Rückblick, Teil 1
Kopfnüsse 2024: So puzzelten wir uns ins Superwahljahr
Der satirische Blick auf das abgelaufene Jahr. Was zwischen Jänner und März alles passierte. Über die mühevolle Kandidatensuche für die EU-Wahl, nette Kommunisten, einen Kanzler mit Plan und Rülpsen als neue Leitkultur.
1. Jänner Wie der Kanzler (k)ein Wunder vollbrachte*
Das alte Jahr ging wenig magisch zu Ende, dafür begann das neue mit etwas Zauberei. Der Kanzler rettete die Wiener Sängerknaben. Und das zu einem Zeitpunkt, als sie bereits gerettet waren. Der Chor war in finanzielle Schieflage geraten.
Ich meine, Kinder in Matrosenanzügen und das aus der Badewannen-Seefahrernation Österreich, gehänselt wegen seiner Marine, die nicht die Häfen von Rotterdam oder New York ansteuert, sondern Spitz an der Donau, so eine Erzählung erleidet in einer globalisierten Welt schnell Schiffbruch.
Mit KI-Stimme: Kopfnüsse-Jahresrückblick, Teil 1
Am 30. Dezember informierte die "Kronen Zeitung" die Welt, dass die Sängerknaben vor der Pleite stünden. Keinen halben Tag später war der Chor dank Karl Nehammer schon wieder über Wasser.
Aber ganz so ging das natürlich nicht vonstatten, das würde uns bei Wundern in Österreich auch wundern.
Tatsächlich hatte Erich Arthold, Präsident der Sängerknaben, dem Kanzler schon drei Wochen davor vom Leck in der Kassa erzählt. Die Regierung stellte daraufhin 800.000 Euro auf, damals saß die Budget-Brieftasche noch lockerer. Das Geld werde niemandem weggenommen, sondern stamme aus "Reserven", wird betont. Gut zu hören, dass es sowas gibt.
Der Rest war Show. Der Präsident der Sängerknaben wurde noch am selben Tag ins Kanzleramt bestellt, gemeinsam mit Karl Nehammer abgelichtet, bekam die Zusicherung, dass die Förderung in seinem Sinne erledigt werde, das Geld dürfte schon im Jänner fließen. Und schon knapp nach Mittag dieses denkwürdigen 30. Dezember hatten die Sängerknaben plötzlich ihre Stimmen wieder.
Das Jahr war noch gar nicht richtig angelaufen, aber seine erste Inszenierung hatte es schon vom Stapel gelassen.
Kopfnüsse-Rückblick auf 2024, alle vier Folgen
- Jänner bis März So puzzelten wir uns ins Superwahljahr
- April bis Juni Wie die EU-Wahl zur Seifenoper wurde
- Juli bis September Wie Österreich einen Blaustich bekam
- Oktober bis Dezember Drei Parteien auf Suche nach Erleuchtung
4. Jänner Kickl startet seine Volkskanzler-Show
2024 wurde häufig gewählt, deshalb nannten Medien das Superwahljahr Superwahljahr. In diesem Superwahljahr wurde viel vor allerlei gewarnt, im Fernsehen gestritten, mit Meinungsumfragen hantiert. Am Ende kam das raus, was schon im Jänner rausgekommen war.
Im Dezember 2022 zog die FPÖ an der SPÖ vorbei, im März 2023 erklomm sie die 30 Prozent, seitdem verharrt sie dort. Offiziell haben die anderen Parteien das Rennen um Platz 1 noch nicht aufgegeben, hinter den Kulissen aber geht kaum jemand mehr davon aus, dass Kickl noch abgefangen werden kann.
Im "Schwarzl-Freizeitzentrum" in Premstätten bei Graz hielten die Freiheitlichen ihr "Neujahrstreffen" ab. Die 2.000 entfesselten Fans waren aber nicht zur Sause gekommen, um das neue Jahr zu treffen, sondern Herbert Kickl.
Das musste geprobt werden, und zwar ausführlich. Dafür verantwortlich wie immer: Die Band rund um John Otti, dem Taylor Swift der FPÖ.
