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Warum (und wie) Kickl momentan Österreich fest im Griff hat

Eine Woche nach der Wahl läuft das Wagenrennen um die Macht ganz nach den Regeln des FPÖ-Vorsitzenden. Er gibt Tempo, Inhalte und Tonalität vor. Den anderen Parteien wird zeitnah etwas einfallen müssen, um nicht unter die Räder zu kommen.

Knock-knock-knockin' on heaven's door: FPÖ-Chef Herbert Kickl am Freitag beim Öffnen der Tapetentür, die zum Büro des Bundespräsidenten führt
Knock-knock-knockin' on heaven's door: FPÖ-Chef Herbert Kickl am Freitag beim Öffnen der Tapetentür, die zum Büro des Bundespräsidenten führt
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Was tun mit diesem menschengemachten Wahlergebnis? Vielleicht dem Rat von Michael Häupl folgen. Der frühere Wiener Bürgermeister sagte im "Standard" diese Woche: "Generell wird viel zu wenig Spritzer getrunken und geredet, sondern es werden viel zu viele depperte Chats geschrieben". Ich finde, das eine schließt das andere nicht aus, es bedingt sich vielleicht sogar.

Mit KI-Stimme: Warum (und wie) Kickl momentan Österreich fest im Griff hat

Wissen ist Macht, nichts wissen, macht auch nichts. Der alte Uni-Plakatspruch mag etwas vergilbt erscheinen, aber er bildet den Zustand des Landes in seiner gegenwärtigen Verfasstheit mit ziemlicher Klarheit ab. Nicht erkennen, nicht erahnen, nicht deuten können, auch das fällt unter Nichtwissen.

Am vergangenen Sonntag ging die FPÖ erstmals in der Zweiten Republik aus einer Wahl als Sieger hervor. In den sieben Tagen danach ließ Herbert Kickl das alle spüren. Die meisten aber bekamen noch gar nicht richtig mit, dass sie nun nach einer fremden Pfeife tanzen. Dafür musste das Pfeiferl gar keinen Ton von sich geben.

"Put your hands up in the Air": DJ Herbert auf der Wahlparty am vergangenen Sonntag
"Put your hands up in the Air": DJ Herbert auf der Wahlparty am vergangenen Sonntag
Reuters

Herbert Kickl saß da und lächelte. Er hatte die Journalisten "in die Zentrale der freiheitlichen Partei" einbestellt und sie waren weitaus zahlreicher erschienen als üblicherweise zu FPÖ-Medienterminen. "Es freut mich, dass sie sich an diesem Samstagvormittag die Zeit genommen haben", sagte der FPÖ-Chef und lächelte erneut. Er hätte den Termin auch einen Tag früher ansetzen können, aber es bereitete ihm sichtlich Vergnügen, Zeit und Ort diktieren zu können. Er hält das schon seit einer Woche so.

Kickl taucht auf, wenn er es für richtig hält. Kickl taucht unter, wenn es für ihn geboten erscheint. Wenn Kickl auftaucht, reden die anderen über ihn. Wenn Kickl untertaucht, dann reden sie umso mehr über ihn. Kickl ist da, aber nie weg. Auch wenn er weg ist.

"Walk right In, sit right down": Herbert Kickl am Mittwoch nach dem "blauen Dienstag" nach dem "blauen Montag"
"Walk right In, sit right down": Herbert Kickl am Mittwoch nach dem "blauen Dienstag" nach dem "blauen Montag"
Reuters

Der "blaue Montag" hat in der FPÖ Tradition. Egal welche Wahl, am Tag danach machen die Blauen blau. Keiner im Büro, keiner hebt das Telefon ab, keiner äußert sich. Das war auch diesmal so, aber nach dem "blauen Montag" gab es einen "blauen Dienstag", das Schweigen ging in die Verlängerung. Die FPÖ machte sich zwei Tage lang unsichtbar und das ganz bewusst. Sie ließ die anderen Parteien ihre Wunden lecken, ihre Wut ausleben und über den Elefanten im Raum reden, der nicht da war. Weil sie das so wollte.

Die anderen Parteien absolvierten ratlos ihre Gremiensitzungen. Sie nominierten in merkwürdiger Eile Verhandlungsteams, ohne zu wissen, was diese Teams verhandeln sollten, und mit wem. Sie beteuerten, das Wahlergebnis wie üblich in aller Tiefe analysieren zu wollen, bei den meisten würde ein Blatt Papier dafür reichen und da geht sich auch ein Mandala noch darauf aus.

"Put your head on my shoulder": Am Samstag machte Herbert Kickl klar, wohin die Reise (für ihn) geht
"Put your head on my shoulder": Am Samstag machte Herbert Kickl klar, wohin die Reise (für ihn) geht
Reuters

Am Mittwoch zelebrierte Kickl dann seine Wiederaufstehung und er tat dies nicht mit dem Bewusstsein eines Oppositionsführers, sondern mit dem Selbstbewusstsein eines Beinahe-Kanzlers. Er sortierte die Wortmeldungen der bisherigen Woche ein, interpretierte den Wählerwillen in seinem Sinne, verteilte Tadel an Zweifler und vergab Zeugnisnoten an die politische Konkurrenz. Er verkörperte das Hochgefühl eines Wunschlosen, dem die Wünsche von den Augen abgelesen worden waren.

