Kopfnüsse
Neue Regierung: 400 Seiten Programm, aber Dienstag "rumpelt's"
In der kommenden Woche stellt sich ÖVP, SPÖ und NEOS die Sinnfrage: Was bringt es uns eigentlich, in eine Regierung zu gehen? Über "dunkelrote Linien", warum bei den Verhandlungen das Ampelsystem abgeschafft wurde und was zu "High Noon" passiert.
Es darf sich niemand wundern, dass sich die Verhandlungen über eine neue Regierung ziehen wie ein Strudelteig. Der Kurier wagte am Samstag einen Blick hinter die Kulissen der Gespräche und landete dort, wo der Strudelteig üblicherweise seine Körperlichkeit verliert: am Klo.
Mit KI-Stimme: "High Noon" bei den Koalitions-Verhandlungen
Das ist an sich keine Besonderheit, das politische Leben in Österreich spielt sich oft und gern zwischen Spülgängen ab. Toiletten sind unsere privaten Kathedralen, sie werden zuweilen auch befeuert wie Notre-Dame. Deshalb begann die Wasserstandsmeldung der Ömpel-Gespräche im Kurier folgerichtig mit dem Satz: "Klopausen können nicht hoch genug eingeschätzt werden."
Das bezog sich auf das derzeitige Leiden vieler Reporter. In der Phase einer Regierungsbildung sind Parteien recht häufig stille Örtchen, Informationen fließen nicht, sie plätschern bestenfalls. "Wer immer momentan mit Spitzenverhandlern von ÖVP, SPÖ und NEOS sprechen will, wird – wenn überhaupt – nur in Toilettenpausen zurückgerufen", schreibt die Zeitung.
Ich kann das nicht bestätigen. Ich frage Gesprächspartner eher nur ausnahmsweise, ob sie am Weg zu einer Thronbesteigung sind oder schon ganz aus dem Häuschen. Wenn ich Politiker dazu ermuntere, sich zu erleichtern, wünsche ich mir eher, dass sie ihren Intellekt aufblitzen lassen und mir nicht von ihrer Niederkunft am Donnerbalken erzählen.
Dem Kurier sagte allerdings ein "hochrangiger Parteigänger", er "sitze täglich 12 bis 14 Stunden" und damit war klar, warum wir nicht schon längst eine Dreier-Regierung haben. Wenn die Verhandler den halben Tag am Klo hocken, dann wird vielleicht in der Bedürfnisanstalt manches von Rot auf Grün gestellt, im Palais Epstein allerdings nicht. Zumindest nicht in den dafür vorgesehenen Räumlichkeiten.
Die Kenntnis derartiger Feinheiten der österreichischen Seele entscheidet leider nicht darüber, ob jemand ein guter Staatsbürger ist oder nicht. Schon Österreicher zu sein, ist grundsätzlich nicht immer leicht. Nach dem Tod von Hannes Androsch am Mittwoch dieser Woche hörte sich die Kleine Zeitung in Altaussee um, der Wahlheimat des früheren Finanzministers.
Androsch sei "immer und überall gern gesehen gewesen", sagte Michael Kainzinger, Pächter des Schneiderwirts, der Zeitung. Den "Einheimischenstatus" könne er ihm aber trotzdem nicht zusprechen. "Das ist bei uns sehr schwierig. Du wirst nie als Einheimischer gelten, du bleibst immer ein Zuagroaster. Aber du kannst akzeptiert werden. Wenn du das geschafft hast – und das hat er –, dann kannst du stolz sein."
Auch Österreicher zu werden, ist alles andere als einfach. Dafür muss man singen können oder wollen, auch außerhalb sanitärer Anlagen. In Baden bei Wien wurde nun einem Antragsteller die Staatsbürgerschaft verwehrt, weil er bei der Verleihung die Bundeshymne nicht mitsingen wollte. Egal, ob mit, oder ohne Töchterstrophe.
Der Grund für die Askese soll im Umstand liegen, dass der Betroffene Ukrainer ist oder Zeuge Jehovas oder beides. Die Berichterstattung war diesbezüglich nicht ganz so klar wie Spülwasser.
Die niederösterreichische Landesregierung sah sich jedenfalls gezwungen, dem Mann alle landesweiten Insignien abzuerkennen. "Wir lassen uns nicht auf der Nase herumtanzen", sagte der freiheitliche Landeshauptfrau-Stellvertreter Udo Landbauer. So schafft er es nie zu "Dancing Stars".
Regierungspartner ÖVP walzte das Thema ebenfalls aus. Es gehe nicht um eine Schikane, sagte Landesgeschäftsführer Matthias Zauner, sondern um "grundlegende Werte wie Anstand, Respekt und Wertschätzung". Das soll jetzt nicht als Schikane verstanden werden, aber in den vergangenen Jahren ließ auch so mancher Politiker im Land "grundlegende Werte" vermissen, wenn ich mich recht erinnere. Den Pass haben meinem Kenntnisstand nach aber noch alle.
