Kopfnüsse

"Und wenn's nicht passt, dann sage ich, das ist ein Schaß"

Die neue ORF-Show "Blick in die Sterne" hat den Aszendenten Nonsens. In einem offenen Brief wehren sich nun zehn Forscherinnen und Forscher gegen den Unfug. Der Ärger, das Schreiben und warum der ORF Albert Einstein aus der Sendung schnitt.

Auf Sternfahrt: Sasa Schwarzjirg und Lori Haberkorn, das astrologische-Duett
Auf Sternfahrt: Sasa Schwarzjirg und Lori Haberkorn, das astrologische-Duett
ORF/Hans Leitner
Newsflix Kopfnüsse
Uhr
Teilen

Albert Einstein hätte sich vermutlich im Grab umgedreht. Obwohl das schwer geht, weil er verbrannt wurde. Zumindest zum Großteil. Einstein starb am 18. April 1955 im Alter von 76 Jahren in einem Krankenhaus in Princeton, USA, an inneren Blutungen. Seine Asche wurde an einem unbekannten Ort verstreut, so hatte sich das der theoretisch relativ berühmte Physiker zeitlebens gewünscht. Sein Gehirn aber schlug einen anderen Weg ein, es ging auf Reisen. Nicht in den Himmel, es blieb eher geerdet.

Mit KI-Stimme: "Und wenn's nicht passt, dann sage ich, das ist ein Schaß"

Ein paar Stunden nach Einsteins Tod entnahm Thomas Harvey, Chefpathologe des Princeton Hospitals, das Hirn heimlich, legte es in Formalin ein und nahm es mit nach Hause. Es dürfte sich eine Art Obsession entwickelt haben, denn Harvey trennte sich in der Folge von seiner Familie, irrte durchs Land, wurde Trinker, verlor seine Zulassung, jobbte in einer Fabrik, das Hirn von Einstein hatte er immer dabei. Einmal sogar unter Bierdosen in einer Kühlbox (mehr Hirn gibt es hier). Franzobel hat einen Roman darüber geschrieben.

Ich erzähle das deshalb, weil Einstein nun für die Astrologie-Show "Blick in die Sterne" im ORF wiederbelebt wurde, zumindest sein Geist. Wie das bei Geistern aber so ist, sie sind unverlässliche Figuren, tauchen auf und sind dann wieder weg. So war es auch diesmal.

Nein, nein, bei der Familie Putz wurden keine Umbesetzungen vorgenommen
Nein, nein, bei der Familie Putz wurden keine Umbesetzungen vorgenommen
ORF/Hans Leitner

Am vergangenen Samstag versuchte der öffentlich-rechtliche Sender seinem Bildungsauftrag Genüge zu tun. Am Ende übererfüllte er ihn sogar. Der ORF dürfte im Zuge einer Ausleitung aus den GIS-Gebühren erkannt haben, dass beim Volk gewisse Defizite im Wissen über die Lenkungskraft der Gestirne bestehen. Da wir momentan nur über eine Regierung auf Abruf verfügen, wurde der überirdischen Lenkungskraft größere Bedeutungskraft beigemessen als der irdischen.

Das könnte weitreichende Konsequenzen haben. In Hinkunft werden wir vor Wahlen keine klassischen TV-Duelle mehr erleben. Den Kandidaten werden Tarot-Karten gelegt, es gibt Aszendenten-Konfrontationen und aus den Elefantenrunden werden Tierkreis-Dates. Man könnte aber zum Beispiel auch die Ukraine auspendeln.

Die erste Folge der Astrologie-Aufklärung zeigte vor, wohin die Reise geht. Um das Unterfangen auf eine saubere wissenschaftliche Basis zu stellen, berief sich Moderatorin Sasa Schwarzjirg auf Albert Einstein, den sie sagen ließ: "Die Astrologie ist eine Wissenschaft für sich, aber eine wegweisende. Ich habe viel aus ihr gelernt. Die Astrologie unterstreicht im gewissen Sinne die physikalischen Erkenntnisse. Deshalb ist sie eine Art Lebenselixier für die Gesellschaft".

Gästepaar Nummer 1: Die beiden Waagen Daniel Serafin und Caroline Athanasiadis
Gästepaar Nummer 1: Die beiden Waagen Daniel Serafin und Caroline Athanasiadis
ORF/Hans Leitner

Die Sterne haben Schwarzjirg allerdings geschnalzt. Sie hatten ihr nämlich eine relevante Information vorenthalten: Einstein hielt Astrologie für Humbug, das verwendete Zitat stammt nicht von ihm, er hat dieses "Lebenselixier" nie in den Mund genommen. Im Gegenteil. Er nannte die Sterndldeuterei "Pseudowissenschaft", "Aberglaube" und wunderte sich, dass sich dieser "über so viele Jahrhunderte halten konnte".

Deshalb gibt es im ORF nun zwei erste Folgen der "Astro Show". Eine lief im Fernsehen, die andere gibt es auf ORF ON, also in der Mediathek. Dort ist das Nicht-Zitate von Einstein herausgeschnitten. Entnommen wie sein Gehirn, das dann sorglos mit einem wankelmütigen Pathologen auf Reisen quer durch Amerika ging.