Das Saalpublikum sollte nun auf die Bänke steigen. "Das geht schon super", rief John Otti ins Publikum, er bildet mit Werner Otti, Jürgen Otti und Jörg Otti die John Otti Band und ehe er "Wir sind eine Große Familie" intonierte, kündigte er an, dass Herbert Kickl 3.000 Jahre regieren werde. Mir kommt das ein bisschen lang vor, aber jemanden mit 1.000 Jahren hatten wir ja auch schon.
Fanfarenmusik, die Kamera dreht auf Kickl, er schwenkt eine riesige Österreichfahne, zieht ein wie Michael van Gerwen bei der Darts-WM ins Ally Pally. An seiner Seite Mario Kunasek, Spitzenkandidat der FPÖ bei der Steiermarkwahl im Herbst, an diesem Tag ist er in seiner Heimat höchstens eine Randnotiz.
Nach ein paar Rednern ist Herbert Kickl endlich dran, Wunderkerzen sprühen, die gut geölten "Herbert"-Sprechhöre sind zu hören, schnell ist klar: Hier sind keine Excel-Listen nötig, um den Parteichef identifizieren zu können.
Natürlich, Schalmeientöne waren nicht zu hören vom selbst ernannten "Volkskanzler". Nehammer nannte er "dead man walking", Babler "Bla bla", Kogler "zernudelt", Benko einen "Freier und Zuhälter der Huren der Reichen", Gusenbauer seine "fette Spinne". Dem "Swingerclub der Macht" sagte er den Kampf an.
Dem Swingerclub fiel in den Monaten bis zur Wahl reichlich wenig als Gegenwehr ein.
15. Jänner Stell dir vor, es ist EU-Wahl, aber keiner will hin
Das Superwahljahr sollte am 9. Juni seinen ersten Höhepunkt erleben, aber vorab fanden nicht alle die Vorstellung super, nach Brüssel zu übersiedeln. Weil sich niemand aufdrängte, stellten SPÖ und die FPÖ ihre bisherigen Vertreter für die EU-Wahl auf, bei der ÖVP sagte erst Claudia Plakolm, dann Karoline Edtstadler ab, vielleicht war es auch umgekehrt.
Am Ende blieb der ÖVP die Auswahl aus einem einzigen Kandidaten und sie griff zu, wenn auch wenig beherzt. Nach der Parteisitzung Montagvormittag in der Politischen Akademie in Wien-Meidling, wurde eine schmucklose Pressemeldung über die Personalie abgesetzt. Reinhard Lopatka, dem das Los zugefallen war, weilte gar nicht im Land, er gratulierte sich selbst erst fünfeinhalb Stunden später zur Wahl.
Sein Video, verbreitet über die sozialen Medien, graste allerlei Gemeinplätze ab. Er habe "eine Meinung und vertrete sie auch", sagte Lopatka, Europa müsse sich ändern. Endlich traut sich jemand das offen auszusprechen.
Die Grünen entschlossen sich am 22. Jänner dazu, Lena Schilling ins Rennen zu schicken. Das sollte später im Jahr noch eine Rolle spielen.
18. Jänner So wurde die Bierparty zur Schnapsidee
Für 59 Euro kann man neun Mal SPÖ Mitglied werden. Oder einmal der Bierpartei beitreten.
Am 18. Jänner gab Dominik Wlatzny bekannt, mit seiner Bierpartei zur Nationalratswahl antreten zu wollen. Eventuell. Vorher aber muss er noch etwas Geld einsammeln.
Über Mitgliedschaften möchte er mit seiner Bierpartei 1,18 Millionen Euro einnehmen, bis Ende April sollen 20.000 Unterstützer gewonnen werden, um "den FC Simmering fit für die Bundesliga zu bekommen".
Das ist ein kühnes Unterfangen für eine Partei, die erst vor acht Jahren gegründet wurde, mehr oder weniger aus Dominik Wlazny und seinem Papa besteht und deren Programm aus einer Sammlung von lauter Nettigkeiten zusammengepuzzelt wirkt. Wer ist nicht gegen Kinderarmut, will leistbares Wohnen, leistbare Kunst und Kultur, ein leistbares Einkaufswagerl, bestmögliche medizinische Versorgung? Eben!
