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Von wem zapft die Bierpartei jetzt Wähler ab, Herr Hajek?

Dominik Wlazny tritt fix bei der Nationalratswahl an: Was das für SPÖ, Grüne und die FPÖ heißt, wie die EU-Wahl wird, ob Karoline Edtstadler für die ÖVP Fluch oder Segen wäre: Polit Experte Peter Hajek analysiert.

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Also ja! Dominik Wlazny tritt mit seiner Bierpartei bei der Nationalratswahl am 29. September an. Am Dienstag machte er alles fix, obwohl er von den 1,2 Millionen Euro angepeilter Spendensumme nur etwas über die Hälfte einkassieren konnte. "Unser Glas ist mehr als halbvoll", sagte er, redete knapp fünf Minuten, Fragen waren keine erlaubt. Nächste Woche, am 8. Mai, soll es mit einer Pressekonferenz weitergehen, "mit mehr G´sichtern als das meinige", schloss er den Medientermin ab.

Mit Johannes Anzengruber hatte schon am Sonntag ein neuer politischer Kopf die politische Arena betreten. Der ÖVP-Rebell gewann die Stichwahl um den Innsbrucker Bürgermeister. Was lässt sich aus der Regionalwahl ablesen? Wie mischt das Antreten von Dominik Wlazny die politische Landschaft in Österreich auf? Wie geht die Nationalratswahl aus? Peter Hajek ist Meinungsforscher, Uni-Lektor und Polit-Analyst im TV. Was er über Österreich im Moment zu sagen hat:

Peter Hajek, Meinungsforscher, Politologe, Uni-Lektor und Politik-Experte
Peter Hajek, Meinungsforscher, Politologe, Uni-Lektor und Politik-Experte
Helmut Graf

Was es aus dem Sieg vom Johannes Anzengruber in Innsbruck zu lernen gibt
Relativ wenig, weil der Blick auf Kommunalwahlen überschätzt wird. Aber erstens: Auf kommunaler Ebene können neue Gruppierungen deutlich schneller in politische Verantwortung kommen. Zweitens: Dass die KPÖ derzeit ein Momentum hat, denn sie hat in Innsbruck aus dem Stand 6,7 Prozent gemacht und das letzte Mal nicht einmal kandidiert.

Ob er für Innsbruck Umfragen gemacht hat
Ja, eine. Für Johannes Anzengruber im Oktober 2023.

Was untersucht werden sollte
Sein Potenzial.

Wann die Umfrage gemacht wurde
Am 19. Oktober ist er mit seiner eigenen Liste rausgegangen. Schon am 13. Oktober haben wir die Feldarbeit gestartet.

Was bei der Umfrage rauskam
Wir haben damals schon gesehen, dass Anzengruber beim Thema Vertrauen, Sympathie, auch Bekanntheit deutlich vor dem Mitbewerb lag, also vor Willi, vor Lassenberger, vor Tursky sowieso.

Warum die Umfragen etwa bei der FPÖ und bei Tursky so weit daneben lagen
Das Problem ist: Je kleiner der zu befragende Raum wird, desto schwieriger wird die Befragung. Das Festnetz ist die letzte verlässliche Quelle. Bei Handynummern wissen sie ja nicht, wo die Leute her sind. Es dauert, bis sie jemanden mit einer Mobilnummer aus Innsbruck an den Hörer bekommen und es wird wahnsinnig teuer. Das heißt, sie stoppeln sich da so eine Stichprobe zusammen. Also ich würde bei kommunalen Befragungen bei der Sonntagsfrage immer wahnsinnig vorsichtig sein.

