"Juror #2"

Warum der letzte Eastwood-Film bei uns nicht zu sehen ist

"Juror #2", der letzte Film von Ausnahme-Regisseur Clint Eastwood, 94, läuft derzeit im Kino – aber nur in Deutschland. Weshalb Österreichs Fans durch die Finger schauen, wie gut der Film ist und ob er doch noch hierzulande veröffentlicht wird.

Der Reporter Justin Kemp (Nicolas Hoult, Mitte) muss als Geschworener in einem Fall richten, den möglicherweise er selbst und nicht der Angeklagte verschuldet hat – das ist die Geschichte von "Juror #2", Clint Eastwoods letztem Film als Regisseur
Der Reporter Justin Kemp (Nicolas Hoult, Mitte) muss als Geschworener in einem Fall richten, den möglicherweise er selbst und nicht der Angeklagte verschuldet hat – das ist die Geschichte von "Juror #2", Clint Eastwoods letztem Film als Regisseur
©Warner Bros / Everett Collection / picturedesk.com
Christian Klosz
Uhr
Teilen

Clint Eastwood war 93 Jahre alt, als er seinen neuesten Film "Juror #2" drehte. Wo andere seit Jahrzehnten in Pension sind (oder längst an einem ganz anderem Ort), stand der Schauspieler und Regisseur immer noch hinter der Kamera. Und auch in seinem, laut Ankündigung, endgültig letzten Film – es ist der 41. seiner Laufbahn als Regisseur – zeigt Eastwood (der inzwischen 94 ist) keine Altersmüdigkeit und beweist sein Ausnahmetalent als moralischer Geschichtenerzähler.

Einziges Manko: In Österreich ist Clint Eastwoods große Abschiedsvorstellung nirgendwo zu sehen. Pech gehabt.

Justins Frau Allly (Zoey Deutch) ist hoch schwanger, nicht zuletzt deshalb kommt für den Journalisten (Nicholas Hoult) die Aufgabe bei Gericht zur Unzeit
Justins Frau Allly (Zoey Deutch) ist hoch schwanger, nicht zuletzt deshalb kommt für den Journalisten (Nicholas Hoult) die Aufgabe bei Gericht zur Unzeit
©Warner Bros / Everett Collection / picturedesk.com

Abschiedsvorstellung einer Ikone Wer wissen will, warum das so ist, muss die Entstehungsgeschichte von "Juror #2" genauer betrachten: Nach seinem bis dahin letzten Werk, der durchaus sehenswerten Männlichkeits-Reflexion "Cry Macho", in der Eastwood seine Abschiedsvorstellung als Schauspieler gab, machte sich der Filmemacher auf die Suche nach einem geeigneten Abschiedswerk als Regisseur. Fündig wurde er in dem Drehbuch von Jonathan Abrams, das bereits seit 15 Jahren in Hollywood kursierte.

Erst Kino, dann Streaming Warner Bros., das Studio, das seit Jahrzehnten mit Eastwood zusammenarbeitet, hatte seinen letzten Film allerdings nicht mehr als Kinofilm auf der Rechnung, sondern zunächst als Direct-to-Streaming-Veröffentlichung geplant: "Juror #2" sollte Ende Dezember 2024 in den USA im hauseigenen Streamindienst Max veröffentlicht werden. Kurzfristig entschloss man sich dann doch noch dazu, das Werk in einigen Kinos starten zu lassen, bevor es am 20. Dezember ins Streaming wechselte.

Kein Eastwood für Österreich Für den europäischen Markt stand man allerdings damit vor der Frage, ob man einem Film, der selbst in den USA nur in wenigen Kinos zu sehen war, hier einen großen Kino-Release gönnen sollte. Relevant ist in diesem Zusammenhang auch, dass es das Warner-Streaming namens Max bei uns (noch) nicht gibt und eine Streaming-Auswertung kompliziert ist.

Der Angeklagte James Sythe (Gabriel Basso, Mitte) soll seine Freundin nach einem Bar-Besuch brutal ermordet haben
Der Angeklagte James Sythe (Gabriel Basso, Mitte) soll seine Freundin nach einem Bar-Besuch brutal ermordet haben
©Warner Bros / Everett Collection / picturedesk.com

In der Warteschleife In großen Ländern wie Deutschland und Frankreich entschloss sich Warner, "Juror #2" dennoch regulär im Kino zu veröffentlichen. Österreich und viele andere kleinere Märkte schauten allerdings durch die Finger. Bisher ist auch noch nicht bekannt, wann – und wo – der Film als Video On Demand (VOD) oder im Streaming verfügbar sein wird. Ja nicht einmal eine DVD-Veröffentlichung ist bislang eruierbar. Auf Amazon gibt es diesbezüglich keinen Eintrag.

