Rückblick, Teil 3
Kopfnüsse 2024: Wie Österreich einen Blaustich bekam
Der satirische Blick auf das abgelaufene Jahr. Was zwischen Juli und September alles passierte. Unzählige TV-Termine, keine Taylor Swift, eine ganze Menge Hochwasser und eine Wahl mit vielen langen Gesichtern.
4. Juli Im Nationalrat werden Fußballmäuse renaturiert
Der EU-Alleingang der grünen Umweltministerin beim Renaturierungsgesetz sorgt im Nationalrat für einen Nachschlag.
Kurzweilig waren vor allem die Redebeiträge, als es um die Abwahl von Leonore Gewessler ging. Zur Auffrischung: Die ÖVP wollte die Klimaministerin aus dem Amt jagen, die FPÖ stellte den entsprechenden Antrag und die ÖVP stimmte dagegen.
Mit KI-Stimme: Kopfnüsse-Jahresrückblick, Teil 3
Die Sachlage ist natürlich ein bisschen kompliziert, aber genau genommen auch wieder nicht. Die grüne Klimaministerin hatte dem Renaturierungsgesetz der EU zugestimmt. Die ÖVP reichte gegen Gewessler daraufhin zwei Klagen ein und sprach ihr damit das Misstrauen aus.
Im Nationalrat sprach die ÖVP Gewessler dann aber am Donnerstag das Vertrauen aus, sie stimmte gegen ihre Amtsenthebung. Am selben Tag sprach der Kanzler wiederum in der ZiB 2 Gewessler das Misstrauen aus und das für alle Ewigkeit. Sie habe sich "für künftige Regierungen selbst aus dem Spiel genommen", sagte er.
Politik ist halt so, könnte man jetzt mit der Schulter zucken, aber wundern sollte man sich dann nicht, wenn Menschen Politikern das Misstrauen aussprechen.
Die Debatte über Gewessler begann damit, dass die FPÖ-Abgeordnete Susanne Fürst den Sozialminister, der auf der Regierungsbank saß, "sehr geehrte Fußballmaus" und den abwesenden Vizekanzler ebenfalls "Fußballmaus" nannte, worauf sich Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka zu einer Klarstellung veranlasst sah. "Wir sprechen Minister in Österreich nicht als Fußballmaus an, bitte!", sagte er.
Ob sich Fußballmäuse auf Instagram selbst weiter Fußballmäuse nennen dürfen, ließ er offen.
Kopfnüsse-Rückblick auf 2024, alle vier Folgen
- Jänner bis März So puzzelten wir uns ins Superwahljahr
- April bis Juni Wie die EU-Wahl zur Seifenoper wurde
- Juli bis September Wie Österreich einen Blaustich bekam
- Oktober bis Dezember Drei Parteien auf Suche nach Erleuchtung
9. Juli Österreich erlebt indische Nächte
Der indische Premierminister war in Österreich zu Gast und es gab niemanden, der sich so unbändig darüber freute wie Karl Nehammer.
Ob sich Narendra Damodardas Modi darüber gefreut hat, dass sich Nehammer gefreut hat, lässt sich nicht sagen, er ist eher ein Mann der reduzierten Mimik und sparsamen Gesten. Was der Kanzler zu viel hatte, ging Modi vollends ab.
Ob er nach dem vegetarischen Menü im Do&Co auf der Terrasse des Haas-Hauses mit Nehammer parlierte oder sich von ihm zärtlich die linke Hand auf den Oberarm legen und die rechte Hand gleichzeitig abreißen ließ, er machte meistens gute Miene zum guten Spiel. Nur als ihn Nehammer vor dem Stephansdom in ein Selfie drängte, zeigte er den Anflug eines schelmischen Grinsens, im Gesamtbild wirkte es wie schallendes Gelächter.
Modi wurde eben in Indien wiedergewählt, er kam auf rund 250 Millionen Stimmen. Ich will jetzt der Meinungsforschung vor dem 29. September nicht vorgreifen, aber ich denke, so viele Stimmen wird Nehammer nicht schaffen, da kann er noch so viele Selfies machen.