Ja, ich trete an: Bierparteichef Dominik Wlazny am 30. April 2024 in der Wiener Concordia
Ja, ich trete an: Bierparteichef Dominik Wlazny am 30. April 2024 in der Wiener Concordia
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Ob eine bürgerliche Bewegung wie Anzengruber, etwa mit Andreas Treichl, ehemaliger Chef der Erste Bank, an der Spitze, auch im Bund eine Chance hätte
Ich glaube nicht. Ist die Mitte frei? Nein, die Mitte ist nicht frei. Es ist ja nicht so, dass eine Partei aus der Taufe gehoben wird und die Leute sagen: "Endlich ist jemand aus der Mitte da!" Die Mitte ist ein beweglicher Begriff.

Was das in der Praxis heißt
Ich habe 2016 für die Wiener Grünen eine Umfrage gemacht. Bei der Präsentation habe ich gesagt, dass die Hälfte der Grünen-Wählerschaft der Meinung ist, dass Sebastian Kurz als Außenminister eine gute Außenpolitik macht. Die sind dort verfallen. "Wo ist das Problem", habe ich geantwortet. "Die setzen sich nach wie vor für Gleichberechtigung ein, sind für Klimaschutz, aber sie sagen halt, dass Kurz aus ihrer Sicht eine gute Außenpolitik macht, deshalb sind die ja nicht rechts, die sind weiterhin links." Dieses Rechts-Links-Schema ist eine ganz gute Einordnung, aber grundsätzlich ist die Mitte besetzt, es gibt nicht  d i e  Partei dort, das kann man vergessen.

Das heißt, so eine Bewegung wäre chancenlos
Nein, das sage ich nicht. Ich glaube aber, dass manche Politiker eher in diese Mitte hineinwachsen. Ein klassisches Beispiel sind so "Langeweiler" wie Peter Kaiser oder Anton Mattle in Tirol, die zuerst keiner ernst nimmt. Dann werden die beiden in ihre Funktionen gewählt und die Menschen merken: Ah, da ist jemand, der macht eine ganz solide, unaufgeregte Politik. Das wird dann honoriert. Wir Wählerinnen und Wähler sind komische Subjekte, oder?

Was das Antreten der Bierpartei bei der Nationalratswahl bedeutet
Dominik Wlazny hat alle Chancen. Wenn er in den Nationalrat einzieht und die Kommunisten auch – das erste Mal seit 1959 –, dann haben wir ein Parlament mit sieben Parteien und dann wird es wirklich schwer, insbesondere bei der Regierungsbildung.

Konzert von Marco Pogo alias Dominik Wlazny mit seiner Band Turbobier am 15. März 2024 im Linzer Posthof
Konzert von Marco Pogo alias Dominik Wlazny mit seiner Band Turbobier am 15. März 2024 im Linzer Posthof
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Was die Folge davon ist
Wlazny wird das System ein bisschen durcheinanderwirbeln, weil er ein ganz anderer Typ ist. Ein Rockstar, ein New Kid on the Block. Er bringt etwas anderes ein als das bisherige Establishment und damit spricht er Wählerinnen und Wähler an.

Was sein Risiko ist
Frage Nummer eins ist, wie er den Wahlkampf anlegt, ob er sich möglicherweise um Kopf und Kragen redet. Die zweite Frage ist, was er für eine Art von Politik macht. Was wir aus dem Bezirksparlament Simmering hören, wo er ja ein Mandat hat, ist, dass er dort sehr solide und ordentlich mitarbeitet.

Wem er Stimmen wegnimmt
Wir haben gefühlt lauter Protestparteien in Österreich. Sogar die ÖVP protestiert gegen die freiheitliche Partei. Aber ich habe mir noch einmal die aktuelle Umfrage angeschaut, die wir fürs "Profil" gemacht haben. Da sieht man, dass Wlazny querbeet geht. Also er sammelt sowohl links als auch rechts ein, das Protestpotenzial also. Er nimmt tendenziell den Neos ein bisschen mehr weg als den Grünen. Von der FPÖ jene Menschen, die Kickl in den letzten Monaten zugeflogen sind. Das heißt, er tut eigentlich bis zu einem gewissen Grad allen irgendwie weh.