Ob das für das hochgesteckte Ziel reicht? Schafft Wlazny bei der Nationalratswahl über 1 Prozent, dann sprudelt der Bierbrunnen jedenfalls. Pro Stimme gibt es 3,10 Euro der belegbaren Ausgaben vom Steuerzahler retour. Erreicht er fünf Prozent, dann erhält die Bierpartei grob gerechnet 750.000 Euro.
23. Jänner Ein denkwürdiges Erlebnis in einem Kaffeehaus
Vor ein paar Tagen war ich in einem Wiener Kaffeehaus, ich bin öfters dort, das Personal kennt mich flüchtig. Ich bestellte eine Melange, mein Gesprächspartner schloss sich mir an, schoss dann aber einen kapitalen Bock. Er fragte nämlich: "Könnte ich meinen Kaffee bitte koffeinfrei haben?"
Der Kellner, ein gestandener Kerl mit ein paar olympischen Ringen unter den Augen, schaute ihn wortlos an, ließ eine Zeit lang Zeit ins Land ziehen und fragte dann: "Oba Fleisch essen se schon noch, oder?"
Von da an verlief der Nachmittag recht unterhaltsam. Immer wenn der Kellner, beladen oder unbeladen, an uns vorbeiging, fiel ihm etwas Anekdotisches zur Koffeinfreiheit von Bestellungen ein. Friedrich Torberg hätte mit einem dritten Band der "Tante Jolesch" beginnen können.
Am Ende baute sich der gute Mann vor uns auf. "Da drüben am Fenster", deutete er mit dem Finger, "dort ist vor ein paar Wochen eine junge Frau gesessen. Die hat auch einen Kaffee bestellt und dann hat sie mich gefragt, ob wir den auch mit Hafermilch haben." Es folgte eine dramaturgische Pause. "Gnädigste, habe ich zu ihr gesagt. Unser Haus gibt es seit 1885 und wo glauben sie kommt seither die Milch her?" Da habe ihn die Frau unsicher angeschaut und gefragt: "Vom Schwein?"
Es ist also schon so, dass es in Österreich einen Bedarf an Bildung gibt. Oft fehlt es an Grundlegendem, schließlich weiß doch jeder, dass die Milch von Hühnern kommt, was sollen Kühe neben dem Eierlegen sonst noch alles schaffen?
26. Jänner Der Kanzler spricht im New Jersey von Linz
Karl Nehammer stellt seinen "Österreich-Plan" vor. Nicht zum ersten Mal.
Wels also. Dem New Jersey von Linz. Messehalle 19. Kanzlerrede. Angekündigt war ein "Österreichplan", aber ich nehme nicht an, dass vermittelt werden sollte, Karl Nehammer habe bisher keinen Plan gehabt und nun, nach knapp fünf Jahren in der Regierung, drei davon in der Funktion als Kanzler, gehe er deswegen die Abrechnung mit sich selbst an.
Tatsächlich erlebten die 1.500 Gäste, mit denen gerechnet worden war, und die 2.000, die tatsächlich gekommen waren, einen Wahlkampfauftakt, einen laut knallenden Startschuss, eine Erweckungsveranstaltung als Botschaft an den Parteikader, jetzt endlich den Arsch in die Höhe zu kriegen und zu laufen für den "Nehammerkoarl", dessen Schicksal auf dem Spiel stehe und damit auch das eigene Wohlergehen.
In Wels krähte August "Gust" Wöginger am lautesten. Er war der ÖVP zwar nicht vom Himmel geschickt worden, sondern vom Lagerhaus ums Eck, aber die Partei sollte dem Herrgott trotzdem danken, dass es ihn an diesem Freitag gab. Der Klubobmann versetzte den Saal in New Jersey nämlich nachgerade in Ekstase.