Das war auch am Freitag zu spüren, erneut wurden Kickl die Zügel der Kommunikation in der eigenen Hand belassen. Was er nicht wollte, geschah nicht, man ließ ihn gewähren. Das dürre Statement, hingeworfen beim Betreten des Maria-Theresien-Zimmers in der Hofburg, es passierte nicht einfach so. Das Gespräch mit dem Bundespräsidenten, das 90 Minuten statt der eingeplanten Stunde dauerte, es wirkte nicht aus Zufall in die Länge gezogen, sondern um dem Termin mehr Gewicht zu verleihen.

"I wanna dance with somebody": Herbert Kickl im Maria-Theresien-Zimmer der Hofburg
"I wanna dance with somebody": Herbert Kickl im Maria-Theresien-Zimmer der Hofburg
Reuters

Danach Schweigen, auch das, um die Bedeutsamkeit zu vertiefen. Erst am nächsten Tag der Auftritt vor den Journalisten, das sicherte zwei Tage Schlagzeilen und die Sonntagsausgaben der Zeitungen. Kickl redete fast 18 Minuten, Fragen danach waren nicht gestattet. Die Message Control feierte ein Comeback, nun war sie nicht mehr türkis, sondern blau eingefärbt.

Der FPÖ-Chef las seine Gedanken vom Blatt ab. Alexander van der Bellen nannte er nun nicht mehr "Mumie" und "senil" wie noch bei der Aschermittwochrede 2023 in Ried im Innkreis, er sprach von "einem atmosphärisch angenehmen und offenen Gespräch". Aber zwischen den Zeilen war klar auszunehmen, dass er tags zuvor nicht als Bittsteller vorstellig geworden war, sondern um dem Bundespräsidenten seine Pläne mitzuteilen, sie kamen fast Forderungen gleich.

"Open the door to your heart": Bundespräsident van der Bellen lässt Herbert Kickl in sein Kabäuschen
"Open the door to your heart": Bundespräsident van der Bellen lässt Herbert Kickl in sein Kabäuschen
Reuters

Kickl sprach die neuen Zeiten direkt an. "Eines war diesmal ganz anders", sagte er. "Diesmal bin ich nicht mehr als Obmann einer Partei mit 16 Prozent in die Hofburg gekommen, sondern diesmal war ich dort als Vertreter, als Anwalt, als Sprachrohr von mehr als 1,4 Millionen Wählerinnen und Wählern".

Was er meinte: Es gab keinen Hofknicks, kein g'schamster Diener, sondern eine unmissverständliche Botschaft: Ich will "die kommende Regierung anführen". Es gibt sie nur "mit mir als Bundeskanzler". Und als Partner kommt allein die ÖVP in Frage. "Der Bundespräsident weiß das jetzt auch aus erster Hand", sagte er. Der Satz liest sich freundlicher als er gemeint war.

Die Nebel lichten sich. Eine Woche nach der Wahl gibt es nur mehr zwei Regierungs-Optionen. Die ÖVP fällt im Liegen um, geht mit der FPÖ eine Koalition ein und akzeptiert Kickl als Kanzler. Oder die ÖVP behält den Kanzler und lacht sich SPÖ und NEOS als Partner an. Die GRÜNEN schließe ich aus, nicht allein wegen der Volkspartei, sondern weil sie die Wiener SPÖ nicht verputzen kann.

"If I could turn back time": SPÖ-Parteichef Andreas Babler will sich am Dienstag mit Kanzler Karl Nehammer treffen
"If I could turn back time": SPÖ-Parteichef Andreas Babler will sich am Dienstag mit Kanzler Karl Nehammer treffen
Helmut Graf

In den sich lichtenden Nebel hinein, hat das Gebalze begonnen. Kickl stellte Blau-Türkis als einzige denkbare Option dar. Der Wähler habe "ein Machtwort gesprochen". Eine "Koalition der Verlierer wäre ein Schlag ins Gesicht" der Wählerschaft. Dieser "Schlag ins Gesicht" will sich am Dienstag treffen. Kanzler Karl Nehammer und Andreas Babler vereinbarten einen Gesprächstermin und ließen es die "Kronen Zeitung" wissen. Österreich liebt seine Traditionen.

Es ist keine große Überraschung, aber Michael Häupl hätte keine Freude mit Türkis-Blau. "Wir hatten die FPÖ schon in der Regierung und man kann ja nicht jedes Mal darauf hoffen, dass sie sich selbst in die Luft sprengen," sagte er dem "Standard".

Seine SPÖ würde er lieber in Verantwortung sehen, den Zwist im eigenen Lager sieht er pragmatisch. "Eine Partei wie die Sozialdemokratie muss zwei Flügel haben. Jeder Vogel braucht zwei Flügel, damit er fliegen kann. Wenn er nur einen Flügel hat, schaut er deppert aus." Es sei in Erinnerung gerufen: er ist gelernter Biologe.

Ich wünsche einen vogelfreien Sonntag. Gestern machten unsere Handys um Mittag herum gleich zwei Mal Krawall. Ob der Probealarm ein Erfolg war, wage ich zu bezweifeln. Meine nicht repräsentative Umfrage im Privatbereich ergab, dass doch recht viele Smartphones stumm blieben. Vielleicht zelebrierten sie aber auch nur einen "blauen Montag" wie die FPÖ, diesmal halt an einem Samstag. Ich lasse mir das durch den Kopf gehen. Bis dahin: eine schöne Zeit!

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