Keine Heilung

Long Covid: Wie 500.000 Österreicher allein gelassen werden

5 Jahre nach Ausbruch der Pandemie ist das Thema weitgehend aus der Öffentlichkeit verschwunden. Doch nach wie vor leiden Hunderttausende an den Langzeitfolgen der Infektion. Welche Symptome sie haben, warum die Politik nichts dagegen tut.

Zwischen 400 und 500 Millionen Menschen weltweit, so die Schätzung, haben oder hatten Long Covid. In Österreich schätzt die MedUni Wien die Zahl der Betroffenen auf etwa 500.000
Zwischen 400 und 500 Millionen Menschen weltweit, so die Schätzung, haben oder hatten Long Covid. In Österreich schätzt die MedUni Wien die Zahl der Betroffenen auf etwa 500.000
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Christian Klosz
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Vor ziemlich genau fünf Jahren traten die ersten Corona-Infektionen in Österreich auf. Gut drei Jahre später, im Juni 2023, schaffte Wien als letztes Bundesland die Maskenpflicht in Krankenhäusern, Alters- und Pflegeheimen ab. Die Covid-19-Pandemie war spätestens damit in Österreich politisch endgültig für beendet erklärt worden.

Corona war nie vorbei Aber das ist nur die halbe Wahrheit. Einerseits ist das Virus nach wie vor aktiv, wenn auch derzeit - in Hinblick auf die Sterberate - nicht mehr so gefährlich wie in den ersten Jahren der Pandemie. Nicht ohne Grund hat die WHO die Pandemie nie offiziell für beendet erklärt. Es wurde lediglich 2023 der "internationale Gesundheitsnotstand" aufgehoben.

Weniger Infektionen Laut Update der WHO vom 17. Januar 2025 gibt es auch weiterhin neue COVID-19-Fälle, doch mit abnehmendem Trend. Demnach wurden in den vier Wochen davor weltweit etwa 194.000 neue Fälle gemeldet, was einem Rückgang von 6 Prozent entspricht. Gleichzeitig wurden ca. 2.000 Todesfälle verzeichnet, um 24 Prozent weniger im Vergleich zur vorherigen Periode. Allerdings: Diese Zahlen sind nur bedingt aussagekräftig, da weltweit kaum noch getestet wird und viele Länder gar keine Daten mehr melden.

Das Corona-Virus wird in Schach gehalten, aber besiegt ist es noch lange nicht
Das Corona-Virus wird in Schach gehalten, aber besiegt ist es noch lange nicht
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Etwas mehr Intensivpatienten … Zudem wurden in 43 Ländern Hospitalisierungen und in 29 Ländern Aufenthalte auf Intsensivstationen registriert. Während die Krankenhausaufnahmen zurückgingen, stiegen die Intensivaufenthalte dabei um 3 Prozent – wobei man auch hier bedenken muss, dass inzwischen sehr viele Länder ihre Infektionszahlen nicht mehr erheben und weitergeben.

… und 500.000 Long-Covid-Patienten Und andererseits litten bzw. leiden nach wie vor hunderte Millionen Menschen weltweit an den Langzeitfolgen einer Corona-Infektion. Dazu gehören zahlreiche höchst unterschiedliche Krankheitsbilder, die unter dem Begriff "Long Covid" zusammengefasst werden. Alleine in Österreich geht man von mindestens 500.000 Long Covid-Betroffenen aus.