"Tu Gutes und rede darüber", brüllte Wöginger in den Saal hinein und der brüllte vor Lachen, ein paar auch vor Schmerzen. "Wir müssen das zu den Menschen tragen. Nicht 9,7 Prozent Pensionserhöhung sagen, wir im Innviertel runden mathematisch auf, des san zehn Prozent. Jo Himmel no amol, des wer ma den Leitn doch sogen kennan."
Die Präsentation des "Österreichplans" spulte Nehammer dann routiniert ab. Die ÖVP neu hat zu alten Werten zurückgefunden, Familie, Tradition, Leistung, Sicherheit. Der Klimaschutz bekommt den Hausverstand als Aufpasser zur Seite gestellt, das Verbrenner-Auto wird mit grünem Benzin weißgewaschen.
19. Februar Johanna Mikl-Leitner feiert bescheiden Geburtstag
Johanna Mikl-Leitner wurde zum ersten Mal in ihrem Leben 60, das dafür aber gleich vier Tage lang.
Über das vergangene Wochenende wurde die Welt über die sozialen Medien häppchenweise auf das Ereignis vorbereitet. Auf Instagram sah man zunächst die Familie mit einem dreigängigen Menü gratulieren, es folgte ein Video, in dem ein Querschnitt aus der Bevölkerung "Happy Birthday" wünschte, am Ende ein Mann namens Erwin P., dessen Frisur Niederösterreich 25 Jahre lang ein Gesicht gegeben hatte.
Scheitelpunkt war dann eine kleine, bescheidene Feier in intimem Rahmen. Die ÖVP und ihre Bünde legten zusammen und schmissen für die Landeshauptfrau eine Sause, über die Kosten wird ungern geredet, also gar nicht, fünfstellig wird die Summe jedenfalls sein.
1.600 Personen plus Begleitung plus Ehrengäste plus Journalisten waren eingeladen, alles in allem 2.500 Leute, ein paar davon echte Freunde, andere vielleicht eher so im SPÖ-Style.
Tatbegehungsort war das Stift Klosterneuburg. Es regnete Geschenke, die Blasmusiker hatten einen eigenen "Johanna-Mikl-Leitner-Marsch" für Flügelhorn in B 1 komponiert. Wer zu Mikl-Leitner vordringen wollte, brauchte Standfestigkeit. Eine halbe Stunde Anstehen musste einkalkuliert werden, dann konnte man der Jubilarin die Hand schütteln oder ihr um den Hals fallen oder sie küssen oder alles nacheinander.
10. März Der Kanzler bekommt einen neuen Schreibtisch
Also der Schreibtisch ist nicht tatsächlich neu, er wurde nur neu in sein Büro gestellt. Er besteht überwiegend aus Vollholz, hat an der Vorderseite Metallapplikationen, in der Mitte wurde als Intarsie eine Darstellung des österreichischen Bundeswappens ausgeführt. Das harmoniert wunderbar mit dem Bundesadler in der Holztäfelung dahinter.
Damit das edle Stück nicht beim ersten Wind aus dem Raum geweht wird, wurde es mit einer gewissen Robustheit gezimmert. Am Ende landete man bei 300 Kilo.
Der erste Wind kam, als Sebastian Kurz ins Kreiskyzimmer, also ins Figlzimmer, einzog. Am 18. Dezember 2017 wurde Kurz angelobt. Er ließ sein Kanzlerbüro ins Kreiskyzimmer, also ins Figlzimmer, übersiedeln, angesichts der Porträts der beiden Kanzler an der Mauer fühlte er sich gut aufgehoben. 70 Quadratmeter, beste Lage, aber der Schreibtisch behagte ihm nicht. Also ließ er ihn entfernen.
Das 300-Kilo-Trumm landete erst in einen Vorraum, wo sich viele an ihm stießen, dann wurde er, geregelt in einem "Übergabeprotokoll", ans "Haus der Geschichte" übergeben.
