Kopfnüsse
Ömpel-Regierung soll am 12. Dezember ein Licht aufgehen
Gefühlt halb Österreich nimmt am Donnerstag Gespräche über eine neue Koalition auf. Wieso die Verhandler nicht im Palais Epstein tagen. Warum der 12. Dezember ein entscheidendes Datum ist. Und weshalb immer mehr an einem positiven Ende zweifeln.
Um 10.36 Uhr konnte das Schwein endlich den Kopf abnehmen. Es war nicht um die Ecke gebracht worden, in diesem Fall aber hatte das Schicksal damit nicht zu seinen Gunsten entschieden. Denn weil das Schwein nicht um die Ecke gebracht worden war, versäumte es Karl Nehammer.
Mit KI-Stimme: So soll der Ömpel-Regierung ein Licht aufgehen
Der Kanzler hatte alle, die an diesem Vormittag vor dem Palais Epstein auf ihn warteten, ausgetrickst. Vor allem die Fotografen. Die meisten hatten aber schließlich doch Schwein. Das Schwein nicht, das hatte kein Schwein.
Am Montag trat das Erwartete erwartet rasch ein. Nach nicht einmal eineinhalb Stunden hatten sich die Parteichefs von ÖVP, SPÖ und NEOS über den Beginn von Regierungsverhandlungen verständigt. Aber natürlich war die Entscheidung längst davor gefallen. Es galt, sie nun einer Inszenierung zuzuführen.
Karl Nehammer, Andreas Babler und Beate Meinl-Reisinger erschienen an diesem sonnigen, aber kühlen Montag mit kleinem Gepäck. Dünne Mäppchen waren zu sehen. Die Redeunterlagen für den gemeinsamen Auftritt steckten darin, vielleicht auch die Speisepläne für die weiteren Wochen im Palais. Zum Ankreuzen wie im Privatspital vor der Knie-Arthroskopie.
Als Österreich noch darüber grübelte, ob es was wird mit den Verhandlungen für eine Ömpel, war die Ömpel längst auf Grün geschaltet. Wer das Land ein bisschen versteht, was gleichzeitig schwer und leicht ist, der weiß: es gilt, auf die äußeren Symbole zu achten. Zu Weihnachten verzieren viele ihre Vorgärten mit Lichterketten. Wenn es politisch etwas herzuzeigen gibt, dann taucht eine journalistische Lichterkette in der "Kronen Zeitung" auf. Immer!
Also erschien in der Sonntag-Ausgabe, etwas versteckt zwar, aber doch gut sichtbar, ein Foto der drei Chefverhandler aus dem Palais Epstein. Hübsch arrangiert, von einem Fotografen der ÖVP in Szene gesetzt. Hoffnungsfrohe Gesichter mit einem Glas Wasser vor sich, es war mehr als halbvoll.
Im Vatikan steigt in solchen Momenten weißer Rauch auf. In Österreich lächeln sich in der auflagenstärksten Zeitung des Landes zwei Päpste und eine Päpstin an und das Land weiß: es ist vollbracht. Ohne Rauch geht's auch.
In den Tagen davor hatten die Büros der Parteien die letzten Teile ins Puzzle eingefügt. Am Ende konnte auch der Auftritt von Beate Meinl-Reisinger am Samstag auf der Landesmitglieder-Versammlung der Wiener NEOS das Gesamtbild nicht mehr zerstören, obwohl sie sich redlich Mühe gab.
Rund 22 Minuten redete die pinke Parteichefin, etwa zur Hälfte skizzierte sie ihren persönlichen Zugang zu den Sondierungsgesprächen. "Jetzt aber haben wir die Möglichkeit", sagte sie, "Schwarz-Rot ein Stück weit auch in den Hintern zu treten. Und zwar am Verhandlungstisch." Ich stelle mir das im Sitzen gar nicht so leicht vor.
Die Angesprochenen sollen nur hinter den Kulissen etwas säuerlich reagiert haben. Am Vollzugsfoto in der "Krone", das die in den Hintern Getretenen mit einem ausgelassenen Lächeln zeigt, war jedenfalls von äußeren Verletzungen nichts zu sehen. Und Herzen sind sowieso Mördergruben.
Dann kam der Montag. Vor dem Haupteingang des Palais Epstein fand wie immer in diesen Tagen eine Demo von Tierschützern statt. Ein junger Mann mit Megaphon in der Hand brüllte wiederholt das Wort "Scheiße" in den morgendlichen Ring hinein. Er schilderte den grausamen Alltag von Schweinen auf Vollspaltböden, die "buchstäblich in der Scheiße leben", wie er rief.