Ignorieren statt kurieren Doch während Patienten mit anderen Krankheiten meist auf die volle Unterstützung des Gesundheitssystems zählen können, werden Österreichs Long-Covid-Betroffene mit ihren Leiden vielfach alleine gelassen. Prävention gibt es so gut wie keine, oft wird ihnen nicht einmal geglaubt, dass sie überhaupt erkrankt sind. Was es über Long Covid zu wissen gilt, welche Symptome dazu zählen, welche gesellschaftlichen Folgen die Krankheit hat und was man dagegen tun kann – der Überblick:

Seit 2023 wird in Österreich nicht mehr großflächig getestet und Corona ist auch nicht mehr meldepflichtig
Seit 2023 wird in Österreich nicht mehr großflächig getestet und Corona ist auch nicht mehr meldepflichtig
Jens Kalaene / dpa / picturedesk.com

Zunächst ein wenig Basis-Info: Wie ist die aktuelle Corona-Lage?
Das kommt auf die Perspektive an: Blickt man nur auf die akute Sterberate ("Fall-Verstorbenen-Anteil"), ist die Lage tatsächlich nicht mehr so bedrohlich wie in den ersten Pandemie-Jahren, aber immer noch nicht ohne. Starben anfangs noch etwa 3 bis 4 Prozent aller Infizierten (bei den Über-65-Jährigen war die Zahl noch signifikant höher), so liegt dieser Wert heute für Österreich bei etwa 0,37 Prozent – also von 10.000 Corona-Infizierten sterben statistisch gesehen 37 Menschen.

Wie sieht die Situation international aus?
Für andere Länder werden teils höhere Werte angegeben. Aber vor allem: Diese Zahl umfasst nur Menschen, die akut an Corona sterben, nicht jene, die Wochen oder Monate nach einer Infektion an Herzinfarkten, Lungenentzündungen oder anderen Folgeschäden sterben.

Und wird das so bleiben?
Das kann man nicht voraussagen. Denn das Corona-Virus mutiert laufend (wie alle Viren), um sich den Gegebenheiten anzupassen. Dadurch entstehen ständig neue Virus-Typen, von denen manche harmloser, andere gefährlicher sein können als ihre Vorgänger.

Die Wirkung der Corona-Schutzimpfung hält nur verhältnismäßig kurz an, dennoch reduziert sie die schweren Verläufe – und die Long Covid-Gefahr
Die Wirkung der Corona-Schutzimpfung hält nur verhältnismäßig kurz an, dennoch reduziert sie die schweren Verläufe – und die Long Covid-Gefahr
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Wie viele Menschen sind derzeit in Österreich mit Corona infiziert?
Auch diese Frage ist kaum zu beantworten, da Corona seit Ende Juni 2023 keine meldepflichtige Krankheit mehr ist und auch keinerlei Testungen mehr vorgeschrieben sind. Das heißt, es weiß niemand, wieviele Menschen das Corona-Virus in sich tragen.

Gibt es dazu dennoch aktuelle Daten, an denen man sich orientieren kann?
Ja, aus dem routinemäßigen Abwasser-Monitoring geht hervor, dass die Virus-Tätigkeit österreichweit aktuell moderat ist und nach der Herbstwelle stagniert bzw. ausläuft. Die Daten messen die ausgeschiedenen Virus-Partikel, die im Abwasser gefunden werden, und geben so einen guten Anhaltspunkt für die Verbreitung des Virus und damit das Infektionsrisiko. Das Dashboard der heimischen Sozialversicherungen erhebt die Zahl der Covid-Hospitalisierten: Die sank seit der September/Oktober-Welle signifikant ab.

Ist also alles easy?
Kann man so nicht sagen. Denn die Zahl der Patienten mit Long-Covid-Symptomen wird langsam aber sicher zu einer massiven Belastung für die Gesundheitssysteme einerseits und für die Wirtschaft andererseits. Ganz abgesehen vom Leidensdruck, der auf den von einer Long-Covid-Erkrankung Betroffenen lastet.

Oft die schwierigste Phase für Long Covid-Betroffene: Das Eingeständnis "ich bin krank"
Oft die schwierigste Phase für Long Covid-Betroffene: Das Eingeständnis "ich bin krank"
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Was ist "Long Covid"?
Kurz zusammengefasst: Eine post-virale Erkrankung, die nach einer Covid-19-Infektion auftreten und sich in unterschiedlichster Weise äußern kann. Das Berliner Robert Koch Institut definiert die Krankheit so: "Long Covid bezeichnet längerfristige, gesundheitliche Beeinträchtigungen im Anschluss an eine SARS-CoV-2-Infektion, die über die akute Krankheitsphase von vier Wochen hinaus vorliegen."

