Kopfnüsse

Ein Land macht blau! Warum ÖVP Kickl die Macht schenkt

Bahn frei für Herbert Kickl. Wie die SPÖ abgeräumt wurde (und das wortwörtlich). Wer in der ÖVP jetzt das große Wort führt. Und warum sich manche nicht mehr gern daran erinnern, was sie schon alles über den FPÖ-Chef gesagt haben.

FPÖ-Chef Herbert Kickl greift nun mit beiden Hände nach der Macht
FPÖ-Chef Herbert Kickl greift nun mit beiden Hände nach der Macht
Picturedesk
Newsflix Kopfnüsse
Akt. Uhr
Teilen

Hilft nur mehr beten? Und wenn ja, zu wem? Als sich die ÖVP am Sonntag um 10 Uhr zum Krisentreffen im Kanzleramt versammelte, übertrug ORF III zeitgleich den katholischen Gottesdienst aus Hochgallmigg in Tirol. "Am Anfang war das Wort", sagte Pfarrer Andreas Tausch.

Das stimmt, werden sich viele angesichts der jüngsten Ereignisse gedacht haben, dieses Wort ist allerdings immer weniger wert. Und zwar egal, ob es am Anfang steht oder am Ende.

Mit KI-Stimme: Ein Land macht blau

Worte zählen nur mehr für den Augenblick. Wenn du in der Politik bist, kannst du jemanden an einem Tag als den größten Haderlumpen auf Gottes Erdboden bezeichnen, ihn am nächsten Tag aber einen ehrbaren Gesellen nennen.

Hochgallmigg wird übrigens auf der letzten Silbe betont.

"Wenn, wenn, wenn": Fragen wollte Bundespräsident Alexander Van der Bellen am Sonntag keine beantworten
"Wenn, wenn, wenn": Fragen wollte Bundespräsident Alexander Van der Bellen am Sonntag keine beantworten
Picturedesk

Können Termine wichtig und gleichzeitig unwichtig sein? Offenbar. Am heutigen Dreikönigstag hat der Bundespräsident Herbert Kickl zu sich in die Hofburg eingeladen. Vermutlich nicht, weil ihm ein paar Weihnachtskeks übriggeblieben sind, oder er jemanden braucht, der mit ihm den Christbaum aus dem Maria-Theresien-Zimmer zu einer Sammelstelle schleppt.

In einem Land wie Österreich ist es tollkühn, Überraschungen auszuschließen. Aber mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit wird Van der Bellen um 11 Uhr dem FPÖ-Chef den Auftrag zur Regierungsbildung erteilen. Er muss das nicht tun, aber wenn er es nicht tut, tut das nichts zur Sache.

FPÖ und ÖVP können auch ohne den Segen des Bundespräsidenten Gespräche aufnehmen. Sie müssen halt irgendwann einmal an der Tür der Hofburg läuten und fragen: "Sascha, könntest Du uns bitte angeloben?" Das wiederum muss Van der Bellen nicht machen, aber es wäre sehr unhöflich.

Dieser Weg wird kein leichter sein: Kanzler Karl Nehammer am Weg zum Bundespräsidenten, um den Auftrag zur Regierungsbildung zurückzulegen
Dieser Weg wird kein leichter sein: Kanzler Karl Nehammer am Weg zum Bundespräsidenten, um den Auftrag zur Regierungsbildung zurückzulegen
Picturedesk

Der Bundespräsident hätte sich vermutlich ein anderes Geburtstagsgeschenk gewünscht. Er wird am 18. Jänner 81 Jahre alt und zu diesem Zeitpunkt wird es bei den Regierungsgesprächen zwischen den Blauen und den Schwarzen schon so richtig brummen.

Es ist erstaunlich, mit welcher Geschwindigkeit sich das politische Leben in Österreich immer wieder wandelt. Vor drei Tagen war Herbert Kickl für die ÖVP noch ein Sicherheitsrisiko, jetzt findet sie ihn irgendwie eh ganz sexy.

