klimakleberin anja Windl

"Ich kann nachvollziehen, dass man da grantig wird"

Die Letzte Generation ist Geschichte, der Protest bleibt. Anja Windl über fast zwei Jahre Klimakleber, wie die Gruppe organisiert war, ihre 42 "beschissenen" Tage in Haft und wie sie weitermacht.

Anja Windl stieß im November 2022 nach einem Vortrag in Graz zur Bewegung
Anja Windl stieß im November 2022 nach einem Vortrag in Graz zur Bewegung
Helmut Graf
Christian Nusser
Akt. Uhr
Teilen

Zum Interview kommt sie 15 Minuten zu spät, "scusi" entschuldigt sie sich. Anja Windl gibt derzeit Interviews in Serie, für Puls 4 fuhr sie sogar an Orte, an denen sie festgeklebt war. Als "Klima-Shakira" kannte man die Deutsche lang, das Etikett hasst sie inzwischen, es sei "sexistisch". Windl war lange das vielleicht bekannteste Gesicht der Letzten Generation, für die einen ist sie eine Klimaheldin, für die anderen eine Reizfigur, die Autostaus verursacht und Flieger am Abheben hindert.

Am Dienstag gab die Letzte Generation ihre Auflösung bekannt. Wie Anja Windl den Moment erlebte, was ihre Eltern, klassische CSU-Wähler, von ihrem Engagement halten, warum sie Strafen über 30.000 Euro (vielleicht sind es auch doppelt so viele) noch jahrelang ins Gefängnis bringen werden. Die wichtigsten Passagen aus dem Podcast-Interview:

Wie sie vom Ende erfahren hat
Ich war selbst an der Entscheidung beteiligt. Es war ein Prozess, der sich über Monate gezogen hat. Ich glaube, es ist strategisch eine Sackgasse entstanden. Und leider, leider Gottes, es tut mir auch wirklich im Herzen weh, weil ich glaube, wir hätten es uns alle anders gewünscht.

Was sie sich anders gewünscht hätte
Letztlich gewinnt vom Aus der letzten Generationen absolut niemand. Es ist auch ein Armutszeugnis für die Gesellschaft. Was mich so betroffen macht, ist einfach die Gleichgültigkeit, mit der ganz große Teile der Bevölkerung augenscheinlich der Klimakatastrophe entgegensehen.

Ob es einen unmittelbaren Auslöser gab
Das wurde schon vor ein, zwei Wochen quasi so entschieden und es war auch bereits letzten November in Überlegung. Also man hat immer wieder überlegt, wann ist der richtige Zeitpunkt? Weil so eine Kampagnenlaufzeit ist grundsätzlich befristet.

Ob die Letzte Generation letzlich aufgegeben hat
Wir haben mit den Protesten aufgegeben, dass auf der politisch Ebene noch die nötigen, tiefgreifenden Veränderungen in der Gesellschaft ausgelöst werden können. Das ist richtig. Es ist aber nicht so, dass da jetzt intern völlige Resignation bei uns vorherrscht. Ich glaube, zum Aufgeben ist es einfach deutlich, deutlich zu früh. Trotz allem.

Anja Windl im Einsatz bei der Wiener Urania
Anja Windl im Einsatz bei der Wiener Urania
Helmut Graf

Wie die Entscheidung gereift ist
Der eigentliche Grundgedanke bei der Gründung der Letzten Generationen in Österreich war, innerhalb von spätestens einem Jahr genug Menschen auf der Straße zu haben, die sich gegen dieses Regierungsversagen auflehnen und friedlich Widerstand leisten. Leider hat es sich auch von der Geschwindigkeit her nicht so ergeben, dass der Druckmoment da gewesen wäre. Dass wirklich eine Reaktion oder auch das Eingehen auf die Forderung passiert. Also Tempo 100 wäre jetzt nicht so schwer zu erfüllen gewesen und davon hätten wir als Gesellschaft einfach insgesamt sehr profitiert.