Welche Beeinträchtigungen sind das?
Es gibt zahlreiche Symptome, und bis jetzt weiß man nicht genau, wann und weshalb sich welche Symptome zeigen und andere nicht. Weit verbreitet sind Kurzatmigkeit, Herzprobleme, Bluthochdruck, Schwindel, Geschmacksverlust, Vergesslichkeit oder Verwirrung ("Brain Fog"). Auch ein längerer / schwererer Verlauf einer akuten Covid-Infektion, eventuell mit Lungen- oder Herzmuskelentzündungen und Organschäden kann auftreten. Zu den schwersten Folgen gehört das Chronische Erschöpfungssyndrom ME/CFS.

Wie macht sich dieses Syndrom bemerkbar?
ME/CFS steht für Myalgische Enzephalomyelitis/Chronisches Fatigue-Syndrom. Nicht selten gehen Long Covid-Erkrankungen dauerhaft in ME/CFS über. Hauptsymptom ist dabei die sogenannte PEM (Post-Exertionelle Malaise). Das bezeichnet eine allgemeine Zustandsverschlechterung nach jeder Form von Belastung. Das heißt, die betroffene Person ist nach jeder Anstrengung körperlich und kognitiv erschöpft. Betroffene sind oft nicht mehr arbeitsfähig, manche sogar dauerhaft bettlägerig.

Das Corona-Virus mutiert laufend, deshalb werden auch die Impfstoffe permanent modifiziert
Das Corona-Virus mutiert laufend, deshalb werden auch die Impfstoffe permanent modifiziert
Matej Kastelic / dpa Picture Alliance / picturedesk.com

Treten diese Phänomene nur nach Corona auf?
Nein, auch nach anderen Virus-Erkrankungen wie Influenza können post-virale Erkrankungen auftreten. Nach Covid-19 treten sie allerdings häufiger auf und haben eher schwere Verläufe, vor allem, was die Blutgefäße, die Neurologie und das Immunsystem betrifft.

Hilft die Corona-Impfung gegen Long Covid?
Nur bedingt, da die Immunität nach einer Schutzimpfung verhältnismäßig kurz anhält (im Vergleich mit anderen Schutzimpfungen). Covid ist gleichzeitig viel ansteckender als etwa Influenza und tritt nicht saisonal auf, daher gibt es in jeder Welle neue Covid-Infizierte. Und im gleichen Verhältnis erhöht sich auch die Zahl der Menschen, die an einer post-viralen Erkrankung wie Long Covid oder ME/CFS leiden.

Das bedeutet, die Zahl der Long-Covid-Erkrankten steigt weiter an?
Ja. Auch wenn das Risiko, an Long Covid zu erkranken, im Laufe der Pandemie und im Zuge der Mutation des Virus tendenziell eher abgenommen hat. Die genaue Zahl, wie viele Menschen nach einer Covid-Infektion tatsächlich an Long Covid erkranken, hängt auch davon ab, welche Krankheitsbilder man als Long Covid wertet. Also ab welcher Erkrankungsdauer und mit welchen Symptomen ein Patient als Long-Covid-Patient gelten soll. Dazu gibt es unterschiedliche Ansichten in der Fachwelt.

