Wahl-Kopfnüsse, folge 3
"Natürlich hat er das, ich bin ja kein Vollidiot"
Der Wahlkampf ist noch keine Woche alt und schon wird er handfest. Nach der Wutrede von Babler, kam es beim Kanzler-Interview auf Servus TV fast zu einem Boxkampf. Wird die nächste Koalition per Prügelei entschieden?
Teilhabe ist wichtig. Statt mich also über die Vielzahl an Fernseh-Diskussionen zu mokieren, setzte ich mich am Mittwoch in eine der vielzähligen Fernseh-Diskussionen, um mich weiter über die Vielzahl der Fernseh-Diskussionen mokieren zu können, nun aber mit Expertise. Den österreichischen Zugang zu Leben und Politik, den habe ich längst im kleinen Finger.
Ich trieb es nicht so arg wie Karl Nehammer, der momentan im Fernsehen wohnt. Oder das Fernsehen in ihm. Er saß am Mittwochabend fast zur selben Zeit wie ich in einem TV-Studio und es wurde ruppig. Der Kanzler war ab 21.15 Uhr zur Einzeltherapie bei Michael Fleischhacker auf Servus TV geladen. Er bröselte wieder mit seinem Kuchen herum und trug erneut sein Zero-Based-Budgeting zu Markte, zum dritten Mal innerhalb von 72 Stunden. Ich muss gestehen, ich habe mich inzwischen Hals über Kopf in den Begriff verliebt. Wenn mich aktuell jemand fragt, wie es mir geht, dann antworte ich: "Ich fühle mich irgendwie so zero-based."
Fleischhacker war mehr auf 180 als "zero-based". Er versuchte, erst mit Nehammer die Vergangenheit zu bewältigen und dann die Zukunft, beides gelang mittel. Es ging um Sebastian Kurz und später um Herbert Kickl, vor allem um die Frage, welchen Schaden der damalige Innenminister beim Verfassungsschutz angerichtet habe. Die Debatte schaukelte sich auf, man muss sagen, das passierte eher moderatorseitig.
"Natürlich hat er gelitten, ich bin ja kein Vollidiot", rief Fleischhacker schließlich und beugte sich nach vorne, als wollte er den Verfassungsschutz gegenüber dem Kanzler mit dem Leben verteidigen. Das kam ihm dann selbst komisch vor, er beruhigte sich wieder. "Wir werden ja nicht zum Boxen anfangen", schlug Fleischhacker vor. Oder fragte er das? Er sah sich jedenfalls diesbezüglich im Nachteil. "Ich hätte überhaupt keine Chance", sagte er, "denn der Boxer sind sie."
Das Sparring mit Nehammer war live, ich saß ein paar Kilometer weiter ziemlich zero-based in einem Studio von Puls 24. "Wild Umstritten" war aufgezeichnet und lief parallel zu Nehammers Einzeltherapie-Stunde mit dem Erweiterungsmodul Boxkampf. Sie werden es schwer erraten, aber es ging in beiden Sendungen um die Wahl, sie ist derzeit Bestandteil jeder Fernseh-Sendung von Rang. Auch am Freitag, da kickt Österreichs Fußballteam in der Nations League gegen Slowenien. Hier sind ebenfalls relevante Wahlentscheidungen zu treffen, etwa, auf welches Tor man spielt und wer Ankick hat.
Das Match um die Volkskanzlerschaft hat das Volk noch nicht ermattet. Wer glaubt, bei Politik schaut niemand mehr hin, liegt so daneben wie manche gelegentlich in der Wahlzelle. "Das Gespräch" mit Herbert Kickl am Sonntag auf Servus TV hatte 227.000 Zuschauer, es war die am meisten gesehene Sendung im Privatfernsehen an diesem Tag. Das "Sommergespräch" mit Karl Nehammer am Montag im ORF fand 737.000 Seher, die Premiere von "Was braucht Österreich?" am Dienstag zog 509.000 an, deutlich mehr als das "Paradies der Ferne" am selben Sendeplatz vor einer Woche. Wir lernen: Paradiese sind in Österreich Definitionssache.