Ob es in der Gruppe Streit gab
Wir sind uns grundsätzlich als Gruppierung einig darin, was unsere Zielsetzung ist. Natürlich gibt es verschiedene Herangehensweisen. Es war nicht jeder glücklich mit der Entscheidung, das kann ich auch voll gut nachvollziehen. Für mich persönlich war es die sinnstiftendste Reaktion zu sagen: Okay, jetzt wird einfach der Boden für was Neues bereitet, was dann nachkommen kann, was eben potenziell noch mehr Druck erzeugt und damit auch mehr Potenzial hat.

Wie die Letzte Generation organisiert war
In der Kommunikation läuft primär alles über Signal ab und ansonsten haben wir Kollektive in Österreich verteilt. Also beispielsweise in Innsbruck, in Graz, in Linz, in Wien natürlich auch.

Ob es auch physische Treffen gab
Ja, natürlich. Also die Leute haben auch eine Gemeinschaft gebildet, andernfalls sind die Repressionen, die teilweise so aufkommen, nicht tragbar für die Individuen.

Das Ablösen der Hände ist eine zeitraubende Tätigkeit – und zuweilen schmerzvoll
Das Ablösen der Hände ist eine zeitraubende Tätigkeit – und zuweilen schmerzvoll
Helmut Graf

Ob es eine Struktur, eine Hierarchie, eine Art Geschäftsführung gab
Wir haben eine funktionelle Hierarchie in der Letzten Generation, sprich, es gibt ein Kernteam, dass die strategischen Entscheidungen trifft.

Wie groß das Kernteam war
Das waren zuletzt sechs Menschen, die eine Stimmberechtigung hatten. Es gibt eine Verfassung, die das Ganze quasi festhält.

Worüber abgestimmt wurde, über Aktionismus oder über Grundsätzliches
Sowohl auch, also die Kollektive hatten relativ viel Freiheit darin, wie sie protestieren. Aber es ist natürlich eine Widerstandsbewegung gewesen. Sprich, es ist schon auch immer im Hintergedanken, hey, wir wollen ja explizit die Aufmerksamkeit erregen über gezielte Übertretungen, beispielsweise im Verwaltungsrecht, etwa mit Straßenblockaden.

Ob Protest ein Fulltime-Job ist
Auf jeden Fall, also es ist mehr als Fulltime-Job. Jeder, der bei uns wirklich aktiv ist, der setzt da 60 Stunden die Woche rein.

Am 15. November 2022 überschütteten Aktivisten der Letzten Generation das Gemälde "Tod und Leben" von Gustav Klimt im Wiener Leopold Museum
Am 15. November 2022 überschütteten Aktivisten der Letzten Generation das Gemälde "Tod und Leben" von Gustav Klimt im Wiener Leopold Museum
Picturedesk

Ob sie nach dem Ende jetzt in ein Loch fällt
Jetzt gerade ist noch sehr viel zu tun. Gleichzeitig bleibt ein Teil von den Strukturen weiterhin bestehen. Unsere Spendenkanäle bleiben offen, weil da unfassbare Kosten immer noch im Raum stehen. Das Gleiche betrifft unsere rechtlichen Strukturen, also dass die Anwältinnen uns weiterhin betreuen.

Wie die 30 verschiedene Protest-Arten entstanden sind
Es gab immer die Überlegung, wie zeigt man das Dilemma in der Gesellschaft möglichst gut auf? Deswegen waren es am Anfang auch Kunstwerke, die beschüttet wurden, also nur die Glasscheiben. Um dieses Momentum zu erzeugen, hey, wieso juckt uns diese Glasscheibe vor dem Kunstwerk mehr, als dass hier gerade unsere kompletten Lebensgrundlagen zerstört werden? Dann schaut man sich an, was hat in anderen internationalen Kampagnen bereits funktioniert, was hat Medienaufmerksamkeit erzeugt?

Ob evaluiert wurde, welcher Aktionismus erfolgreich war
Wir analysieren natürlich, was in den Medien danach berichtet wird oder ob berichtet wird. Es gab auch einiges, das war dann nicht so erfolgreich.

