Kopfnüsse
Plötzlich Kanzler! Wie sich Christian Stocker ins Amt quälte
Wiener Schnitzel, Bier: Im Nationalrat war sprachlich alles für ein kulinarisches Finale der ersten Regierungswoche angerichtet. Dann bekam der Freitag seine eigene Dramaturgie und Dramatik. Die Hintergründe und was sonst noch beim Koalitions-Start passierte.

Vielleicht ist das nicht allen aufgefallen, aber seit wir eine neue Regierung geschenkt bekamen, ist das Wetter immer gut. Am Montag wurde die Dreierkoalition angelobt, seither scheint fast unentwegt die Sonne, manchmal zeigte sich der Himmel sogar wolkenlos. Es war den meisten nicht zu kalt, nicht zu heiß, so als hätte die Regierung das über Thermostat geregelt.
Mit KI-Stimme: Wie sich der Kanzler ins neue Amt quälte
Jedem Anfang soll ein Zauber innewohnen, heißt es, aber die Zeiten sind nicht zauberhaft, auch nicht am Anfang. Da wärmt es die Seele, wenn die Seele gewärmt wird, vor allem da dies ohne Budgetvorbehalt passiert.
Das wäre eine wunderbare Verschwörungstheorie. Im Kreiskyzimmer, dort wo Sebastian Kurz seine Button-Maschine aufgestellt hatte, um Anstecker von sich selbst auszudrucken, liegt nun für Christian Stocker ein Temperaturregler parat. Immer wenn er in der Früh kommt, euphorisiert durch die Schönheit der Landschaft rund um Wiener Neustadt, legt er fest, ob er Österreich an diesem Tag so richtig einheizen will. Oder ob Eiszeit herrschen soll.

Im Regierungsprogramm finde ich leider kein Wort zum aktuellen Wetter, da wurde eine große Chance ausgelassen. Wenn dort zum Beispiel gestanden wäre, "wir machen das Wetter um 10 Prozent besser", dann hätten die Leute in dieser Woche aus dem Fenster geschaut und anerkennend gesagt: "Das Team vom Stocker, das liefert."
Natürlich muss mit dem Begriff "gutes Wetter" sehr sorgsam umgegangen werden. In Zeiten des Klimawandels ist das gute Wetter von gestern oft das schlechte Wetter von heute. Die Sonne steht unter einer Art Generalverdacht. Es ist gut, dass sie scheint, aber sie soll dabei nicht übermütig werden. Das Team Stocker liefert, bei der Sonne bestehen noch berechtigte Zweifel.
Andererseits ist festzustellen, dass der Klimaschutz erkennbar an Bedeutung eingebüßt hat. Er hat seine Chance gehabt, könnte man sagen, jetzt werden ihm wieder die Wadln vire gerichtet.
Das sehr opulente Ressort von Leonore Gewessler wurde zerschlagen, nun kümmert sich wieder das Landwirtschafts-Ministerium um den Klimaschutz. Renaturierung is coming home.

Es gibt grundsätzlich ein paar Seltsamkeiten bei der Verteilung der Zuständigkeiten in der neuen Regierung. Sie definierte Deregulierung als Musk have. Das Staatssekretariat von Elon Schellhorn wurde dann aber im Außenministerium angesiedelt. Österreich wird offenbar über das Kleine Deutsche Eck entbürokratisiert.
Etwas Klimaschutz ist auch ins Bundesministerium für Wirtschaft, Energie und Tourismus eingezogen. Es wurde als Außenstelle der Wirtschaftskammer konzipiert. Wolfgang Hattmannsdorfer hatte in der Kammer erst am 1. Jänner sein Amt als Generalsekretär angetreten, nun durfte der Vertreter der Zünfte schon wieder die Musterkoffer packen.
Hattmannsdorfer wurde als Wirtschaftsminister installiert und bekam Elisabeth Zehetner als Staatssekretärin zur Seite gestellt. Die Magistra mit Studien-Hauptfach Französisch wirkte 20 Jahre in der Wirtschaftskammer.