Erst Beate Meinl-Reisinger, dann Andreas Babler zogen an den Aktivisten vorbei, verfolgt von einer Traube Fotografen. Neben dem Megaphon-Mann stand eine junge Frau, wie sich später herausstellen sollte, in einem rosa Schweinekostüm, unter dem es sicher schweineheiß war. Alle warteten auf Karl Nehammer. Aber sie warteten am falschen Platz.
Der Kanzler nahm nämlich diesmal den Weg über den Park und bei der Seitentür hinein. Als die Fotografen das mitbekamen, stürmten sie ums Eck vom Palais, nur das Schwein bekam das nicht mit. Es blieb vor dem Haupteingang stehen. Vielleicht endete die Manöverkritik der Demonstranten danach so: "Scheiße gelaufen."
Für die drei Verhandler lief es besser. Sie konnten knapp nach Mittag im Innenhof des Palais den Beginn von gemeinsamen Regierungsverhandlungen verkünden. Nicht jedes Gesicht am Podium drückte große Zuversicht über ein Gelingen aus. Aber was Nehammer und Babler an einschlägiger Euphorie fehlte, wurde von Beate Meinl-Reisinger überkompensiert.
Die Verkündigung kam mit recht viel Stehsätzen aus, angepeilt werde eine "Koalition der Vernunft", war zu hören. In der vernünftigen Vermarktung der Koalition ist noch Luft nach oben. Dorthin wurden an diesem Tag nur 1-Euro-Raketen geschossen.
Am Dienstag erfuhr die Welt dann nach und nach, wie sich die Ömpel-Verhandler in den nächsten Wochen gegenseitig in den Hintern treten wollen. Mit einer Art Bürgerbeteiligung, der Kanzler sprach von "Hunderten Personen", sortiert in Gruppen und einer dreistufigen Hierarchie unterzogen. Die "Koalition der Vernunft" setzt auf Schwarmintelligenz.
Am Donnerstag geht es los, da tagen die ersten Gruppen. Die Uhr tickt, denn schon in spätestens drei Wochen sollen alle einen Zwischenbericht abliefern. Am 12. Dezember wollen die Chefverhandler eine erste Bilanz ziehen.
Es ist wieder einmal so ein entscheidendes Datum, mit denen dieses Land ausgeflaggt ist. Wenn bis dahin nicht die Aussicht auf Einigung besteht, dann wird es eng für die Ömpel.
Die bisherigen Sondierer werden nun zur "Steuerungsgruppe", die ÖVP bevorzugt den Ausdruck "Hauptgruppe". In dem Gremium aus jeweils sechs Vertretern der drei Parteien sitzen auch die Parteichefs. Auf deren Tisch im Palais Epstein landen alle Verhandlungs-Ergebnisse aus den Gruppen, egal, ob es zu Themengebieten eine Einigung gibt, oder nicht.
Die "Steuerungsgruppe" wird als weitgehend einziges Gremium weiter im Epstein tagen. Dort sind in der Beletage bis zum Jahresende zehn Räume und drei Kammerln gebucht. Am mangelnden Platz liegt es nicht, dass sie jetzt meist leer bleiben werden. Fünf Gruppen könnten theoretisch zeitgleich verhandeln. Aber nur mit Ohropax.
Die Hierarchie-Ebenen der Verhandlungen
- Die "Steuerungsgruppe" 18 Personen, identisch mit dem Sondierungsteam, also mit den Parteichefs. Hier fallen alle relevanten Entscheidungen.
- Die "Clustergruppen" 7 Gruppen zu jeweils 4 Personen, also gesamt 28.
- Die "Untergruppen" 33 Gruppen, jede Partei kann bis zu vier Personen dafür nennen, dazu kommen Experten.
- Die "Budgetgruppe" Hier endet alles. Ein eigenes Team berechnet, wie viel welches Vorhaben kostet.
Das Palais hat nämlich einen Nachteil: es ist sehr hellhörig. Wenn in einem Raum geredet wird, dann lauscht der Nebenraum mit, es ist gar keine Frage des Wollens. Das war bei den Sondierungen schon ein Thema, vor allem eines der Vertraulichkeit. Aus diesem Grund weichen die meisten Verhandlungsteams nun ins Parlament aus, in Klubräumlichkeiten oder in Ausschusslokale.