Der Erfolg hängt davon ab, wie die Medienrezeption ist?
Nicht zwangsläufig, aber durchaus. Die Anmeldezahlen hängen immer mit dem zusammen, wie viel Medienaufmerksamkeiten der Protest bekommen hat. Wenn wir sehr viel in den Medien stehen, dann gehen die Anmeldezahlen hoch. Wenn es weniger wird, gehen sie runter.

"Die Proteste werden für mich weitergehen" kündigt Anja Windl an
"Die Proteste werden für mich weitergehen" kündigt Anja Windl an
Helmut Graf

Ob sie versteht, dass die Aktionen vielen Menschen auf den Wecker gegangen sind
Ich kann das grundsätzlich schon nachvollziehen, insbesondere wenn man in einer Stau-Situation ist, dass man da einfach mal grantig wird. Ich fände es auch nicht so lustig. Aber man muss es halt schon immer im Kontext sehen, was hier gerade auf dem Spiel steht. Es sind letztlich Milliarden an Menschen, die sterben werden, wenn wir mit dem Status quo so weiterwurschteln.

Aber die Milliarden Menschen sterben ja nicht in Österreich. Warum klebt sich niemand in Ungarn, in China, Russland fest?
Also, dass die Klimakatastrophe und der Biodiversitätskollaps einfach eine globale Geschichte sind, das glaube ich sollte uns inzwischen allen klar sein. Wir sind auch international vernetzt. Aktuell läuft die "Oil kills"-Kampagne, wo Widerstandsprojekte miteinander vernetzt sind und auf Flughäfen protestiert wird. Weil das die mit größten Orte der Ungerechtigkeit sind. Wenn man sich mal überlegt, dass 90 Prozent der Weltbevölkerung noch nie ein Flugzeug von innen gesehen haben. Und das sind einfach massive CO2 -Schleudern.

Ob viel über Aktionen, aber wenig über die Klimakrise berichtet wurde
Ich würde nicht sagen, dass es komplett untergegangen ist Aber ja, das ist tatsächlich ein Punkt. Ich sehe darin in erster Linie eine Medienversagen.

Ob der Protest nicht sinnlos war
Absolut nicht. Die Aufmerksamkeit auf die Thematik haben wir trotz aller multiplen Krisen, die gerade am Laufen sind, immer und immer wieder geschaffen. Das ist auf jeden Fall ein Verdienst.

Ärgernis Stau, "ich hätte auch einen Grant", sagt Anja Windl
Ärgernis Stau, "ich hätte auch einen Grant", sagt Anja Windl
Sabine Hertel

Welches Fazit sie persönlich sieht
Der Protest war absolut legitim. Also ich glaube im Leben nicht, dass ich das in 10, 20, 30 Jahren in irgendeiner Art und Weise bereue. Ich bereue auch jetzt keinen einzigen Protest. Ich würde sie komplett wieder so machen. Was ich eher schade finde, dass sich eben nicht genügend Menschen angeschlossen haben, die sich das nicht getraut haben. Ich bin wahnsinnig dankbar für all die Unterstützung, die wir erfahren haben. Mir reißt es das Herz letztlich raus, weil uns gehen die Chancen als Gesellschaft aus. Also wir versagen gerade einfach.

Warum laut ORF-Umfrage der Klimaschutz Menschen immer weniger wichtig wird
Das ist grundlegend einfach mal dramatisch. Es ist für mich auch schwer begreiflich, dass der Konnex in der Bevölkerung nicht so hergestellt wird, Altersarmut etc., auch die Gesundheitsvorsorge, in einer Zivilisation, die zusammenbricht, das geht nicht mehr. Also wir blicken gerade echt in eine fucking dramatische Zukunft.

Wie Menschen auf der Straße mit ihr umgehen
Also dass ich angeschrien werde, das kommt häufiger vor.

Am 28. Februar klebte sich Anja Windl vor dem Eingang zum Parlament fest und wurde weggetragen
Am 28. Februar klebte sich Anja Windl vor dem Eingang zum Parlament fest und wurde weggetragen
Helmut Graf

Großfamilie, fünf Geschwister, Niederbayern: Zeigen daheim alle den Vogel?
Ja, im Dorf wird das natürlich auch auf unterschiedlichste Art und Weise wahrgenommen. Meine Mutti sagt immer, wenn irgendein Artikel in der "Bild" rauskommt, dann traut sie sich eine Woche nicht mehr zum Dorfkrämer einkaufen gehen.

