Polit-Experte Peter Hajek
"Unser Problem ist die schlechte Stimmung"
Zwei Monate vor der EU-Wahl: Polit-Experte Peter Hajek über die Spionage-Affäre, Leitkultur-Debatte und was das für die Wahlen heißt.
Was waren das noch für Zeiten, in denen wir uns über geschreddderte Festplatten Sorgen machten. Nun verschwinden funktionstüchtige Handys und komplette Notebooks und tauchen wie von Zauberhand in Russland auf, inklusive aller Daten. Österreich taumelt von einer Affäre in die nächste. Eben noch staunten wir über die Benko-Milliardenpleite, schon wundern wir uns über die aktuelle Spionage-Affäre.
Aber was hat das für Auswirkungen auf die Wahlkämpfe, jenen für die EU-Wahl am 9. Juni, dann für die Nationalratswahl mutmaßlich am 29.September? Meinungsforscher und Polit-Experte Peter Hajek über:
Wie sehr die Spionage-Affäre Österreich interessiert
Spionage fasziniert Menschen immer. Da ist etwas Geheimnisvolles, was Spannendes. Jeder kennt James Bond. Wenn es den eigenen Staat betrifft, ist es natürlich doppelt interessant.
Ob die Affäre politische Auswirkungen hat
Nur dann, wenn in diesem Spionagefall politische Verquickungen klar erkennbar sind. Also etwa, wenn Herbert Kickl aus seiner Zeit als Innenminister eine Verfehlung nachgewiesen werden kann.
Warum sie für Parteien schwer nutzbar ist
Das Problem bei Egisto Ott ist, dass der Fall schwer durchschaubar ist. Da gab es auf der einen Seite einen blauen Innenminister, auf der anderen Seite das schwarze Innenministerium und dann hatte der gute Mann früher auch noch eine SPÖ-Mitgliedschaft. Damit wird die Sache für die Wählerschaft undurchschaubar.
Was die Folge davon ist
Nach momentanem Stand reicht das nicht aus, dass es zu einer Absetzbewegung von Kickl kommt.
Warum sich die Parteien nun gegenseitig die Schuld zuschieben
Ich glaube, dass sich momentan viele Akteure selbst nicht auskennen. Aber es ist Wahlkampf und man versucht einfach, die Reputation der Mitbewerber zu erschüttern. Entweder, um Wähler von der anderen Seite zu gewinnen, oder zumindest die eigenen Wähler zu mobilisieren.
Ob Spionage ein Wahlkampfthema wird
Wenn man es am Köcheln halten kann, ja, dann wird das definitiv ein Wahlkampfthema. Die ÖVP wird versuchen, damit ihre Erzählung, dass Kickl ein Sicherheitsrisiko ist, zu untermauern.
Wie das von Seiten der Meinungsforschung aussieht
Wir haben aktuell für ATV eine Umfrage dazu gemacht. Wir wollten wissen, ob die Menschen das für ein echtes Problem halten, oder sagen, na ja, Spionage gibt es in anderen Ländern auch, wir haben andere Sorgen. Das Ergebnis war, dass die Mehrheit gemeint hat: Wenn das alles stimmt, dann hat Österreich ein Problem.
Ob es Unterschiede nach Parteivorlieben gab
Ja, 66 Prozent der Grünen-Wähler und 64 Prozent der SPÖ-Wähler sehen ein Problem. Im Gegensatz dazu sagen 51 Prozent der FPÖ-Wähler, dass Österreich dringendere Probleme hat als Spionage.
Wem die Österreicher die politische Verantwortungfür die Signa-Pleite geben
Wir haben dazu keine Umfrage gemacht, aber meine Vermutung ist, der türkisen Seite, weil das während der ÖVP-Regierungszeit passiert ist, man denke nur an den Kika-Leiner-Verkauf. An Alfred Gusenbauer etwa wird erst in zweiter Linie gedacht. Aber ich denke, die meisten neigen der Erzählung zu, dass da ein Großmannssüchtiger gefallen ist. Ich würde dem keine große politische Beimengung geben.
Warum die ÖVP eine Leitkulturdebatte gestartet hat
Weil sie kein anderes Thema hat. Wenn eine Partei ein halbes Jahr vor einer Wahl draufkommt, dass uns eine Leitkultur fehlt, die wir uns erarbeiten müssen, dann stellt sich die allererste Frage: Warum erst jetzt?