Eva Untersmayr-Elsenhuber ist Fachärztin für klinische Immunologie an der MedUni Wien und leitet da das "Referenzzentrum für post-virale Erkrankungen"
Eva Untersmayr-Elsenhuber ist Fachärztin für klinische Immunologie an der MedUni Wien und leitet da das "Referenzzentrum für post-virale Erkrankungen"
Michael Indra / SEPA.Media / picturedesk.com

Wie viele Menschen erkranken daran?
Das hängt davon ab, welche Form von Symptomen man als Long Covid bezeichnet und welche Definition man anwendet. Aktuell geht die WHO davon aus, dass 6,2 Prozent aller Covid-Infizierten auch an Long Covid erkranken. Kathryn Hoffmann, die wichtigste Long Covid-Expertin Österreichs, geht sogar von 10 Prozent aus, wobei ihre Definition unterschiedliche "Long Covid-Arten" umfasst.

Wie verlässlich sind diese Zahlen?
Naja, die Studien-Bandbreite ist riesig. Zuletzt kursierte ein Wert von nur 3 bis 4 Prozent Long Covid-Infizierten, diese Angabe bezog sich allerdings nur auf Erschöpfungssymptome. Andere Studien kommen mitunter auf bis zu 30 Prozent Long-Covid-Fälle, etwa jene, an der auch die steirische Medizinerin Spela Salamon beteiligt war (siehe unten). Die Kernfrage ist immer, ob man alle Gesundheitsschäden nach Covid-Infektionen mit einberechnet, oder den Fokus auf Erschöpfungssymptome legt.

Bekommt man leichter Long Covid, wenn man mehrmals erkrankt?
Ja, darauf deuten mehrere Studien hin. Laut einer kanadischen Untersuchung aus 2023 liegt das Long Covid-Risiko nach der zweiten Infektion bei 25 Prozent und nach einer dritten sogar bei 38 Prozent. Der Wiener Neurologe Michael Stingl vergleicht das Long Covid-Risiko mit der Chance, "beim Würfeln einen Sechser zu werfen – je öfter man es probiert, desto größer die Wahrscheinlichkeit".

Jede zusätzliche Corona-Infektion erhöht das Risiko, an Long Covid zu erkranken
Jede zusätzliche Corona-Infektion erhöht das Risiko, an Long Covid zu erkranken
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In absoluten Zahlen – wie viele Österreicher haben Long Covid?
"Man geht davon aus, dass kumulativ im Jahr 2023 weltweit 409 Millionen Menschen an Long Covid erkrankt sind", so die Medizinerin Eva Untersmayr-Elsenhuber. Sie leitet zusammen mit Kathryn Hoffmann das "Referenzzentrum für post-virale Erkrankungen" der MedUni Wien. Aus dieser Zahl errechnet sich, dass es bei uns bis 2023 etwa 450.000 Betroffene gegeben hat. Bis Ende 2024 dürfte dieser Wert auf über 500.000 Personen gestiegen sein.

Und wie viele Personen erkranken am Erschöpfungssyndrom ME/CFS?
Etwa 1 Prozent aller Covid-Infizierten erkranken an dieser besonders heimtückischen Variante. Das Public Health Department der Uni Wien geht davon aus, dass es durch die Corona-Pandemie in Österreich heute insgesamt 64.000 zusätzliche Fälle von ME/CFS gibt (also zusätzlich zu jenen Patienten, die bereits vor Corona an dieser Krankheit gelitten haben).

Weshalb ist die Datenlage bei Long Covid so uneinheitlich?
Erstens weil in Österreich bislang keine Daten zu Long Covid erhoben worden sind. Dann wegen der uneinheitlichen Definition der Symptome. Und weil nicht jeder Mediziner die Krankheit richtig diagnostiziert und viele Betroffene deshalb gar nicht erfasst würden, sagt Long Covid-Expertin Spela Salamon. Im schlimmsten Fall würden Beschwerden als psychosomatisch abgetan, auch von Ärzten.