Nehammers neuer Augenstern kam direkt aus Moskau, er war dort seinem "Freund" Wladimir Putin um den Hals gefallen, aber Österreich wollte nicht nachtragend sein.
Es war der erste Besuch eines indischen Premierministers in Österreich seit 41 Jahren und der Anlass gebot es, in den österreichischen Medien von allerlei Seiten beleuchtet zu werden.
Der "Standard" etwa beschäftigte sich mit dem Modestil des Gastes, oder heißt das Modistil? Er sei jedenfalls "stramm, aber entspannt neben Nehammer" gestanden, berichtete die Zeitung, "gekleidet in eine weiße Kurta, die ihm der Tradition entsprechend bis über die Knie reichte. Darüber trug er eine dunkelgraue, ärmellose Weste."
Modi lässt seine Kleidung dem Vernehmen nach in seinem Heimatbundesstaat Gujarat fertigen – und überlässt dabei nichts dem Zufall. Wenn er in Indien Tempel einweiht, dann gern mit bunter, traditioneller Kopfbedeckung. Vor seinen Anhängern in Indien trägt er oft Orange – die Farbe seiner BJP-Partei.
So weit brachte es Sebastian Kurz nicht, nach Indien aber schon. Er war Gast einer Hochzeit, bei der das Geld abgeschafft schien, Kurz kennt das von seinem Freund René Benko.
Milliardärssohn Anant Ambani heiratete die Millionärstochter Radhika Merchant und das drei Tage lang, andere Ehen sind in dieser Zeit schon wieder geschieden.
Kurz war vor Ort, weil er den Brautvater kennt, er hielt sich modisch wie auf der Einladung erbeten an den örtlichen Kleidungsstil. Ich freue mich schon auf die Modereportage im "Standard" über Indiena Kurz.
23. Juli Der TV-Wahlkampf wird gestartet
Am 29. September wählte Österreich. Rund zwei Monate davor begann Puls 4 mit seinen Sommergesprächen, moderiert von Meinrad Knapp.
Weil man jedes Jahr etwas anders machen will, verfiel man auf die Idee, die Sommergespräche mit einem Spaziergang beginnen zu lassen. Die Wege entstehen im Gehen, manchmal wäre es besser, die Wege gingen einfach weg.
Genau genommen handelt es sich um keine Spaziergänge, denn Meinrad Knapp geht nicht, er wackelt lediglich mit dem Oberkörper hin und her und unter ihm wird der Asphalt weitergezogen. Das erzeugt den Eindruck, es ginge was weiter, wir kennen diese Illusion aus dem politischen Alltag.
Weil die Studios von Puls 4 in einer eher unansehnlichen Gegend von Wien daheim sind, finden die Spaziergänge ebenfalls in dieser unansehnlichen Gegend von Wien statt, schließlich müssen sie ja irgendwann ihr Ende finden. Knapp könnte mit seinen Gästen natürlich auch vom Stephansdom weggehen, aber dann würde einigen schon der Lumpi raushängen, wenn man in St. Marx ankommt.
Aber auch so führt das zu interessanten Szenen. Werner Kogler etwa trug wegen der Hitze das Sakko lässig über die Schulter geschwungen.
Als er mit Meinrad Knapp nach ungefähr drei Stunden Wegelagerei im Studio angekommen war, wusste er nicht, was er mit dem Sakko machen sollte. Also setzte er sich nieder, das Sakko hielt er im noch am Rücken und den Zeigefinger in der Schlaufe. Gottlob kam dann eine Werbepause.
5. August Jetzt wird auch der ORF sommergesprächig
Martin Thür begrüßte bei der Premiere Beate Meinl-Reisinger auf einem Bankerl direkt am Wasser.
Es war eine fast romantische Szene, die sich ein paar Wespen ebenfalls aus der Nähe anschauen wollten. In Zeiten der Inflation muss auch das Tierreich schauen, wo es ein Essen für lau gibt, und wenn dann sogar eine Politikerin aus Wien anreist, dann heißt es zulangen, sonst macht man im Leben keinen Stich mehr. Oder hat einen.
Da die NEOS-Chefin zuvor schon bei den Sommergesprächen auf Puls 4 zu sehen war, erlebten die Zuschauer eine Wiederholung des Gesagten vor einer schöneren Kulisse.