Stärker ins Sonnenlicht rückte Zehetner aber erst, als sie 2022 zur Geschäftsführerin von oecolution austria wurde. Laut Eigenangabe legt die NGO ihren "Fokus auf pragmatische Energie‐ und Klimapolitik". Das Wort "pragmatisch" ist von entscheidender Bedeutung, denn tatsächlich war es der Job von Zehetner, den Klimaschutz einzuhegen.
Für die Tätigkeit als Lobbyistin erhält oecolution austria laut Kurier 600.000 Euro im Jahr von der Wirtschaftskammer und 300.000 Euro von der Industriellenvereinigung. Zehetner ist in die ÖVP hinein bestens vernetzt, als Karl Nehammer noch Kanzler war, beriet sie ihn in Klimafragen. Obwohl er kaum Fragen hatte.
Die 47-Jährige ist beileibe keine Klimaleugnerin, sondern eher eine Klimaflüstererin. Sie will die Erderwärmung über neue Technologien, Wirtschaftswachstum und Kraft der guten Gedanken bremsen. Darüber hat die "Öko-Optimistin", wie sie sich selbst nennt, ein Buch geschrieben, "Im Namen des Klimas". Der Untertitel verrät eher, wohin die Reise geht: "Warum die Zukunft mehr Vernunft braucht".



Zehetner will dem Klimaschutz wieder mehr Hausverstand beibringen. Österreich soll klimaneutral werden, aber dabei nicht so hudeln. Sie warnt vor einer "Endzeitstimmung in der Klimadebatte", die "apokalyptische Drohkulisse der Klimaaktivisten" sei "eine Gefahr für die Demokratie". Gericht und Medien würden von der Klimabewegung "instrumentalisiert" werden.
Ihr Buch sieht sie als "konstruktive Streitschrift". Die Klimadebatte trage für sie "religiöse" Züge. "Die Bußprediger des Mittelalters und ihre dramatischen Weltuntergangsfantasien scheinen heute eine zeitgemäße Fortsetzung in der Klimabewegung gefunden zu haben", schreibt sie.
Seit vergangenem Montag ist Zehetner Staatssekretärin im Bundesministerium für Arbeit und Wirtschaft. Im Impressum von oecolution austria wird sie – Stand Samstag – unter dem Titel "Organschaftliche Vertreter" allerdings immer noch als "Obfrau" geführt. Man kann es mit dem Öko-Optimismus auch übertreiben.

In der neuen Regierung war das Klima in der Premierenwoche bestens. Wo man hinblickte, pure Harmonie, Lebensfreude, Aufbruchstimmung.
Die Streitigkeiten der vergangenen Monate? Nie passiert. Unterschiede in Ideologie und Weltsicht? Wie weggeblasen. Christian Stocker, Andreas Babler und Beate Meinl-Reisinger wirken wie Frischverliebte, die sich noch nicht getraut haben, ihren Eltern die neuen Haberer vorzustellen.
Am Montag war das Beste aus drei Welten von Bundespräsident Alexander Van der Bellen angelobt worden. Von da an flog die Woche nur so vorbei. Noch am Montagabend stellten sich die drei Parteispitzen gemeinsam zur besten Sendezeit einem ORF-Interview. Stocker, Babler und Meinl-Reisinger saßen nebeneinander als hätten sie den Sommer gemeinsam auf der Alm verbracht und würden nun ihre schönsten Kuhfladen-Sichtungen schildern.
Am Tag danach folgten sechs weitere Fernsehtermine, von Servus TV bis Puls 4. Von der gegenseitigen üblen Nachrede der vergangenen Monate war erneut nichts mehr zu sehen und zu hören. Alles Happy Pepi.


Als Sebastian Kurz und Heinz Christian Strache 2017 TV-Interviews in Serie gaben, wurde das kritisch beäugt. Jetzt ist Österreich so froh, endlich eine neue Regierung zu haben, dass jeder gemeinsame Auftritt der drei Philharmoniker bejubelt wird wie der Radetzky-Marsch beim Neujahrskonzert.
Beim Ministerrat am Mittwoch setzte sich das Bild fort: lauter fröhliche Gesichter. Der Fototermin dauerte länger als die Verhandlungen über Mietpreisdeckel und Bankenabgabe. Im Vorbeigehen wurden den Kamerateams lachend ein paar Worte zugeworfen, die das individuelle Wohlgefühl in der neuen Partnerschaft zum Ausdruck bringen sollten. Es klang im Gesamtbild wie das Geschnurre von Katzen.
Gerhard Karner fehlte beim Ministerrat. Der Innenminister war nach Brüssel gereist, um einem Parteifreund persönlich einen brisanten Brief zu überreichen. Magnus Brunner, der Österreichs Finanzen mit ruhiger Hand in den Abgrund gelenkt hatte, soll nun als EU-Kommissar den Asyl-Karren aus dem Graben ziehen. Österreich zeigt diesbezüglich eine gewisse Ungeduld.