In der Vorstadt wurde das historische Stück gereinigt, konserviert, verpackt, sachgerecht deponiert und wartete dort auf neue Aufgaben. Das "Haus der Geschichte" wollte den Schreibtisch bei passender Gelegenheit in eine Ausstellung integrieren. Aber: Laut "Übergabeprotokoll" hatte das Museum den Tisch nur geliehen bekommen und nicht geschenkt. Das rächte sich.
Anfang des Jahres wurde beim Kanzler "umgemöbelt", wie das im Fachjargon heißt. Nehammer erinnerte sich an den historischen Schreibtisch mit dem österreichischen Bundeswappen in der Platte und wünschte ihn sich zurück. Am 20. Jänner 2024 wurde ein neues "Übernahmeprotokoll" verfasst und der Tisch dem Bundeskanzleramt zurückgegeben. Schauen wir einmal, wie lange seine Dienstzeit diesmal dauert.
17. März Beate Meinl-Reisinger als Aluhut-Trägerin
Als Corona zum ersten Mal von vielen Malen zu Ende ging und die Lichter im Tunnel angingen, war ich im ORF am Küniglberg zu Gast, eine Diskussion, ich weiß gar nicht mehr, worum es ging. Auf der Heimfahrt fuhr ich die Maxingstraße hinunter, entlang der Steinmauer vom Tiergarten Schönbrunn, es gilt Tempo 30 wegen der vielen Botschaften und damit die Tiere ihre Ruhe haben.
Ich schaue da immer nach rechts, ob nicht eine Giraffe oder eine Bartagame daherkommt, die hätten nämlich Vorrang. Unten, wenn es schon flacher wird, ist ein Friseur, der durfte schon aufsperren gegen Ende des Lockdowns, unter strengen Auflagen natürlich.
Da keine Giraffen oder Bartagamen zu sehen waren, schaute ich nach links hin zum Friseur. Eine Frau saß auf einem Sessel am Gehsteig, die Haare voll mit Alufolie. Ich hatte keine Ahnung, was es damit auf sich hatte, ich dachte bis dahin, "Aluhutträger", das wäre eine Metapher.
Daran musste ich denken, als ich diese Woche mit Beate Meinl-Reisinger telefonierte. Sie saß auch beim Friseur, hatte offenbar auch Alufolie im Haar. Es ging um ihr Buch "Wendepunkt", ich hatte es letzte Woche erhalten, nicht in Alu verpackt.
Meinl-Reisinger spricht da von einem "neuen Generationenvertrag", von einem "Pakt des Vertrauens zwischen Jung und Alt".
Sie tupft zart am Pensionsantrittsalter an. Wenn man dieses Pensionsalter nur um ein Jahr anhebt, dann brächte dies Einsparungen von rund 2,8 Milliarden Euro. Dieses Geld sollte zweckgewidmet werden für ein „Chancenkonto für Junge". Umgelegt auf alle 18-Jährigen könnte man dadurch ein "Chancenkonto" für jeden mit 25.000 Euro dotieren. "Ein Grunderbe" also.
Es wird vermutlich so enden, dass dieses "Grunderbe" eingeführt wird, aber für alle gilt. Es wird Zuschläge und Abschläge geben und eine Art COFAG wird den Vorgang abwickeln. Das Geld wird überwiesen werden, aber auch als Schnitzelgutschein zu beziehen sein.
Die 70-Jährigen werden zum Wirten ums Eck gehen und sich mit ihrem "Grunderbe" ein Chancenkonto“ auf 1.500 Bröselteppiche eröffnen. Es wird gut investiertes Geld sein. Die politische Mitte und die körperliche Mitte profitieren gleichermaßen.
24. März Als Salzburg fast kommunistisch wurde
Am Ende verlor Kay-Michael Dankl die Stichwahl mit 37,5 Prozent recht deutlich. Bernhard Auinger von der SPÖ wurde mit 62,5 Prozent Bürgermeister. Aber ein paar Wochen lang sah es so aus, als könnte Salzburg wie Graz einen Kommunisten als Stadtchef bekommen.
"Was können wir aus dem Wahlkampf in Salzburg lernen?" Es wäre eine Lüge zu sagen, dass ich das jetzt oft gefragt werde, aber ich antworte ungefragt trotzdem darauf: "Nettigkeit".