Meinl-Reisinger zog also denselben Zettel aus derselben roten Mappe, statt "ich war auf der Webseite des Bildungsministeriums" sagte sie diesmal "ich habe auf die Webseite des Bildungsministeriums geschaut". Dann sprach sie ein zweites Mal über die Schulreform von 1774 unter Maria Theresia und die Schulreform 1918 von Otto Glöckel und schüttelte ein zweites Mal den Kopf darüber, dass die letzte größere Schulreform 1962 stattgefunden habe.
Österreich zieht eben seine Kraft aus der ständigen Wiederholung des annähernd Gleichen. Sebastian Kurz wird das mit Genugtuung zur Kenntnis genommen haben, er ist also nicht für alle Zeiten chancenlos.
9. August Der Kanzler tröstet Swift-Fans und sie ihn
Terroralarm, im Wien platzen alle drei Shows von Taylor Swift. Deren Fans waren untröstlich, aber es naht Hilfe.
Ist dieser Sommer eventuell eine Illusion? Also findet er in Wirklichkeit gar nicht statt?
Der Eindruck drängt sich auf. Denn die Woche war geprägt von einem Ereignis, das sich gar nicht ereignet hat, das dafür aber gleich drei Mal. Taylor Swift trat nicht in Wien auf, ein Umstand, der allerlei über das Land offenbarte, auch einen Generationenkonflikt.
Dieser Generationenkonflikt wurde dadurch gelöst, dass sich ein älterer Mann den Nöten der Jugend annahm. Früher haben Teenager in Ausnahmezuständen die Hilfe von Oma, Wirtshaus oder dem örtlichen Pfarrer, der seelischen Dreifaltigkeit also, in Anspruch genommen, heute werden sie ins Kanzleramt eingeladen. Dort residiert nämlich neuerdings ein Swiftversteher.
Karl Nehammer empfing am Freitagnachmittag eine "Swiftie-Delegation", ich wusste bis zu diesem Zeitpunkt nicht einmal, dass die Fans der Sängerin über eine politische Vertretung verfügen. Man wird beizeiten über die diplomatische Anerkennung reden müssen.
Die "Swiftie-Delegation" war vom Besuch jedenfalls sehr angetan und auch dem Kanzler hat es gefallen. Auf dem Video, das die politische Vertretung auf Instagram postete, schaut Nehammer sehr gebenedeit aus, die "Kronen Zeitung" goss das in ein paar mitfühlende Zeilen: "Um die Enttäuschung der Fans nachvollziehen zu können, empfing ÖVP-Chef Karl Nehammer am Freitagnachmittag spontan eine Swiftie-Delegation bei sich im Bundeskanzleramt. Er hörte aufmerksam zu, nahm die Sorgen ernst und spendete Trost."
In welcher Form ist leider nicht überliefert, vielleicht war auch Toast gemeint.
23. August Der Linzer SPÖ-Bürgermeister wird zurückgetreten
In Linz platzt eine Affäre um Chats. Sie belegen, dass der Linzer Bürgermeister Klaus Luger einem Spezi zur Leitung des Linzer Brucknerhauses verholfen und die Öffentlichkeit darüber jahrelang belogen hatte.
Als der Wahlkampf in Linz eine neue Dynamik bekam, war Andreas Babler im Rahmen seiner "Herz und Hirn"-Tour in Kapfenberg unterwegs. Der aktuelle SPÖ-Vorsitzende hielt auf der Burg Oberkapfenberg gerade eine Rede, als sich mehrere Smartphones im Publikum zu Wort meldeten und eine interessante Geschichte zu erzählen hatten: der Linzer SPÖ-Bürgermeister sei der Lüge überführt worden.
Knapp vor 17 Uhr an diesem Dienstag kamen die Vorgänge auch Michael Lindner zu Ohren. Der Landesparteichef der SPÖ Oberösterreich sollte in den kommenden Stunden eine zentrale Rolle in der Affäre einnehmen.
Es dauerte bis Mittwoch früh, ehe es Lindner gelang, Luger zu erreichen. Die Linzer SPÖ war da gerade in Aufbruchstimmung. Die alljährliche Klausur in Langenlois, Niederösterreich, stand an, sie trug den etwas erhabenen Titel "Sommerakademie".
