"Nosferatu"

Warum das Grauen vor 100 Jahren grauenvoller war

Das Kinojahr 2025 beginnt mit der Neuadaption eines Horror-Klassikers: US-Regisseur Robert Eggers ("Der Leuchtturm") nimmt sich F. W. Murnaus "Nosferatu" aus dem Jahr 1922 vor – und scheitert dabei in stilistischer Schönheit. Ab sofort im Kino.

Gibt im wahrten Sinne des Wortes alles: Lily-Rose Depp ist als Ellen Hutter in "Nosferatu" Ziel und Lebenssinn des blutsaugenden Grafen aus Transsylvanien
Gibt im wahrten Sinne des Wortes alles: Lily-Rose Depp ist als Ellen Hutter in "Nosferatu" Ziel und Lebenssinn des blutsaugenden Grafen aus Transsylvanien
2024 FOCUS FEATURES LLC
Christian Klosz
Uhr
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In der Riege der inflationär die Bildschirme überschwemmenden Remakes und Reboots klingt eine Neuverfilmung von "Nosferatu" zumindest auf dem Papier nachvollziehbar und sinnvoll – im Gegensatz zu so manch anderem Beispiel. Mehr als 100 Jahre ist es her, als Friedrich Wilhelm Murnau der Weimarer Republik mit seinem Horror-Stummfilm das Grauen lehrte, bald 50 Jahre sind seit Werner Herzogs Neufassung mit Klaus Kinski in der Hauptrolle vergangen.

Gothic-Adaption des Horror-Profis Regisseur Robert Eggers hat sich einen Ruf als Horror-Auteur erarbeitet, dessen Filme vergangene Epochen in düsterem Gothic-Stil filmisch rekonstruieren. Er ist so die logische Wahl für die "Nosferatu"-Neufassung: In Eggers Film "Der Leuchtturm" war es die Küste Maines Ende des 19. Jahrhunderts, in "The Northman" die Zeit der Wikinger um das Jahr 1000. Nun nimmt er sich erstmals eines vorhandenen Stoffes an und lässt das Transsylvanien des 19. Jahrhunderts wiederauferstehen.

Soll dem sinistren Grafen ein Anwesen in Deutschland verkaufen: Der Makler Thomas Hutter (Nicholas Hoult) ahnt nicht, mit wem er sich da einlässt
Soll dem sinistren Grafen ein Anwesen in Deutschland verkaufen: Der Makler Thomas Hutter (Nicholas Hoult) ahnt nicht, mit wem er sich da einlässt
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Verbotene Dracula-Kopie Wem all das bekannt vorkommt, der irrt nicht: Denn der Original-"Nosferatu" aus 1922 ist seinerseits eine Adaption von Bram Stokers "Dracula", der wiederum auf rumänischen Vampir-Märchen gründet. Murnau nannte Dracula Graf Orlok, kopierte aber die Handlung sonst weitgehend von dem literarischen Vorbild. Da aber seine Verfilmung nicht offiziell autorisiert war, kam es zu einem Rechtsstreit mit Stokers Nachfahren, der in einem Verbot des Films endete: Alle Kopien mussten per gerichtlicher Anordnung vernichtet werden. Es war pures Glück, dass einige Filmrollen überlebten - und "Nosferatu" heute bedeutender Bestandteil des Filmkanons sein kann.

Altbekannte Handlung Bekannt dürfte also auch die Handlung sein. Eggers reichert den Stoff um eine psycho-sexuelle Komponente an, bleibt aber sonst weitgehend bei den Vorbildern: Der Immobilienmaker Thomas Hutter wird zu einem ominösen Grafen in Transsylvanien gerufen, der ein Anwesen in Hutters deutscher Heimatstadt kaufen will, Hutter soll den Vertrag zur Unterzeichnung vorbeibringen.

Das Grauen im Osten Doch des Grafen Kaufabsicht erfolgt nicht ohne Hintergedanken: Seit Jahren sucht er Hutters nunmehrige Ehefrau Ellen in (Sex-)Träumen heim. Aus Sorge, ihre Vermählung mit dem Makler könnte sie, die ihn einst aus seinem Totenschlaf erweckte, ihm entreißen, möchte er ihr auch physisch nahe sein. Von all dem weiß Hutter freilich nichts, er sieht in der Reise in die Ferne lediglich einen beruflichen Auftrag. Die Alpträume und düsteren Vorahnungen seiner Frau gelten als hysterische Wahn-Anfälle. So macht sicht Hutter auf Richtung Osten, nicht ahnend, dass dort das Grauen auf ihn wartet.

