KLIMA-EXPERTIN
Warum ich das EU-Renaturierungsgesetz für wichtig halte
Das Gesetz zur Wiederherstellung der Natur sorgt weiter für Aufregung. Worum es dabei eigentlich geht, warum viele Befürchtungen unbegründet sind, erklärt Expertin Katharina Rogenhofer.
Am 10. Juni stimmte die grüne Ministerin Leonore Gewessler für Österreich dem Renaturierungsgesetz der Europäischen Union zu. Ihre Stimme war nicht nur entscheidend, um das Gesetz zu verabschieden. Sie löste auch großen Unmut beim Koalitionspartner aus. Bundeskanzler Karl Nehammer zeigt sich empört, die ÖVP brachte gar eine Klage gegen die Ministerin ein.
Seit Monaten wird gegen die Renaturierung Stimmung gemacht: Österreich sei ohnehin Vorreiter beim Naturschutz, das Gesetz bedeute eine Gefahr für die Ernährungssicherheit, man möchte Bäuerinnen und Bauern vor Enteignung schützen. Mit viel Falschinformation wurden vorhandene Ängste verstärkt und versucht, dringend notwendige Entscheidungen und Maßnahmen im Klimaschutz zu verschleppen. Warum die Renaturierung nicht nur für das Klima und damit für die Bevölkerung, sondern auch für die Zukunft der Landwirtschaft dringend notwendig ist, zeigt ein Blick vorbei am innenpolitischen Hickhack.
Was das Renaturierungsgesetz ist und warum wir es brauchen
Das Renaturierungsgesetz ist ein wichtiger Baustein des europäischen Green Deals. Konkret geht es in dem Vorhaben darum, geschädigte Ökosysteme – etwa Moore, Wälder, Seen, Wiesen und Flüsse – zu reparieren. Sie sollen in ihre natürliche und gesunde Form gebracht werden, um die Klimakrise und ihre Folgen möglichst einzudämmen. Die EU setzt damit auch umfassende Schritte für den Schutz der Artenvielfalt und die Ernährungssicherheit in Europa.
Dafür ist es auch höchste Zeit: In Österreich sind 80 Prozent aller geschützten Lebensräume in einem schlechten Zustand. Für mehr als die Hälfte unserer heimischen Fließgewässer gilt dasselbe. Das hat nicht nur verehrende Folgen für das Klima, sondern schadet direkt der umliegenden Bevölkerung: Wo intakte Natur fehlt, fallen die Folgen von zunehmenden Extremwetterereignissen deutlich schwerwiegender aus. Sie können schlechter abgefangen werden und die Wahrscheinlichkeit von Hochwasser, Überschwemmungen und Erdrutschen steigt. Das zeigt: Die bisher bestehenden Regeln reichen nicht aus, um Arten und Lebensräume effektiv zu schützen.
Beim Wald soll uns die EU nicht reinpfuschen
In Österreich wächst tatsächlich mehr Wald nach, als geschlagen wird. Das ist gut und macht viele stolz. Viele meinen, da bräuchte es doch gar keine Vorgaben für den heimischen Wald, alles wäre tiptop in Ordnung. Doch ein ganz anderer Umstand macht unseren Wald anfällig für die klimatischen Bedingungen: historisch haben wir vor allem auf Fichten gesetzt, der überwiegende Waldbestand sind Fichtenforste. Und diese sind als Flachwurzler besonders anfällig – die Trockenheit setzt ihnen zu, Borkenkäfer inklusive.
Deshalb gibt es schon lange Bemühungen, Wälder klimafit zu machen, zum Beispiel durch die Durchforstung mit anderen Baumarten. Denn ein vielfältiger und an den Standort angepasster Mischwald ist widerstandfähiger als Monokulturen. Genau solche Maßnahmen sind wiederum integraler Teil des Renaturierungsgesetzes. Österreichs Wälder würden also davon profitieren. Sehr wahrscheinlich ließe sich für den Waldumbau sogar weiteres Geld aus Brüssel abholen.
Stilllegungen werden die Ernährungssicherheit gefährden
Die Wälder werden also vom Renaturierungsgesetz profitieren, aber wie sieht es mit der Landwirtschaft aus? Viele meinen, durch die Renaturierung von Flächen werde Ackerland und damit die Lebensmittelversorgung gefährdet. Landwirt:innen würden durch Enteignung zur Stilllegung von landwirtschaftlich genutzten Flächen gezwungen.