Im Lauf des späteren Vormittags checkten rund 40 Personen im Loisium Wine & Spa Hotel ein. Die Affäre um Luger war da noch keinen Tag alt, aber sie begann eine Eigendynamik zu entwickeln, die ersten spürten das.
Am Abend sprach die Linzer SPÖ ihrem Bürgermeister in einer Krisensitzung in Langenlois "zu 100 Prozent" das Vertrauen aus, was historisch gesehen in bisher 100 Prozent der Fälle dazu geführt hat, dass wenige Stunden später die ersten umfielen und so war es auch diesmal.
Am Donnerstag telefonierten Luger und Lindner zeitig in der Früh erneut miteinander. Der Linzer Bürgermeister war da seit zwei Tagen auf Tauchstation, für keine Medien erreichbar, auch nicht für den Großteil seiner eigenen Partei. Er nahm Termine in Oberösterreich wahr, seine 100-Prozent-Parteipartie saß in Langenlois und es begann zu brodeln.
Lindner machte Luger einen Vorschlag: "Lass dir die Sache durch den Kopf gehen, wenn du dich entschieden hast, dann gib mir ein Signal." Noch am Vormittag war es soweit. Luger war bereit, seine Parteifunktionen abzugeben. Kommuniziert wurde der Entschluss nicht.
Um 11 Uhr begann die Sitzung des SPÖ-Bundesparteipräsidiums. Das machtvolle Gremium besteht aus 13 Personen, das Treffen fand via Zoom statt und war für eine Stunde angesetzt. In den Gesprächen war die Affäre in Linz nur am Rande ein Thema.
Knapp nach der Sitzung wurde Parteichef Andreas Babler von Oberösterreich darüber informiert, dass Luger seine Parteifunktionen zurücklegen werde. Er nahm rasch ein Video auf, das um 14.44 Uhr online ging und etwas verlangte, was schon beschlossen war, das aber mit markigen Worten. "Ich fordere Klaus Luger auf, sofort und unverzüglich die Funktion als Vorsitzender der SPÖ Linz zurückzulegen", sagte Babler. "Ansonsten werde ich diesbezüglich ein Schiedsgericht in die Gänge bringen, weil so ein Verhalten in der SPÖ unentschuldbar ist."
Knapp vor 16 Uhr kam Luger dem Befehl des Parteivorsitzenden nach oder er vollzog, was er Stunden davor für sich selbst entschieden hatte, das kann man so oder so sehen. Dann fuhr er nach Langenlois zurück zu seiner Linzer SPÖ.
Nachdem er im Loisium Wine & Spa Hotel angekommen war, bemerkte er, dass sich die Stimmung in seiner 100-Prozent-Partei gedreht hatte. Die Hundertprozentigen wollten ihn jetzt hundertprozentig los werden. Also entschloss er sich zum hundertprozentigen Rückzug.
In der Partei machte die Entscheidung schnell die Runde, gerechnet wurde damit, dass sich Luger noch am Donnerstagabend erklärt. Aber das passierte nicht. Im Loisium Wine & Spa Hotel war zu diesem Zeitpunkt immer noch "Sommerakademie", aber sehr akademisch ging es nicht mehr zu.
Die Klausur sollte laut Programm zu Mittag enden, aber schon um 9 Uhr früh rauschte Luger aus Langenlois ab, er war an diesem Tag nicht die Fröhlichkeit in Person. Um 12 Uhr gab er in Linz eine Pressekonferenz und erklärte seinen Abgang. Seinem Parteichef gab er im Abgang noch ein Ohrenreiberl mit. Für seine Entscheidung sei Babler irrelevant gewesen, sagte er.
24. August Doris Bures rechnet mit der eigenen Partei ab
In der "Krone" taucht ein Wutbrief auf. Verfasst hat ihn Doris Bures, stellvertretende Bundesparteivorsitzende der SPÖ, gerichtet ist er an alle "Mitglieder des SPÖ-Bundesparteipräsidiums".
