Jetzt steht das Wahlergebnis endgültig in den Sternen

"Bist du beschwipst?", fragte mich gestern jemand und das in aller Herrgottsfrüh. Ich schaute entgeistert, denn mir war nicht bewusst, dass man von Kaffee rauschig werden kann. Wenig später musste ich mich mit einer viel heikleren Frage beschäftigen: Ist meine KI gar eine Schnapsdrossel?

Mit KI-Stimme: Jetzt liegt das Wahlergebnis endgültig in den Sternen

Tatsächlich war über Nacht Seltsames passiert. Meine künstliche Stimme klang plötzlich anders. Gepresster, gehetzter, gekünstelter, so als hätte sie einen Damenspitz. Meine KI-Stimme war immer noch als meine KI-Stimme erkennbar, aber sie hatte sich von mir entfernt. Drei Wochen Pubertät, schon flügge.

Das Rätselhafte am Vorgang: Es war nichts verändert worden, kein Byte. Niemand hatte am Klang geschraubt, niemand in den Prozess der Herstellung eingegriffen. Ich hatte alles so gemacht wie immer. Die Kopfnüsse geschrieben, den Text per Mail an "ElevenLabs" nach Kalifornien geschickt, nach ein paar Minuten stand der fertige Podcast online. Automatisch. Aber betrunken halt.

Die KI hatte offenbar von selbst entschieden, jetzt anders klingen zu wollen. Bemüht beschwingt. Wie ein Opa in der Late-Life-Krise, der am Türlsteher der "Passe" vorbei will. Man kann es mit der Eigenverantwortung auch übertreiben.

In Gedanken versunken verließ ich deshalb gestern zu Mittag das Haus. Nicht um zum Early Bird in die "Passe" zu gehen, sondern um mir etwas zu essen zu holen. Auf der Straße sprach mich ein Mann in den späten Vierzigern an. "Die Wahl am Sonntag wird 100-prozentig manipuliert", sagte er. "Warum glauben Sie das?", fragte ich ihn. "Ich glaube das nicht, das ist Wissen", antwortete er. "Die Logen machen das." Dann ging er weiter. Vielleicht war es aber auch ich.

So knapp vor der Wahl bricht die Zeit der wilden Vermutungen an, der Verschwörungstheorien, der Gerüchte. Nach den finalen TV-Duellen im ORF wurde in den sozialen Medien gestern nicht leidenschaftlich über Politik debattiert, sondern ob Herbert Kickl sich die Stirn botoxen hat lassen und Andreas Babler beim Blondieren war. Nur falls Politiker auf die Idee kommen sollten, es hört ihnen jemand zu.

Das wird jetzt aber besser. Um etwas für die Stärkung der Wissenschafts-Community im Land zu tun, startet der ORF nämlich eine eigene "Astro Show". Sie heißt "Blick in die Sterne" und ebendiese Sterne werden einmal im Monat gedeutet, jeweils am Sonntagnachmittag. Das geht aber diesmal nicht, denn an diesem Sonntagnachmittag werden die Wahlergebnisse gedeutet. Außerhalb der Astrologie kommt für diesen Vorgang häufig der Begriff Hochrechnung zur Anwendung.

Um keinen Pallawatsch zu erzeugen, zeigt der ORF deshalb die erste Folge seiner neuen Sonntags-Sendung an einem Samstag. Am Sonntag gibt es dann knapp nach 17 Uhr die erste Hochrechnung, die "Birth Chart" der künftigen Regierung also. Dann wird sich auch deuten lassen, in welchem Haus die Volkspartei steht und ob sie einen Aszendenten FPÖ bekommt. Oder umgekehrt.

"Blick in die Sterne – Die Astro Show" wird von Sasa Schwarzjirg und Lori Haberkorn moderiert. Ich habe hohe Erwartungen an die Sendung, denn sie scheint auch historisch wertvoll zu werden. Auf ihrer Webseite schreibt Lori Haberkorn, sie sei "bei Donner und Blitz, der Mondin im rebellischen Wassermann, in einer kleinen Mittelalterstadt in Österreich zur Welt gekommen". Die Rede ist von Oberösterreich. What else?

