Kopfnüsse
Warum das blaue Wunder blau war, aber kein Wunder
Die FPÖ gewann die Steiermark-Wahl uhrturmhoch. Für die Koalitions-Triathleten in Wien wird es nun ruppig. Sie lernen: Der Gegenwind ist stärker als gedacht. Und wer bei Reformen heilige Kühle schlachtet, kommt selber unters Messer. Kostet das den Kanzler den Job?
Die Untergruppe "Gesundheit und Pflege" tritt am Dienstag erstmals zusammen. Die Runde ist hochkarätig besetzt. Fünf Verhandler konnten die Parteien pro Gruppe nennen, das Kontingent wurde in diesem Fall von allen voll ausgeschöpft und das hat gute Gründe.
Mit KI-Stimme: Warum das blaue Wunder blau war, aber kein Wunder
Für Gesundheit gibt Österreich im Jahr rund 50 Milliarden Euro aus, ein Fünftel des Budgets. Die Zufriedenheit mit der medizinischen Versorgung hat in den letzten Jahren trotzdem deutlich abgenommen. Im Vorjahr sagten bei einer Umfrage 95 Prozent der Befragten, dass sich das Gesundheitssystem im Land verschlechtert habe.
Für die Politik ergibt sich daraus eine toxische Mischung. Medizin wird immer teurer, der Staat hat aber immer weniger Geld. Es gibt immer mehr ältere Menschen, der Bedarf an Versorgung steigt. Die älteren Menschen sind aber nicht einfach nur alt, sondern auch Wählerinnen und Wähler. Wer sie verprellt, braucht selbst bald einen Arzt, zumindest einen zum Händchenhalten.
Es besteht also ein erheblicher Reformbedarf und darüber soll in den Regierungs-Verhandlungen geredet werden, vor allem in der Untergruppe "Gesundheit und Pflege". Es sind keine Termine, die man sich unter dem Titel Wellness in den Kalender schreibt.
Das wissen auch die Parteien. Die SPÖ entsendet deshalb ihren Klubobmann Philip Kucher und Andreas Huss, Obmann der Österreichischen Gesundheitskasse, dazu den streitbaren Wiener Gesundheitsstadtrat Peter Hacker in die Untergruppe. Er trifft auf Christine Haberlander, ÖVP-Gesundheits-Landesrätin aus Oberösterreich.
Die Musik wird aber vermutlich woanders spielen. Die NEOS schicken die ehemalige ÖVP-Gesundheitsministerin Andrea Kdolsky in den Ring. Das kontert die ÖVP mit Ex-Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka.
Beide sind nicht auf den Mund gefallen, beide verbindet eine Fehde aus gemeinsamen Tagen in Niederösterreich. Kdolsky war Geschäftsführerin der Landeskliniken-Holding, Sobotka Landeshauptmann-Stellvertreter. Das Selbstbewusstsein ist ihm nicht erst im Parlament zugeflogen, Kdolsky war auch nie ein Kind von Traurigkeit.
Als sie zur Ministerin befördert wurde, soll sein Stoßseufzer weit über Waidhofen hinaus hörbar gewesen sein.
Nun sollen sich die zwei Alpha-Menschen mit 13 anderen Alpha-Menschen bei der Gesundheitsreform zusammenstreiten. Wie sehr das Thema im Blickpunkt steht, erfuhren die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Gruppe in den letzten Tagen. Da gingen ihnen unaufgefordert Positionspapiere von 10 Stakeholdern zu, von der Apothekerkammer über die Pharmaindustrie bis zur Ärztekammer war alles dabei.
Am Sonntag kam ein weiteres Positionspapier dazu: abgeschickt von der Wählerschaft aus der Steiermark.
Es lässt sich nicht behaupten, dass es sich um ein Problem handelt, das über Nacht aufgetreten ist. In der Steiermark wird seit acht Jahren über die Neuordnung der Krankenhauswelt debattiert. 2016 war der "Steirische Gesundheitsplan 2035" präsentiert worden. Er sieht vor, dass es im Land in Zukunft nur mehr zehn Leitspitäler geben soll, je eines in den sieben Regionen und drei im Großraum Graz.
Es ist nur so, dass es derzeit in der Steiermark 29 Krankenhäuser gibt und man kann durchaus in der Schule einige Stunden Mathematik versäumt haben, aber trotzdem ohne viel Schwierigkeiten erkennen: 29 Spitäler sind mehr als 10 Spitäler. Es müssen also ein paar zugesperrt werden. Der Begriff wird nicht mehr gern verwendet. Statt "schließen" heißt es jetzt häufiger "optimieren".
Die Optimierung führt im Bezirk Liezen dazu, dass in der Gemeinde Stainach-Pürgg das Klinikum Stainach geplant wurde. Das Leitspital soll alle Stückerln spielen: Drei Baukörper, 228 Betten, zehn medizinische Abteilungen, alles da, von der Kinderambulanz bis zur Palliativbegleitung. 500 Parkplätze, trotzdem "nachhaltig gebaut", eine "Architektur fürs Wohlbefinden" verspricht die Betreibergesellschaft. Aber sie wird nun wohl Bauherrin eines Luftschlosses.
Am Luftschloss sollte ab dem nächsten Jahr gewerkt werden, die meisten Genehmigungen liegen vor. Kosten: 334 Millionen Euro. Fertigstellung: Sommer 2028. Wird es dazu kommen? Nein!