Welcher politische Sinn dahintersteckt
In erster Linie geht es um das Gewinnen eines Profils, um eine Abgrenzung zu den Freiheitlichen. Ich finde die Kampagne nicht gut durchdacht, nicht gut gemacht. Mit den Sujets dazu spricht die ÖVP im urbanen Bereich – dort, wo sie Probleme hat, an die Wählerschaft heranzukommen – genau niemanden an.
Wo die Debatte der ÖVP helfen kann
Die Leitkultur-Diskussion hilft ihr, das Spielfeld zu definieren für das Match gegen Kickl. Die ÖVP sucht die Auseinandersetzung.
Macron-Besuch, EU-Konferenz, "Zeit"-Interview: Warum Nehammer nun hyperaktiv erscheint
Das ist klar, die ÖVP versucht doch noch einen Kanzlerbonus aufzubauen. Das wird eingebettet in die Strategie, die FPÖ als Gegner aufzubauen. Da ist Karl Nehammer als die Sicherheit, dort in Herbert Kickl, das Sicherheitsrisiko.
Keine Koalition mit Kickl, aber eine Koaltion mit der FPÖ ist schon denkbar: Ob diese Strategie aufgehen kann
Das ist kommunizierbar, die Frage ist, wie glaubwürdig es erscheint. Der Einwand, der immer wieder kommt, ist ja: Wenn Nehammer nur Dritter wird, dann entscheidet er das nicht mehr. Dann werden am Wahlabend die Karten neu gemischt.
Warum Andreas Babler in der öffentlichen Debatte so wenig vorkommt
Die Frage müsste man eigentlich den Medien stellen.
Was der Meinungsforscher und Politikexperte dazu sagt
Ich denke, Babler ist in vielen Forderungen zu technisch. Nehmen wir den Transformationsfonds über 20 Milliarden Euro. Da brauchen sie eine halbe ZiB 2, um das überhaupt einmal zu erklären. Die Sendezeit fehlt ihnen dann für andere wichtige Angelegenheiten, die Menschen näher sind.
Was fehlt der SPÖ also
Die erzählt keine Geschichte, neudeutsch gesagt, sie hat kein Narrativ, oder kommt mit keinem medial durch. Die SPÖ positioniert sich gut als Partei, die den Menschen helfen will, aber sie erweckt den Eindruck, das Land stünde jeden Moment am Abgrund. Und das empfinden halt nicht alle Menschen so.
Warum die EU-Wahl nicht einmal zwei Monate davor keine Rolle spielt
Weil die Politiker fehlen, die sich die EU auf die Fahne heften wollen. Wie früher Wolfgang Schüssel. Oder früher Franz Vranitzky. Es war ein Selbstfaller von der ÖVP, nicht mehr Othmar Karas aufzustellen. Er ist bekannt, steht für das Thema Europa. Hätte die ÖVP mit ihm gewonnen, hätte sie davon profititiert. Hätte sie mit ihm verloren, wäre er schuld gewesen. Jetzt muss sich Karl Nehammer erklären.
Was in Österreich momentan auffällt
Unser Problem ist die schlechte Stimmung. Ich kann das nicht ganz nachvollziehen. Bei den vielen Problemen, die wir haben, geht es doch einem recht großen Prozentsatz der Menschen recht gut.
Ob die Bundesregierung unter Wert geschlagen wird
Ja, sie hat auch einiges zustande gebracht. Abschaffung kalte Progression. Valorisierung der Sozialleistungen, einiges auch beim Klimaschutz. Was wäre gewesen, wenn die Regierung in der Coronazeit kein Geld ausgeschüttet hätte? Dann wäre sie dafür geschlagen worden. Jetzt motzt man darüber, dass zu viel Geld ausgegeben wurde. Man kann es nie allen recht machen.
Peter Hajek ist Geschäftsführer und Eigentümer von "Unique Research", promovierter Politikwissenschafter und akademisch geprüfter Markt- und Meinungsforscher. Er beschäftigt sich seit 25 Jahren mit empirischer Sozialforschung. Lehraufträge an Universitäten, Fachhochschulen.