Am Freitagvormittag waren die NEOS aus den Verhandlungen über eine Dreier-Koalition ausgestiegen. Es wirkte so, als hätten die beiden anderen Parteien keinen Plan B. Das stimmte, vielleicht aber nicht für alle Teile der Volkspartei. Dort gab es schon recht klare Gedanken über die unmittelbare Zukunft und nun wurden diese Gedanken ins Laufen gebracht.

"In dieser Republik braucht Sie keiner", sagte ÖVP-Generalsekretär Christian Stocker zuletzt zu Kickl, jetzt verhandelt er mit ihm
"In dieser Republik braucht Sie keiner", sagte ÖVP-Generalsekretär Christian Stocker zuletzt zu Kickl, jetzt verhandelt er mit ihm
Picturedesk

Noch aber erlebte Österreich politisches Wirrwarr. Gremiensitzungen, Beratungen, Breaking News begannen sich selbst zu überholen. SPÖ-Chef Andreas Babler gab eine Pressekonferenz und erklärte, seine Hand bleibe Richtung ÖVP weiter ausgestreckt. Von da an erlebte Österreich lauter ausgestreckte Hände.

Jeder hatte seine eigene Hand für Verhandlungen ausgestreckt oder lief in andere Hände, die für Verhandlungen ausgestreckt waren. Ich hoffe, das ändert sich bald, sonst wird es in den U-Bahnen nach den Feiertagen eng.

Zu diesem Zeitpunkt wollten ÖVP und SPÖ noch nicht voneinander lassen, zumindest erweckten sie den Anschein. Sie spürten nicht, dass sich die Welt im Hintergrund zu ändern begann. Noch am Freitagabend gab es ein Treffen der Parteispitzen, das so endete wie viele Zusammenkünfte in den vergangenen Wochen: es wurde ein neuer Termin für den kommenden Tag vereinbart.

Euphorie im ÖVP-Style: Georg Strasser, Juliane Bogner-Strauß, August Wöginger, Christian Stocker, Wilfried Haslauer,  Ingrid Korosec, Claudia Plakolm, Harald Mahrer
Euphorie im ÖVP-Style: Georg Strasser, Juliane Bogner-Strauß, August Wöginger, Christian Stocker, Wilfried Haslauer, Ingrid Korosec, Claudia Plakolm, Harald Mahrer
Picturedesk

Am Samstag trafen sich die verbliebenen Reste der klassischen Budgetrunde um 13 Uhr im Kanzleramt. Das war seltsam genug, denn ein Regierungssitz ist für Parteien-Verhandlungen eigentlich ein unangemessener Ort. Aber Karl Nehammer ging in seinen letzten Tagen im Amt nicht mehr gern außer Haus. Er gab auch keine Pressekonferenzen mehr. Social Media musste reichen.

Aber noch etwas war an diesem Samstag anders und die SPÖ bemerkte es mit Argwohn. Wolfgang Hattmannsdorfer saß plötzlich in der Runde. Der bisherige Soziallandesrat im schwarz-blau regierten Oberösterreich trat am 1. Jänner den Job als Generalsekretär der Wirtschaftskammer Österreich an. Für Teile der ÖVP ist der 45-Jährige weit mehr – nämlich eine Zukunftshoffnung.

Bei den Regierungsverhandlungen saß Hattmannsdorfer zwar nicht in der obersten Steuerungsgruppe, er vertrat die Volkspartei allerdings in vier Untergruppen: "Arbeit", "Steuer und Finanzen", "Entlastung" und "Integration". Vor allem aber leitete er für die ÖVP den Cluster "Wirtschaft und "Infrastruktur", in dem es am meisten und am lautesten krachte.

Ein bisschen die NEOS, vor allem aber die SPÖ hatte rasch nach dem Start der Verhandlungen in den 33 Gruppen den Eindruck: Die Vertreter der ÖVP aus Industrie und Wirtschaft verhandeln hier nicht, sie wollen die Gespräche in die Luft sprengen.