Fans müssen nach Deutschland Ob und wann "Juror #2" für heimische Eastwood-Liebhaber verfügbar sein wird, steht also in den Sternen. Wer sich bald ein Bild von Clint Eastwoods Abschiedsvorstellung machen möchte, sollte wohl eher früher als später einen Abstecher nach Deutschland machen und da ins Kino gehen.

Die Seele der USA Dass dem heimischen Publikum der Abschiedsfilm eines der größten und wichtigsten Filmemachers der Geschichte  nun verwehrt bleibt, ist schade. Denn Clint Eastwood hat über die Jahre nicht nur ein reiches Œuvre geschaffen, sondern auch einen Ruf als "moralisches Gewissen Amerikas" erlangt, vor allem durch seine Regie-Arbeiten, die immer wieder die Seele Amerikas erforschten.

Justins Betreuer bei den Anonymen Alkoholikern, Larry Lasker (Kiefer Sutherland), ist selbst Anwalt. Ihm vertraut sich der Reporter an
Justins Betreuer bei den Anonymen Alkoholikern, Larry Lasker (Kiefer Sutherland), ist selbst Anwalt. Ihm vertraut sich der Reporter an
©Warner Bros / Everett Collection / picturedesk.com

Geschichtenerzähler der Nation Gerade in den letzten 20 Jahren be- und verarbeitete Eastwood aktuelle gesellschaftliche Fragen auf unvergleichliche Art als einer der letzten, großen Geschichtenerzähler der Nation. Seien es nun Themen wie Sterbehilfe in "Million Dollar Baby", Rassismus, Migration und Gang-Kriminalität in "Gran Torino", die Schattenseiten des Krieges in "American Sniper" oder übertriebener Machismo in seinem vorletzten Film "Cry Macho". Trotz seines klassischen Zugangs war Eastwood immer am Puls der Zeit.

Schwer einzuordnen Seine Arbeiten waren abei nie einseitig oder plump, nahmen das Publikum ernst und forderten es heraus. Mit den oben genannten Filmen unterlief Eastwood auch seine gängige Einordnung als "Hollywood-Konservativer", packten sie doch allesamt "liberale Themen" an und forderten konservative Lesarten heraus.

Abkehr von Trump-Republikanern Wenig überraschend, vernahm man in den letzten Jahren, nach der "Trumpisierung" der Republikaner, auch keine unterstützenden Worte mehr für seine ehemalige Partei, vielmehr brach Eastwood mit ihr: Bei der Präsidentenwahl 2020 unterstützte er den Demokraten Michael Bloomberg, der jedoch innerparteilich gegen Joe Biden unterlag.

Gerechtigkeit steht vor der Tür Der Film "Juror #2" setzt genau da an. Diese kluge und diffizile Reflexion über den Wert von Wahrheit und Gerechtigkeit klopft bei jedem irgendwann an die Tür, und das ist hier nicht nur sprichwörtlich gemeint. Alles beginnt damit, dass der Reporter Justin Kemp (Nicholas Hoult) zum Geschworenen in einem Mordprozess berufen wird. Kemp ist darüber wenig begeistert, da seine Frau hochschwanger ist und es jeden Moment soweit sein könnte. Er versucht daher, dem Prozess zu entgehen.

Selbst schuldig? Doch die Richterin sieht darin keinen ausreichenden Grund, ihn zu entschuldigen – und so landet Kemp unter den 12 Geschworenen, die über Schuld und Unschuld des Angeklagten James Sythe entscheiden sollen, der seine Freundin nach einem Streit in einer Bar auf ihrem Heimweg brutal ermordet haben soll.

Ein Tier, oder … Als der Fall schließlich im Gerichtssaal ausgebreitet wird, durch Sythes Anwalt und durch die Staatsanwältin Faith Killebrew (Toni Collette), dreht sich Justin Kemp der Magen um: Zum selben Zeitpunkt, am selben Ort, krachte er vor einem Jahr mit seinem Auto in irgendetwas. Doch was er damals für ein Wildtier hielt, hätte auch die Freundin des Angeklagten sein können.

Bei den Beratungen der Geschworenen bemüht sich Justin, Zweifel an der Schuld des Angeklagten zu säen, ohne selbst in Verdacht zu geraten
Bei den Beratungen der Geschworenen bemüht sich Justin, Zweifel an der Schuld des Angeklagten zu säen, ohne selbst in Verdacht zu geraten
©Warner Bros / Everett Collection / picturedesk.com

Besser schweigen Gepeinigt von Zweifeln, was er nun machen soll, befragt Kemp seinen Mentor Larry (Kiefer Sutherland) bei den Anonymen Alkoholikern, die er regelmäßig aufsucht. Der ist in seinem Brotberuf Anwalt und rät ihm, keinesfalls seine Version der Geschichte preiszugeben, um sich selbst nicht zu belasten. Denn aufgrund seines früheren Alkoholproblems würde ihm keiner Glauben schenken  und er könnte selbst hinter Gittern landen.