Selbst ich noch, obwohl es einmal arschknapp war. Es ist schon ein paar Jahrzehnten her, dass ich beim Bundesheer aufschlug. Teil der Ausbildung war auch das Absingen von Liedern. Textlich war nichts Ehrenrühriges dabei, es handelte sich vorrangig um militärische Schmachtfetzen. Ich bin stimmlich eher eine Zumutung. Nicht alle Menschen glauben mir das, einige haben es schon bitter bereut.
Die Gleichung "2 Kärntner, 1 Chor" geht sich mit mir nur als unbekannte Variable aus. Wer zur Sperrstunde eine Karaoke-Bar freigeräumt haben will, muss mich nur zu "Pretty Belinda" ermuntern. Wenn die Abfangjäger wieder einmal nicht starten können, weil es regnet oder dunkel ist, empfehle ich meine sofortige Indienststellung. Ich singe jede feindliche Maschine vom Himmel und ich kann das beweisen.
Als ich beim Bundesheer in Chor-Formation dastand, bat mich der dirigierende Unteroffizier nach Absolvierung von Lied eins bei Lied zwei doch bitte die Mitarbeit einzustellen. Okay, er formulierte es etwas direkter. Ich rechne also jetzt jeden Moment damit, dass es an der Tür läutet und jemand meinen Pass einkassiert. Als Staatenloser kann ich mich dann nur mehr im Klo runterspülen.
Seit vier Wochen wird um eine neue Regierung gerungen. Abseits der Toilettenpausen wurde verhandelt, was das Zeug hält. Das Ergebnis der Gespräche in 33 Untergruppen liegt nun vor und für die drei an den Sesselkreisen beteiligten Parteien stellt sich eine Frage, die sie bisher mutmaßlich verdrängt haben: "Wollen wir uns das wirklich antun?"
Die Beantwortung unterliegt einer gewissen Dringlichkeit, denn das Budgetloch, dessen schiere Existenz von der Regierung vor der Wahl noch brüsk abgestritten worden war, wird vor unseren Augen beinahe täglich größer. Anfang Oktober fehlten uns noch drei Milliarden Euro, vor drei Wochen waren es dann 15 Milliarden, zuletzt war von 22 Milliarden die Rede. Bis Silvester wird das Loch so groß sein, dass wir Elon Musk anpumpen müssen.
Am heutigen Sonntag soll die EU neue Budgetzahlen an Österreich übermitteln. Erst dann werden wir angeblich wissen, wie viel Geld uns wirklich fehlt. Erstaunlich! Die Milliarden fliegen uns nur so um die Ohren, aber die Führung des Landes erweckt den Eindruck, als hätte sie sich ihrem Schicksal ergeben. Warten auf Brüssel ist die neue Reise nach Rom.
Die Kommunikation der Verhandlungen war schon bisher davon geprägt, dass sie nicht stattfand. Das hätten Schweigemönche besser hingebracht. Statt sich einmal in der Woche gemeinsam hinzustellen und einen Überblick zu geben, wie es den Menschen im Land zugestanden wäre, entschieden alle, ihr Herrschaftswissen und Frauschaftswissen offiziell für sich zu behalten. Der perfekte Nährboden für Spekulationen.
Sich jetzt aber auch noch der Bevölkerung gegenüber zu präsentieren, als habe man einen finanziellen Kontrollverlust erlitten, stärkt nicht zwingend die Vorfreude auf das, was kommen könnte.
Der "Budget-Sonntag", so er stattfindet, markiert jedenfalls einen neuen Startpunkt in den Verhandlungen. In den nächsten 72 Stunden wird klarer werden, ob Österreich erstmals eine Koalition aus drei Parteien bekommt. Oder ob die Aufnahme von Gesprächen ein Griff ins Klo war.
Am Dienstag um 12 Uhr trifft sich die Steuerungsgruppe, das oberste Gremium im Verhandlungs-Organigramm. Der Termin ist bis 14.30 Uhr angesetzt, für 15 Uhr steht eine Pressekonferenz der drei Parteichefs in den jeweiligen Kalendern. Das kann so sein, aber wiederum auch nicht, denn "am Dienstag wird's rumpeln", sagte mir eine mit den Umständen näher vertraute Person. "Da stellt sich die Frage: hören wir auf?"
Das Klima hatte sich gegen Ende der Woche eingetrübt. Es begann sich eine gewisse Ermattung einzustellen, auch Ungeduld war dabei. Dabei gab es in einigen Gruppen gute Abschlüsse. Der Cluster "Sicherheit, Migration und Integration" fand erstaunlich schnell zueinander. "Kultur" war die reinste Wonne, es gibt mehrere solche Beispiele.