Schon natürlich auch, dass Kommunismus wieder eine geile Sache zu sein scheint, die Vergangenheit vergeben und vergessen, jeder macht Fehler, der Augenblick zählt, also Schwamm drüber.
Der Kommunist von heute ist nett, er trägt Pulli, Lederhose oder Dirndl, pachtet eine Alpenvereinshütte und hat ein Jahresabo für die Red Bull Arena. So gestaltete sich auch der Wahlkampf in Salzburg, den es als Kampf nie gab. Nur als Kuscheln. Kampfkuscheln bestenfalls.
Das lässt sich belegen. Ich habe mir gedacht, ich mache das einfach einmal anders und frage die Kandidaten selbst, was sie von sich halten. Also schickte ich an Bernhard Auinger (SPÖ) und Kay-Michael Dankl (KPÖ) E-Mails und bat sie, mir doch fünf Gründe zu nennen, warum die Wählerschaft sie und nicht den jeweils anderen wählen sollte.
Der rote Kandidat schickte mir seine fünf Gründe mit ein paar Smileys dekoriert, der dunkelrote Kandidat meldete sich per SMS und fragte, ob es eh nicht zu spät wäre, wenn er die Antworten erst in einer Stunde schickt. Nett, oder?
Keiner würdigte den anderen herab, der Kay nicht den Bernhard und der Bernhard nicht den Kay. Also, Auinger hätte ja schreiben können: "Die Brillenschlange mit dem Danklblick wollt's ihr echt als Bürgermeister haben? Ernsthaft? Ein Kummerl im Strickpulli von der Omi? Seid's ihr auf einer Mozartkugel ausgerutscht?"
Und Dankl: "Der O'zwickte soll besser sein als ich? Der kriegt bei den Osterfestspielen noch ohne Ausweis Kinderkarten, politisch ist der ein Leichtgewicht, was in der SPÖ gar nicht mehr so einfach ist."
Haben sie nicht. Die Stich-Buhlschaften schickten manierliche Texte, in denen keinerlei Bösartigkeiten über den anderen versteckt waren. Die fünf Botschaften, die sie der Wählerschaft auf den letzten Metern noch mitgeben wollten, schlugen jetzt keine neue Tunnelröhre in den Mönchsberg, aber sie waren irgendwie nett.
Dieses Bild bot sich auch bei der TV-Konfrontation am Freitag auf ORF III, wobei Konfrontation vielleicht etwas zu viel gesagt ist. Das brutalste Wort, das im Duell fiel, war "unrealistisch". Vielleicht sind die beiden, der Kay und der Berni, sogar gemeinsam mit dem Tandem angereist ins Schloss Mirabell.
Dankl trug denselben Pulli wie immer, diesmal war er in grau gehalten, ich wette er hat daheim in seiner Eigentumswohnung ein eigenes Ankleidezimmer mit nur Pullis drin, vielleicht zusätzlich noch einen Pullunder für Festtage.
Den beiden Kandidaten hatte man die Sessel links vor einen Kachelofen gestellt, Interviewer Karl Kern saß etwa drei Meter entfernt, immerhin aber noch im selben Raum.
Dann aber ging es gleich los, mitten hinein in das einzige Thema, das es in Salzburg gibt: Wohnen. Die beiden Kandidaten sollten sagen, was sie am jeweils anderen gut finden, Auinger fiel "Wohnen" ein, Dankl auch, das Thema "Wohnen" sei ihm wichtig, an Auinger gefalle ihm die Erfahrung und das Engagement für Sport, Kinderbetreuung und Bildung. Nett!
Das fand auch Karl Kern und beschäftigte sich in der Folge mehr oder weniger ausschließlich mit Dankl, Auinger war das ganz recht so. Er sprach also mit Dankl über Dankl, dann mit Auinger über Dankl, schließlich wieder mit Dankl über Dankl.