Die KPÖ hat mit dem Wohnen ein Leitthema, die Bierpartei keines. Macht das den Wahlkampf schwieriger oder einfacher?
Das ist die Gretchenfrage. Die KPÖ hat überdies eine Struktur, dazu ideologisch gefestigte Funktionärinnen und Funktionäre. Sie wissen, was Wahlkampf ist und das alles hat Wlazny nicht.

Was das in der Praxis bedeutet
Er muss jetzt in die Bundesländer gehen und Sprechtage machen. Es werden sich Menschen bewerben, die werden ihm einen Lebenslauf zuschicken und dann sitzt er denen fünf Minuten gegenüber und sagt: "Du bist dabei, du bist nicht dabei." Da ist dann immer ein faules Ei dabei. Wahlkampf heißt immer Fehlerminimierung.

Wie so ein Fehler ausschauen kann
Angelika Mlinar zum Beispiel, Europawahl 2014, Privatisierung von Wasser. Sie hat das nie so gesagt, aber es war so interpretierbar. Da sind die Umfragen von einem Tag auf den anderen von 14 Prozent auf acht Prozent gefallen. Nie wieder aufholbar. Ein Fehler hat in einem Wahlkampf viel, viel stärkere Auswirkungen als ein gut gesetztes Thema.

Peter Hajek, Meinungsforscher, Politologe, Uni-Lektor und Politik-Experte im Gespräch mit Christian Nusser (Newsflix)
Peter Hajek, Meinungsforscher, Politologe, Uni-Lektor und Politik-Experte im Gespräch mit Christian Nusser (Newsflix)
Helmut Graf

Wie Wlazny attackiert werden wird
Man wird sicher sagen, er weiß nicht, was er sagt, er steht für nichts, er hat keine Erfahrung, er ist politisch instabil. Das Risiko für die Kritiker dabei ist, dass ihn das auch größer machen kann.

Warum die ÖVP im EU-Wahlkampf auf Verbrennermotoren setzt
Keine Ahnung. Wir wissen schon, das ist natürlich ein Thema. Aber deswegen entscheidet sich kein Mensch für eine Partei. Aber vielleicht ist die ÖVP bei Meinungsumfragen draufgekommen, dass das doch ein brennendes Thema ist.

Warum die SPÖ das Thema EU-Wahl so klein hält
Naja, Andreas Schieder in Ehren, ein langgedienter Politiker, aber halt nicht der klassische Vote-Getter. Aber vielleicht denkt man sich, wir lassen Andreas Babler mit seinem Themen-Set wirken und das färbt dann auf die Sozialdemokratie ab.

Ob sich die FPÖ als einzige "EU-feindliche" Partei leicher tut
Ja klar, wir wissen ja aus Studien, dass die Österreicher zu jenen Europäern gehören, die der EU gegenüber am kritischsten eingestellt sind. Das macht sich die freiheitliche Partei zunutze.

Ob die Grünen mit Lena Schilling die richtige Wahl getroffen haben
Es ist schwer, das einzuschätzen, es gibt ja kaum Umfragen. Ich gehe davon aus, dass sie in ihrer Zielgruppe ganz gut ankommt. Ob sie sich behaupten kann, wird man erst in den TV-Duellen sehen.

Wie die EU-Wahl ausgeht
Wir glauben nicht, dass der Trend bei der Europaparlamentswahl so viel anders ist als aktuell in den Bundeswahlen.

Interview mit der grünen Spitzenkandidatin für die EU-Wahl 2024 Lena Schilling am 5. Februar 2024
Interview mit der grünen Spitzenkandidatin für die EU-Wahl 2024 Lena Schilling am 5. Februar 2024
Helmut Graf

Welche Parteien derzeit welche Zielgruppen erreichen
Die FPÖ ist mittlerweile auch in die ältere Wählerschaft eingedrungen und hat dort insbesondere den Sozialdemokraten, aber auch der ÖVP Stimmen weggenommen. Die ÖVP ist eine recht überaltete Partei, sehr stark ländlich geprägt, während die Sozialdemokraten stärker städtisch geprägt sind. Ich muss aber jetzt mit einem Vorurteil aufräumen, nämlich dass die freiheitliche Partei ein Problem in den Städten hätte. Das stimmt schlicht und ergreifend nicht. Sie hat möglicherweise ein Problem in den Großstädten, also in Wien, wenn wir aber den urbanen Bereich in Österreich ab 5.000 Einwohner nehmen, dann hat sie dort überhaupt kein Problem.  Da hat es schon Verschiebungen gegeben.

