Wahl-Kopfnuss, Folge 9
Halleluja, endlich wird der Wahlkampf göttlich
Ein Mönch tritt auf einer FPÖ-Kundgebung auf, die NEOS stibitzen ÖVP-Plakate, nichts ist mehr heilig. Nach den Wahlen dürften Beichtstühle so knapp werden wie früher Corona-Intensivbetten.
Man soll die Kirche im Dorf lassen, heißt es. Aber wenn man die Kirche dann im Dorf lässt, ist es auch wieder nicht recht. Vor allem, wenn man die Kirche nicht nur IM Dorf lässt, sondern sie INS Dorf lässt, ist erst recht die Hölle los. Wo, wenn nicht in Österreich, dem Tor zu Mordor?
Hier finden Sie den Podcast mit meiner KI-Stimme
Vor ein paar Tagen ließ Pater Justin seine Kirche im Dorf zurück und machte sich auf den Weg nach Wilhelmsburg bei St. Pölten. Dort erschien er sich selbst auf einer Wahlkampfveranstaltung der FPÖ und dieser Umstand ließ im Nachgang etwas Ärger auferstehen. Pater Justin ist nämlich nicht nur Zisterzienser-Mönch aus dem Stift Lilienfeld, sondern über die Kloster-Brandmauern hinaus einigermaßen bekannt. Den Massen vielleicht weniger wegen seiner Bücher, etwa über die "Postevolutionäre Schöpfungstheologie", oder seinen Kampf "für eine Wiederentdeckung des vergessenen Bußsakraments".
Der Pater neigt aber zu einem gewissen Gachzorn und das bekamen mehr Menschen mit. Als glühender Gegner der Corona-Maßnahmen verfasste der Seelsorger gemeinsam mit 70 Gleichgesinnten im Dezember 2020 einen Brandbrief an die Bischofskonferenz: "Mit brennender Sorge wenden wir uns an Sie!" Er geißelte darin die "Meinungsdiktatur", die "zwanghaften Massentestungen", die "genetische Impfung", die "in den letzten 30 Jahren auch nicht bei Tieren angewendet wurde". Nicht einmal bei Kröten, das sollte noch eine Rolle spielen.
Ohne brennende Sorge kickte der Mönch mehrfach für das österreichische Priester-Nationalteam. Als Verteidiger gab er eine Art David Alaba von Gottes Gnaden. Das Priester-Nationalteam existiert seit rund 30 Jahren, vor den Spielen ist ein dreifacher "Halleluja"-Ruf obligat. Bei der EM 2024 im albanischen Shkodra schaffte es die Mannschaft im Februar auf Platz 11. Die Seelsorger aus verschiedenen Diözesen Österreichs berufen sich in ihrer Hobby-Tätigkeit offiziell auf den Fußball-Gott, denn schon in der Bibel stehe geschrieben: "Jesus stand im Tor und seine Jünger standen abseits …" Von diesem Kalauer leben auch viele Witzeseiten.
Nicht im Dress des Nationalteams, sondern im Ornat der Zisterzienser, stellte sich Pater Justin nun etwas abseits vor eine Werbetafel der FPÖ-Bezirksgruppe St. Pölten. Auf der Tafel stand in diesem Fall nicht "Euer Wille geschehe", sondern "Stark. Ehrlich. Frei", und deshalb war Pater Justin so frei, folgendes zu sagen:
"Wir ticken nicht alle gleich in Lilienfeld. Das 'Euer Wille geschehe' ist eigentlich ein demokratisches Prinzip. Ich bin ja auch gegen eine Vermischung dieser beiden Kategorien, aber dass man deswegen Sie (Applaus) ... deswegen bin ich auch heute hierhergekommen ... das zu artikulieren, einfach durch meine Präsenz ... Ihre Partei ist die einzig nennenswerte Partei und das ist für uns als Kirche auch maßgeblich, das ist politisch, das kann uns nicht egal sein, wie es zugeht ... die auch für den Lebensschutz einsteht. Wo es nicht nur um den Schutz von Kröten geht, die über die Straße geht, wo man irgendwelche Schutzmaßnahmen macht."
"Sondern, meine Schwägerin ist auch schwanger, erwartet in diesen Tagen ein Kind. Ich bin auch mehrfacher Onkel. Und jedes dieser Kinder, auch behindertes Kind, dem ich jetzt begegnen durfte, ist unendlich viel wert. Und das ist unsere Zukunft. Dass wir eben auch das sehen. Das, was hier das Leben im Mutterleib und das nicht mehr geschützt wird, hat die Mutter Teresa gesagt, das ist der größte Zerstörer des Friedens auf dieser Welt. Und dass wieder Väter wirklich Väter sind und zu ihrer Frucht auch stehen und die Mütter unterstützen. Und dafür bin ich ihnen unendlich dankbar."
