wahl-Kopfnuss, Folge 5
So führt uns der Kanzler heute in Wien aufs Glatteis
Einzug mit Länderfahnen, 3.000 Fans, Rede zu High Noon: Karl Nehammer gestaltet seinen Wahlkampfauftakt pompös. Fünf Stunden später folgt Herbert Kickl. In der Steiermark, wie schon beim Neujahrstreffen. Aus Gründen.
Wenn dich selbst Schweizer wunderlich finden, dann hast du es recht weit gebracht im Leben. Meret Baumann, Österreich-Korrespondentin der "Neuen Zürcher Zeitung" in Wien, beschäftigte sich dieser Tage mit Österreichs Wahlkampf, vor allem mit der unbescheiden großen Anzahl an Fernseh-Veranstaltungen zum Thema. Es gebe keine "Prüfungen wie im TV-Dschungelcamp", schreibt sie, "wenn die fünf immergleichen Köpfe fast täglich über den Bildschirm flimmern, fühlt man sich dennoch an Casting-Shows erinnert. Es läuft ,Österreich sucht den Bundeskanzler´ – und das gleich auf allen Kanälen."
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Ich denke, Andreas Babler würde bestreiten, dass man sich in Zeiten wie diesen keinen "Prüfungen wie im TV-Dschungelcamp" unterziehen muss. Die SPÖ befindet sich außerhalb und innerhalb von Wahlkämpfen traditionell gern im Wahlkampf mit sich selbst und so ist es auch diesmal. Würmer muss man im rotlaubigen Partei-Urwald keine essen, das stimmt, schlucken aber einiges.
Der Befund von Meret Baumann hat trotzdem viel für sich. Ich gestehe, dass auch ich inzwischen einen eigenen Kalender führe, um ja keinen Fernsehtermin zu übersehen. Nicht auszudenken, welche Konsequenzen es hätte, einmal etwa eine Konfrontation unter Beteiligung von Werner Kogler zu verpassen. Da ist der Klimabonus schnell einmal zusammengestrichen.
Der Vizekanzler trägt im Fernsehen nun keine Hemden mit aufgekrempelten Ärmeln mehr, dafür oft einen Grant im Gesicht. Die Leichtigkeit des Wahlkampfes 2019 ist weg, als die Grünen auf dem Weg zurück in den Nationalrat waren. Weil schon damals die Zahl der TV-Duelle vor dem Wahltag inflationär in die Höhe schoss, musste Kogler bei der Herrenoberbekleidung nachrüsten. Die Hemden zog er direkt aus der Verpackung heraus an, Falten inklusive.
Nun trägt Kogler Anzug, dafür ziehen sich Grantfalten durch sein Gesicht. In der ersten "Konfrontation" am Donnerstag im ORF brummelte er Andreas Babler an und das ohne Not. Die Vorstellungen von SPÖ und Grüne vom Leben weisen eine große Schnittmenge auf, Kogler und Babler hätten die paar Ungereimtheiten in fünf Minuten ausreden und dann auf ein Bier gehen können. Moderatorin Susanne Schnabl hätte sicher Verständnis dafür aufgebracht.
Die Zahl der Fernsehtermine in meinem Kalender ist inzwischen auf über 70 angewachsen, zuletzt stießen zwei "Duellabende" auf ATV und Puls 24 hinzu. Beim ersten Termin am Sonntag treten ab 20.15 Uhr Claudia Plakolm (ÖVP), Leonore Gewessler (GRÜNE), Julia Herr (SPÖ), Sepp Schellhorn (NEOS) und für die FPÖ Hannes Amesbauer oder Christian Hafenecker an. Rund ein Monat danach startet auf ATV die dritte Staffel von "Forsthaus Rampensau", vielleicht ist das eine Art Generalprobe.
Der Samstag wäre im Kalender eigentlich ein politikfreier Tag gewesen, aber dann fiel dem Kanzler ein, dass er uns aufs Glatteis führen könnte und so wird es auch sein. Die ÖVP startet heute in der Steffl Arena in Wien-Kagran offiziell in den Wahlkampf, dort wo die Fans der Vienna Capitals sonst Eishockeyspielern ihre Stimme geben. Die Eisfläche wurde in den letzten Tagen mit schwarzen Platten abgedeckt, frieren wird heute in der Halle niemand, heißlaufen maximal August "Gust" Wöginger.
Gut 3.000 ÖVP-Unterstützer sind heute ebenfalls heiß auf Eis, das man nicht sehen wird, 1.000 mehr als bei der letzten einschlägigen Veranstaltung am 26. Jänner in Wels. Ab 9.30 Uhr ist Einlass, ab 10.30 Uhr ziehen die Kandidatinnen und Kandidaten für die Nationalratswahl mit den Fahnen ihrer jeweiligen Bundesländer ein. Es wird ein bisschen so sein wie bei der Eröffnung der Olympischen Spiele in Paris, einmal abgesehen davon, dass Donauwasser nicht aus der Kanalisation stammt. Hoffe ich zumindest.
Sandra Thier führt als Moderatorin durch das Erweckungs-Erlebnis, für die musikalische Untermalung sorgt Herwig Wagner, der John Otti der Volkspartei. Wagner betreibt in Amstetten-Hausmening das Tonstudio The Spirit Productions". Wer sich nicht mehr erinnern kann: "Il Padre und die Tripolaren" haben 2020 hier ihr Album "Da Herrgott is a Clown" eingespielt.
Ich mutmaße, dass die Musikauswahl heute anders ausfallen wird. Nach den Grußworten von Karl Nehammer spricht jedenfalls Generalsekretär Christian Stocker, Klubchef "Gust" Wöginger fällt dann die Aufgabe zu, das Publikum wieder aufzuwecken, am besten rechtzeitig vor 12 Uhr, dann hält Karl Nehammer seine große Rede. Bis 14 Uhr sollte alles abgewickelt sein, dann beginnt der Abbau der schwarzen Platten. Das müsste sich bis 20. September ausgehen, da eröffnen die Vienna Capitals die Saison gegen die Graz 99ers.
Parallel zum Kanzler tritt Herbert Kickl heute zu Mittag am Welser Volksfest auf, dann zischt er ab zur blauen Stunde nach Graz. Ab 17 Uhr spielt in der Messe Graz die John Otti Band auf, ab 18 Uhr redet Mario Kunasek, freiheitlicher Spitzenkandidat für die steirische Landtagswahl am 24. November. Die FPÖ liegt in den Umfragen momentan mit deutlichem Abstand auf Platz 1. Danach folgt die Ansprache von Herbert Kickl, sie wird in der üblichen Zurückhaltung ausfallen.
Was sich ohne Zurückhaltung für den Samstag sagen lässt: Politikfrei schaut anders aus.
Ich wünsche trotzdem einen erbaulichen Tag. Eigentlich wollte ich heute nichts schreiben, aber wenn "Prüfungen wie im TV-Dschungelcamp" anstehen, muss man liefern, sonst ist man schneller im "Forsthaus Rampensau" als einem lieb ist. Morgen ziehe ich eine Bilanz der ersten Wahlkampfwoche. Es war sehr schön, es hat mich sehr gefreut.