Das Mail von Bures ist mehr als ein Stimmungskiller. Hier passierte etwas von gewisser Einmaligkeit. Fünf Wochen vor der Nationalratswahl stellt eine der einflussreichsten Personen der SPÖ die Eignung des eigenen Spitzenkandidaten in Frage, sie nennt sein Programm, das es noch nicht einmal offiziell gibt, "unernsthaft".
Es erscheint nicht ganz klar, wie die SPÖ nun Wähler an sich binden will, wenn sie selbst voller Zweifel darüber scheint, ob sie in ihrer momentanen Verfasstheit zur Führung des Landes in der Lage ist. Sagen wir einmal so: Die Familie Putz hat es bei der Kommunikation einfacher.
Der SPÖ fehle es an "Glaubwürdigkeit", an "ernsthaftem gestalterischen Anspruch", an "Schwerpunktsetzung", an "Priorisierung", schreibt Bures. Man verliere sich "in relativ unbedeutenden Bereichen", sie nennt die Forderung, den Anteil der Bio-Imker von derzeit 3 auf 10 Prozent zu erhöhen, als Beispiel.
"Die Schwerpunktsetzung auf zahllose Steuererhöhungen bei gleichzeitigen Forderungen nach zahlreichen kostenlosen staatlichen Leistungen könnte im Angesicht der von der ÖVP-Regierung verursachten schwierigen finanzpolitischen Lage der Republik den Verdacht der Unernsthaftigkeit entstehen lassen."
Er werde bald "deutliche Worte finden", sagte Babler am Samstag in Graz. Es sei nicht "lustig, welches Bild wir zum Teil in der Öffentlichkeit abgeben". Aber vielleicht hat die SPÖ ja Glück und die Menschen wählen die Partei am 29. September wegen ihres Unterhaltungswerts.
2. September Nehammer interviewt sich im ORF selbst
Der Kanzler ist der letzte Gast bei den Sommergesprächen.
Martin Thür hatte sich für sein finales Sommergespräch extra schön angezogen, er trug kohlrabenschwarz. Vielleicht wollte er Karl Nehammer milde stimmen. Der Kanzler neigt zur Dünnhäutigkeit, das schimmerte gegen Ende hin durch.
Am Anfang wollten nur ein paar Insekten diese Dünnhäutigkeit ausnützen. "Und schon ist eine Wespe da", sagte Nehammer, straffte den Oberkörper und machte eine paar Kung-Fu-Handbewegungen. Dann war Ruhe.
Nehammer redete eine ganze Weile, schließlich fiel ihm auf, dass Martin Thür auch noch da war, im kleinen Schwarzen sah man ihn schlecht. "Ich nehme an, sie wollen jetzt gleich eine Frage stellen?" fragte der Kanzler, fragte sich in der Folge dann aber zur Sicherheit das meiste selbst.
"Es ist so."
"Warum ist es so?"
"Weil es so ist".
Es ging lange um das Verteilen von Kuchen, also von Geld. Diese Disziplin beherrscht Österreich meisterhaft. In der Regel werden Kuchenstücke verteilt, die noch nicht da sind, oder nie kommen werden. Oder, der Kuchen wird in acht Stücke geteilt und die Stücke werden dann vierzehn Leuten versprochen.
Das war auch diesmal so. Der Kanzler kündigte an, Förderungen um vier Milliarden kürzen zu wollen. Welche, verriet er nicht. Die Pläne schienen noch nicht fertig gebacken zu sein.
Im Duell der Graumelierten ging es sonst mehrheitlich um Themen, wie sie in jedem gehobenen Wiener Kaffeehaus besprochen werden. Die Rede war also vom Inflation Reduction Act, Zero-Based-Budgeting, von Transmission und systemischen Zugängen.
3. September Babler fliegt Kickl in TV-Debatte an
Die Elefantenrunden im Fernsehen starten.
Wie Rennpferde ohne Boxen standen sie da auf der Bühne, mehr als bereit für den ersten Ausritt, vollgepumpt mit Adrenalin. Den höchsten Spiegel hatte Meinl-Reisinger, die erst nicht zu Wort kam, mit Werner Kogler ein Schwätzchen hielt und dann losgaloppierte, als wären die vier apokalyptischen Reiter hinter ihr her.
