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Kickls Diktat-Friede: Zerreißt der "Volkskanzler" nun die Volkspartei?

Für die ÖVP war schon einmal mehr Lametta. An Tag 1 in neuer Rolle als Regierungsbildungs-Beauftragter wies Herbert Kickl dem künftigen Junior-Partner seinen Platz zu - der liegt gleich neben dem Katzentisch. Die Demütigung und ihre Folgen.

Von der Presseerklärung des FPÖ-Chefs gibt es durchaus einiges Filmmaterial
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Denise Auer
Newsflix Kopfnüsse
Akt. Uhr
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Vielleicht wird Christian Stocker in ein paar Wochen dasitzen und sich denken: Also so schlecht war der Babler Andi jetzt auch wieder nicht. Ein Kommunist halt, aber eher einer wie aus "Don Camillo und Peppone".

Vielleicht saß der Peppone von Traiskirchen am Dienstag in seiner Kemenate in der Löwelstraße vor dem Fernseher, lächelte nach innen und sagte zu sich: "Also hoch werden die Leuchttürme der ÖVP in nächster Zeit auch nicht wachsen".

Mit KI-Stimme: Wie Kickl der ÖVP den Frieden diktierte

14 Tage nach Weihnachten erfuhr Christian Stocker, designierter neuer ÖVP-Chef, am Dienstag erste Reihe stussfrei, dass am Christbaum jetzt keine goldenen Kugeln mehr hängen. Herbert Kickl bat die Volkspartei nicht an den Verhandlungstisch, er bestellte sie zu Regierungsgesprächen ein. Sie finden nach seinen Regeln statt.

Vielleicht hatte die Volkspartei bis zu diesem Zeitpunkt Träume. Sie dachte, der FPÖ-Chef werde in seiner neuen Funktion ein paar verbindliche Worte verlieren und eventuell sogar etwas aufbauendes Lob für die vom Schicksal zuletzt arg gebeutelten türkisen Schwarzen finden. Aber da war nichts. Kickl las vom Blatt die neuen Zeiten ab und er teilte seinem künftigen Partner dabei kein gutes Blatt zu.

Keine Fragen erlaubt: Die Kickl-Presseerklärung artete nicht zur Pressekonferenz aus
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"Ehrlichkeit", der Begriff durchzog die rund 25 Minuten lange Rede, gehalten im FPÖ-Medienzentrum in der Wiener Reichsratsstraße, Fragen waren keine gestattet. Die Freiheitlichen hatten in der Früh zum Termin geladen, der Titel gab die Richtung vor: "Österreich ehrlich regieren". Eine Anleihe bei Jörg Haider, auch schon über 30 Jahre her.

"Einfach ehrlich, einfach Jörg", mit diesem Slogan war der damalige FPÖ-Chef 1994 in den Nationalratswahlkampf gezogen. Die TV-Duelle erlebten ihre erste Hochblüte und Haider erfand dafür ein schlagkräftiges optisches Element: das Taferl.

Jetzt zeig' ich Ihnen was“. Haider saß im ORF Franz Vranitzky gegenüber und konfrontierte den Kanzler mit den Pensionsbezügen des Kammeramtsdirektors der steirischen Arbeiterkammer: 260.000 Schilling, heute fast 19.000 Euro, 14-mal im Jahr. Bei der Wahl holte "Einfach ehrlich, einfach Jörg" dann 22,5 Prozent. Die FPÖ war schon immer eine Jojo-Partei.

Im Wahlkampf 2024 hauchte Kickl dem Spruch neues Leben ein, auf Instagram postete er "Einfach Ehrlich. Einfach Herbert." Am Dienstag stellte er "Ehrlichkeit" ins Zentrum seiner aktuellen Einlassungen. Der Begriff kam in der Rede 20-mal vor. Ganz ohne Taferl, einfach so.

Es wirkte wie auf das Deckblatt eines Regierungs-Programmes geschrieben. "Österreich ehrlich regieren", auch das Motto der künftigen Koalition gab Kickl der Volkspartei vor, da war noch kein einziges Wort über die künftige Koalition gesprochen.