Tapetenwechsel: Kickl ist am Montag wieder zu Gast in der Präsidentschaftskanzlei
Tapetenwechsel: Kickl ist am Montag wieder zu Gast in der Präsidentschaftskanzlei
Picturedesk

An diesem Samstag saß Hattmannsdorfer zunächst da und schwieg. Die Gespräche starteten holprig, es ging eine Stunde lang um die Frage, wie man weitermachen wolle, Mehrheiten im Parlament erzielt werden könnten, was die Erzählungen sein sollte, die man nun dem Publikum anbieten könnte. Nach einer Stunde ersuchte die Volkspartei um eine Pause.

Sie sollte 10 Minuten dauern, es wurde eine Stunde daraus.

Die beiden Fraktionen besprachen sich in unterschiedlichen Räumlichkeiten des Kanzleramtes. Als sich die türkise Delegation um 15 Uhr wieder im Verhandlungssaal einfand, war die Stimmung merklich anders. "Die ÖVP wirkte, als stünde sie mehr unter Druck", sagt ein SPÖ-Vertreter.

Es ging nun um Geld, ums Budget, um Lohnnebenkosten, um Zahlen, die sich außer Streit stellen lassen. Die Gespräche fuhren sich immer mehr fest. Nun meldeten sich auch Wirtschaftskammer-Präsident Harald Mahrer und Wolfgang Hattmannsdorfer häufiger zu Wort. Die SPÖ wiederholte, nicht auf Vermögenssteuer oder Erbschaftssteuer zu bestehen, aber auf Gerechtigkeit. Es war nun 18 Uhr, aber in Wahrheit schon 5 nach 12.

Das Thema Bankenabgabe kam auf den Tisch, für die ÖVP ein rotes Tuch. Sie ersuchte um eine zweite Unterbrechung. Wieder zogen sich die Parteien für Fraktionssitzungen zurück. SPÖ-Sozialsprecher Josef Muchitsch ging auf Harald Mahrer zu, die Sozialpartnerschaft sollte es noch einmal richten. Dann passierte Sonderbares.

Als die SPÖ in den Verhandlungssaal zurückkehrte, war er leer. In der Stunde bis 19 Uhr war er komplett abgeräumt worden. Am Tisch standen keine Gläser mehr, keine Getränke, die Kaffeetassen waren weg, sogar die Nervennahrung, Äpfel und Nüsse. Alles besenrein. Die Verhandlungen zwischen ÖVP und SPÖ wurden von einem Putztrupp beendet.

Dann tauchte Nehammer auf, er bat Babler abseits. Zu viert stand man da. Die beiden Parteichefs, dazu Sandra Breiteneder, Bundesgeschäftsführerin der SPÖ, und Christian Stocker, ÖVP-Generalsekretär. Von ihm sollte bald mehr zu hören sein.

In kurzen Worten beendete Nehammer die Regierungsgespräche. Rund 30 Stunden nach den NEOS stieg auch die ÖVP aus den Verhandlungen aus. Es war das Ende der Ära Nehammer als Kanzler.

Der Rest ist politische Folklore. Koalitionen sind keine eheähnlichen Verhältnisse, in der Phase der Trennung verhalten sich geschiedene Parteien aber ähnlich. Also wirft die ÖVP der SPÖ vor, für das Scheitern der Gespräche verantwortlich zu sein. Die SPÖ wirft Teilen der ÖVP und den NEOS vor, für das Scheitern der Gespräche verantwortlich zu sein. Die NEOS wiederum werfen der SPÖ vor, für das Scheitern der Gespräche verantwortlich zu sein.

Am Ende fragen sich wohl viele im Land: Und das sollte die Basis für vertrauensvolle fünf Jahre gewesen sein? Für ein neues Regieren? Für Reformen? Für kein Weiter wie bisher?