Die SPÖ war bei der Schaffung von Paradiesen in ihrem eigenen Bereich in den vergangenen Jahren Marktführer im Land. Der Rücktritt des Linzer Bürgermeisters Klaus Luger und der Brandbrief von Doris Bures über die "Unernsthaftigkeit" des Wahlprogramms brachten zuletzt neuen Schwung ins Zero-Based-Budgeting.
Nun wird neuer Landgewinn angepeilt. Bundesgeschäftsführerin Sandra Breiteneder schrieb den "Lieben Genoss*innen und Genossen" am Mittwoch ein E-Mail. Das Wahlprogramm sei fertig, verkündete sie, gedruckte Exemplare könnten ab Donnerstag bestellt werden, "medial werden wir es Anfang nächster Woche präsentieren". Die Bienen können aufatmen. Die Forderung "den Anteil an Bio-Imker*innen von derzeit unter 3 auf 10 Prozent" zu erhöhen, ist in dem 59-Seiten-Papier erhalten geblieben.
Parallel begann die SPÖ, Karl Schranz und Harry Prünster eigenes Personal entgegenzustellen. Es gehört zur Wesensart jeder Wahl in Österreich, dass Parteien im Vorfeld öffentliche Unterstützer präsentieren, die sagen, dass sie diese oder jene Bewegung gut finden. Der Effekt von Personenkomitees ist wissenschaftlich unerforscht, ob die Menschen also in der Wahlzelle eine Schranzhocke machen, weiß man nicht, zu medizinischen Einsätzen kam es bisher noch nicht.
Für die SPÖ engagieren sich nun etwa Hilde Dalik, Michael Köhlmeier, Maria Hofstätter, Mavie Hörbiger, Gerhard Haderer, Roman Gregory, Milo Rau und Konstantin Wecker. Die Motivationslage der Beteiligten ist durchaus variantenreich. Reinhard Nowak etwa wünscht sich eine "sozial gerechte Politik", die sich "nicht nur für die G'stopften" einsetzt, die es "sich eh richten können". Einen Erfolg kann Andreas Babler schon für sich verbuchen. Er hat die Mundart in die Politik zurückgebracht.
Das spürte man auch bei der Elefantenrunde der Bundesländerzeitungen, ich hatte gestern darüber berichtet. Bablers Wutausbruch gegenüber Herbert Kickl, ebenfalls im Dialekt dargebracht, sorgte im Nachgang für weitere Eruptionen, das Video davon verbreitete sich am Mittwoch wie heiße Lava.
Mitten in die Aperol-Spritz-Stimmung hinein sollte Babler was Nettes über Kickl sagen und das löste er so: "Aber ich mag es ganz ehrlich sagen, ich mag ja da kein Spiel veranstalten. Ich mag mit allen gut zusammenarbeiten, aber ich halte Sie für unser Land für brandgefährlich. Und das sage ich Ihnen so ins Gesicht. Ich sage das als Familienvater, ich sage das vor allem als Demokrat, der auf diese Republik Österreich stolz ist. Ich halte Sie für brandgefährlich und deswegen werde ich alle meine politische Energie, und das sage ich Ihnen heute, face to face, hier verwenden, dass Sie keine Verantwortung in diesem Land übertragen kriegen und unsere Demokratie gefährden. Das ist mir viel zu wichtig. Meine Generation, vor mir, meine Vorvorgänger haben die Demokratie zwei Mal aufgebaut und die lasse ich mir nicht zusammenschießen. Das sage ich Ihnen heute hier." Gottlob versprach er sich beim Wort zusammenschießen nicht.
Kickl schien getroffen, zumindest beeindruckt. Er hielt sein Pult fest, als wollte es davonlaufen, versuchte es mit einem Lächeln, aber ein Konter fiel ihm nicht ein. Zu gewissen Pampigkeiten wie beim ORF-Sommergespräch ("wen ich zu mir einlade, geht sie gar nichts an"), kam nun eine neue Rolle dazu: Kickl in der Defensive. Der Angreifer wurde angegriffen und wirkte angegriffen. Das könnte noch interessant werden.