Schau an, der kann ja lachen: Der neue ÖVP-Chef Christian Stocker beim Bundespräsidenten
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Peter Lechner

So ehrlich muss die ÖVP zu sich sein: Mehr als eine ausgestreckte Hand bekam sie an diesem Dienstag nicht angeboten. Sie kann nun einschlagen oder die FPÖ zieht in neuerliche Wahlen, zum Unterschied ihres möglichen Partners hat sie diese zweite Option. Für ihn sei das sowieso "bequemer" und "ohne Risiko", sagte Kickl. Kanzler zu sein, wäre ohnehin kein Lebenstraum. Ich habe da meine Zweifel.

Natürlich kann Christian Stocker jetzt einen Rappel kriegen und alles hinwerfen. Aber für einen neuerlichen Wahlkampf ist die ÖVP zu pleite. Zu kraftlos. Zu uneins. Man sollte auch nicht vergessen: Die aktuellen Machthaber in der Partei haben Nehammer abgesägt und Stocker ganz bewusst an diese Stelle gesetzt, damit er Blau-Schwarztürkis durchdrückt. Und nicht verunmöglicht.

Ein Pakt mit dem "Volkskanzler" ist für die Volkspartei die letzte verbliebene Möglichkeit. Sie hat sich selbst in diese Situation gebracht und eigenhändig ihren Preis festgesetzt. Es gibt sie nun am Wühltisch.

Gut möglich, dass der Parteispitze erst an diesem Dienstag dämmerte, wo sie gelandet ist: im Nirgendwo. Entweder die ÖVP akzeptiert nun, was ihr die Freiheitlichen in den Verhandlungen zugestehen. Oder sie geht in April-Wahlen unter.

Die Rede des FPÖ-Chefs war unterlegt von allerlei subtilen Bösartigkeiten. Erst erzählte er von einer Maßregelung für den Bundespräsidenten. "Sie werden noch an mich denken" habe er Alexander Van der Bellen damals im Telefonat gesagt, als der sich für Karl Nehammer als Regierungsbildungs-Beauftragten entschieden hatte.

Dann karikierte er die ÖVP als Tschopperl-Partie, immerhin aber an seiner väterlichen Seite möglicherweise dazu in der Lage, "klüger zu werden" und "schlechte Gewohnheiten abzulegen". Diese Tschopperl-Partie trage die "Verantwortung für die Fehler in der Vergangenheit, dafür unser Land in eine ganz, ganz schwierige Situation gebracht zu haben". Und es könne nicht so sein, dass "niemand irgendeinen Teil der Verantwortung tragen möchte."

Für Kickl ist diese Klarstellung wichtig. Sollte er eine Regierung schaffen, dann kriegt sie einen schweren Schulden-Rucksack auf den Rücken geschnallt. Erbschaften können auch ohne Steuer belastend sein.

Die Erbschuld will die FPÖ dafür nicht tragen. Sie wird bei jedem Einschnitt, bei jeder unpopulären Belastung, bei jeder Zumutung für die Bevölkerung auf ihre eigene Schuldlosigkeit verweisen. Den Schulden-Rucksack wird das Team Stocker in der Koalition allein schultern müssen.

Noch haben sich die Demonstrationen gegen einen FPÖ-Kanzler nicht ausgewachsen
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Er sei vor der ÖVP gewarnt worden, "die spielen ein falsches Spiel, die haben das Ziel, euch ausrutschen zu lassen", legte Kickl nach. Deshalb: "Keine Spielchen, keine Tricks, keine Sabotage, keine Quertreiberei". Geschlossen, homogen, stabil müsse der neue Partner sein, eine "eindeutige und einheitliche Position" vertreten und "nicht alle paar Monate irgendjemand anderer im Kommandostand". Vor allem das wird für die ÖVP nicht leicht einhaltbar sein.

Wenn das aber nicht gewährleistet sei, sagte Kickl, "dann kann ich sagen, ja dann war es das auch schon wieder." Es war die zweite unverhohlene Drohung mit Wahlen an diesem Tag.