Man erspart sich damit eine logistische Mühsal. Das Epstein hat nämlich noch eine alte Schließanlage. Die Zugangskarten aus dem Parlament funktionieren hier nicht. Es wären also die "Hunderten Personen" mit eigenen Zutrittschips auszustatten gewesen. Das hätte die Bildung einer Ömpel eher zu einem Fall fürs Osternest gemacht.
Unter der "Steuerungsgruppe" sind sieben "Clustergruppen angesiedelt. Sie widmen sich 23 aufgeführten Themen, von Infrastruktur bis Klima. Genau genommen verwalten sie die Themen nur, denn die eigentliche Arbeit passiert woanders.
Die Überschriften der Themenblöcke waren bis zuletzt Anlass für Gezerre. So wurde aus dem Gebiet "leistbares Leben", wie es der Wunsch der SPÖ gewesen wäre, am Ende der Programmpunkt "Inflationsbekämpfung". Der Volkspartei war der Begriff "leistbares Leben" zu nahe an "Propaganda". Erstaunlich, angesichts der eigenen Biographie in der jüngeren Kurz-Geschichte.
Es sind nicht allein solche Details, die viele an einem positiven Abschluss der Regierungs-Verhandlungen zweifeln lassen. Auch die inhaltlichen Kluften, die immer wieder auftreten, machen skeptisch. Irgendwann ist jeder Spagat einmal zu Ende gedehnt, da kann man noch so viele Gummiknochen haben. Mit "50:50" bezifferte jemand aus dem Umfeld der Parteispitzen gestern die Erfolgschancen.
Der Aufbau der Verhandlungsteams ähnelt dem System von Sebastian Kurz 2019. Die "Clustergruppen" sind diesmal allerdings anders gestaltet. Damals waren sie mit bis zu 30 Personen rappelvoll, diesmal haben alle Gruppen nur je vier Teilnehmer. Lediglich die NEOS besetzen alle Jobs doppelt.
Wirtschaft und Infrastruktur
- ÖVP Wolfgang Hattmannsdorfer
- SPÖ Michaela Schmidt
- NEOS Sepp Schellhorn, Markus Hofer
Inflationsbekämpfung und Wohnen
- ÖVP Claudia Plakolm
- SPÖ Julia Herr
- NEOS Sepp Schellhorn, Karin Doppelbauer
Sicherheit, Migration und Integration
- ÖVP Christian Stocker
- SPÖ Philip Kucher
- NEOS Douglas Hoyos, Yannic Shetty
Gesundheit, Pflege, Arbeit, Soziales
- ÖVP August Wöginger
- SPÖ Josef Muchitsch
- NEOS Johannes Gasser, Lukas Sustala
Frauen, Staat, Gesellschaft, Internationales und EU
- ÖVP Karoline Edtstadler
- SPÖ Eva-Maria Holzleitner
- NEOS Stephanie Krisper, Niki Scherak
Regionen, Mobilität, Klima und Landwirtschaft
- ÖVP Georg Strasser
- SPÖ Sven Hergovich
- NEOS Karin Doppelbauer, Michael Bernhard
Bildung, Innovation und Zukunft
- ÖVP Barbara Eibinger-Miedl
- SPÖ Elisabeth Mayr
- NEOS Christoph Wiederkehr, Martina Künsberg Sarre
Für jede "Clustergruppe" gibt es mehrere "Untergruppen", sie sind die eigentlichen Maschinenräume der Verhandlungen. Die Tätigkeitsfelder ergeben sich nicht automatisch aus den Kapitelüberschriften. Im Cluster "Frauen, Staat, Gesellschaft, Internationales und EU" ist etwa die Untergruppe "Medien" angesiedelt. Warum auch immer.
Für die "Untergruppen" konnte jede Partei höchstens vier Personen nennen. Es gibt 33 Untergruppen, die "Clusterchefs" sind darin ebenfalls vertreten. Macht also pro Gruppe 15 Personen, zuzüglich Expertinnen und Experten. Das läppert sich.
Kleiner Karrierehinweis an einschlägig Interessierte. Vor fünf Jahren waren die Leitungspositionen in den "Clustergruppen" Sprossen, die nach oben führten. Von den damals zwölf Gruppenleitungen übernahmen danach sechs Personen ein Ministerium, zwei wurden Klubchefs und eine Person Nationalratspräsident. Wer das war, erraten Sie nie!
Ich wünsche einen karriereförderlichen Mittwoch. Ich hoffe, sie haben diesbezüglich viel Schwein. Bis in einer kleinen Weile!