Da war auch der Vizekanzler wieder zu verstehen, in seinem Rahmen halt, Koglers Mikro war anfangs zu leise geschalten. "Die Technik hört nicht auf mich", rief er verärgert, er habe auf das Problem schon hinter den Kulissen hingewiesen.
Die gescholtene Kulisse entschädigte ihn dafür fürstlich. Nach einer Stunde hatte Kogler als Einziger einen Krug Wasser vor sich am Pult stehen, die anderen mussten sich mit einem Glas bescheiden. Es schlug die Stunde des Sommeliers.
Kogler goss also Meinl-Reisinger das Glas voll, dann ging er quer über die Bühne zu Andreas Babler und füllte auch sein Glas auf.
Was immer in dem Wasser drinnen war, es muss jedenfalls Flügel verliehen haben. Denn am Ende, als es versöhnlich wurde und man nette Sachen über den Nebenmann oder die Nebenfrau sagen sollte, flog Babler Nachbar Kickl regelrecht an. "Ich werde alle meine Energie verwenden, dass sie keine politische Verantwortung in dem Land übertragen kriegen", sagte er unter Zornesfalten auf der Stirn. Er lasse sich die Demokratie nicht "zusammenschießen".
7. September Der Kanzler als Tom Cruise in Kagran
Die ÖVP inszeniert ihre Wahlkampfauftakt in der Steffl-Arena ganz im Stil von Sebastian Kurz.
Als die Olympischen Spiele von Paris zu Ende gingen, fingen die Olympischen Spiele von Los Angeles an. Tom Cruise seilte sich vom Dach des Stade de France ab, lief auf die Bühne, nahm die Fahne mit den fünf Ringen darauf in die Hand, setzte sich auf ein Motorrad, raste durch Paris und hinein in den Bauch eines Flugzeugs. Über Los Angeles sprang er mit dem Fallschirm ab und landete in der Nähe des Hollywood-Zeichens. Großes Kino!
So ähnlich war es am Samstag auch in Wien, als der Tom Cruise von Kagran in seine Olympischen Spiele startete. In seinen ersten Kanzler-Wahlkampf.
Karl Nehammer seilte sich nicht ab, sondern er ging die Treppen im Kanzleramt hinunter, das aber gefährlich zügig. Er sprang auch nicht mit dem Fallschirm ab, um zur Steffl-Arena zu gelangen, er nahm das Dienstauto, auch riskant, aber er fuhr nicht selbst. Sonst allerdings erinnerte vieles im Video, das den eigentlichen Beginn der Show in der Eishalle markierte, an die Schlussfeier von Olympia in Paris.
Es war eine spontane Idee, sie soll erst am Freitag entstanden sein und die Planungen für den Wahlkampfauftakt über den Haufen geworfen haben. Warum nicht so etwas machen wie Tom Cruise?
Also wurde flugs im Kanzleramt ein Video gedreht, es zeigt Karl Cruise im Kreiskyzimmer. Er blickt nachdenklich aus dem Fenster, richtet sich Krawatte und Manschettenknöpfe, schaut inniglich das Porträt von Leopold Figl an, das an der Wand hängt, klemmt sich eine Mappe unter den Arm, Abendlektüre, mutmaßlich der "Österreich-Plan", dann dreht er das Licht ab. Fünf Jahre Leonore Gewessler an der Seite entfalten ihre Wirkung.
Schnitt, der Kanzler im Stiegenhaus, er steigt in die Dienstlimo ein, der Sound wechselt. "Eye of the Tiger" von Survivor ist zu hören, der Ohrwurm aus "Rocky IV", die Einlaufmusik vieler Boxer, der Lieblingstitel der Klitschko-Brüder, denen Nehammer schon das Blut aus der Hand gedrückt hat und sie ihm.
Der Regler im Auto wird auf ganz laut gestellt, der nächste Schnitt und Nehammer taucht live in der Halle auf, mitten im Publikum, im Auge des Tigers also. Zur wummernden Musik schreitet er die Treppen hinunter, verbeugt sich, herzt, busselt und umarmt dann die erste Reihe der Ehrentribüne, es gibt kein Entkommen.