Reizthema Long Covid: Auch viele Mediziner wissen nicht ausreichend Bescheid über die Krankheit und ihre vielfältigen Symptome
Reizthema Long Covid: Auch viele Mediziner wissen nicht ausreichend Bescheid über die Krankheit und ihre vielfältigen Symptome
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Gibt es noch weitere Gründe?
Definitiv. Experten gehen von einer relativ hohen Dunkelziffer an Erkrankungen aus, weil viele Betroffene sich zwar nicht gesund fühlen, aber dieses Unwohlsein nicht mit Corona in Verbindung bringen. Und schließlich weiß man, dass Long Covid manchmal auch nicht unmittelbar wahrnehmbare Auswirkungen hat, etwa Veränderungen im Gehirn, deren langfristige Folgen noch nicht abschätzbar sind.

Können auch Kinder Long Covid bekommen?
Ja. Daten aus den USA sprachen bislang davon, dass 1 bis 2 Prozent der Kinder mit Corona auch an Long Covid erkranken. Laut der Medizinerin Spela Salamon gebe es aber neue Studien, wonach die Infektionsquote von Kindern genauso hoch sei wie von Erwachsenen.

Was passiert bei Long Covid im Körper?
Dazu gibt es laut dem Neurologen Michael Stingl mehrere Hypothesen. Etwa dass Viruspartikel das Immunsystem dauerhaft stimulieren. Oder dass es sich dabei um eine überschießende Immunreaktion des Körpers handelt. Auch Gewebeschäden, die durch die Covid-Infektion entstehen, könnten die Ursache von Long Covid sein. Ebenso wie Antikörper, die sich gegen das eigene Immunsystem richten. Für alle Hypothesen gibt es derzeit Hinweise, gesichert ist keine. Und: Es könnten auch mehrere Ursachen parallel zu Long Covid führen.

Neurologe Michael Stingl (r.) mit Ex-Gesundheitsminister Rudolf Anschober, Long Covid-Expertin Kathryn Hoffmann von der MedUni Wien, Unternehmer Gerhard Ströck und Meinungsforscher Christoph Hofinger bei einem Pressetermin der We & Me-Foundation, die sich der Erforschung von ME/CFS widmet, einer der schlimmsten Erscheinungsformen von Long Covid
Neurologe Michael Stingl (r.) mit Ex-Gesundheitsminister Rudolf Anschober, Long Covid-Expertin Kathryn Hoffmann von der MedUni Wien, Unternehmer Gerhard Ströck und Meinungsforscher Christoph Hofinger bei einem Pressetermin der We & Me-Foundation, die sich der Erforschung von ME/CFS widmet, einer der schlimmsten Erscheinungsformen von Long Covid
leisure communications/Christian Jobst / OTS

Hat auch die Psyche Einfluss auf Long Covid?
Nein, Long Covid ist keine psychiatrische, psychische oder psychosomatische Erkrankung, darin sind sich die meisten Experten inzwischen einig. Die Krankheit kann aber psychische Begleitfaktoren haben, etwa Depressionen.

Und wenn man Long Covid als psychosomatische Krankheit behandelt?
Der Neurologe Michael Stingl warnt eindringlich davor: "Wird Long Covid als psychosomatisch betrachtet und deshalb eine aktivierende Therapie angewandt, kann das nach hinten losgehen. Vor allem, wenn ein Patient an PEM (Post-Exertional Malaise, also die Erschöpfung unmittelbar nach einer körperlichen Belastung, Anm.) leidet."

Kann Long Covid geheilt werden?
Nein, bisher gibt es keine Therapien, die die Ursachen von Long Covid heilen könnten, nach Medikamenten wird erst geforscht. Man kann aber die Auswirkungen von Long Covid behandeln – wenn diese richtig diagnostiziert werden. Ein Teil der Symptome klingt auch von selbst ab, aber nicht bei allen Betroffenen gleichermaßen. Und bis es dazu kommt, können oft Monate oder sogar Jahre vergehen.