Diese Dankbarkeit erfasste nicht alle Teile des Klerus gleichermaßen. Abt Pius Maurer aus dem Stift Lilienfeld hatte das FPÖ-Plakat "Euer Wille geschehe" zuvor nämlich als "geschmacklos" bezeichnet, als "taktlose Benützung eines Gebets- und Bibelzitats für Parteipropaganda".
Nachdem der FPÖ-Auftritt des hauseigenen Mönchs öffentlich geworden war und von den Freiheitlichen bejubelt wurde, sah sich das Zisterzienserstift zu einer Klarstellung veranlasst. Man distanziere sich, es handle sich um eine "nicht abgesprochene Privathandlung", mit dem Pater werde "das interne Gespräch" gesucht. Ein Ergebnis wurde nicht kommuniziert, aber es dürfte in der Unterhaltung nicht um Kröten gegangen sein, zumindest nicht vorrangig.
Die Kirche hat derzeit sowieso alle Hände voll zu tun, ihre Schäfchen moralisch ins Trockene zu bringen. In Zeiten von Wahlkämpfen ist die Gefahr groß, dass viele vom Glauben abfallen, am Dienstag erwischte es die NEOS. Beate Meinl-Reisinger stellte sich am Minoritenplatz in der Wiener Innenstadt in den Vormittagswind, von irgendwoher waren Fetzen der Bundeshymne zu hören. In diesen Klangteppich hinein bot die Spitzenkandidatin Diebsware feil.
Alle bisherigen Wahl-Kopfnüsse
- Folge 1: So wurde ich für den Kanzler zu einer KI
- Folge 2: Bestäubungs-Staberln und ein Wasserträger
- Folge 3: "Natürlich hat er das, ich bin kein Vollidiot"
- Folge 4: Zwischen starker Mitte und Impotenz
- Folge 5: So führt uns der Kanzler in Wien aufs Glatteis
- Folge 6: Die Volkspartei und ihr Tom Cruise von Kagran
- Folge 7: Brandherde, Brandreden und eine Brandmauer
- Folge 8: Hurra, Hurra, der Bildungsminister ist da!
Die NEOS hatten zwei Wahlplakate der ÖVP geklaut und sie mit neuem Text versehen. Statt "Sicherheit für Wien" war nun "Mit Sicherheit mit der FPÖ" zu lesen. Hier war sie wieder, die Brandmauer, der ich vor ein paar Tagen eine große Karriere in diesem Wahlkampf zugetraut hatte. Niedergeschrieben auf zwei Plakate, die NEOS wollen sie von der Webseite der Volkspartei runtergeladen und neu betextet in die Druckerei geschickt haben.
"Die einzige Partei, die auf jeden Fall in der Regierung sein wird, ist die ÖVP", sagte Meinl-Reisinger. "Und die hat es in der Hand. Ist Karl Nehammer wirklich glaubwürdig in seiner Absage an eine Koalition mit der FPÖ? Das denk ich nicht". Nur mit einer Stimme für die Neos könnten Freiheitliche in der Regierung verhindert werden. Maurerarbeiten an dieser Brandmauer bieten allerdings auch SPÖ, Grüne, KPÖ, die Bierpartei und Karl Nehammer an, der allerdings nur wenn ein Graffiti von Herbert Kickl drauf ist.
Auch bei Meinl-Reisinger wurde es dann ein bisschen religiös. Sie sagte zunächst, was sie alles nicht will, einen FPÖ-Kanzler, einen FPÖ-Vizekanzler, niemanden von der FPÖ in der Regierung. Und: "Ich schaue jetzt ein bisschen hinter die Kirche. Ich glaube, wir sind uns alle einig, dass ein FPÖ-Bildungsminister eine ganz, ganz schlechte Idee für unser Land wäre." Wer mit "wir" gemeint war, erschloss sich nicht ganz, aber manchmal heiligt der Zweck die Mittel.
Natürlich habe ich mir am Abend dann die "Konfrontationen" im ORF angeschaut. Ich bitte um Verständnis, aber über das Duell Werner Kogler gegen Herbert Kickl will ich noch einmal drüberschlafen. Selten so etwas gesehen.
Ich wünsche einen gottvollen Tag. Möge ihre Kirche heute im Dorf belassen werden.