Zu den Sternen fühlte sich Haberkorn schon früh berufen. "Die Astrologie und Mystik ist Lori praktisch in die Kinderwiege gelegt worden", steht da, "denn bereits im Babybauch ihrer Mutter war Lori auf Full Moon Ceremonies und witchy Rituals." Wieder erweist es sich als Glück, dass die Show nicht am Sonntag startet. Stellen Sie sich Karl Nehammer am Wahlabend auf "witchy Rituals" vor und Peter Filzmaier analysiert in Form von "Full Moon Ceremonies".

Haberkorn, laut Eigenangabe "Astrologin, Modern Mystic & your personal Witch", hat ein Buch geschrieben, es heißt "Die goldene Magie der Mondin". Sie gibt Kurse, etwa "Manifestation Meditation" oder "Astro Love". Seit 2023 betreibt sie online das "Modern Mystic House", gegründet als "Sacred Space für all die Witches“ und „ein Ort zum Erkennen, Erforschen und Ausleben unserer inneren Magie."

Damit die innere Energie nach außen dringen kann, werden im "Modern Mystic House" allerlei Hilfsmittel angeboten. Der Shop stellt seit 17. September wieder Waren zu, bis dahin befand sich die Belegschaft auf "Moon-Travel". Im Angebot befinden sich ein "Bergkristall Pendel" für 19 Euro, ein "New Moon Aura Spray" für 29,90 Euro und "Ätherische Visionen" für 22 Euro.

Das "Full Moon Aura Spray" ebenfalls für 29,90 Euro, ist leider vergriffen. Ich bin immer skeptisch, wenn mir Menschen weismachen wollen, sie schaffen es, die Zukunft zu deuten, drohende Engpässe im eigenen Warenlager aber können sie nicht vorhersehen.

Tatsächlich ist Haberkorn Astro-Influencerin, ein sehr nachgefragtes Genre unter Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Hexen sind in Mode. Sie schauen heute nicht mehr so bieder aus wie in meiner Kindheit in den Otfried Preußler-Büchern, sondern sie sind hip, gestylt, Instagram ist ihr Hogwarts.

Es ist eine eigene Welt mit ihrer eigenen Sprache, Englisch und Deutsch werden bunt gemixt. Wenn sich Lori Haberkorn beschreiben lässt, dann klingen Sätze so: "Mit Astro Readings, Conscious Biz Mentoring und einer Extraportion an Success Mindset bringt sie nicht nur Ihr Business in neue Levels, sondern auch Ihr persönliches Glück!"

Ich wünsche einen visionären Mittwoch. Für ein bisschen "Conscious Biz Mentoring" wollte ich gestern mit "Werner, Alma, Leonore und den grünen Kandidat:innen" telefonieren, den "Witches" der Grünen. Ich bin vor Langem schon auf ihren Newsletter-Verteiler gerutscht und allen Abonnenten wurde nun Telefongespräche mit den "Witches" offeriert. Dafür stand am Dienstag ein Zeitfenster von 18 bis 20 Uhr zur Verfügung, was vor allem bei Werner Kogler riskant erschien, seine "Extraportionen an Success Mindset" können sich in die Länge ziehen!

Hier können Sie den Kopfnüsse-Newsletter abonnieren. Ich empfehle das ausdrücklich!

Um mit "Werner, Alma, Leonore und den grünen Kandidat:innen" in Kontakt treten zu können, musste man sich anmelden. Es war leider so wie bei Taylor Swift. Ausverkauft! Es "sind schon alle Anruf-Slots belegt" bekam ich als Nachricht. Aber ich könne mich auf eine "Warteliste setzen lassen". Ich wusste, meine Sterne stehen schlecht! Und so war es dann auch.Bis morgen, wenn Sie mögen!

Mit KI-Stimme: Volkskanzler gegen Volkspartei-Kanzler: Ich war dabei