Der Auftritt war am Vorabend geprobt worden, von Nehammer selbst. An diesem Tag sollte nichts dem Zufall überlassen werden, auch Geld spielte offenkundig keine Rolle. Koste es, was es wolle! Die Inszenierung reichte nahe heran an die Weihemessen eines Sebastian Kurz, der, statt sich selbst, ein Video von sich selbst vorbeischickte und toi toi toi wünschte.
Eine Drohnenkamera flog an der Decke hin und her, es war laut und intensiv und alle waren von einer solch unbändigen Fröhlichkeit erfasst, als hätte man ihnen vorher etwas in den Himbeersaft gemischt. Am meisten Spaß hat die ÖVP momentan eindeutig mit sich selbst.
7. September Kickl und die Klopanne von Graz
Der "Volkskanzler" startete am Grazer Messegelände seinen Wahlkampf. Mario Kunasek, FPÖ-Spitzenkandidat für die Steiermark, gab den Einpeitscher.
Aus dieser Gemengelage heraus versuchte Kunasek das Publikum am Samstag in eine angemessene Euphorie zu versetzen, das gelang nur bedingt. Er war mit seiner Rede eigentlich fertig, schaute in den Saal hinein und hinunter auf den wichtigsten Tisch. Dort, wo die Parteispitze saß. Dort, wo Herbert Kickl saß. Oder besser, nicht saß in diesem Moment.
Denn Herbert war für kleine Herberts. Also musste Kunasek seine Rede etwas strecken. Weil er sein grünes Herz aber auf der Zunge trägt, wollte er dem Saalvolk auch mitteilen, was da im Moment Großes oder Kleines abseits der Bühne vor sich ging. Also sagte er: "Und nachdem ich sehe, dass der Herbert noch nicht ganz da ist, er hat noch kurz austreten müssen", habe er jetzt noch ein Minute Zeit.
So passierte es auch. Nach zwei Minuten war der ausgetretene Herbert wieder eingetreten, Kunasek konnte von der Bühne abtreten und Kickl zu seiner Rede antreten. Sie dauerte rund 72 Minuten und war durchzogen von Angriffen, Beleidigungen, Schmähungen, für Kickl-Verhältnisse aber fast altersmilde. Keine ORF-Attacke, keine "Fahndungslisten", Andreas Babler nannte er lapidar einen "Mix aus Marx und Murks". Der FPÖ-Chef hat schon größere Geschäfte gemacht.
16. September Österreich steht das Wasser bis zum Hals
Schon wieder ein Jahrtausend-Hochwasser, er schwemmt auch den TV-Wahlkampf weg. Die Politik geht mit der neuen Situation eher hilflos um.
Im ersten Jahr Pandemie gab die Regierung 213 Pressekonferenzen, bei nicht wenigen davon stellte sich die Sinnfrage, und das davor und danach. Jetzt aber, als ein Teil Österreichs dem Untergang gefährlich nahe kam, geschah nichts. Keine echte Pressekonferenz, keine Rede an die Nation, tagelanges Schweigen.
Kein Kanzler, der dasteht, dem Land die Lage erklärt, sagt, was geschehen ist und was kommt. Der Mut macht, Hilfe verspricht, sich bedankt. Und das nicht erst Sonntag am Abend, sondern am Donnerstag, am Freitag, am Samstag, am Sonntag und am Montag. Immer!
Aber abseits davon gab es viele Versäumnisse und über die wird noch zu reden sein. Denn die Naturkatastrophe kam nicht aus heiterem Himmel. Viele wussten, was passieren wird. Tage davor waren die Regenmengen für die einzelnen Regionen ziemlich punktgenau vorhergesagt worden.
Ich hatte etwa die App "Katwarn" des Innenministeriums am Handy installiert. Ich weiß nicht, was die beruflich macht, vor Bedrohungen warnt sie jedenfalls nicht. Als ich gegen die Fluten ankämpfte, zeigte die App in aller Fröhlichkeit "keine Gefahr" an, und zwar für beide Orte, die ich eingespeichert hatte, einer in Wien, einer in Niederösterreich. So war es die ganzen vergangenen Tage über.
Das ist tatsächlich so: Was eine Katastrophe ist, bestimmen die Länder. Es gibt neun Katastrophenschutz-Gesetze, wann, wofür Alarm geschlagen wird, ist Ansichtssache.