Von der nachträglichen Seziererei wusste Sasa Schwarzjirg noch nichts, als sie am Samstag dasaß und die "Astrologin an ihrer Seite" folgendermaßen vorstellte: Lori Haberkorn "vereint das alte Wissen über Astrologie mit Neurowissenschaft, Business-Tools und Success-Techniken im modernen Geist." Es war ein Satz zum Sickern. Während das vor sich ging, freute sich Schwarzjirg, denn sie sagte: "Ich habe noch zwei Waagen bei mir". Die benutzte sie aber nicht, um ihr Gewicht zu ermitteln, sondern sie stellte die Waagen als Daniel Serafin und Caroline Athanasiadis vor.

Gästepaar Nummer 2 in der November-show: Lilian Klebow und Lukas Perman, beide Sternzeichen Skorpion
Gästepaar Nummer 2 in der November-show: Lilian Klebow und Lukas Perman, beide Sternzeichen Skorpion
ORF/Hans Leitner

Athanasiadis outete sich in der Folge als Anhängerin des Cartesischen Zweifels. Wenn das Horoskop des Tages passe, sagte die Kabarettistin, dann glaube sie daran, "und wenn's nicht passt, dann sage ich, das ist ein Schaß". Diesen "Schaß" beschrieb Haberkorn dann als "die Grundenergie, aus der wir schöpfen können". Das mag stimmen, passiert aber vor allem, wenn die "Grundenergie" ins Freie entlassen wird.

Es folgte eine Abhandlung, wie Waagen so sind und über "Aszendenten, die ab 30 immer präsenter werden". Der ORF blendete dazu ein Insert ein, in dem empfohlen wurde, "auch das Horoskop des Aszendenten lesen." Ein paar Zuschauer werden sich da vielleicht die Frage gestellt haben, ob sie eigentlich noch genug Aszendent im Kühlschrank haben.

ORF-Generaldirektor Roland Weißmann verteidigt den Blick in die Sterne: "Es ist eine Unterhaltungsshow"
ORF-Generaldirektor Roland Weißmann verteidigt den Blick in die Sterne: "Es ist eine Unterhaltungsshow"
Picturedesk

Daniel Serafin fragte sich im Lauf der Sendung ganz etwas anderes. Lori Haberkorn teilte ihm nämlich mit, dass bei ihm "sechs Mal die Waage aktiviert" ist. Das könnte nächstes Jahr beim "Fliegenden Holländer" im Römersteinbruch noch eine Rolle spielen. Wo bringt er die Waagen alle unter, nach dazu wo die so aktiv sind?

Der "Schaß" für den ORF war, dass der Astro-Holler nicht einmal erfolgreich war. Nur 109.000 Menschen ließen sich Sternenstaub ins Gesicht blasen. Die "Bergdoktor"-Konserve davor hatte 150.000 Seher. Und frage nicht, was los ist, wenn die erfahren, dass Hans Sigl gar kein richtiger Arzt ist.

Muss das bleiben, oder kann das weg? Die grüne Stiftungsrätin Sigrid Pilz forderte ORF-Generaldirektor Roland Weißmann noch am Sonntag auf, die "unwissenschaftliche Schwurbelei" aus dem Programm zu nehmen.

Himmel voller Sterne? FPÖ-Chef Herbert Kickl am Freitag bei Bundespräsident Alexander Van der Bellen
Himmel voller Sterne? FPÖ-Chef Herbert Kickl am Freitag bei Bundespräsident Alexander Van der Bellen
Picturedesk

Die "Professor*innen des Instituts für Astrophysik der Universität Wien versuchten es am Freitag eine Etage tiefer. Sie schrieben einen offenen Brief an Programm-Direktorin Stefanie Groiss-Horowitz. Darin ist von "Pseudowissenschaft Astrologie" die Rede. "Ihre Aussagen entbehren jeglicher Grundlage und haben nicht den geringsten Erkenntniswert." Die Sendung widerspräche "in unseren Augen dem Bildungsauftrag des ORF. Und das in einer Zeit und einem Land, in dem im internationalen Vergleich eine ungesunde und unbegründete Wissenschaftsskepsis besteht".

Das Schreiben ist von zehn Wissenschaftern unterfertigt und enthält ein weiteres Nicht-Zitate von Albert Einstein: "Das Universum ist ein wunderschöner, geheimnisvoller Ort — lasst uns das nicht dadurch entwerten, dass wir behaupten, die Venus habe eine Meinung über unser Liebesleben." Hat sie nicht?

Ich wünsche einen liebestrunkenen Samstag. Am Sonntag gibt es die Kopfnüsse endlich wieder mit Politik. Also, wie die Sterne für Kickl, Nehammer und Babler so stehen. Danke, ich kann Ihren Stoßseufzer bis hierher hören. Bis morgen!

Alle Wahl-Kopfnüsse

Mit KI-Stimme: Bei "Fit mit Philipp" live in der Hofburg, aber ohne Philipp

Uhr
#Kopfnüsse
Newsletter
Werden Sie ein BesserWisser!
Wissen, was ist: Der Newsletter von Newsflix mit allen relevanten Themen des Tages und den Hintergründen dazu.