektweise zusammen, haben sich zusammengetan, um über das Essen zu reden. Und nun auch für Newsflix darüber zu schreiben. Es ist, wie es isst!
  • Die Cuisinière ist Jacqueline Pfeiffer, Grand-Master Chef – bis vor kurzem Chef, jüngst She-Chef – genannt. War Kochlöffel in diversen Hauben- und Sternehütten in Mitteleuropa ("Adlon", Gstaad, "Marc Veyrat" usw.), irgendwann "Köchin des Jahres" und hatte in den 10er-Jahren im Wiener "Le Ciel" (nach neuer Gault Millau-Zeitrechnung) vier Hauben erkocht. Nunmehr ist sie als Enjoyment-Consultant mit ihrem Pfeiffers GIG selbst kochend fast ausschließlich im diskreten gastronomischen Spitzenbereich oder als Beraterin unterwegs.
  • Der Connaisseur heißt Wolfgang Fischer, war Journalist und Medienmanager, zehn Jahre CEO der Wiener Stadthalle, nunmehr Geschäftsführer der DDSG Blue Danube, bester Freund von Admiral Duck – und Gourmet wie Gourmand seit Jahrzehnten. Also ein klassisch übergewichtiger weiser alter Mann.
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