International steigt die Zahl der Covid-Patienten auf Intensivstationen derzeit wieder leicht an
International steigt die Zahl der Covid-Patienten auf Intensivstationen derzeit wieder leicht an
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Und was kann man gegen Long Covid und ME/CFS tun?
Laut dem Neurologen Michael Stingl ist der wichtigste Schritt zu erkennen, ob eine Post-Exertionellen Malaise vorliegt, also die massive Erschöpfung nach Anstrengung. Im Umgang damit hat sich das "Pacing" als relativ wirkungsvoll erwiesen. Damit ist eine Anpassung des  Aktivitäts-Levels an die Leistungsgrenzen gemeint. So soll vermieden werden, dass man sich zu sehr anstrengt – also "over-paced".

Wann sollte man Pacing praktizieren?
Neurologe Michael Stingl: "Wenn man frühzeitig damit beginnt, kann das sehr gut funktionieren. Aber je länger die Symptome bestehen, ehe man mit dem Pacing beginnt, desto geringer ist die Chance, dass sich der Zustand auch wirklich deutlich verbessert."

Und Medikamente helfen nicht?
Der Einsatz von sogenannten "Off-Label"-Medikamenten ist eine weitere Option, den Leidensdruck bei Long Covid und ME/CFS zu lindern. Damit sind Arzneien gemeint, die noch nicht offiziell zugelassen sind, aber bei manchen Betroffenen dennoch für Besserung sorgen. Das Problem dabei ist, dass die Krankenkassen die Kosten solcher Medikamente nur selten übernehmen.

Der Einsatz von sogenannten Off-Label-Medikamenten, also Arzneien, die noch nicht offiziell zugelassen sind, ist ein Pfeil im Köcher der Medizin gegen Long Covid
Der Einsatz von sogenannten Off-Label-Medikamenten, also Arzneien, die noch nicht offiziell zugelassen sind, ist ein Pfeil im Köcher der Medizin gegen Long Covid
Michael Bihlmayer / ChromOrange / picturedesk.com

Wie wirkt sich Long-Covid auf den Alltag aus?
Die Krankheit kann Betroffenen sprichwörtlich ihr Leben rauben. Fast alle Patienten erleiden einen deutlichen Verlust an Lebensqualität und müssen mit Einschränkungen in ihrem Alltag umgehen lernen, ob das nun die Konzentrationsfähigkeit, die Kondition oder die Arbeitsfähigkeit betrifft. Manche Patienten können sich nicht mehr aufs Lesen konzentrieren, vergessen ständig Dinge, sind erschöpft, können keinen Sport mehr machen oder erleben andere Einschränkungen. In schweren Fällen von ME/CFS, wo Patienten bettlägerig sind, erleben die Betroffenen enormen Leidensdruck, für den es kaum Linderung gibt.

Was kann ich tun, wenn jemand in meinem Umfeld Long Covid hat?
Die Person ernst nehmen und ihre Symptome nicht als "eingebildet" abtun. Wenn möglich, sollten Belastungsgrenzen beachtet und die Person nicht gegen ihren Willen zu Aktivitäten gedrängt werden. Und schließlich sollte man Wünsche nach Infektionsschutz ernst nehmen, etwa wenn die Person Maske tragen möchte oder einen bittet, sich vor einem Treffen zu testen. Denn Long Covid-Betroffene sollte Re-Infektionen unbedingt vermeiden, da sich der Gesundheitszustand dadurch in fast allen Fällen weiter verschlechtert.

Hat Long Covid auch wirtschaftliche Auswirkungen?
Abgesehen davon, dass Long Covid die Zahl der Krankenstands-Tage ansteigen lässt und das Gesundheitssystem belastet, schwächt natürlich auch jede einzelne Covid-Infektion das Immunsystem und die allgemeine Gesundheit des Infizierten. Die Folge: Teile der Bevölkerung werden weniger belastbar, die nicht Erkrankten müssen einen größeren Teil des Arbeitsvolumens schultern.