Was einen klassischen FPÖ-Wähler ausmacht
Er ist von einer starken Wut getrieben, dass die Dinge im Land nicht so laufen, wie er es gerne hätte. Es ist auch eine Wählerschaft, die sehr gerne beschützt wird und Herbert Kickl vermittelt ihnen das Bedürfnis, etwa durch seine Festungs-Metapher.

Was ein unterschätztes Problem in der Politik ist
Unser ganzes Leben ist verdammt schnell geworden. Wir machen Termine in Sekundenschnelle aus. Wir sind permanent informiert und dann erwarten wir, dass die Politik genauso entscheidet. Die Politik kann aber nicht so entscheiden. Das demokratische Ringen ist ein echtes Ringen, das dauert halt länger. Ich glaube, das haben wir noch nicht so verinnerlicht und das machen sich linke wie rechte Parteien zunutze.

Ob Karoline Edtstadler die bessere ÖVP-Kandidatin wäre
Das sehe ich nicht so. Wenn sie das wäre, dann hätte sie nicht auf die 41-Stunden-Woche gesetzt, zumindest nicht in der Art und Weise. Sie hätte den Ball aufnehmen können, also sagen, 41 Stunden wollen wir nicht einführen, aber die 32 Stunden der SPÖ sind Fantasterei, es fehlen Fachkräfte am Arbeitsmarkt. Wir sind dafür, dass sich Leistung auszahlen muss und der, der mehr arbeitet, soll auch mehr verdienen.

Europaministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) bei einer Pressekonferenz Arbeitsgruppe "Jugendkriminalität" im Innenministerium
Europaministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) bei einer Pressekonferenz Arbeitsgruppe "Jugendkriminalität" im Innenministerium
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Warum das besser gewesen wäre
Sie hätte ein Thema gesetzt, wäre mit der Sozialdemokratie in ein Match eingestiegen und die Freiheitlichen wären draußen gewesen, weil sie zu dem Thema meistens sehr, sehr wenig beitragen. Sie haben Angst, dass sie in ihrer mittlerweile sehr heterogenen Wählerschaft den einen oder den anderen Teil vergraulen.

Ob Andreas Babler der beste Kandidat für die SPÖ ist
Er hat sich und die Partei schon sehr klar links positioniert, mit relativ klar erkennbaren Konzepten. Es ist schon ganz ersichtlich, wo er hin will. Das ist das Positive. Aber er spricht keine Wählerschaften über das sehr klassische Spektrum der Sozialdemokratie hinaus an. Und was er definitiv nicht geschafft hat: In der Kanzlerfrage, also wenn Menschen den Kanzler direkt wählen könnten, liegen Kickl und Nehammer doch signifikant vor ihm.

Ob die Nationalratswahl schon entschieden ist
Sie ist dann entschieden, wenn nichts mehr Aufregendes passiert, also ein Ereignis von außen tritt ein, eine Partei macht einen groben Fehler. Aber grundsätzlich ist die Stimmung in der Wählerschaft für die einzelnen Parteien schon relativ verfestigt.

Peter Hajek ist Geschäftsführer und Eigentümer von "Unique Research", promovierter Politikwissenschafter und akademisch geprüfter Markt- und Meinungsforscher. Er beschäftigt sich seit 25 Jahren mit empirischer Sozialforschung. Lehraufträge an Universitäten, Fachhochschulen

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