Horror-Clown als Blutsauger Während im Original der Schauspieler Max Schreck (nomen est omen) den dämonischen Vampir so genial verkörperte, dass seine Filmfigur ikonisch wurde (Spitzohren, lange Fingernägel, totenblasses Gesicht), übernimmt in Eggers' Version Bill Skarsgård die Rolle des Grafen. Der war zuletzt schon in einem anderen Remake, nämlich "The Crow", als Titelfigur zu sehen gewesen und hatte davor als Horror-Clown "Pennywise" in den "Es"-Remakes nach Stephen King die Kinosäle unsicher gemacht.

In seiner transsylvanischen Heimat wird es für den Grafen Orlok alias Nosferatu langsam ungemütlich
In seiner transsylvanischen Heimat wird es für den Grafen Orlok alias Nosferatu langsam ungemütlich
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Renfield spielt Hutter Interessant ist auch die Wahl von Nicholas Hoult als Immobilienmakler Thomas Hutter, der der Figur des Renfield aus Bram Stokers "Dracula" entspricht: Denn Hoult hatte bereits 2023 eben jenen Renfield in der gleichnamigen Komödien-Adaption von Chris McKay gespielt, in der dieser in einer "toxischen Beziehung" mit Dracula - gespielt von Nicolas Cage - feststeckt. Seine Frau Ellen wird übrigens von Lily-Rose Depp, Johnny Depps Tochter, dargestellt.

Schattengestalt im Schatten Der erste, große Unterschied zwischen Murnaus Film und Eggers Neufassung betrifft die filmische Darstellung der Hauptfigur: Während das Original gerade von der expliziten Optik, den ikonischen Aufnahmen des spindeldürren Grafen lebt, sieht man Orlok im neuen "Nosferatu"-Film die ganze Spielzeit über kaum. Der Skarsgård-Orlok bleibt stets in Schatten und Dunkelheit gehüllt, sein Aussehen kann man nur schemenhaft erahnen.

Professor Albin Eberhart von Franz (Willem Dafoe) versucht, Hutters Frau Ellen (Lily-Rose Depp) vor dem Zugriff des Blutsaugers zu beschützen …
Professor Albin Eberhart von Franz (Willem Dafoe) versucht, Hutters Frau Ellen (Lily-Rose Depp) vor dem Zugriff des Blutsaugers zu beschützen …
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Dröhnende Dunkelheit Die Dunkelheit bevölkert auch sonst Eggers' "Nosferatu", der für Fans des Regisseurs viel Gewohntes bietet: Bilder und Atmosphäre sind düster, die Kamera spielt mit dem Licht, der Stilwille trieft aus jeder Aufnahme. Und auch dem Ton (nicht der Musik) kommt - wie in anderen Eggers-Filmen - eine besondere Bedeutung zu: Die tiefe, akzentreiche, markante Stimme des Sarsgård-Orlok untermalt dröhnend die Bilder, sie wird so selbst zum Darsteller, die wohl die physische Absenz kompensieren und der kaum sichtbaren Figur Präsenz verleihen soll.

Steriler Horror ohne Biss Doch auch "Nosferatu" krankt an den selben Symptomen wie andere Eggers-Filme: Der ausschließliche Fokus auf Bildgebung, Stil und Ästhetik raubt der Horrorgeschichte ihren emotionalen Kern. So ist das Werk zwar schön anzusehen – aber es berührt zu keinem Zeitpunkt. Die glattgebügelte Oberfläche erstickt die erzählerische Substanz im Kern, und so gelingt es dem Film auch nur selten, wirkliches Grauen zu verbreiten. Daran können auch die teils brutalen und grausigen Aufnahmen nichts ändern, die bei aller gezeigten Grausamkeit doch kalt und steril bleiben.

… doch am Ende nutzt das alles nichts und die junge Frau ist dem Wesen ausgeliefert
… doch am Ende nutzt das alles nichts und die junge Frau ist dem Wesen ausgeliefert
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Fazit "Nosferatu" ist eine erstklassige Stilübung, jedoch ohne greifbare Substanz: Während die Neuadaption ästhetisch beeindruckt, enttäuscht sie erzählerisch, da sie es nicht schafft, das Publikum auch emotional abzuholen. Robert Eggers-Fans werden wohl auch sein neuestes Werk feiern. Alle anderen sollten stattdessen bei F. W. Murnaus Vorbild aus dem Jahr 1922 bleiben.

"Nosferatu – Der Untote", USA 2024, 132 Minuten, ab sofort im Kino

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