Wahl-Kopfnüsse, Folge 18
Verstolpert die FPÖ auf den letzten Metern den Wahlsieg?
Zwei neue Umfragen sehen die ÖVP in Schlagweite zu den Freiheitlichen. Aber die Wasserstands-Meldungen wurden gemacht, als das Wetter gerade Österreich einschenkte. Deshalb: Vorsicht bei der Bewertung politischer Pegelstände.
Manchmal spielt es keine Rolle, ob du da bist. Denn selbst wenn du nicht da bist, bist du da. Vielleicht wird das als eine der Erkenntnisse aus diesem Wahlkampf übrigbleiben. Vielleicht aber auch nicht.
Hier spricht wieder meine KI zu Ihnen:
Dieser Tage stand ein junger Mann mitten am Rande des Hochwassergebiets der Landeshauptfrau von Niederösterreich gegenüber. Er trug eine Art dunkelrotes Präservativ als Pudelmütze auf dem Kopf, sein Mikro wies ihn als Mitarbeiter von Puls 24 aus und er stellte in Stimmlage Florian Klenk ein paar unbotmäßige Fragen an Johanna Mikl-Leitner. Vor allem, ob die Politik das Hochwasser nicht mit ausreichend genug Ernst gewürdigt habe und die Warnungen von Meteorologen in den aufbrausenden Wind geschlagen worden wären.
Journalistische Zweifel an der Zukunftssicht österreichischer Politiker sind selbstverständlich erlaubt, werden aber nicht gern gesehen. Würde der junge Mann mit dem Präservativ am Kopf einer Beschäftigung beim ORF Niederösterreich nachgehen, gäbe es für ihn natürlich weiter eine Karriereleiter, die allerdings hätte keine Sprossen mehr.
Da Johanna Mikl-Leitner aber nun ein Reporter vom Privatfernsehen gegenüberstand, hatte sie keinen direkten Zugriff auf sein berufliches Fortkommen. Wenn man die Option Ohrfeige ausschließt, hätte sie auf seine Frage einfach mit "nein" antworten können, aber das tat sie nicht. Sie brachte vielmehr den Begriff "Haku 100" in die Debatte ein und das mehrfach. Das Rätselraten begann.
Der Hochwasserschutz sei auf "Haku 100" ausgerichtet, man müsse unter "Haku 100" kommen, damit kein Hochwasser über "Haku 100" kommt, erklärte Mikl-Leitner. Daheim, an den Farbbildschirmen, begannen sich Menschen zu fragen, wer dieser "Haku 100" sei und wo der wohnt. Damit man Blumen vorbeischicken kann, denn der "Haku 100" vollbringt in der Hochwasser-Situation offenbar Heldentaten.
Beim "Haku 100" handelt sich in Wahrheit um "HQ 100", gemeint ist damit kein Headquarter mit 100 Direktoren. Das "H" steht für Hochwasser, mit "Q" wird wissenschaftlich das Wasservolumen bezeichnet, das abfließt. Oder zufließt. Oder durchfließt. "100" wiederum soll ausdrücken, dass ein solches Ereignis nur alle 100 Jahre vorkommt. Statistisch gesehen. Die Jahrhunderte tummelten sich zuletzt aber immer mehr. Nach 2002 und 2013 gab es nun in Niederösterreich das dritte Jahrhundert-Hochwasser innerhalb von 24 Jahren.
Bei einem Jahrhundert-Hochwasser rauschen in der Sekunde 11.200 Kubikmeter Wasser durch. Gemessen wird das etwa in Kienstock in der Wachau. Wenn man von einer gut gefüllten Badewanne mit 200 Litern ausgeht, dann sind 11.200 Kubikmeter Wasser übrigens 56.000 Badewannen. Pro Sekunde.
Damit hatte die Politik nicht gerechnet und deshalb sagte Johanna Mikl-Leitner zum jungen Mann mit dem Präservativ: "Also, wie viel Regen kommt, da gibt's immer wieder Prognosen. Ob die Prognosen dann stimmen oder nicht, das kann keiner von uns letztendlich vorhersehen." Es ist unklar, ob sie damit in der Tradition von George Bernard Shaw, Winston Churchill oder Nils Bohr stand, denn ihnen allen wird nachfolgendes Zitat zugeschrieben: "Prognosen sind schwierig, insbesondere wenn sie die Zukunft betreffen."
Das macht auch die politische Alltagsarbeit derzeit nicht leicht, denn in einer Woche sind Wahlen. In solchen Zeiten wird gern Kaffeesudleserei unter Zuhilfenahme von Glaskugeln betrieben, dem Handwerkszeug der Meinungsforscher. Es ist eigentlich unschicklich, in den letzten zwei Wochen vor einer Wahl Umfragen zu publizieren. Aber da das Wetter zuletzt auch keine Manieren zeigte, veröffentlichten sowohl der "Standard", als auch "Servus TV" in der vergangenen Woche Ergebnisse von Befragungen. Und was soll ich sagen: Kopf an Kopf. Geil!
In Österreich münden Wahlkämpfe traditionell in Kopf-an-Kopf-Rennen. Am Wahltag trennt die Parteien dann ein Haarriss oder der Grand Canyon, beides schon erlebt. Auch diesmal ist die Wahl Kopfsache. Bei "Market" (für den "Standard") liegen die Freiheitlichen mit 27 Prozent nur mehr zwei Prozentpunkte vor der Volkspartei, bei "OGM" (für "Servus TV") beträgt der Abstand gar nur mehr ein Prozentpunkt. Und, stimmt das? Keine Ahnung!