Es blieb nicht viel Zeit für die Beantwortung der Fragen, denn Sebastian Kurz tauchte auf, Österreichs medialer Angstlustkanzler. Seine Personalie hatte sich der ÖVP aufgedrängt, oder Kurz hatte sich selbst der ÖVP aufgedrängt, wer kann das schon sagen? Ein paar Stunden hielt sich die Comeback-Version, dann stieg Kurz aus, oder wurde ausgestiegen, oder war nie eingestiegen. Was gesagt werden kann: Diese Show erlebte am Dreikönigs-Wochenende weder ihre Premiere noch ihre Dernière.

Tatsächlich hatte Kurz in den vergangenen Wochen das Gespräch mit allerlei relevanten Menschen im Land gesucht. Er erzählte ihnen die Geschichte der großen Unschuld und danach stand keiner mit dem Eindruck vom Tisch auf, hier hätte jemand seine Lebensplanung Kanzlerschaft schon aufgegeben.

Statt Kurz kam dann Stocker, aber nicht gleich. Zunächst passierte das Erwartbare, in Tagen wie diesen muss man Österreich zu dieser Leistung gratulieren.

Ab 10 Uhr tagte der Parteivorstand der ÖVP, die meisten Teilnehmer mit Bundesländer-Hintergrund betraten das Kanzleramt über die Kehrseite. Nur Markus Wallner, Landeshauptmann von Vorarlberg, stellte sich einem Interview und sprach von einer "halben Staatskrise", in der Österreich stecke. Vielleicht schaffen wir eine ganze Staatskrise, wenn wir zusammenlegen.

Der Parteivorstand sägte Karl Nehammer wie geplant ab, der Wirtschaftsflügel übernahm das Kommando. Christian Stocker wurde zum vorläufigen Parteichef bestimmt. Er könnte ein paar Tage im Amt bleiben oder bis zu einem Parteitag in mehreren Monaten. "Ruhe" soll er in die ÖVP bringen. Ich denke, das ist nicht ihr größtes Problem.

Um 14.45 Uhr bewertete Alexander Van der Bellen die Lage. Die Situation habe sich geändert, sagte er. Die Stimmen in der ÖVP, die eine Zusammenarbeit mit Kickl ausgeschlossen haben, seien "deutlich leiser geworden". Am Montag um 11 Uhr kommt ebendieser Kickl, der nun leiser ausgeschlossen wird, in die Hofburg, um sich den Auftrag zur Regierungsbildung abzuholen.

Dann kann er zügig in Verhandlungen mit der ÖVP einsteigen. Vielleicht bringt er den neuen Partnern – wie dem Bundespräsidenten zuletzt – eine Eule als Geschenk mit. Die Greifvögel können ihren Kopf, ohne den Körper zu bewegen, um 270 Grad drehen.

"Herr Kickl, es will Sie niemand in diesem Haus. Auch in dieser Republik braucht Sie keiner", hatte Christian Stocker im Dezember zum FPÖ-Chef gesagt. Nun wird er ihm bei Regierungs-Verhandlungen gegenübersitzen. Die Liste von Vertretern aus der Volkspartei, die Kickl allerlei an den Kopf geworfen und die eine Partnerschaft mit ihm ausgeschlossen hatten, ist recht lang.

Eine Eule mit Wendehals wäre da keine ganz verkehrte Symbolik.

Ich wünsche einen beschaulichen Dreikönigstag. Wenn alles gut läuft, dann feiert Österreich heute bei der Vierschanzentournee einen Dreifachsieg in der Gesamtwertung. Dann haben wir wenigsten eine Dreier-Koalition zustande gebracht. Bis in einer kleinen Weile!

Mit KI-Stimme: Wie Leuchttürme zu Ruinen wurden

Akt. Uhr
#Kopfnüsse
Newsletter
Werden Sie ein BesserWisser!
Wissen, was ist: Der Newsletter von Newsflix mit allen relevanten Themen des Tages und den Hintergründen dazu.