Diese Argumente gehen aber an den Fakten vorbei, denn nichts davon steht im Renaturierungsgesetz: Die Ernährungssicherheit steht ganz vorne im Gesetz als Priorität. Verpflichtende Stilllegungen sind nicht vorgesehen. Alles beruht auf Freiwilligkeit. Staaten können selbst einmelden, welche Flächen sie renaturieren wollen. Viele Maßnahmen die Bauern und Bäuerinnen heute schon im Rahmen der Umweltförderungen setzen, können eingemeldet werden. Tatsächlich ist in den meisten Fällen sogar eine aktive Landbewirtschaftung durch Menschen notwendig, um den Zustand von Ökosystemen zu verbessern.
Außerdem wird ein wichtiger Aspekt oft vergessen: um die lokale Nahrungsversorgung sicherzustellen, sind wir auf effektiven Artenschutz angewiesen. Denn die Bestäubung von drei Viertel unserer Nutzpflanzen – gerade Obst und Gemüse – ist abhängig von Bestäubern. Was also wirklich die Ernährungssicherheit gefährdet, ist das besorgniserregende Artensterben, das sich derzeit abspielt. Es aufzuhalten ist ein Ziel des Renaturierungsgesetzes. Verwunderlich ist auch, das quasi nicht vorhandene Aufbegehren vieler landwirtschaftlicher Interessensvertretungen wenn es um die Versiegelung von Flächen geht. Denn das Asphaltieren und Betonieren von Straßen, Parkplätzen und Gewerbegebieten kostet viel mehr landwirtschaftliche Flächen und gefährdet dadurch die Ernährungssicherheit langfristig stark.
Wir wissen viel besser, was die österreichische Natur braucht
Dennoch: Können wir die Natur nicht alleine viel besser schützen, braucht es dazu Vorgaben aus Brüssel? Zwar gibt das Gesetz konkrete Zielvorgaben: Bis 2030 sollen auf 20 Prozent Prozent der EU-Fläche Renaturierungsmaßnahmen gesetzt werden, höhere Ziele gibt es für die bereits geschützten Lebensräume (hier sollen 30 Prozent der Ökosysteme bis 2030 und bis 2050 dann 90 Prozent renaturiert sein). Wie diese Ziele aber zu erfüllen sind und welche Maßnahmen genau gesetzt werden, obliegt ganz den Mitgliedsstaaten. Grundsätzlich haben alle EU-Staaten nach Inkrafttreten des Gesetzes zwei Jahre Zeit, einen Wiederherstellungsplan zu erstellen, der alle Maßnahmen bis 2030 beinhaltet. Österreich hat also viel Gestaltungsspielraum.
Und das EU-Gesetz stellt sicher, dass alle Länder mitziehen. Von den Vorteilen profitieren wir aber unmittelbar: Flüssen, die jetzt in Betonbetten fließen, wird wieder mehr Raum zurückgegeben. Die so geschaffenen Versickerungsflächen beugen Überflutungen vor. Wälder werden Schritt für Schritt umgebaut – weg von anfälligen Fichtenmonokulturen, hin zu Mischwäldern, die Wasser speichern und den Boden stabilisieren. So führt Starkregen nicht so schnell zu Hochwasser und Muren können vermieden werden.Trockene Moore werden wiedervernässt, um damit zu Mitstreitern im Kampf gegen die Klimakrise zu werden: Sie binden mehr schädliche Treibhausgase aus der Luft als jedes andere Ökosystem.
Investitionen in die Natur lohnen sich auf allen Ebenen
Für die Umsetzung stellt die EU den einzelnen Mitgliedsstaaten außerdem zusätzliche Mittel zur Verfügung. Wie immer in Sachen Klimaschutz gilt jedoch: Die Kosten des Nichtstuns sind deutlich höher. Das hält auch rein volkswirtschaftlich betrachtet: Jeder in die Natur investierte Euro bringt zwischen acht und 38 Euro an Wert zurück – etwa durch größere Ernteerträge und vermiedene Schäden. Das Renaturierungsgesetz als Investition in die Bestäubungsleistung von Insekten, das Versickerungspotenzial von Böden und effektiven Überflutungsschutz lohnt sich also auch finanziell. Aktuell tun wir zu wenig, um unsere Ökosysteme zu schützen, damit sie uns schützen können. Das kann das Renaturierungsgesetz ändern.
Katharina Rogenhofer studierte Zoologie in Wien und "Biodiversity, Conservation and Management" an der Universität Oxford. Sie ist Initiatorin von FridaysForFuture Österreich, Autorin, war Sprecherin des Klimavolksbegehrens. Aktuell ist die Vorständin des KONTEXT Institut für Klimafragen