Wahl-Kopfnüsse, Folge 12

Geben Gummistiefel dem Wahlkampf 2024 jetzt Gummi?

Österreich regnet sich ein, für Politiker ist das ein heikler Moment. Gelingt es, sich der Bevölkerung als empathischer Krisen-Manager zur präsentieren, oder wird man als katastrophen-trunkener Populist wahrgenommen? Beides hat das Land schon erlebt.

Der Regen kam von oben und ging nach hinten los: Der damalige Bundeskanzler Viktor Klima beim "Hochwassereinsatz" am 8. Juli 1997 in Hirtenberg (NÖ)
Der Regen kam von oben und ging nach hinten los: Der damalige Bundeskanzler Viktor Klima beim "Hochwassereinsatz" am 8. Juli 1997 in Hirtenberg (NÖ)
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Manchmal gibt es im Leben kein richtig und kein falsch, sondern nur ein wie. Am 22. Dezember 2017 stießen in Klosterneuburg eine S-Bahn und ein Regionalzug zusammen. Es gab 16 Verletzte, viel Blechschaden, die halbe Nacht über Aufräumarbeiten. Johanna Mikl-Leitner wohnt im Ort. Die Unfallstelle lag in Rufweite, aber sie tauchte nicht am Schauplatz auf. Mikl-Leitner war zu diesem Zeitpunkt ein halbes Jahr im Amt. Ich wunderte mich und rief ihren Sprecher an.

Hier spricht wieder meine KI zu Ihnen:

Tatsächlich, sagte er mir, wisse man nicht, was jetzt am vernünftigsten zu tun sei. Hingehen, Empathie zeigen, sich bei den Helfern bedanken? Oder wegbleiben und sich der Debatte – vor allem den Bildern – entziehen, die Landeshauptfrau betreibe Katastrophen-Tourismus und wolle aus dem Unglück persönlichen Profit ziehen? Sie ging schließlich doch hin, es war richtig.

Daran musste ich denken, als das Wetter beschloss, uns alles auf einmal zu schicken. Wochenlang Hitze und Dürre, jetzt Dauerregen. Und Sturm. Das Land hat mit einem Mal andere Kümmernisse, als sich vor dem Fernseher um das gedeihliche Fortkommen ihrer Spitzenpolitiker zu sorgen. Den Spitzenpolitikern selbst wiederum ist ihr eigenes Schicksal seltsamerweise nicht ganz einerlei. Daraus ergibt sich eine neue Wetterlage für den Wahlkampf: Wer kann Krise? Oder besser gefragt: Wem wird zugetraut, Krise zu können?

Kennen wir von Corona: Kanzler, Vizekanzler, Innenminister, Verteidigungsministerin im Staatlichen Krisen- und Katastrophenschutzmanagement
Kennen wir von Corona: Kanzler, Vizekanzler, Innenminister, Verteidigungsministerin im Staatlichen Krisen- und Katastrophenschutzmanagement
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Tief Anett drängt uns in die Innenräume. Plötzlich haben wir wieder Lockdown, diesmal von noch höherer Stelle verordnet als unter Sebastian Kurz. Auch die Wahlkämpfer sitzen im Homeoffice. Auftritte fallen ins Wasser und das buchstäblich. Der Kanzler hätte am Samstag beim Oktoberfest in Ried im Innkreis sein sollen, um den "Oberösterreich-Auftakt ins Wahlfinale" zu begehen. Stattdessen hockte er im "Staatlichen Krisen- und Katastrophenmanagement" (SKKM) in Wien und hielt eine "Lagebesprechung" ab. Die Zeit der politischen Gummistiefel ist angebrochen.

Andreas Babler wollte nach Klagenfurt, am Freitag lud er zu "Andi kommt zu euch", womit der Inhalt der Veranstaltung auserzählt wäre, am Samstag bat er zum SPÖ-Familienfest. Beides gestrichen. Der SPÖ-Chef meldete sich via X, bekundete die Teilnahme "schweren Herzens" absagen zu müssen, aber er trage jetzt als Bürgermeister von Traiskirchen "die Verantwortung, hier auch durchgängig für meine Stadt da zu sein".

Auch Herbert Kickl schickte ein Video in die sozialen Medien, es zeigt ihn im beigen Anorak in einem regengetränkten Wald. Im Clip teilt der FPÖ-Chef seine Befürchtungen vor der herannahenden "ganz großen Regenwalze" und richtet aufmunternde Worte an die "lieben Freunde" unter den Einsatzkräften und anderswo.

Die unfreiwillig verordnete Pause ist vielleicht das Gute im Schlechten in diesem Wahlkampf. Ungewöhnlich früh war in der vergangenen Woche die Zeit der Untergriffigkeiten, der roten Köpfe, der funkelnden Augen, der Unterbrecherei und Unterstellerei angebrochen. Nicht allein die Kandidaten betreiben dieses Spiel, vermehrt auch ihre Lager. Die Stopptaste, die das Wetter gedrückt hat, bietet die Chance, die Gemüter abzukühlen und den Fokus neu auszurichten. Noch liegen 14 Tage Wahlkampf vor uns, es scheint alles entschieden, aber das steigerte den Zorn bisher nur noch mehr.