Beide Umfragen wurden mitten ins Hochwasser hinein durchgeführt, also von Montag bis Dienstag ("Market") oder von Montag bis Mittwoch ("OGM"). Es wird nicht einfach gewesen sein, Menschen zu finden, die knietief im Dreck stecken und gleichzeitig höflich darüber Auskunft geben, wem sie in zwei Wochen ihre Herzen zufliegen lassen. Der eine oder die andere könnte damit gedroht haben, seine Schaufel anderweitig zu verwenden als zum Beseitigen von Schlamm.
Umfragen sind sowieso Momentaufnahmen. Meine Erfahrung: Änderungen bilden sich erst nach einem Zeitraum von zwei bis drei Wochen ab. Wenn also ein Hochwasser kommt, dann wachen Menschen nicht am Tag danach auf und haben im Schlaf ihre politische Meinung verloren. Oder geändert. Das muss sickern und dauert oft länger als das Versickern von Wasser.
Ich habe in den vergangenen Monaten mehrfach mit Peter Hajek, auch so ein Glaskugler, über die Wahl gesprochen. Er fand das Ergebnis eigentlich gesetzt, mit der Einschränkung: "Außer es passiert etwas." Und jetzt ist schon wieder was passiert.
Das Hochwasser hat dafür gesorgt, dass der Großteil der anderen Kandidaten aus der medialen Öffentlichkeit geschwemmt wurde und wir Nehammer-Filmfestspiele erleben. Die Bühne gehörte ihm allein. Der Kanzler als Macher, als Krisenmanager, als Einsatzleiter, als Organisierer, als Mutzusprecher, als Opferversteher, als Hilfezusager, als Millionen-von-der-EU-Abholer. Er dominierte in dieser Woche das Geschehen, egal, ob er auftrat oder nicht. Vor allem im Fernsehen gab Nehammer oft Soloabende.
Die Elefantenrunde auf "Servus TV" wurde abgesagt, im ORF gab es nur zwei Duelle, das engte den Raum für alle anderen zusätzlich ein. Ein Blick auf die Foto-Datenbank der "Austria Presse Agentur" (APA) macht das deutlich. Sie ist die Bezugsquelle für weitgehend alle Medien des Landes, Print und digital. Was nicht selbst fotografiert wird, stammt großteils von hier. Von Montag bis Samstag dieser Woche zeigt sich beim Bild dieses Bild:
Zahl der Fotos in der Datenbank (16. 9. bis 21. 9.)
- Karl Nehammer: 192 Fotos Das Hochwasser-Wochenende ist da gar nicht dabei
- Andreas Babler: 36 Fotos Alle 36 stammen vom TV-Duell mit Kickl am Freitag, sonst kam er genau 0 Mal vor
- Herbert Kickl: 61 Fotos Über die Hälfte (35) davon zeigt ihn in der Babler-Debatte, 14 bilden (beschmierte) Plakate ab
- Werner Kogler: 82 Fotos Die Mehrzahl (46) stammt aus gemeinsamen Auftritten mit Nehammer
- Beate Meinl-Reisinger: 27 Bilder Bis auf 7 alle aus einer Pressekonferenz
Von Nehammer finden sich also fast so viele Fotos in der APA-Datenbank wie von den anderen vier zusammen. Und Kogler "überlebte" medial nur, weil ihn der Kanzler im Schlepptau hatte, einmal im ORF-Duell, einmal bei einer Pressekonferenz. Von keinem einzigen Spitzenkandidaten der vier Kleinparteien findet sich auch nur ein Bild in der Datenbank.
Daran wird sich auch in der letzten Woche vor der Wahl nichts ändern. Der Kanzler wird den Wohltäter spielen und den Kümmerer, sein Amt gibt das her. Für die anderen bleiben Brosamen.
Ich wünsche einen Bilderbuch-Sonntag. In einer Woche um diese Zeit zittern wir schon dem Wahlergebnis entgegen. Weil wir uns davor fürchten. Oder weil es nur höchstens 16 Grad haben soll. Bis morgen!
Alle bisherigen Wahl-Kopfnüsse
- Alle bisherigen Wahl-Kopfnüsse
- Folge 1: So wurde ich für den Kanzler zu einer KI
- Folge 2: Bestäubungs-Staberln und ein Wasserträger
- Folge 3: "Natürlich hat er das, ich bin kein Vollidiot"
- Folge 4: Zwischen starker Mitte und Impotenz
- Folge 5: So führt uns der Kanzler in Wien aufs Glatteis
- Folge 6: Die Volkspartei und ihr Tom Cruise von Kagran
- Folge 7: Brandherde, Brandreden und eine Brandmauer
- Folge 8: Hurra, Hurra, der Bildungsminister ist da!
- Folge 9: Halleluja, endlich wird der Wahlkampf göttlich
- Folge 10: Fasst Euch doch an die eigene Nase!
- Folge 11: Und Ihr wollt echt eine Koalition eingehen?
- 11 Folgen in einer Story gesammelt
- Folge 12: Geben Gummistiefel dem Wahlkampf Gummi?
- Folge 13: Das Hochwasser und ich, aber wo ist der Kanzler?
- Folge 14: Wieso ein Alarm in Österreich nicht einfach ein Alarm ist
- Folge 15: Bitte macht jetzt keine Instagram-Show daraus!
- Folge 16: Warum die Politiker den Gummihammer auspacken
- Folge 17: Wie sich die Volkspartei beim Geschlecht irrte
- 17 Folgen in einer Story gesammelt