Ob die Mama den Protest versteht
Ich glaube, da ist ganz viel persönliche Besorgnis da. Ich würde auch nicht wollen, dass sich mein Kind jetzt wochenlang in Haft befindet. Das ist einfach keine schöne Situation. Das will man als Eltern nicht miterleben. Das sind eingefleischte CSU-Wähler, das muss man mal an der Stelle sagen. Das ist ein niederbayerisches Dorf. Das ist, wie es ist.

Wie die 42 Tage im Gefängnis waren
Beschissen. Aber nicht beschissen genug, dass ich nicht nochmal tun würde.

Warum die Zeit "beschissen" war
Die wird deine Freiheit entzogen. Du bist in einer ultrakleinen Zelle und im Polizeianhaltezentrum Wien haben sie einen akuten Personalmangel, insbesondere im Frauentrakt. Als Insasse hast du das Recht auf eine Stunde Hofgang jeden Tag. Es gab Wochen, wo wir zweimal kurz mal draußen waren und das auch keine volle Stunde. Das ist einfach dann schon auf Dauer sehr belastend.

Am 8. August 2024 klebten sich Aktivisten auf der Rollbahn des Frankfurter Flughafens fest
Am 8. August 2024 klebten sich Aktivisten auf der Rollbahn des Frankfurter Flughafens fest
Picturedesk

Was man in Haft tut
Lesen, lesen, lesen.

Was die größte Belastung ist
Dass du merkst, okay deine Tür, die hat jetzt keine Klinke mehr. Das Rascheln der Schlüsseln, wenn die Wärter vorbeigehen, das macht schon was mit einem.

Wie viele Strafen sie noch offen hat
Ich habe in Österreich, ich weiß es nicht, vielleicht um die 50 Mal protestiert und in Deutschland dann auch noch mal über 20 Mal, die allerallermeisten Strafen sind noch offen, jetzt wird das 6 plus 6-Prinzip angewandt.

Was das bedeutet
Das heißt, ich bin sechs Wochen in Haft, da muss ich sechs Monate wieder frei sein, weil es bloß das Verwaltungsrecht betrifft und dann bin ich wieder sechs Wochen drinnen. Das wird auf Jahre jetzt noch so gehen, weil ich halt über 30.000 Euro mindestens an verwaltungsrechtlichen Übertretungen stehen habe, Strafen, die rechtskräftig sind.

30.000 Euro an Strafen sind noch offen?
Mindestens, es kann auch sein, dass es doppelt so viel ist. Ich weiß es schlichtweg nicht.

"Ich würde auch nicht wollen, dass sich mein Kind jetzt wochenlang in Haft befindet"
"Ich würde auch nicht wollen, dass sich mein Kind jetzt wochenlang in Haft befindet"
Helmut Graf

Ob sie noch keinen Cent Strafe gezahlt hat
Doch, eine Strafe ist mir durchgerutscht. Zu dem Zeitpunkt, wo ich noch ein bisschen mehr Angst vor Haft hatte.

Was nun ihre Pläne sind
Ich habe etliche Gerichtsverhandlungen in Deutschland, in Österreich genauso. Die Proteste werden für mich auch weitergehen. Dass die letzte Generation ihre Proteste eingestellt hat, heißt nicht, dass der Widerstand für mich persönlich hier an der Stelle schon eine Ende gefunden hat.

Ob also eine Letzte Generation 2.0 kommt
Nicht unter dem Namen. Aber potenziell wird da auf jeden Fall was nachkommen, weil eben auch der Boden bereit ist. Da ist jetzt auch eine wahnsinnige Lücke geschaffen.

Akt. Uhr
#Menschenwelt
Newsletter
Werden Sie ein BesserWisser!
Wissen, was ist: Der Newsletter von Newsflix mit allen relevanten Themen des Tages und den Hintergründen dazu.