Noch etwas gab der Oberblaue der ÖVP auf den Weg mit und es muss den Stolz der Partei besonders angekratzt haben. Er will vielleicht auf Augenhöhe verhandeln, aber mit Schwarztürkis nicht auf Augenhöhe regieren. Es müsse ein Bewusstsein entwickelt werden, sagte Kickl, "wer jetzt die Wahl gewonnen hat und wer eben Zweiter geworden ist und nicht der Sieger ist. Das war ja nicht immer allen klar, auch in der österreichischen Volkspartei." Der nächste Nackenschlag.

Kickl will "nicht alle paar Monate irgendjemand anderen im Kommandostand"
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Denise Auer

Für die ÖVP vollzieht sich ihre Demontage in einem atemberaubenden Tempo. Am Freitag die NEOS weg. Am Samstag die SPÖ weg. Am Sonntag Karl Nehammer weg. Am Montag der Regierungsauftrag weg. Am Dienstag die Würde beim Teufel.

Eben noch saß Karl Nehammer hinter seinem 300 Kilo schweren Schreibtisch im Kreiskyzimmer und malte sich seine Zukunft als Kanzler aus. Vier Tage bekam sein Nachfolger im Rahmen einer Pressekonferenz ausgerichtet, wie er sich nun zu verhalten habe.

Der ÖVP verschlug es die Sprache. Noch dringt der Unmut nicht an die Öffentlichkeit, aber die Partei steht vor einer Zerreißprobe.

Nur wer nichts mehr zu verlieren hat, meldet sich vorerst. Der ehemalige EU-Kommissar Franz Fischler will aus der Partei austreten. Bernhard Görg, nicht rasend erfolgreich als Landesparteichef in Wien, kritisiert, dass Kickl "die Räuberleiter ins Kanzleramt" gemacht werde. Ex-Ministerin Maria Rauch-Kallat sagt, sie könne es niemandem "verübeln", wenn er sich abwende.

Die ersten VP-Minister der aktuellen Regierung suchen das Weite. Außenminister Alexander Schallenberg will unter Kickl nicht weitermachen, Integrationsministerin Susanne Raab hat schon einen neuen (Versorgungs-)Job so gut wie fix, von Europaministerin Karoline Edtstadler ist schon länger bekannt, dass sie aussteigt. Ob die Genannten in der künftigen Regierung noch ein Leiberl gehabt hätten, ist unklar.

Blaue geben grünes Licht: Das FPÖ-Präsidium gab Herbert Kickl freie Hand für Verhandlungen mit der ÖVP
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Aber dabei wird es nicht bleiben. Die Volkspartei, schon öfter totgesagt, wird sich neu finden müssen oder untergehen. Momentan gibt es eine Volkspartei dem Namen nach und eine Volkspartei der Wählerschaft nach, die heißt halt jetzt FPÖ. Noch glaubt die Namens-Volkspartei, dass sie gesundet, wenn sie sich mit der Wähler-Volkspartei auf ein Packl haut.

Das wird eher nicht passieren. Die FPÖ hat der SPÖ die Hackler weggenommen, jetzt saugt sie die ÖVP aus. Um sich zumindest mit einem kleinen Finger an der Macht zu halten, stellt sie ihr Herz zur Organtransplantation zur Verfügung Vielleicht wird man nach fünf Jahren Blau-Schwarztürkis sagen: Wozu brauchen wird die Volkspartei eigentlich noch?

Das alles folgt keinem Naturgesetz. Kickl ist kein Genie, kein Menschenfänger, kein Don Camillo. Als er die FPÖ übernommen hat, sind ihm nicht sofort die Herzen zugeflogen. Es dauerte ein Jahr, bis in Umfragen ein Aufschwung zu erkennen war, und er erfolgte nicht, weil das Rad neu erfunden wurde. Die anderen Parteien haben Kickl groß gemacht, sie vergessen das nur gerne.

Ich wünsche einen unvergesslichen Mittwoch. Es ist übrigens erst der 8. Jänner. Nur falls Ihnen vorkommt, dass sich das Jahr schon ein bisschen zieht. Bis in einer kleinen Weile!

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