In dem Schreiben ist zu lesen, dass die Regierung aus einer Notlage heraus eine Quote für den Familiennachzug einführen will, "und die erste Quote ist null". Brunner bekundete, die Sorgen der Österreicher, die ihm wohlbekannt sind, ernst zu nehmen, verwies aber gleichzeitig darauf, dass europäisches Recht eingehalten werden müsse. Das mit dem Karren wird dauern, ein Budget ist schneller ruiniert.
Karner störte die verhaltene Reaktion wenig, er hatte sich schon vor dem Abflug zur EU eine abschließende Meinung gebildet. In ein Mikro der ZiB 1 sagt er: "Die Reaktionen aus Brüssel sind mir relativ egal."
Ich bin mir nicht sicher, ob der Bundespräsident das genau so gemeint hat. In den Koalitionsverhandlungen hatte Alexander Van der Bellen mehrfach von den Parteien ein klares Bekenntnis zur Europäischen Union eingefordert. Ob die Feststellung, die EU ist mir wurscht, diesem Wunsch ausreichend Rechnung trägt, scheint zweifelhaft, selbst wenn diese Wurschtigkeit nur "relativ" ist.
Während Karner in Brüssel einen Brief deponierte, ging in Ried im Innkreis die Post ab. Herbert Kickl hielt seine obligate Rede zum politischen Aschermittwoch. Die Aufmerksamkeit, die dem Leider-Nein-Kanzler zuteil wurde, blieb diesmal überschaubar. Österreich hat derzeit weniger Interesse an dem blauen Brummbären, mehr Augen sind auf die drei Bussibären gerichtet, die nun regieren.


Am Donnerstag hatten die Bussibären ihren ersten Auftritt auf internationaler Bühne. Stocker, Babler und Meinl-Reisinger stellten sich gemeinsam getrennt der EU vor und die EU sich ihnen. Die drei reisten unabhängig voneinander an. Babler flog schon am Mittwochabend mit der AUA nach Brüssel, Meinl-Reisinger folgte am nächsten Tag mit der Morgenmaschine um 7.20 Uhr, wegen der frühen Stunde liebevoll "Pyjama-Bomber" genannt.
Kanzler Christian Stocker musste einen Bedarfsflieger nehmen. Es war unklar, wie lange der EU-Sondergipfel zur militärischen Aufrüstung dauern würde. In Brüssel übernachten ging nicht. Am Freitag in der Früh musste Stocker im Parlament in Wien gestellt sein, da stand seine Regierungserklärung an. Also Mietjet.
Alles ging sich ordentlich aus, aber es war bereits knapp vor Mitternacht, als Österreichs Kanzler mit seinem Team in Wien landete. Dann musste er noch mit Dienstwagen und Chauffeur heim nach Wiener Neustadt. Die Nacht war kurz und sie wurde noch kürzer als gedacht, denn das Drama nahm seinen Lauf.
In der Nacht auf Freitag erkrankte Stocker. Er bekam hohes Fieber, mutmaßlich als Folge einer Lebensmittelvergiftung. Eigentlich hätte er in der Früh im Parlament anrufen müssen, um sich krankheitshalber zu entschuldigen. Aber wenn du der eigentliche Anlass einer Veranstaltung bist, dann geht es schlecht, zu sagen: "Wisst's was, fangt's ohne mich an!"