Der Cluster "Regionen, Mobilität, Klima und Landwirtschaft" lieferte fast 50 Seiten ab, man spricht fast hymnisch voneinander. Bis auf den Bereich "Klima" leuchtet fast alles in Grün. Beim Thema "Verkehr" finden sich auf 15 Seiten nur vier rote Punkte. "Sport" ist überhaupt durchgehend grün gestellt.
Am Freitagabend lieferten alle sieben Cluster den Ist-Stand ab, jeder für sich. Die 33 Untergruppen wurden aufgelöst, die Leiter der Cluster zogen sich einen Tag zurück, nicht ohne allerdings in Dauerschleife zu telefonieren.
Parallel dazu wurden über das Wochenende die übermittelten Word-Dokumente in Form gebracht, über 400 Seiten Rohmaterial langte ein. Es waren keine Prosawerke, sondern Punktationen und sie wiesen eine Besonderheit auf: das Ampelsystem fehlte. Die Farbe Orange war verschwunden, es gab kein Unentschieden mehr. Entweder war es bei einem Thema zur Einigung gekommen, dann leuchtete es grün. Wenn nicht, war es auf Rot gestellt.
Die Pflicht hatten alle pflichtschuldig erfüllt. Die Kür aber entwickelte sich spätestens ab Freitag immer mehr zur Krampfnummer. Es landete viel mehr auf Rot als geplant. Um strittige Punkte wurde mit immer mehr Bestemm gestritten. "Vor 2026 wird das nix", rief ein Verhandler sarkastisch beim Verlassen einer Sitzung.
Das Kapitel "Wirtschaft und Infrastruktur" ist nach wie vor ein Minenfeld. Hier herrschte bis zuletzt Uneinigkeit und das drückt sich auch im abgegebenen Dokument aus. "Da reden wir nicht von einem roten Meer, sondern von einem toten Meer", sagt ein Verhandler. Gerungen wurde teils um Beistriche und Strichpunkte. Auf den 65 Seiten ist vieles nicht nur rot, sondern dunkelrot.
Dazu kommt: Die Grundstruktur der Verhandlungsgruppen war nicht durchdacht. Es gab keine einheitliche Linie, wie Themen zu erarbeiten und zu dokumentieren sind. Es gab auch keine finanziellen Vorgaben, also etwa, dass die Pläne zumindest aufkommensneutral gestaltet sein müssen. Es weiß also niemand, ob und was man sich von den entwickelten Ideen überhaupt leisten kann.
Vor allem für NEOS und SPÖ stellt sich ein weiteres Problemfeld: Wo sind wir? Wo sind unsere Leuchttürme? Wo blinkt etwas klar Pink und wo klar Rot? Wo ist das "kein Weiter wie bisher?" zu sehen und zu fühlen? Wo bildet sich der Reformeifer ab, so nennt die SPÖ ihre Leuchttürme?
Die NEOS gingen schon am Freitag in Klausur und es wurde deutlich, dass der Partei das momentan erzielte Ergebnis nicht reicht. In den internen Debatten herrschte in der Wahrnehmung Übereinkunft: ÖVP und SPÖ würden sehr in ihren traditionellen Strukturen feststecken, in der Volkspartei seien die Landeshauptleute der Elefant im Raum, bei den Sozialdemokraten verhandle man in Wirklichkeit mit ÖGB und Arbeiterkammer.
SPÖ und ÖVP haben naturgemäß einen anderen Blick auf sich, vor allem aber auf die NEOS. Die seien unmäßig, würden surreale Forderungen stellen, wären wenig kompromissbereit.
Der Montag gehört nun den Parteien. Die ÖVP trifft sich von 10 Uhr bis 15 Uhr, um alle Untergruppen durchzusprechen. Bei der SPÖ tritt am Nachmittag das Präsidium zusammen, geplant ist eher ein Austausch, Beschluss wird keiner fallen. Es handelt sich um ein hybrides Meeting, einige Teilnehmer sind nur zugeschaltet.
Die SPÖ misst dem Dienstag zumindest offiziell keine besondere Bedeutung bei. Wir werden "im Lauf der kommenden Woche sehen, ob man zusammenkommt oder nicht," heißt es. Von Euphorie ist keine Spur mehr zu sehen, sollte es sie jemals gegeben haben.
Für die NEOS aber ist Dienstag ab 12 Uhr High Noon. Es kann sein, dass Beate Meinl-Reisinger in der Steuerungsgruppe eine Brandrede hält und es wirklich "rumpelt". Ausgang ungewiss!
Vor Jänner rechnet Stand jetzt niemand mehr mit einer Regierung. Die ÖVP hat für ihre Spitzengruppe über Weihnachten eine Urlaubssperre verhängt, auch die anderen Parteien halten sich Termine frei. Wie es wirklich weitergeht, weiß aber derzeit niemand.
Ich wünsche einen terminfreien Sonntag. Bis in einer kleinen Weile!