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"Berlin Nobody": Warum der Umweltsekten-Thriller enttäuscht
Ein aktuelles Thema, ein Hollywoodstar, die Tochter einer Regie-Legende – und trotzdem kommt der Sektenfilm nicht richtig aus den Startlöchern.
Grundsätzlich ist es ja nicht schlecht, wenn das Filmpublikum wieder mehr klein- und mittelbudgetierte Werke zu zu sehen bekommt: Die vielen Blockbuster-Flops der letzten Jahre zwingen die Studios, wieder kleiner zu kalkulieren. Und aus der Filmgeschichte weiß man, dass cineastische Innovationen selten aus dem Mainstream heraus geschehen, sondern meist aus der Peripherie kommen.
Zwischen Genre- und Autoren-Film "Berlin Nobody" lässt sich rein formal als solch ein mittelbudgetierter Genre-Film bezeichnen, der technisch einwandfrei realisiert wurde und dabei seiner Urheberin große kreative Freiheit gab: Jordan Scott, Tochter von Regie-Legende Ridley Scott ("Alien", "Blade Runner", "Gladiator"), ist nämlich sowohl für Drehbuch, als auch für Regie verantwortlich, man könnte beinahe von einem "Autorenfilm" sprechen. Großzügig gefördert wurde ihr Werk übrigens aus deutschen Fördertöpfen, für den Rest des nötigen Kleingelds kam Papa Ridley als Produzent auf.
Darum geht's in "Berlin Nobody" "A Sacrifice", so der (nachvollziehbarere) englische Originaltitel, erzählt von dem amerikanischen Sozialpsychologen und Autoren Ben Monroe (Eric Bana), der nach der Trennung von seiner Frau nach Berlin gezogen ist, um dort weitere Forschungen für sein neues Buch über Sekten anzustellen. Als seine Tochter Mazzy (Sadie Sink) zu Besuch kommt, weil sie ein Auslandssemester an einer Berliner Uni verbringen will, freundet sie sich schnell mit dem Aktivisten Martin (Jonas Dassler) an, den sie zufällig in der U-Bahn trifft.
Radikale Sekte Martin ist Teil einer Gruppe, die sich dem radikalen Klima- und Umweltschutz verschrieben hat. Ihre Anführerin ist die dubiose Hilma (Austro-Export Sophie Rois), die die Rettung der Erde durch totalen Kollektivismus und Abkehr vom Individualismus verspricht. Als Mazzy eines Nachts plötzlich verschwindet und sich eine weibliche Bekanntschaft ihres Vaters gleichzeitig als Sektenmitglied herausstellt, eskaliert die Situation – es geht plötzlich um Leben und Tod.
Beliebtes Filmmotiv "Berlin Nobody" versucht, ein altes, oft verwendetes und beliebtes Filmmotiv aufzugreifen und ihm einen neuen, postmodernen Anstrich zu geben: Das Thema Sekten/Kulte wird in Horror-Klassikern wie "The Wicker Man" oder "Suspiria" behandelt, Meisterwerke wie Stanley Kubricks "Eyes Wide Shut" oder auch neuere Werke wie "Mandy" oder "Knock at the Cabin" stellen es ebenfalls in ihren Mittelpunkt. Jordan Scotts Film nimmt die aktuelle Klimakrise und Diskussionen um den richtigen Umgang damit als Hintergrund für ihre Geschichte.
Aktuelles Thema Würde das Thema nun mit Mut zur nötigen Ambivalenz und Komplexität angegangen worden sein, wäre die Story von "Berlin Nobody" nicht uninteressant: Extreme Wetterphänomene nehmen zu, der Einfluss des menschgemachten Klimawandels ist wissenschaftlich belegt. Und zurecht machen sich viele, vor allem junge Menschen Sorgen um ihre Zukunft. Auch von diesen handelt der Film, wenngleich nur sehr oberflächlich.
Suche nach Halt und Sicherheit Auf der anderen Seite gibt es eine reale Tendenz zur Radikalisierung, zu Verschwörungstheorien, getrieben von Fake-News und Desinformation. Die große Ungewissheit unserer Gegenwart – die multiplen Krisen – nutzen nicht nur Populisten, sondern auch Sekten, um den oft verunsicherten Suchenden Halt und eine "Familie" zu geben. Auch das wird in "Berlin Nobody" geschildert.
Komplexes Thema, tonal daneben Leider schafft es der Film aber zu keinem Zeitpunkt, sich dem komplexen Thema auf überzeugende Art zu nähern. Keine der möglichen Perspektiven wird glaubhaft dargestellt und vermittelt. Vielmehr nimmt Jordan Scotts Werk irgendwie gar nicht Stellung, ist tonal völlig daneben und zudem psychologisch unbedarft.
Klischees wohin man schaut Das liegt auch daran, dass die Figurenzeichnung, eigentlich der ganze Plot, vor allem auf Klischees aufbaut: Hier der enttäuschte Ehemann, der in der Ferne seine Freiheit sucht, da die entfremdete Tochter, die Anschluss möchte. Dort der verirrte Idealist ohne Familie, der sich auf eine Mission begibt. Und eine überzeichnete, fast karikaturhafte Sektenführerin, die ihre ebenso klischeehaft dargestellten Anhänger in den Abgrund geleitet. Grau- und Zwischentöne? Fehlanzeige, sonderlich viel recherchiert dürfte Scott wohl nicht haben.
Keine Spannung Und obwohl die technischen Aspekte von "Berlin Nobody" wie Kamera, Schnitt und Soundtrack überaus gelungen sind, schafft es der "Thriller" zu keinem Zeitpunkt, wirkliche Spannung aufkommen zu lassen. Gerade das letzte Drittel ist dann ein absolut unlogisches, dramaturgisches Chaos, während die erste Stunde des knackigen 90-Minüters zumindest noch solide dahin plätschert.
Vergeudetes Talent Dass sich ein talentierter und erfahrender Darsteller wie Eric Bana für solch eine Produktion hingibt, bleibt ein Rätsel, vielleicht hat einfach das Geld gestimmt. Er wirkt konstant unterfordert und in manchen Szenen konterkariert er die immer absurder werdende Handlung durch sein doch recht überzeugendes Schauspiel. Solches kann man der in Berlin lebenden Österreicherin Sophie Rois leider nicht attestieren: Sie spielt ihre Sektenführerin unglaubhaft und ihr Over-acting tut der Figur nicht wirklich gut.
Fazit: So ist "Berlin Nobody" am Ende vor allem eine vertane Chance: Ein aktuelles und interessantes Thema wurde ohne Anspruch und Tiefe behandelt, Fördergelder wurden vergeudet. Und die Chance für das Publikum, wieder einmal einen kleinen, aber feinen Film zu sehen, wurde verschenkt. Ridley Scott sollte sich wohl in Zukunft besser überlegen, wo und wie er sein Geld investiert.
"Berlin Nobody", USA / Deutschland 2024, 94 Minuten, derzeit im Kino