Ein "Leitspital" in Stainach-Pürgg heißt, dass drei andere Spitäler wegoptimiert werden, also zugesperrt – die Kliniken in Rottenmann, Bad Aussee und Schladming. Dort wird derzeit nicht internationale Spitzenmedizin betrieben, aber die räumliche Nähe eines Spitals vermittelt der Bevölkerung das Gefühl von medizinischer Sicherheit und genau darin lag nun das Problem.
Bei der Landtagswahl in Rottenmann kam die FPÖ am Sonntag auf 63,2 Prozent. Sie legte 35,4 Prozentpunkte zu. Fast zwei Drittel der Bevölkerung wählten sie. Für die Blauen war es das beste Ergebnis im gesamten Bundesland. Die Stimmen dafür hatten ihr die beiden steirischen Regierungsparteien über den Zaun geworfen.
Die ÖVP verlor 9,6 Prozentpunkte, sie kommt im Rottenmann auf nur mehr auf 5,1 Prozent, das ist der sechste und letzte Platz, sogar hinter den Grünen. Die SPÖ büßte gleich 19,8 Prozentpunkte ein, schaffte gerade noch 9 Prozent, wurde aber von den Kommunisten überholt (9,4 Prozent).
In Bad Aussee erwischte es die Türkisen und die Roten nicht ganz so arg, aber übel genug. Auch hier siegten die Freiheitlichen mit 34,5 Prozent und einem Plus von 23,4 Prozentpunkten. Im Weltcup-Ort Schladming schaffte es die FPÖ auf 51 Prozent, sie gewann 22,7 Prozentpunkte dazu. Die SPÖ fiel sogar hinter die NEOS zurück.
Es war schon am Wahlabend in der Steiermark klar, dass es ein Klinikum Stainach nicht geben wird. Alle drei bisherigen Spitäler sollen erhalten bleiben, Rottenmann wird Leitspital, in den beiden anderen Orten entstehen Spezialkliniken.
Die Regierungs-Verhandler in Wien werden das als Nackenschlag wahrgenommen haben. Denn was in der Steiermark geplant war, sollte zum Muster für ganz Österreich werden. Seit Jahren ist bekannt, dass es viel zu viele Krankenhäuser im Land gibt. Sie verursachen enorme Kosten und vermitteln gleichzeitig der Bevölkerung ein trügerisches Bild von idealer Nahversorgung.
Tatsächlich werden in vielen regionalen Krankenhäusern Legionen von Operationen in viel zu geringer Anzahl durchgeführt. Es fehlt die medizinische Routine. Das Groteske: Der Bevölkerung ist das meist klar, sie lässt sich im Akutfall lieber in ein Spital in einer größeren Stadt bringen, das Krankenhaus im Ort wird trotzdem verteidigt bis zum letzten Atemzug.
Die FPÖ weiß das und sie weiß am besten von allen Parteien, daraus Kapital zu schlagen. Das ist eine der bitteren Botschaften aus der Steiermark an die Triathleten in Wien, die sich gerade daran machen, das Land umzukrempeln und neu zu denken: Reformen finden alle super, aber nur so lange sie andere betreffen. Sonst ist schnell Schluss mit lustig.
Diese alte, aber nun wiedergewonnene Erkenntnis wird die fragile Welt der Verhandler noch zerbrechlicher machen. Mit einem Sieg der Freiheitlichen war gerechnet worden, er war "eingepreist", aber die Deutlichkeit löst nun Panik aus. Vor allem in der Volkspartei.
Dazu kommt: Der geplanten Dreier-Koalition weht ein noch schärferer Wind der Skepsis entgegen als ohnehin gedacht. Und die Entscheidung des Bundespräsidenten, die FPÖ bei der Regierungsbildung zu übergehen, wird von vielen nicht sportlich genommen.
Im Fernsehen versuchten sich die türkisen Funktionäre am Sonntagabend noch an Beschwichtigungen. Aber im Laden brennt es längst lichterloh. Der Flügel aus Industrie und Wirtschaft wird sich nun noch deutlicher gegen die Verhandlungen mit SPÖ und NEOS aussprechen und einen Schwenk Richtung FPÖ einfordern.
Auch für Kanzler Karl Nehammer wird es ungemütlich. Hinter vorgehaltener Hand wird in der ÖVP längst über Sinn und Unsinn seiner FPÖ-Strategie debattiert. Nehammer hatte eine Koalition im Bund mit einer Freiheitlichen Partei unter Herbert Kickl ausgeschlossen, das wird nach dem Steiermark-Ergebnis offen hinterfragt werden.
Es wird interessant sein zu beobachten, wer in der Volkspartei dabei die Wortführerschaft übernimmt. Das Thema rückt jedenfalls ganz nahe an den Kanzler heran und kann ihm im äußersten Fall sogar den Job kosten.
Am 26. Jänner finden in Niederösterreich Gemeinderatswahlen statt. Bei der Nationalratswahl am 29. September holten sich die Freiheitlichen 198 der 573 Gemeinden, über ein Drittel also. In 21 Gemeinden kamen die Blauen über 40 Prozent. Für die Bürgermeisterpartei ÖVP eine Katastrophe. Es ist schwer vorstellbar, dass sich Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner ihrem Schicksal ergibt und nicht in der Bundespartei auf den Tisch haut.
Für die NEOS stellt sich die Frage, ob in einem solchen Klima Reformen noch durchführbar erscheinen. Für die SPÖ, ob sie in einer Kompromiss-Koalition unter diesen Budgetbedingungen an einen eigenen Aufschwung glaubt. Oder nicht eher Angst haben muss, in der Bedeutungslosigkeit zu versinken.
Politisch sind wir von einem Weihnachtsfrieden weit entfernt.
Ich wünsche trotzdem einen friedvollen Start in die Woche. Bis in einer kleinen Weile!