Zunehmende Zweifel Und so schweigt Kemp. In den Beratungen der Geschworenen versucht er, die anderen dahingehend zu manipulieren, dass sie den Angeklagten freisprechen, ohne sich dabei selbst zu verraten. Inzwischen kommen aber auch der Staatsanwältin Zweifel an der Schuld von Sythe, der zwar fraglos ein toxischer Typ ist – aber auch ein kaltblütiger Mörder?

Was ist Gerechtigkeit? "Juror #2" ist eine klassische Geschichte um Schuld und Sühne, Verantwortung und Gerechtigkeit. Sie besticht vor allem dadurch, dass sie Graubereiche auslotet. Dass der Protagonist schuldig sein könnte, weiß er selbst zuerst gar nicht. Und auch als ihm klar wird, dass er verwickelt sein könnte, hat er keine Belege dafür. Es reicht dennoch aus, sein Leben auf den Kopf zu stellen.

Staatsanwältin Faith Killebrew (Toni Collette) kommen langsam Zweifel an der Rolle "ihres" Geschworenen Nummer 2, der redet sich bei der Juristin fast um Kopf und Kragen
Staatsanwältin Faith Killebrew (Toni Collette) kommen langsam Zweifel an der Rolle "ihres" Geschworenen Nummer 2, der redet sich bei der Juristin fast um Kopf und Kragen
©Warner Bros / Everett Collection / picturedesk.com

Wer verdient Gerechtigkeit? Bei seinen Erwägungen, nichts zu sagen, stellt Kemp sein eigenes Schicksal über das des Angeklagten: Er sei "ein guter Mann" mit Familie, sagt er in einem Gespräch zu Staatsanwältin Killebrew, als dieser erste Vermutungen zu seiner möglichen Verwicklung in den Fall kommen. Während der Angeklagte hingegen "schlecht" sein. Und damit - so Kemps Logik und Rechtfertigung - nicht das selbe Anrecht auf Gerechtigkeit habe.

Schuld – eine komplexe Angelegenheit Zugleich trifft Kemp seine Entscheidungen nicht nur aus purem Egoismus, sondern auch mit Blick auf seine schwangere Frau, auf das ungeborene Kind, auf die Familie. Er ist hin- und hergerissen zwischen Zweifeln, Ungewissheit, Schuldgefühlen und eigenen Rechtfertigungsversuchen.

Meister der Zwischentöne "Juror #2" illustriert so, dass die Sache mit der Schuld oft eine komplexe Angelegenheit ist. Dass es nicht immer klare, einfache Antworten gibt. Die Stärke des Films liegt in seinen Zwischentönen, in dem, was nicht gesagt wird, im stillen Kampf des Protagonisten, das Richtige zu tun. Und der Erkenntnis, dass das, was im ersten Moment richtig erscheint, es nicht immer ist.

Clint Eastwood, 94, einer der größten Darsteller und Regisseure Hollywoods, mit seinem Star Nicolas Hoult am Set. "Juror #2" ist sein 41. und letzter Film als Regisseur
Clint Eastwood, 94, einer der größten Darsteller und Regisseure Hollywoods, mit seinem Star Nicolas Hoult am Set. "Juror #2" ist sein 41. und letzter Film als Regisseur
©Warner Bros / Everett Collection / picturedesk.com

Fazit "Juror #2" ist ein typischer Eastwood-Film, und das ist ein Gütesiegel: Auf kluge, zurückgenommene Art reflektiert er über Stärken und Schwächen des US-Rechtssystems und über das Wesen von Gerechtigkeit an sich. Und illustriert den Kampf eines Mannes, der aus nachvollziehbaren Motiven das Falsche tut. Doch Eastwood wäre nicht Eastwood, wenn er dem Publikum keine klare, moralische Message mit auf den Weg geben würde: Die kommt zwar erst ganz am (enorm starken) Ende, dafür aber mit Nachdruck.

Viel besser kann man einen Film nicht beenden. Und eine große Karriere.

"Juror #2", USA 2024, 114 Minuten, derzeit nur in deutschen Kinos zu sehen

Uhr
#Auszeit
Newsletter
Werden Sie ein BesserWisser!
Wissen, was ist: Der Newsletter von Newsflix mit allen relevanten Themen des Tages und den Hintergründen dazu.