Es ist nicht mehr als eine Chance. In der kommenden Woche gibt es drei Elefantenrunden und am Montag schon das Duell der Noch-Regierungspartner Karl Nehammer gegen Werner Kogler, danach Andreas Babler gegen Herbert Kickl. Da werden eher die Gummistiefel fliegen, als dass sie angezogen werden.

Ändert die Wetterfront noch etwas an den recht klaren Fronten im Wahlkampf? Nicht wahrscheinlich, aber möglich. Wetter wirkt. 2021 wurde das deutsche Bundesland Nordrhein-Westfalen von einem schweren Hochwasser getroffen, 49 Menschen starben. Am 17. Juli besuchte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier das Katastrophengebiet, auf einem Foto während seiner Rede war der damalige Ministerpräsident Armin Laschet im Hintergrund zu sehen – hellauf lachend.

Zwei Monate später fanden Bundestagswahlen statt. Laschet kandidierte, seine CDU verlor 8,7 Prozentpunkte und Platz 1 an die SPD. Der "Laschet-Lacher", der mit dem Hochwasser gar nichts zu tun hatte, wurde dafür mitverantwortlich gemacht.

Im Sommer 1997 wurden Teile Niederösterreichs von einem Jahrhundert-Hochwasser heimgesucht. Am 8. Juli stand in Hirtenberg plötzlich ein sportlich-elegant gekleideter Herr in gelben Gummistiefeln zwischen den Helfern, sie kannten ihn nur aus dem Fernseher. Bundeskanzler Viktor Klima war mit dem Hubschrauber eingeflogen.

Unter Beobachtung von Journalisten und Fotografen bewegte er ein paar Kübel Wasser von A nach B, gab der Bevölkerung ein paar gute Ratschläge für das richtige Verhalten in Krisenfällen und entfleuchte auf demselben Weg auf dem er gekommen war. Der Auftritt sorgte landesweit für Empörung. Bei der Nationalratswahl zwei Jahre später verlor Klima fast fünf Prozentpunkte. Seine SPÖ wurde Erster, der Zweite FPÖ machte den Dritten ÖVP zur Kanzlerpartei.

In Gummlern und am Handy: Erst ging 1997 das Land unter, dann Bundeskanzler Viktor Klima
In Gummlern und am Handy: Erst ging 1997 das Land unter, dann Bundeskanzler Viktor Klima
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Daraus lässt sich dreierlei ablesen: Schwarz-blau im Bund wäre keine Premiere. Gegen das häufig vorgebrachte Gebot von Herbert Kickl, der Wahlsieger solle den Kanzler stellen, hat seine FPÖ schon selbst verstoßen. Und: Gummistiefel sind immer eine Gratwanderung!

Erwin Pröll beherrschte diese Gratwanderung wie kaum jemand. In seinem Büro in St. Pölten standen die Gummistiefel immer griffbereit, auch ein Notbett gab es für alle Fälle, seine Nachfolgerin behielt die Tradition bei. 2002, 2006, 2013, wann immer Land unter war, war Pröll landauf, landab. Aber er schwebte nicht ein, sondern watete mit angemessenem Katastrophengesicht durch Überschwemmungsgebiete, spendete Trost, versprach Hilfe.

Zillen-Kapitän: Niederösterreichs Landeshauptmann Erwin Pröll begutachtet am 30. Juni 2006 die Hochwasser-Situation
Zillen-Kapitän: Niederösterreichs Landeshauptmann Erwin Pröll begutachtet am 30. Juni 2006 die Hochwasser-Situation
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Gummistiefel sind nicht der natürliche Feind des Politikers, sie sind aber auch keine Einlagensicherung. Wohl deshalb hat der aktuelle Kanzler bisher mit dem Anziehen gezögert, frühestens am Sonntag könnte es soweit sein.

Am Samstag wurde die Krise vom Krisenzentrum aus überblickt, zwei Stunden, von 12 Uhr bis 14 Uhr, unter Assistenz von Vizekanzler, Innenminister und Verteidigungsministerin. Der Sinn erschloss sich nicht ganz. ich gehe nicht davon, dass der Kanzler von Wien aus der Feuerwehr Zwettl aufgetragen hat, wohin sie ihre A-Schläuche legen soll. Aber vielleicht ging es um das große Ganze. Und um die Vermittlung des Bildes: Ich bin da, bereit, das Land zu verteidigen! Zur Not auch mit Gummistiefeln.

Ich wünsche einen unwettersicheren Sonntag. Möge in ihrem Leben alles in trockenen Tüchern sein.

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