Kern wollte wissen, was er von Putin so halte und ob er als Kommunist noch Kommunist sei. Dankl sagte "Ja", nannte die KPÖ in der Folge aber zur Sicherheit nicht mehr Kommunistische Partei, sondern "Soziale Alternative". Das ist Putin noch nicht eingefallen.
28. März Österreich rülpst sich zur Leitkultur
Eine neue alte Debatte flammt neu auf. Kanzler Karl Nehammer beauftragt Integrationsministerin Susanne Raab, sich auf die Suche nach einer Leitkultur für Österreich zu machen.
Am Donnerstag dieser Woche lud die neue Leitkultur-Ministerin Susanne Raab zu einer ersten "Expertinnen- und Expertenrunde" ins Bundeskanzleramt. Zehn Personen, sieben Männer, drei Frauen, kamen, um über "Österreichs Identität und Leitkultur" zu sprechen.
Die Runde war bunt zusammengewürfelt, sechs Personen gehörten einem "Expertenrat" an, dessen Gründung der Öffentlichkeit bisher entgangen war. Einer Expertin des geheimen "Expertenrates" war die Funktion "Leitung Bereich Werte und Orientierung" übertragen worden, offenbar verfügt der geheime "Expertenrat" schon über Untergruppen. Zumindest über eine.
Der geheime "Expertenrat" will nun einmal "bereits vorhandene Studien und Befragungen analysieren", es sollen "Gespräche mit Bürgerinnen und Bürgern aus der Praxis" geführt, eine "repräsentative Umfrage" in Auftrag geben werden und es soll weitere "Runde Tische" geben. Da ist gar nichts dagegen zu sagen, außer: es ist Wahlkampf.
Und deshalb wartete die ÖVP die "Studien" und die "Gespräche" und die "Umfrage" und die weiteren "Runden Tische" erst gar nicht ab, sondern pflasterte das Internet schon die Karwoche über mit Sujets voll, um ihre Vorstellungen einer Leitkultur zu präzisieren.
Das gelang nur in Teilen gut, einige Werbemittel wurden nach kurzer Zeit wieder zurückgezogen, einige blieben, es kamen ein paar Satirestücke dazu, am Ende wusste niemand mehr so recht, was stammt eigentlich von der Volkspartei und was von der Tagespresse. Vielleicht ist das auch so ein Satz, der in die Leitkultur-Verfassung gehört: Österreich ist ein Land der Satire, ob es will oder nicht.
Auch die Tiroler wollten nicht darauf warten, was aus Wien kommt, sie hatten schon während der Pandemie nicht die besten Erfahrungen damit gemacht.
Die Tirol Werbung bat ein paar Agenturen, sich über ein neues Tourismus-Leitbild Gedanken zu machen, eine der Ideen tauchte diese Woche auf Social Media auf, zufällig, wurde versichert, ich habe da so meine Zweifel.
Diesmal steht eine vierköpfige Familie in einer malerischen Berglandschaft, die Tochter gibt plötzlich einen kräftigen Rülpser von sich. Ihre Mutter schaut erst streng, rülpst dann auch ihrerseits, am Ende der Vater, der so laut und lang wie ein Vierzehnender am Ellmauer Tor. Ein Irrtum sei das alles gewesen, betonten die Verantwortlichen, das Video sei nur ein paar Sekündchen online gestanden. Wohl, wohl!
Wenn Susanne Raab jetzt gescheit ist, dann lässt sie sich das Video kommen und die Familie obendrein. Sie lädt zur Leitkultur-Pressekonferenz, auf der erst die Tochter, dann die Mutter, schließlich der Vater und wenn es sein muss auch die Ministerin selbst rülpst.
"Ich habe das Verfahren etwas abgekürzt", könnte Raab danach sagen. "Das ist unsere neue Leitkultur. Sie spricht eine Sprache, die jeder versteht."
Ich wünsche einen wunderbaren Sonntag. Ich hoffe, ich darf Sie auch bei Teil 2 des Kopfnüsse-Rückblicks auf 2024 begrüßen. Bis in einer kleinen Weile!
* die jeweiligen Originaltexte sind kursiv gesetzt