Der Harvard-Ökonom David Cutler schätzt die gesamten Kosten von Long Covid für die US-Wirtschaft auf 3,7 Billionen Dollar
Der Harvard-Ökonom David Cutler schätzt die gesamten Kosten von Long Covid für die US-Wirtschaft auf 3,7 Billionen Dollar
ANGELA WEISS / AFP / picturedesk.com

Geht's ein bisschen konkreter?
Inzwischen gibt es dazu Berechnungen. Für die USA hat der Harvard-Ökonom David Cutler 2022 die gesamten ökonomischen Kosten von Long Covid auf 3,7 Billionen Dollar taxiert, das wären 14 Prozent des Bruttoinlandsproduktes der USA (Stand 2023). Der Wissenschafter erwartet langfristig eine Wirtschaftskrise in der Dimension der "Großen Depression" in den 1930er-Jahren. Für Deutschland beziffert eine Studie der Frankfurt School of Finance & Management den Produktionsausfall durch Long Covid mit 3,4 Milliarden Euro pro Jahr.

Warum unternimmt die Politik nichts gegen Long Covid?
Das Problem wird von der Politik über weite Strecken ignoriert, der Mangel an Daten macht das noch einfacher. Dazu kommt, dass in der Vergangenheit verantwortliche Politiker nicht selten auf Experten gehört haben, deren Wissen über Long Covid, höflich formuliert, enden wollend war. Nicht zuletzt deshalb wurde (und wird) Long Covid noch immer häufig als psychosomatisches Problem gesehen.

Zuletzt gab es in Österreich mit dem "Aktionsplan zu postakuten Infektionssyndromen" zumindest einen ersten Schritt. Experten sind sich aber einig, dass es vom Plan zur Umsetzung noch ein weiter Weg ist. Und ob so ein Plan unter einer möglichen FPÖ-Regierung jemals den Schreibtisch der Ministerien verlässt, ist fraglich.

Initiierte zuletzt einen "Aktionsplan zu postakuten Infektionssyndromen": Noch-Gesundheitsminister Johannes Rauch von den Grünen
Initiierte zuletzt einen "Aktionsplan zu postakuten Infektionssyndromen": Noch-Gesundheitsminister Johannes Rauch von den Grünen
HANS PUNZ / APA / picturedesk.com

Was wäre zu tun?
Es muss die generelle Covid-Prävention wieder intensiviert werden, denn vor jeder Long Covid-Erkrankung steht eine Corona-Infektion. Heißt: Mehr Information und Aufklärung, damit die Bevölkerung das Long Covid-Risiko realistisch einschätzen und sich entsprechend verhalten kann. So wäre etwa die Etablierung einer "Schutzmasken-Kultur" wie in asiatischen Städten ein wichtiger Schritt.

Der Einbau von Luftaustauschanlagen in öffentlichen Bereichen (v.a. im Bildungs- und Gesundheitsbereich) könnte das Infektionsrisiko zu senken. Es fehlt auch an spezialisierten Anlaufstellen für Betroffene und Fortbildungen für Ärzte und medizinisches Personal.

Vorbild Ostasien: Eine Maskentrage-Kultur im Alltag ist in vielen Städten Asiens längst Usus
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Ichiro Ohara / AP / picturedesk.com

Und weshalb passiert das nicht?
Angemessene Prävention und Versorgung der Patienten kosten viel Geld, doch hinter den Kulissen herrscht ein Zuständigkeits-Wirrwarr. Deshalb werden Betroffene oft allein gelassen und Anlaufstellen und Long Covid-Ambulanzen werden eher geschlossen statt ausgebaut.

Was kann jeder Einzelne machen?
Primär sich selbst schützen: Wer Long Covid vermeiden will, sollte sich nicht mit Covid infizieren. Das bedeutet, durch umsichtiges Verhalten, Testen, das Tragen von Schutzmasken und die Einhaltung von Sicherheitsregeln das Risiko so weit wie möglich reduzieren.

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