Beim aktuellen Hochwasser gab es 13 Alarm-Auslösungen für bestimmte Regionen. Neun in der Steiermark, eine im Burgenland, aber nur drei in Niederösterreich, obwohl das gesamte Bundesland am Sonntag zum Katastrophengebiet erklärt worden war.
19. September Wie uns Nehammer kein Geld abholte
Die EU inszeniert in Polen einen Mini-Gipfel, um Hochwasserhilfe zu verteilen. Die gab es am Ende gar nicht.
Von der Leyen, aufgerüscht von der Idee, endlich einmal etwas Positives verkünden zu können, sprach den notgebeutelten Ländern 10 Milliarden Euro zu. Ich bin immer wieder überrascht, wie schnell die EU Bäume findet, auf denen Geld wächst.
Am Ende bekam Österreich 500 Millionen Euro Hochwasserhilfe zugesprochen, viel und wenig gleichzeitig. Das Geld stammt aus dem Kohäsionstopf, der eigentlich dafür gedacht ist, wirtschaftlich schwachen Regionen auf die Beine zu helfen. Aber mein Gott.
Einen Hebel braucht Österreich nicht. Normalerweise müssen Länder selbst Geld aufbringen, die EU schießt dann weitere Mittel zu. Diesmal fällt der Programmpunkt aus, es wurde der Eindruck vermittelt, die 500 Millionen wären ein Geschenk. Dass irgendwer vorher das Geld in den Kohäsionstopf gelegt haben muss, blieb unerwähnt, vielleicht war es auch der Osterhase.
Es war ein Tag der großen Worte. "Wer schnell hilft, hilft doppelt", sagte der Kanzler. Und Tusk lobte sich selbst noch einmal für die Schnelligkeit der eigenen Show. Aus "2 Minuten 2 Millionen" waren flugs "45 Minuten 10 Milliarden" geworden.
Am Ende stellte sich heraus: Die 500 Millionen gab es gar nicht. Also sie gibt es schon, aber das Geld lag für Österreich sowieso schon bereit, es wird nun lediglich in einen anderen Topf gekippt.
29. September Die Brandmauer geht in Flammen auf
Das Projekt Kickl-Abwehr scheiterte am Wahlsonntag spektakulär. Österreich erlebte eine Zeitenwende, ohne zu wissen, wohin sich diese Zeiten wenden.
Es war nicht ganz einfach auszunehmen, wer Sieger und wer Verlierer war an diesem Tag. Klar, die FPÖ holte sich Platz 1 und das recht deutlich. Aber wer setzt sich jetzt im blauen Porsche auf den Beifahrersitz? Wer gibt beim Einsteigen seine Selbstachtung ab und fährt den eigenen Versprechungen im Wahlkampf davon? Es kann gut sein, dass die FPÖ Platz 1 gewonnen, sich aber gleichzeitig auf Platz 1 verloren hat.
Der ÖVP fehlten auf das Ergebnis von Sebastian Kurz vor fünf Jahren über eine halbe Million Stimmen. Das wurde mit Bedauern zur Kenntnis genommen, aber man sei schon einmal tiefer gelegen in den Umfragen, wurde betont. Wie bei der Ananas im Supermarkt. Da werden zuweilen auch die Preise diskret angehoben, um sie danach spektakulär senken zu können.
Als gestern um 17 Uhr die erste Hochrechnung mit bescheidenen Zahlen eingeblendet wurde, brach in der SPÖ Jubel aus, "Andi, Andi", waren Sprechchöre zu hören. Babler mag nicht die breite Masse für sich einnehmen, aber er hat ohne Zweifel Fans. Nicht wenige hätten sicher gern ein Herzerl zu seinem Namen dazugemalt, wenn am Stimmzettel dafür Platz gewesen wäre.
So, das war es für das Jahr! Ich wünsche einen wunderbaren Silvestertag. Rutschen Sie gut. Ich hoffe, ich darf Sie im neuen Jahr bei Teil 4 des Kopfnüsse-Rückblicks auf 2024 begrüßen. Bis in einer kleinen Weile!
* die jeweiligen Originaltexte sind kursiv gesetzt