Also quälte sich Stocker in der Früh in den Dienstwagen und ließ sich nach Wien bringen. Alle anderen Termine für den Tag wurden abgesagt. Am Nachmittag hätte Stocker einen Interviewtermin mit Conny Bischofberger für die Sonntags-Krone gehabt. Ein ausgewählter Kreis an Journalisten war für 16 Uhr zu einem Hintergrundgespräch geladen.
Knapp vor 9 Uhr saß Stocker als Erster auf der Regierungsbank und versuchte sich nichts anmerken zu lassen und deshalb merkte man ihm sein Unwohlsein besonders an.
Die Regierungsbank zeigte sich zum ersten Mal in neuer Aufstellung. Die Bestuhlung war ausgetauscht worden, schmälere Sessel sollten dafür sorgen, dass alle 21 Personen am Podium Platz haben. Das hatten sie, aber wiederum auch nicht.
Links, da wo Stocker und Babler saßen, ging es einigermaßen. Rechts aber wurde es eng, vor allem in der Gegend um Jörg Leichtfried. Der neue Staatssekretär im Innenministerium hat am Kernöl zeitlebens nicht nur genippt. Er ist das, was man in seiner Heimat Steiermark ein stattliches Mannsbild nennt, und deshalb musste er mit den Schultern allerlei Verrenkungen aufführen, damit die anderen nicht zu Dominosteinen werden und links und rechts runterpurzeln.

Stocker redete rund 30 Minuten. Seine Regierungserklärung enthielt keine flammenden Appelle, keine Visionen, keine Meilensteine auf dem Weg zum Ziel, auch weil dieses Ziel nicht definiert ist. Eine Mischung aus "Bewährtem und Neuem" sei das Programm, referierte er und damit war alles gesagt.
Wie Andreas Babler und Beate Meinl-Reisinger habe er sein Geschäft in der Kommunalpolitik gelernt, meinte Stocker. Das "sprichwörtliche gemeinsame Bier" sei nicht das Schlechteste nach langen Sitzungen. Andreas Babler, der danach zu Wort kam, vervollständigte das Bild. "Der ORF", sagte er, "gehört zu Österreich wie das Wiener Schnitzel."
Während der SPÖ-Chef redete, ging es Stocker zunehmend schlechter, das war selbst von der Zuschauertribüne aus zu beobachten. Es fiel auch auf der Regierungsbank immer mehr auf. Stocker fasste sich oft an den Kopf, griff häufig zum Wasserbecher, saß gebeugt da oder starrte vor sich hin.
Bei seiner Ansprache war der Kanzler noch mit Adrenalin vollgepumpt, er verhaspelte sich ein paarmal, suchte im Manuskript nach Worten, aber er brachte die Aufgabe solide hinter sich.

Danach sackte er in sich zusammen. Babler sprach 21 Minuten, von den breiten Schultern, die mehr tragen müssten, und von der FPÖ, die "mit der Kettensäge an die Wurzeln der Demokratie" gegangen wäre. "Dem Stocker ist schon ganz schwindlig", rief jemand aus dem freiheitlichen Sektor dazwischen, dem die Erkrankung des Kanzlers entgangen war.
Die 20 Minuten, die Beate Meinl-Reisinger brauchte, wurden für Stocker zur Tortur. Die NEOS-Vorsitzende befand sich auf der anderen Seite der Regierungsbank, sie bekam das Leiden des Kanzlers nicht mit.
Als sie fertig war, hielt es Stocker nicht mehr im Sessel. Er ging gebeugt aus dem Plenarsaal, ein Mitarbeiter trug seine persönlichen Sachen, Andreas Babler rückte den Sessel des Kanzlers zurecht.
Während Herbert Kickl sprach, konnten die Abgeordneten am Gang Sanitäter beobachten, die zu einem Raum hinter dem Plenarsaal eilten. Während jeder Sitzung im Parlament ist ein Arzt anwesend, der Arbeiter-Samariter-Bund wurde ergänzend dazu geholt. Auftrag: Der Bundeskanzler (mit HBK abgekürzt) "benötigt medizinische Hilfe". Es wurden "Erstmaßnahmen zur Stabilisierung" eingeleitet.

Stocker lehnte es ab, mit der Rettung ins Krankenhaus gebracht zu werden. Er verließ das Parlament wenig später zu Fuß, ließ sich ärztlich durchchecken und kuriert sich am Wochenende daheim aus.
Ich wünsche einen gesunden Sonntag. Ein Vorschlag zur Güte, jetzt wo alles geregelt scheint: Ich verwende den Begriff Ömpel für die neue Regierung nicht mehr und die andere Seite verzichtet dafür auf alle Varianten von Zuckerl.
Ab wann? Am besten machen wir es so wie SED-Chef Günter Schabowski nach dem Fall der Berliner Mauer. "Das tritt nach meiner Kenntnis … ist das sofort, unverzüglich."
Bis in einer kleinen Weile!